LIBREAS.Library Ideas

Das Jahr 2011 in der internationalen Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

Posted in LIBREAS aktuell by Ben on 31. Dezember 2011

Eine Rundschau von Ben Kaden

Zum Jahresende blickt man nicht selten auf Stapel von Publikationen, die durchzusehen man sich anschickte, es aber aus dem einen anderen Grund nicht mit dem gewünschten Erfolg umzusetzen verstand. Schichtarbeiter, zu denen ich zähle, neigen vielmehr sogar dazu, die Stapel mit den Jahren wachsen zu lassen. Dass man sie bei digitalen Publikationen nicht direkt materiell als Bürde des Unterlassens vor sich sieht, ist nur ein schwacher Trost.

Bevor ich nun mit der Aufschichtungstradition zu breche und 2012 mit einem leeren Tisch in einem frisch gelüfteten Raum beginne, möchte ich wenigstens stichprobenartig ein bisschen durch den virtuellen Haufen des bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Outputs tauchen und ein paar Nadeln herausheben, um sie als Pins in meine persönliche kognitive Karte des Fachs einzustecken. Die Auswahl ist notwendig voreingenommen und hoch selektiv.

Mir steht dabei die klassische Kennzahl – hoffentlich richtig – vor Augen, dass ein Wissenschaftler im Jahr ca. 1000 Aufsätze sichtet und etwa 100 liest. Und einen schreibt. An anderer Stelle wurde mir einmal vorgerechnet, dass man etwa 70.000 Seiten im Jahr lesen muss, um halbwegs auf dem aktuellen Stand der Wissenschaftsentwicklung zu bleiben. Im Terror dieser Werte gefangen arbeite ich mich wie die meisten meiner Peers durch einen nicht zu bewältigenden Berg an Publikationen und lege ab und an selbst noch ein drauf. Für die nachfolgende Rundschau habe ich in etwa das Jahrespensum eines Wissenschaftlers zusammengedampft. Mehr geht derzeit nicht. Für eine vollständige Durchsicht des Publikationsgeschehens eines Jahres müssten die Zeit zwischen den Jahren bzw. vielleicht sogar die Jahre bedeutend länger sein. Immerhin lässt sich für das nächste Jahr vornehmen, die Materialstapel gleich zeitnah vielleicht einmal im Monat zu bearbeiten und auf diesem Weg einen systematischeren Blick auf die bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Entwicklungen zu entwickeln. Dies würde auch dazu beiträgen, dem Referateansatz dieses Weblogs eine verlässlichere Form zu geben.

Selbstverständlich wäre es etwas unsinnig, den Zeitraum eines einzigen Jahres als repräsentative Eingrenzung für das Geschehen in einer Wissenschaft heranzuziehen. Zumal auf der Basis von Zeitschriftenpublikationen. Denn solche Beiträge stecken schon mal gern länger im Review- und Drucklegungsverfahren und stammen genau genommen oft bereits aus dem Vorjahr.

Wenn wir versuchen anhand der Zeitschriftenpublikationen des Jahres 2011 Trends für Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu ermitteln, ermitteln wir eigentlich, womit sich die Forschung 2010 beschäftigte. Andererseits sind die meisten der Beiträge tatsächlich erst irgendwann im Laufe des Jahres 2011 in unserer Aufmerksamkeit gelangt und haben unsere Forschungsperspektive daher in diesem Zeitpunkt auch erst beeinflussen können.

Die Wissenschaftskommunikation ist demzufolge ein stabil zeitversetzter Prozess, der, wenn man sich zum Beispiel die Entwicklung der Sozialen Netzwerke und ihrer gesellschaftlichen Rolle ansieht, immer einen Tick hinter einem allgemeinen Zeitgeist zu verorten scheint. Dafür ist die Perspektive weiter, denn der Leser sieht, wohin sein Tablet ihn tatsächlich trägt und liest drauf, was man im Sommer zuvor über eine mögliche Tragweite dachte. Wenn man Glück hat, gelingt aus dieser Lücke auf Seiten des Beobachters eine stimmige Extrapolation in die Zukunft.

