Themen für die Gegenwartsforschung. Heute: (Digital) Impression Management in der Wissenschaft.
Eine Notiz zu
Stefanie Haustein, Timothy D. Bowman, Rodrigo Costas (2015) Interpreting “altmetrics”: viewing acts on social media through the lens of citation and social theories. To be published in: Cassidy R. Sugimoto (Ed.). Theories of Informetrics: A Festschrift in Honor of Blaise Cronin. Preprint: http://arxiv.org/abs/1502.05701
von Ben Kaden (@bkaden)
I
„Are scholars altruistically sharing information for the benefit of the community in which they belong? Or, is information sharing a self-serving activity? Are scholars sharing information in order to assist the profession grow intellectually, or are they attempting to develop a ‘brand’ around themselves?”
fragte sich George Veletsianos 2012 in seiner Betrachtung zur wissenschaftlichen Twitternutzung. Eine Antwort, die nicht „vermutlich aus beiden Gründen“ lautet, erscheint wenig plausibel. In einem Beitrag für eine anstehende Festschrift für Blaise Cronin reflektieren nun Stefanie Haustein, Timothy D. Bowman und Rodrigo Costas das Phänomen der Altmetrics aus der Warte verschiedener sozialwissenschaftlicher Theorien und kreisen damit die Frage Veletsianos‘ weiter ein. Twittern wir, weil wir wollen, dass andere ihr Bild von uns aufgrund dieser Tweets gestalten? Damit sie uns also für besonders geistreich, kompetent, engagiert oder auf der Höhe der Timeline halten sollen? (more…)
It’s the frei<tag> 2013 Countdown (1): ISI does it. Wie gut, das wird sich bis zum Freitag zeigen.
von Christoph Szepanski
Der Monat März bietet für Informations- und Bibliothekswissenschaftler sowie für die Masse derer, die eventuell bloß etwas entfernter mit diesem Fach zu tun haben fast traditionell eine Menge Gelegenheiten, um a) Inspiration auf Tagungen zu sammeln und b) die für die TeilnehmerInnen oftmals fremde Stadt zu erkunden. (Jedenfalls wenn sie am Anfang ihrer Karriere stehen. Irgendwann kennt man Leipzig und die anderen Rotationsorte der Konferenzen doch.) So nutzten auch wir von LIBREAS die reichlichen Gelegenheiten, die der März so bot und noch bietet und folgten den Einladungen zu den Veranstaltungen gern, wie beispielsweise die Beiträge zur Berliner Inetbib-Tagung, dem Leipziger Bibliothekstag oder selbst die in Übersee stattfindende iConference belegen. Die (DIE!) Karte war selbstredend immer mit dabei – so auch heute am ersten Tag der Potsdamer ISI2013.
Ob sich Potsdam in der zwölften Kalenderwoche des Jahres 2013 wirklich zu einer Art Mekka der Informationswissenschaft aufschwingen kann, bleibt noch abzuwarten. Und es liegt nicht allein beim Veranstalter. Bekanntlich lebt eine Konferenz vor allem von denen, die sie aktiv nutzen und ihre Wirkung lässt sich erst im Nachhinein am messbaren Niederschlag in den Fachdebatten und im Handeln der Aktiven feststellen. Verlässliche Aussagen über die Qualität eines Gegenstandes lassen sich also nur aus einigem Abstand formulieren. Obwohl noch nicht der ganz große Revolutionsgeist die Konferenz erschütterte, bin ich nach Ablauf des ersten Veranstaltungstages durchaus guten Mutes. Zumal die LIBREAS-Veranstaltung frei13 ja erst am Freitag kommt (wichtig: hier nochmal der Hinweis auf das Planungspad und die Möglichkeit zur Teilnehmerbekundung).
Die Veranstaltungsreihe des Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft (ISI) gibt es seit 1990, was zwangsläufig zur Folge hat, das sie die gesamte Entfaltung des WWW mitbegleiten konnte (in Potsdam ist sie das erste Mal). Potsdam erscheint uns auf jeden Fall als ein geeignetes Pflaster, was informationswissenschaftliche Belange angeht (nicht zufällig fand deshalb dort auch die frei12 statt).