Nachfolgend werden nun bar jedes Anspruchs auf Vollständigkeit stichpunktartig Kernaussagen, Trends, Erkenntnisse und Fakten zusammengestellt, die einige der Leitthemen und Haupttrends der internationalen Bibliotheks- und Informationswissenschaft des Jahres 2011 umreißen.

Lässt man die Lektüren des Jahres 2011 nun binnen einiger Nachmittagsstunden an Jahresendfeiertagen ihre Revue passieren, dann fällt für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft im Rückblick auf, dass es nicht unbedingt eine Disziplin der großen Durchbrüche, Erkenntnisexplosionen und Quantensätze handelt, sondern um ein Fach mit einerseits sehr heterogenen Themenstellungen und andererseits mit eher behäbigen Verschiebungen im Diskurs. Für die Wissenschaft dürfte das einem Normalzustand entsprechen: Die Paradigmenwechsel – sofern man an Kuhn glaubt – vollziehen sich natürlich dennoch und einige Tendenzen werden ich nachfolgend herausstellen. Aber wenigstens im Zeitschriftenbereich finden sich im gesichteten Korpus (besonders Journal of Documentation, Journal of Information Science, Journal of the American Society for Information Science and Technology, Knowledge Organization, Scientometrics) keine Leuchtturmpublikationen deren Strahlkraft geeignet ist, völlig neue Sichtweisen zu eröffnen oder wenigstens in eine deftige Wissenschaftskontroverse zu führen. Die Diskussionen zwischen Birger Hjørland (2011b, http://dx.doi.org/10.1177/0165551511423169) und Marcia Bates (http://dx.doi.org/10.1002/asi.21594) deuten immerhin an, dass etwas in dieser Art denkbar ist und wie es aussehen könnte. Und auch der Text von John Palfrey und Johnathan Zittrain (http://dx.doi.org/10.1126/science.1210737) als einer von wenigen interdisziplinären Ausreißern der Rundschau zu Science und Nature bestätigt eigentlich nur, dass unsere Disziplin notgedrungen ein Fach des Digitalen ist.

Um diese Aussage gleich wieder einzuschränken muss nochmals unbedingt auf die Subjektivität von Auswahl, Deutung und Schwerpunktsetzung verwiesen werden. Die Zusammenfassung schließt vorwiegend solche Quellen ein, die ich persönlich benutze, um mich ein wenig auf dem Stand des Forschungs- und Erkenntnisverlaufs in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu halten. Eigene Lektüreinteressen spielen bei der konkreten Titel- und Artikelauswahl keine geringe Rolle. Es kann also durchaus sein, dass ich den das Paradigma umstoßenden Beitrag schlicht nicht gesehen und/oder nicht als solchen erkannt habe. Berücksichtigt wurde zudem in diesem Fall ausschließlich Zeitschriftenliteratur (mit einer persönlichen Ausnahme, die eigentlich in der LIBREAS-Ausgabe 19 als Aufsatz erscheinen sollte…). Nach einen kurzen Zusammenfassung der Haupttrends werden einzelne, in meinen Augen notierenswerte Erkenntnisse, Einsichten, Positionen und Fakten in Form von Stichpunkten zwar grob geclustert, im Übrigen jedoch soweit als möglich neutral und unkommentiert abgebildet. (more…)

Telex und Touchscreen. Zum Medienwandel im Zeitalter des Post-Briefs.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by libreas on 28. Dezember 2011

Manche meinen, dass wer sich die Zukunft des gedruckten Buches vor Augen führen möchte, mal einen Blick auf die Zukunft des papiergebundenen Poststücks (Brief, Post- oder Ansichtskarte) werfen sollte. Wo Digitaltechnik dominiert und die Nachrichtenübertragung beschleunigt, kann der langsame, materialgebundene Austausch von Inhalten nicht überleben. Meint man. Und dort, wo rein ökonomisch gedacht werden muss, gibt es deutliche Signale, dass nicht alles an dieser Ansicht verkehrt ist. Roger Angell schreibt in der ersten Januar-Ausgabe des New Yorker einen entsprechend einsichtigen Artikel und nennt nur noch wenige zwingende Anwendungsfälle für Briefpost:

„Letters aren’t exactly going away. Condolence letters can’t be sent out from our laptops, and maybe not love letters, either, because e-mail is so leaky. Secrets—an expected baby, a lowdown joke, a killer piece of gossip—require a stamp and a sealed flap, and perhaps apologies do as well (“I don’t know what came over me”). Not much else.“

Es ist fraglich, ob Postunternehmen mit Trauerbekundungen überleben können, denn obwohl man in diesem Fall meistens gern auf die pietätsärmeren Einmischungen in den digitalen Netzwerken verzichten mag und erfahrungsgemäß häufig im Fall des Betroffenseins mit pietätsärmeren Einmischungen gutmeinender Face-to-Face-Kommunikanten genug zu tun hat, ist einem – ebenfalls erfahrungsgemäß – das Kondolenzpostaufkommen nicht immer prioritär. Manchmal könnte man sogar auch gut darauf verzichten – wenn sich nämlich die beiden Varianten kreuzen. Liebesbriefe lassen sich dagegen vielleicht nicht bevorzugt über Pinnwände aber – erfahrungsgemäß zum Dritten – in gleicher Intensität elektronisch in die Herzen oder daran vorbei entsenden. Wer sich wie Josef Murau bei Thomas Bernhard erinnert „[M]eine Schulbücher waren schmutzig, meine Schrift war schlampig, beinahe unleserlich“, dem verspricht die digitale Lebenswelt ohnehin einen in formalen Dingen an Tadeln ärmere Lebenszeit und vielleicht sogar ein bisschen besseren Reproduktionserfolg. Denn wo einst die Begehrte die geheime aber verschmierte Botschaft nicht lesen konnte, kann nun das Buhlen in bester Web-Typography eindeutig lesbar auf ihrem Tablet auftanzen. Schulbücher, die Urplage für geschundene Kinderrücken und Schmierfläche für ungeduldige Kinderhände, wachsen nun auch langsam aus den Kinderstuben und ins Schulbuchmuseum. Grenzenlos hat auch einiges mit ranzenlos gemein.

„His hands were weak and shaking
from carrying far too many
books from the bookshop.


It was the best feeling.“

Solche Wunschträume von Leuten, die sich zeitgemäß sallyeloo nicknamen, sprechen nur noch die Generationen an, die sich auch aufrichtig am Tiny Book of Tiny Stories erfreuen. Allen anderen muss die Bürde und der Kult ums Buch so aktuell sein, wie unseren Eltern die Geschichten aus der Gartenlaube. Das Problem für die Post und Massenverlage liegt nun darin, dass sie strukturell nur über einen Massenmarkt überleben können. Während kleine bibliophile Pressen immer noch ihre Zielgruppe finden, wird die Briefbeförderung tatsächlich zum Problem, wie die US-Post gerade merkt. Als viel zu groß aufgestellter Shrinking Media-Anbieter muss sie doch mit der Flächigkeit des Landes und den realen Distanzen kämpfen. Die Briefbeförderung lässt sich im Gegensatz zum Buch denn auch kaum zum Luxusgut stilisieren. Digitaltechnik übrigens auch nur schwer. Das iPhone mag designtechnisch bis in die letzte Ecke überzeugen. Es ist aber auch dort angekommen und ein – wie eine U-Bahn-Fahrt zeigt – nahezu schichtenübergreifendes Alltagsutensil, das sich im vollgespritzten Blaumann genauso gut findet wie in der Hermès-Bag. Wie früher Kondolenzbriefe und Urlaubspostkarten. Das Vertu-Constellation gibt es nun zwar auch mit Touchscreen in Krokodilleder, was aber so stilbemüht daherkommt, wie ein BTX-Terminal vor einem Pollock. Eleganz beruht bekanntlich auf einer wie naturgegebenwirkenden Harmonie zwischen Inhalt und Form. Womit der Unterschied zwischen iPhone und Vertu-Riegel deutlich sein dürfte. Man könnte auch den SPIEGEL-Jahrgang des Jahres 1991 sicher mit Goldschnitt versehen. Aber gerade das wirkte billig.
Bei mobiler Kommunikationstechnologie, dies meine These zum Mittwoch, ist aufgrund der niedrigen Zugangshürden die soziale Botschaft jedenfalls hinfällig und wenn man dem Mobiltelefonie-Markt etwas zugute halten mag, dann, dass er idealtypisch zeigt, wie Rundumdemokratisierung durch Konsum bewerkstelligt werden kann. Vor dem Funknetz sind alle, ob Edelmann oder Knapp, vielleicht nicht gleich gleich aber doch sehr ähnlich und werden nächsten Samstag kurz nach 12 am Samstag von Berlin-Mitte aus wie jedes Jahr niemanden per Handy erreichen.