Die Abfolge der ISI-Mottos ist webhistorisch allerdings leider weniger aufschlussreich, als man es sich erhoffen würde. In der Regel wirken sie wie hart erkämpfte Resultate aus langen Sitzungen und daher denkbar unkonkret. Gewisse Trendbegriffe wie Wissensmanagement tauchen mal auf, um dann wieder zu versinken. Die wirtschaftliche Bedeutung von Information rutscht mal auf die Agenda, mal die Technologie und mal – vielleicht etwas zu selten – die politische bzw. soziale Dimension. Anwendungen dominieren, so auch 2013. Das muss man nicht überbewerten, denn zwangsläufig sind die Mottos vor allem Container. Das handfeste Frachtgut darin müssen wir als informationswissenschaftliche Community schon selbst zusammenstellen. Und die Programmkommission muss quasi als Zollbehörde des fachlichen Denkens auch noch einwilligen. Dass dies nicht unbedingt immer zur allumfassenden Zufriedenheit geschieht, wissen wir auch. Aber so läuft das Spiel traditionell und zwar seit 1990. Als Erinnerung hier die Liste der Headlines über den ISI:
1990 (Konstanz): Pragmatische Aspekte beim Entwurf und Betrieb von Informationssystemen
1991 (Ilmenau): Wissensbasierte Informationssysteme und Informationsmanagement
1992 (Saarbrücken): Mensch und Maschine – Informationelle Schnittstellen der Kommunikation
1994 (Graz): Mehrwert von Information – Professionalisierung der Informationsarbeit
1996 (Berlin): Herausforderungen an die Informationswissenschaft: Informationsverdichtung, -bewertung und Information filtering
1998 (Prag): Knowledge Management and Information Technology
2000: (Darmstadt): Informationskompetenz: Basiskompetenz in der Informationswissenschaft
2002 (Regensburg): Information und Flexibilität
2004 (Chur): Information zwischen Kultur und Marktwirtschaft
2007 (Köln): Open Innovation – neue Perspektiven im Kontext von Information und Wissen
2009 (Konstanz): Information – Droge, Ware oder Commons? Wertschöpfungs- und Transformationsprozesse in den Informationsmärkten
2011 (Hildesheim): Information und Wissen: global, sozial und frei?
2013 (Potsdam): Informationswissenschaft zwischen virtueller Infrastruktur und materiellen Lebenswelt

Bereits am Wochenende war unser raum:shift im dort noch sonnigen Potsdam gelandet. Apple Maps wollte uns jedoch zu einer anderen frei<tag> führen…

Die Erstversorgung kurz nach der recht fixen Anmeldeprozedur. Proceedings-Band und Kaffee dürfen natürlich nicht fehlen.

„Eine Weltkarte, auf der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick, denn sie läßt die eine Küste aus, wo die Menschheit ewig landen wird. Und wenn die Menschheit da angelangt ist, hält sie Umschau nach einem besseren Land und richtet ihre Segel dahin. Der Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien.“ – Oscar Wilde in „Die Seele und der Sozialismus des Menschen“, S.35. Diogenes.
Abschließend meine Eindrücke in Kurzform:
Man spricht weiterhin über den Nutzer, aber nun immerhin auch im Rahmen von Use Cases (so zumindest im zweiten Teil der Doktorandenpräsentationen). Es gibt ausreichend Pausen für Gespräche, die befürchtete preußische Pünktlichkeit im Hinblick auf den Beginn von Veranstaltungen, blieb lobenswerterweise aus. Highlights des ersten Tages waren für mich die Interface-Session im Allgemeinen, d.h. insbesondere der Vortrag von Isabella Hastreiter et al., die einige Unterschiede im Annotationsverhalten digitaler und analoger Texte herausfanden, sowie der Vortrag von Samaneh Beheshti-Kashi, die einen Vergleich der Glaubwürdigkeit von (Online-)Medien anstellte. Zentrale Erkenntnis von Hastreiter et al. war, dass das vom Papier her gewohnte Unterstreichen im digitalen Szenario wesentlich seltener eingesetzt, dafür aber bei Letzterem das farbliche Hervorheben gern genutzt wird (oft auch, weil es die einzige zweckmäßige Form für Annotationen im Digitalen bietet). Ferner sind die Möglichkeiten der Annotation innerhalb digitalisierter Texte gegenüber dem Analogen oftmals