Früher – also Anfang der 1990er – sah die Welt noch anders aus. Netzzugang war ein Luxus. Und das erste Fundstück des Tages zeigt, dass Information im Netz in dieser Zeit folgerichtig gern auch als selbstverständliches Lebensstilelement der Coolen und Reichen verkauft wurde:

BTX

Das Bundfaltennetz: Welche Oldies sind topaktuell? Zu BTX-Zeiten musste man oft noch dem eigenen Geschmack und nicht dem YouTube-Ranking vertrauen. Jedenfalls dann, wenn man kein MultiTel der Post besaß. Auch ansonsten ist die Welt vor 20 Jahren heute kaum weniger vorstellbar, als es 1991 die Informationswelt in 20 Jahren war. Wobei die Herrenanzüge dieser Zeit unzweifelhaft futuristischer geschnitten waren. Keine Frage!

Vor dem Horizont der Wende zum berührungsempfindlich Display, das die Tastatur auf die Straße des Aussterbens schickt, auf der Fotofilme, Brief und Buch bereits in ihren Sonnenuntergang schlendern, ist das Fundstück aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.03.1993 fast noch interessanter, auch wenn man damals den eigentlich Punkt noch nicht verstand: „Menschen, die mit den Tastaturen herkömmlicher Rechner und elektrischen Schreibmaschinen nicht zurecht kommen“ greifen nicht unbedingt lieber zum Schreibstift. Sondern wischen sich die Botschaften, die sie brauchen, heran.

Damit kommt in gewisser Weise die Welterschließung per Hand, das haptische Element zurück, weswegen die midasierende Touchscreen-Kultur, die das wertvoll und nutzbar macht, was ich direkt berühre, weniger künstlich erscheint, als die QWERTZ-Eingabetechnokratie. Der Touchscreen ist das bisher jüngste Glied in der evolutionären Kette der Interaktionswerkzeuge und die scharfe Kante, die der Computermaus das Plastikrückgrat bricht.

Touchscreen

Touchscreen, Tochscreen now. I wanna feel your body. - Samantha Fox' 1986er Überhit (mit diversen Unterremixen in den 1990ern) hat nun wirklich nichts mit Digitaltechnik zu tun (außer vielleicht beim Abmischen). Und wenn man ihn heute hört, wirkt er entsetzlich schleppend. Wen aber gern unfreiwillig krude Assoziationen überfallen, der bekommt dennoch schon mal die Verknüpfung "Tatsch Mie" (wie wir es damals mitsangen) und Tadschskrien, wie die Generation unserer Kinder es nennt, mitgeliefert und kann daraus nichts anderes machen, als eine bedeutungsarme Bildunterschrift. Fax für Dr. Schreiber.

(bk)

Ein Augenblick im Dezember. Die Jahresausklangskolumne.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Ben on 22. Dezember 2011

„nicht vergessen auch im neuen jahr immer positiv denken“

– die Auswertung der Suchbegriffe, mit denen man über die Suchmaschinen zu LIBREAS-Inhalten findet, offenbaren mitunter sehr viel über die Suchbefindlichkeiten im Netz. Die Topanfrage dieser Woche vor Weihnachten war aber nicht der obige NLP-nahe Imperativ einer glücksverheißenderen Selbstausrichtung, sondern schlicht und einfach: Erotika. Außerdem suchten unsere Gäste nach unter anderem

– „arabische pornografie“,
– „babystrich berlin 2011“,
– „cyber-sexy library“,
– „internet buzzwörter“,
– „einfluss der medien auf die gesellschaft kurz“,
– „the kids are not alright“,
– „welchen wochentag „frankfurter allgemeine“ mit wissenschaftsteil“.

Immerhin auf eine Suchanfrage lässt sich präzise antworten: Mittwoch. Bedauerlicherweise verirrt sich ansonsten anscheinend niemand auf der Suche nach dem Mysterium der „Liebe“ auf unsere Seiten – und vielleicht fehlen uns die Inhalte. Oder die passende Suchmaschinenoptimierung auf die Zielgruppe hin, denn eigentlich gleiten hin und wieder schon zarte Anspielungen auch auf dieses Thema zwischen den Zeilen dieses Weblogs. Muss man nun Oliver Pfohlmanns eher traurig stimmendes Resümee seiner Sammelrezension zur Liebe in den Zeiten des Internets in der gestrigen Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung übernehmen, das in der übercodierten Oberflächenwelt von der kleinen Kostbarkeit wahrer Nähe oder dem sanften Hauch der Andeutung nichts übrig lässt und nur dem dampfwalzenden Sportsex huldigt, dessen disziplinäre Einordnung unter dem Schlagwort „Gaming“ durch die Häuser läuft?

„So kurz heute der Weg ins Bett ist, so hürdenreich kann er werden, soll daraus etwas «Ernstes» werden. Einige beschränken sich daher bewusst auf das zynische «gaming» mit dem Ziel, möglichst viele Partner ins Bett zu bekommen; ihre erste Regel lautet: Emotionale Distanz wahren! Nicht nur Männer, auch Frauen führen Online-Statistiken über ihre Aufreiss- oder Abschlepp-Erfolge, professionell aufbereitete Kuchen-Diagramme inklusive.“

Sicher geht die Waren- und Leistungsgesellschaft nicht spurlos an unserem Privatleben vorüber und wer in seinen 12-Stunden-Arbeitstag gewohnt ist, permanent evaluiert zu werden und seine Kollegen einer harten Kosten-Leistungs-Rechnung zu unterziehen, muss schon eine gewisse Grundreife mitbringen, um die selben Prinzipien aus den Resträumen zwischenmenschlicher Kontakte auszuklammern und sich trotz allem auf eine „authentische tiefe Erfahrung der Andersheit“ (Alain Badiou) einzulassen, die weitaus gefährlicher und kontingenter sein muss, als das auf- und abrechnende Zusammenfinden auf Zeit und mit einer Klausel zur einvernehmlichen Trennung, falls eine mehr versprechende Option in Sichtweite gelangt oder die vereinbarte Zeit vorüber ist. So ist die aufgeklärte und wunderlose just-in-time Informationsgesellschaft nicht gerade die Brutstätte für Sehnsüchte nach blauen Blumen und möglicherweise verstörenden und unberechenbaren Zuneigungen, die sich vertraglichen Regelungen entziehen. Doch wieso funktioniert die Rationalisierung an dieser Stelle nicht. Wieso denkt man auf dem S-Bahnsteig des Bahnhofs Friedrichstraße kurz nach der Büroschlußzeit an And they all look broken hearted? Die Hyperironie unsere Überkultur, in der jeder alles schon gesehen und gehört hat und sich bestenfalls mit einer weißen Spur am Nasenflügel in einer Samstagnacht in eine andere, jedoch fein eingehegte Ausschweifungswelt auf Zeit zu werfen bereit ist, macht es schwer für die unscheinbaren, stilltiefwassernen Türen im Gewöhnlichen und doch scheinen wir nicht davon loszukommen. Gerade zur Weihnachtszeit bauen wir uns ein Mäuerchen aus Geschenkkartons in der Hoffnung, die Pforte in diese anachronistische Welt aus Hingabe, Loslassen und Geborgenheit genau darin zu finden. Selten genug gelingt es.