limitiert. Einkreisen oder gar die verschiedentliche farbliche Hervorhebung bieten die wenigsten Programme an. Nichtzuletzt liegt hier wohl das Phänomen einiger User begründet, lieber das Internet auszudrucken, als am Bildschirm mit dem bevorzugten Programm(en) zu arbeiten, so jedenfalls meine These zu diesem Vortrag (das spielt zumindest eine nicht ungewichtige Rolle). Baheshti-Kashi et al. fanden in ihrer Untersuchung heraus, dass Nachrichtenartikel traditioneller Medien (z.B. Tageszeitungen, hier: Rheinische Post) eine höhere Glaubwürdigkeit erlangen als Social Media (Nachrichten-)Artikel – zumindest bei denjenigen, die nur Internet gucken, anstatt es zu benutzen. Auch was die Glaubwürdigkeit von Social Media im Allgemeinen betrifft, so liegt diese deutlich hinter den etablierten Medien zurück, insbesondere bei den Faktoren „Professionalität“ und „Seriosität“. Interessant hierzu sicherlich dieser Einwand von Baheshti-Kashi: wer Nutzer von Web 2.0 Anwendungen ist gewichtet die Medien hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit entgegengesetzt anders, als die Gruppe der Nicht-(Web 2.0)-Nutzer: hier liegt Social Media vor TV und Presse (was wohl nichts anders heißt, als das man nur seiner eigenen Community bzw. Filterblase vertraut und sicher spielt bei der einen Seite der Nutzermedaille wohl auch die Angst vor dem Fremden eine nicht ungewichtige Rolle).
Potsdam, den 21.03.2013
It’s the frei<tag> 2013 Countdown (19): Wird Tumblr das Facebook der Generation Z?
von Ben Kaden
„Dein Tumblr-Blog ist offline: Ein schöner Tag zum Sterben.“ – Audio88 und Yassin: Die Quadratur des Dreiecks. (Vinyl 7″. Erschienen bei: Spoken View, 25.01.2013)
„Ich zähl die Millen, chill in Villen, du bist still, Digger / Keine Zeit für Facebook und Unsinn zu twittern“ – Haftbefehl: Welcome to Alemania (Auf: Blockplatin. Doppel-CD. Erschienen bei: Azzlackz, 25.01.2013)
Was die Häufigkeit der Erwähnung im Korpus der Raplyrics (nach rapgenius.com) angeht, so liegt das Verhältnis von Facebook zu Tumblr derzeit (noch) bei etwa 10:1. Dass die auf dieser Plattform hinterlegte und annotierbare Textkultur einen exzellenten Seismographen für die (jugend)kulturellen Trends der westlichen Hemisphäre bildet, ist in Deutschland spätestens seit dem Artikel Schallmauer des Internets Andrian Kreyes in der Süddeutschen Zeitung (sueddeutsche.de, 24.01.2013) weithin bekannt. Rapgenius könnte gerade durch seine popkulturelle Tiefengrundierung die Digital Hermeneutics zu einem hippen crowdgesourcten Alltagsvergnügen machen und nebenbei zeigen, dass die Digitalen Geisteswissenschaften momentan in der Freizeitvariante ein fruchtbareres Echo als in ihrer professionellen Ausprägung finden. In jedem Fall könnten sich die Entwickler entsprechender Werkzeuge hier ein paar Hinweise abholen.
Auch wenn wissenschaftliche Kriterien die dort Annotierenden und Auslegenden höchstens implizit bewegen: Die Wissenschaft hat mit rapgenius.com einen Radar für das, was derzeit entweder aufstrebenden KünstlerInnen – die selbst den Trends folgen – oder eben den etablierten TrendsetzerInnen als markant genug erscheint, um ein Publikum zu erreichen. Wobei erreichen voraussetzt, dass die Zuhörerschaft mit den Referenzen in den Texten auch etwas anfangen kann. Die sehr aktuelle, äußerst textlastige und weithin jugendkulturell etablierte Rapkultur erfasst, so eine These aus dem Ärmel, für bestimmte Statusgruppen relativ großflächig semiotische (und semionische) Bewegungen (Zeichenprägung, Zeicheninterpretation, Zeichenverwendung). Trend- bzw. Konsumtrendscouts haben hier also ihr Trüffelterrain. Und Kultursoziologen sowieso. Denn wenn beispielsweise der Friedrichshainer Rapper Mc Fitti (auch bekannt dank seiner Single Whatsapper) einen Text YOLO (Video online seit 22.01.2013) nennt, dann ist es nicht nur eine etwas typisch überironisiert-bemühte Post-Hipster-Pose. Sondern eben auch eine Aufzeichnung aktueller Kulturmerkmale aus der Hauptstadt.