LIBREAS möchte aus aktuellem Anlass seinen LeserInnen ausnahmsweise weder frische R-Codes noch Reflektionen über die Digitale Bibliothek in die Feiertage geben, sondern nur eine ganz unspektakuläre Autofiktion über das Sehen und Schließen. Wir wünschen allen unseren LeserInnen ruhige Tage, möglichst wenig Cyberrealität und alle Liebe, die sie sich selbst wünschen.

Library Lovers

Von wegen Kuchendiagramm: Für das Symboldbild im Dezember 2011 ist das gebackene Eichhörnchen in Puderzuckerstaub viel angemessener.

(more…)

Die Buzzermeter. Warum die Tweetmetrics den Menschen stärker in den Blick nehmen sollten.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 17. Dezember 2011

Anmerkungen zu

Gunther Eysenbach (2011): Can Tweets Predict Citations? Metrics of Social Impact Based on Twitter and Correlation with Traditional Metrics of Scientific Impact. In: Journal of Medical Internet Research. 2011;13(4):e123. DOI:10.2196/jmir.2012

von Ben Kaden

Wenn wir schon einmal das Thema alternativer Metriken in der Wissenschaftsforschung in den Blick nehmen, dann liegt es nahe, den Bogen zu den Tweetmetrics (Teilgebiet der Social metrics) mitzunehmen und auf einen aktuellen Aufsatz zur twitter-gestützten Zitationsanalyse hinzuweisen. Gunther Eysenbach schreibt im Journal of Medical Internet Research über Untersuchungen zum so genannten Twimpact Factor. Die Wortschöpfung ist sicher so streitbar wie eingängig und daher typisch für dieses hochzeitgeistige Diskurs- und Forschungsfeld (da geht wortschöpferisch vermutlich noch einiges), begründet sich aber aus der nachvollziehbaren Idee, mit sziento-webometrischen Methoden einen Spin-off zu entwickeln, wie die Interessenerklärung verrät: (more…)

Mit kleinem Kreditrahmen? Überlegungen zur Reputationsabbildung im Nano-Publishing.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 14. Dezember 2011

Anmerkungen und Anschlüsse zu:

Roberto Casati, Gloria Origgi, Judith Simon (2011): Micro-credits in scientific publishing. In: Journal of Documentation, Vol. 67 Iss: 6, pp.958 – 974. DOI: 10.1108/00220411111183546

von Ben Kaden

Zusammenfassung:

Nachfolgend werden die Grundideen eines Aufsatzes der Attribution von Micro-Credits zu Teilen von wissenschaftlichen Publikationen mit dem Ziel einer präziseren Reputationszuweisung und –messung in einem größeren Rahmen zur Entwicklung pragmatischer/semiotischer Netze diskutiert. Reputation gilt dabei (Abschnitt I) als ein entscheidender Faktor für die soziale Strukturierung einer Wissenschaftsgemeinschaft. Die AutorInnen des besprochenen Textes liefern einige Ansatzpunkte für die Einbettung von kreditierenden Nanoverfahren zunächst in (natur-)wissenschaftliche Aufsätze. (Abschnitt II) Damit verdeutlichen sie eine maßgebliche Entwicklungsrichtung für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft, zeigen aber auch deutlich auf, wie viele offene Fragen sich bei der Erweiterung von Semantic Web-Konzepten hin zu Pragmatic-Web-Ideen ergeben und wie viel weitere konzeptionelle Arbeit die Elaboration tragfähiger Theorien auf diesem Gebiet erforderlich ist. (Abschnitt III) (more…)

(Aus)Tauschen

Posted in Hinweise, LIBREAS aktuell by libreas on 14. Dezember 2011

Wir schenken Ihnen ein Buch – Sie schenken uns eine Rezension!  In der LIBREAS-Redaktion liegen noch mehrere feine Titel, die darauf warten rezensiert zu werden. Es handelt sich dabei um:

Schreiben Sie uns eine E-Mail an:  redaktion@libreas.eu und wir senden Ihnen das gewünschte Exemplar zu. Am besten so schnell wie möglich, dann liegt es pünktlich unter Ihrem Weihnachtsbaum 😉

Scheitern in der Schreibwerkstatt: Aus der Redaktion der LIBREAS. Library Ideas.

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS.Projektberichte, LIBREAS.Scheitern by libreas on 11. Dezember 2011

LIBREAS-Redaktion

Beim Thema Scheitern ist die Arbeit an LIBREAS. Library Ideas überhaupt nicht auszunehmen. Vielmehr ist die Herausgabe jeder Ausgabe mit mehr Scheitern und Kompromissen verbunden, als mit Erfolgen. Dies lernt man sehr schnell, wenn man sich auf ein Projekt wie LIBREAS einlässt: Zu jedem publizierten Artikel, zu jeder umgesetzten Idee, zu jedem eingehaltenem Anspruch lässt sich auch das Gegenteil anführen. Ist das eine Eigenheit unserer Redaktion? Überhaupt nicht. Egal, in welche Redaktion man Einblick erhält, es ist ähnlich. Dabei unterscheiden sich nicht einmal wissenschaftliche, journalistische oder literarische Publikationen groß voneinander. Der Unterschied liegt höchstens darin, dass das Scheitern dort praktisch nie ein öffentliches Thema ist.

Warum machen wir das dann überhaupt? Das ist nicht so klar, wie es vielleicht nach außen erscheint. Die Zeitschrift lebt vom Engagement Einzelner und diese Einzelnen haben immer wieder unterschiedliche Meinungen, die zumindest in Redaktionskonferenzen und in den Tagen vor der Veröffentlichung einer neuen Ausgabe jedesmal neu zur Sprache kommen. (more…)

Grab your TwapperKeeper Archive before Shutdown!

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS.Scheitern by libreas on 9. Dezember 2011

Yesterday, TwapperKeeper announced:

Twapper Keeper’s archiving is now available in HootSuite! As a result, we will be shutting down Twapper Keeper. Existing archives will be kept running until Jan 6, 2012, after which you will not be able to access your archives anymore.

For those who wants to save archives before the shut down, this very simple R-code may give you an idea . It allows you to query for archived tweets referencing a hashtag. Furthermore, it downloads up to 50.000 archived tweets containing this hashtag as csv-file from TwapperKeeper.

require(XML)

hashtag <- "ala11" #your hashtag

tweet.df <- data.frame()

url <- paste("http://twapperkeeper.com/rss.php?type=hashtag&name=",hashtag,"&l=50000", sep="")

doc <- xmlTreeParse(url,useInternal=T)

tweet <- xpathSApply(doc, "//item//title", xmlValue)

pubDate <- xpathSApply(doc, "//item//pubDate", xmlValue)

tweet.df <- cbind(tweet,pubDate)

write.csv(tweet.df,"myTweets.csv")

More

Gary Green: No More Access To Your Twapper Keeper Archives .

Cornelius Puschmann: Academic replacements for TwapperKeeper.com

(NJ)

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Die Materialsammlung. Über Robert Darntons Zwischenbericht zur DPLA in der NY Review of Books.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 5. Dezember 2011

von Ben Kaden

Einer der wissenschaftlichen Leitsätze, die das bibliothekswissenschaftliche Studium am Berliner Institut durchzogen, lautete, dass die USA Europa hinsichtlich der nahezu aller für dieses Fach relevanten Gesichtspunkte uneinholbare Jahre voraus sind. Nun scheint dieses Verständnis zu etwas Historischem zu werden und sich ein Stück weit umzukehren. Jedenfalls wenn man den Zwischenbericht von Robert Darnton zur Digital Public Library of America (DPLA) in der Ausgabe der New York Review of Books vom 24.11.2011 liest (Jefferson’s Taper: A National Digital Library. S. 23-25). Denn Darnton bringt für das Projekt nicht nur die Europeana als Vorbild ins Spiel. Sondern er sieht auch als eine Gefahr einer nationalen digitalen Bibliothek, die er mit Stefan Gradmann (IBI, Europeana), wohl ohne Absprache aber aus einem Gespür für den Zeitgeist, heraus teilt:

„But it [=a truly “public“ library for the entire country] also might alienate the public libraries that already exist, because of the danger that local authorities could cut the funding for their libraries on the erroneous pretext that the DPLA will provide their basic material.” (Darnton, 2011. S. 23f.)

Hier sind Europa und Amerika gleichauf: Die öffentliche Bibliothek bzw. die Public Library unten an der Ecke muss sich neu erfinden oder – so schlecht der Reim, so dräuend die Gefahr – wird verschwinden. Andreas Kilb zitierte nämlich Stefan Gradmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Tag nach dem Erscheinen des Darnton-Beitrags mit einem ganz ähnlichen Ausblick:

„Für die traditionellen Bibliotheken, die ihre Nutzer immer noch Karteikarten durchforsten und Bestellzettel ausfüllen lassen, entsteht dadurch eine mächtige Konkurrenz. Aber auch die Digitalisierung ihrer Schätze birgt auf lange Sicht ein Existenzrisiko: Die kommunalen und nationalen Kulturpolitiker, die den Bibliotheksbetrieb aus ihren Kassen finanzieren, könnten versucht sein, jene Häuser, deren Kundschaft nur noch vom eigenen Bildschirm aus die Bestände nutzt, zu reinen Verteilerstellen für Digitalisate herunterzukürzen. Man müsse sich fragen, wie viele „partikulare Institutionen“ man in Zukunft noch brauche, erklärte der Informatikwissenschaftler [sic!] Stefan Gradmann vergangene Woche bei einer Tagung zur Zukunft des kulturellen Erbes in Berlin nicht ohne Besorgnis.“ (Andreas Kilb: Unsichtbare Vasen für die Menschheit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.2011, S. 35)

In beiden Fällen werden die jeweiligen offiziellen Vertreter des breitenkulturellen Digitalisierungsansinnens damit nicht nur Jubel in der Bibliothekswelt für ihre Projekte auslösen. Andererseits überzeugte die Reduktion der Bibliothek auf die Rolle als Zugangsort zu Information noch nie. Die Frage ist nur, ob das die Träger auch so sehen. (more…)

Schreiben Sie! Eine Karte Ermunterung von / eine Karte Erinnerung an Christa Wolf.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Ben on 4. Dezember 2011

Am 26.03.1970 antwortet die 41-jährige Christa Wolf  einer 18-Jährigen auf die Frage, wie man es anfängt, dieses Schreiben.

Briefkarte Christa Wolfs vom 26.03.1970

Briefkarte Christa Wolfs vom 26.03.1970

Kleinmachnow, d. 26.3.70

Liebes Fräulein Marquardt,

ich fürchte, meine Antwort auf Ihren Brief muss Sie enttäuschen. Es ist nämlich nicht möglich, jemand anderem irgendwelche Ratschläge zu geben, wenn der andere schreiben will und nicht recht weiß, wie er es anpacken soll. Wahrscheinlich ist es am Anfang bei jedem so, und erst mit der Zeit stellt sich heraus, ob man wirklich schreiben muss. Aber das kann man erst merken, wenn man wirklich schreibt, und dazu möchte ich sie ermuntern. Ich kann nichts zu Ihrem Thema sagen – es kommt ganz darauf an, ob sie es auf neue Weise zu behandeln wissen. Auf alle Fälle unterdrücken Sie Ihren Wunsch nicht und gehen Sie an die Arbeit.

Dazu wünsche ich Ihnen Mut und Freude.

Ihre

Christa Wolf

(bk)