II
„Hashtags auf Blogs und auf Facebook“ – ob diese Zeile aus dem Titel demnächst noch auf dem Kamm der Social Media-Welle Platz hat ist ein wenig fraglich. (Die digitalhermeneutische Auslegung lautet übrigens: „Hashtags wurden etabliert auf Twitter und neuerdings auch Instagram, aber auf Blogs und Facebooks funktionieren sie nicht. Fitti benutzt sie dort trotzdem. #yolo“)
Denn im Zuge einer derzeit halbwegs populären (nach den Metriken des Streuens in Social Media) Nachricht, die da lautet, dass der bisherige Facebook Director of Product, Blake Ross, sich neuen Aufgaben zu wendet, lieferte Ross eine nicht ohne Ironie aber eben auch nicht ohne Wahrheit formulierte und nun viel zitierte Anekdote mit:
„I’m leaving because a Forbes writer asked his son’s best friend Todd if Facebook was still cool and the friend said no, and plus none of HIS friends think so either, even Leila who used to love it, and this journalism made me reconsider the long-term viability of the company.”
Das ist weniger albern und aus der Luft geschossen, als es zunächst klingt. Die Diskurslinie der schwindenden Popularität von Facebook bei den Teenagern gibt es in den spezialisierten Webmedien bereits länger (=einige Wochen). Vor einer Woche jedoch begegnete sie mir leibhaftig am Puls der Trendkultur der Bundesrepublik, nämlich in Berlin-Kreuzkölln. In einem kleinen Kreis junger kreativer Mittzwanziger wurde die Frage nach der möglichen Facebook-Freundschaft abschlägig beurteilt und zwar nicht aus persönlicher Antipathie sondern schlicht, weil man damit „durch sei“. Zu fordernd, zu bedrängend und zu süchtig machend sei die dort quasi eingeforderte Dauerinteraktion und da man Freunde lieber „in echt“ trifft, wurde der Tipping Point spätestens dann erreicht, wenn genau diese Kontakte unbefriedigend ausfallen mussten, weil auch im Lokal jeder permanent – übrigens nicht mehr per iPhone, auch das ist erledigt – sein Profil prüfte und optimierte Man könne jetzt aber gern dem Tumblr-Blog folgen.
III
Dieser Bewertung aus der Erfahrungswelt stellt CNET noch einen weiteren Aspekt zur Seite, der für Teenager hochrelevant ist: Facebook wird unpopulär, da mittlerweile auch die Eltern dort unterwegs sind:
„Facebook has become a social network that’s often too complicated, too risky, and, above all, too overrun by parents to give teens the type of digital freedom or release they crave.”
Facebook wird aus diesen Perspektiven folglich weniger als Ort der kommunikativen Entfaltung und mehr als einer der sozialen Kontrolle empfunden. Was sich weitgehend mit allgemeinen Nutzungserfahrungen decken dürfte. Generell bewahrheitet sich, dass Mainstreamfizierung folgerichtig zur Bildung neuer Abgrenzungsbewegungen führt. Anders als die übrigen digitalen Platzhirsche Google und Amazon, die weniger wegen ihrer Coolness und mehr wegen ihrer aus Kundensicht optimalen Dienstleistungen populär sind, leidet zum Beispiel Apple ein wenig darunter, dass der vermeintliche Avantgarde-Bonus mittlerweile nicht mehr gegeben ist. Ein iPad hat auch der fünfjährige Sohn des Nachbarn und Hausmeister Krause verfolgt nach dem Vertragswechsel bei der Telekom nun neben der Gartenarbeit auf dem iPhone 5 den Bundesliga-Ticker.
Das Unternehmen kann dies jedoch ebenfalls dank seiner nach wie vor stabil hohen Produktqualität ausgleichen und dürfte sich, wenn nichts schiefgeht, ein bisschen als Mercedes-Benz der Digitaltechnologie festsetzen: als Anbieter hochentwickelter und hochpreisiger Produkte, die genau den Geschmack der Etablierten treffen. Für eine Existenz des Unternehmens auf höchstem Niveau reicht das sicher noch. Für einen Überhype zukünftig aber vielleicht nicht mehr. Wer in am Spreewald-Platz unterwegs ist, sieht jedenfalls auch, dass das Smartphone als Smartphone eigentlich niemand braucht und wenn WhatsApp nicht die SMS ersetzt hätte, sähe man vermutlich noch mehr dieser robusten Dumbphones, bei denen es auch nicht dramatisch ist, wenn sie morgens um halb fünf in irgendeinem Taxi nachhause verloren gehen.
IV
Im Gegensatz dazu steht Facebook vor der Herausforderung, vor allem die soziale Vernetzung (bzw. ihre Abbildung) als Produktkern zu besitzen. Der Fall StudiVZ zeigte, dass dies nur relevant ist, wenn sich das Netzwerk bzw. die Kontakte, die man sucht, auch dort finden lassen. Ein Ausstieg ist bei solchen Plattformen – im Gegensatz zu den nichtvirtuellen Netzwerken – vergleichsweise schmerzfrei und aufwandsarm möglich (das Entzugsdelirium möglicherweise Abhängiger einmal ausgeklammert). Daher verzeichnen nicht wenige Nutzer auf Facebook in letzter Zeit eher schrumpfende Kontaktzahlen (so jedenfalls die positive Erklärung). Sind also die Leute, die man persönlich für wichtig erachtet und die man nicht zuletzt auch als Publikum für sein Livecasting erreichen möchte, nicht auf der Plattform zu finden, verliert das Angebot an Reiz, Bedeutung und Aufmerksamkeit. Und mit dem letzten Aspekt auch die Grundlage seines Betriebsmodells.
Obschon derzeit nicht zu befürchten ist, dass Facebook ein Schicksal analog dem der trüben Holtzbrinck-Netzwerke droht, scheint es offensichtlich, dass dem Unternehmen seine Dominanz eben nicht so grundstabil wie bei Google gegeben ist. Sondern, dass es – vielleicht in Konkurrenz zu Google – unbedingt das derzeit vorhandene Vermögen (vor allem im Bereich der Social Data) in die Entwicklung neuer Produkte einbringen muss. Maßgeschneiderte Werbung allein dürfte kaum als Anker reichen. Der gangbare Weg ist vermutlich, die Transformation vom Trendprodukt zur Alltagsbasis weiterzugehen. Facebooks Zukunft könnte die eines Netzwerkgeneralisten werden, eine Mischung aus interaktiven Gelben Seiten, Telefon- und privatem Adressbuch (mit eingelegten Urlaubsfotos und ein paar Tagebuchnotizen). Entsprechend betont Adam Rifkin in einem Beitrag für TechCrunch die Rolle der Plattform als Medium des sozialen Zusammenhalts:
„It’s important to note that Tumblr is not replacing Facebook; it’s merely siphoning off some authentic liking and sharing, especially among young Americans. Facebook needs to exist because it’s holding down the Mom, siblings, and lame friends part of a person’s social life — the “public-private” life, if you will. As long as Mom sees you on Facebook occasionally, she isn’t going to think to look for you on another site… which paradoxically frees young users to act out on a stage that seems more private to them despite being on the open web.”
V
Warum also jetzt Tumblr? In gewisser Weise erscheint Tumblr als ein stark verbessertes MySpace. Die Plattform fokussiert, was MySpace in seinen frühen Jahren so erfolgreich machte: Content. Geht es in den Facebook-Strukturen fast karteihaft um mehr oder weniger nüchterne Möglichkeiten der Selbstdarstellung über die Visualisierung (bzw. Auszählung) sozialer Beziehungen, betont Tumblr den Austausch von Inhalten.Deren Popularität wird, halbwegs dezent als Notes, abgebildet. Ein Artikel zum Thema auf The Verge zitiert einen 15-jährigen mit den Worten:
„It just seems more intimate and its not really a place of bragging, but more of a place of sharing.“
Wer bei Tumblr einen Inhalt einspeist, freut sich, wenn ihn 50 weitere NutzerInnen verbreitet haben. Wenn 30 von diesen dann auch noch den eigenen Stream abonnieren, ist das schön. Aber nicht Kern der Aktivität.
Das Teilen von Inhalten ist denkbar einfach: one-click. Tumblr vereint so die Funktionalität des Weblogs mit der des sichtbaren Bookmarkens und Weiterleitens. Das man nicht direkt kommentieren kann, reduziert die Kommunikationskomplexität auf ein handliches Minimum.
Wie bei Facebook gibt es neben der Share– auch eine Like-Funktion. Per Tumblr-metrie wären entsprechend zweidimensionale Popularitätsanalysen zu konkreten Inhalten möglich. Ungleich zu Facebook gibt es die Möglichkeit, direkt Tags zuzuordnen und somit eine inhaltsfilternde Ebene. Die Tumblr-Suche funktioniert derzeit nur in diesen Tags – für die Volltextsuche benötigt man Google.
Die Vernetzung bei Tumblr bezieht sich nicht auf direkte Personen (wenngleich man sich auch als Person inszenieren kann) sondern auf Einzelinhalte Tumblr-Streams. Das Ego des Autors wird demnach hauptsächlich durch Inhalte vermittelt, nicht durch seine Präsenz an sich. Es ist zwar möglich, ein Template für den eigenen Präsentationsstream zu gestalten, aber so richtig wichtig erscheint dies nicht und die visuellen Exzesse, für die MySpace in seiner späten Phase berüchtigt war, muss man aktuell noch sehr suchen.
Aus urheberrechtlicher Sicht ist Tumblr allerdings zweifellos ein mittelprächtiger Albtraum. Urheberrechtsverstöße können derzeit nur über ein Copyright-Infringement-Formular gemeldet werden. Und danach folgt vermutlich ein eher intransparentes und aufwendiges Löschverfahren. Aus dieser Warte dürfte Tumblr also bei wachsender Popularität noch für einiges Aufsehen sorgen. Definitionsbedarf besteht hier ohnehin an der Stelle, ob jedes Teilen eine separate Verbreitungs- bzw. Vervielfältigungshandlung darstellt oder einzig derjenige, der die Ersteinspeisung eines Inhalts in das Tumblr-Netzwerk vornahm, für einen eventuellen Verstoß verantwortlich ist. Und wie man diesen überhaupt identifiziert. Zur Anmeldung bei Tumblr braucht man bisher nur eine valide E-Mail-Adresse.

Die Eroberung anderer Räume. Das Motto raum:shift ist durchaus mit Bedacht gewählt. Denn es war so zu erwarten wie es mehr und mehr zu beobachten ist, dass digitale Kommunikationswelten eben nicht nur binär codiert werden. Sondern alle möglichen Mischnutzungen erfahren. Eine Bibliotheks- und Informationswissenschaft, die gesellschaftliche Relevanz beansprucht, muss vielleicht nicht jeder dieser Verästelungen folgen. Aber sie muss schon die relevanten Zweige der Entwicklung registrieren, verstehen und entsprechende Schlüsse kommunizieren. Was nicht immer einfach ist. Aber gerade deshalb reizvoll.
VI
Solange wir auf die Musterprozesse (und den großen Abmahntsunami) noch warten, scheint die Verschiebung im Webnutzungsverhalte interessanter. Im Beitrag von Ellis Hamburger für The Verge findet sich folgende Einschätzung:
„Ultimately, the day of the overshare may have passed, and bragging online isn’t as fun as it used to be. „I think that kids just don’t care anymore, […] They have gotten over the idea of knowing everybody’s life and everybody knowing their lives!“”
Das ist auch aus Sicht einer Digital Literacy bedeutsam. Sollte dies wirklich das Bewusstsein der Generation Z (oder auch Post-90s) prägen, dann zeigte sich hier eine ziemlich abgeklärte Sensibilität im Umgang mit diesen Medienformen. Während die Kulturkohorten vor ihnen Social Media als Innovation erlebten haben und – wie bei Innovationen üblich – die gesamte Bandbreite von extremer Skepsis bis hin zur Übernutzung ausprobierten, findet diese Generation einen eher natürlichen Modus vivendi mit der allgegenwärtigen digital vermittelten Sozialität (und Soziabilität), der nichts vom Staunen über die Möglichkeiten und viel von einer Redefinition bzw. Anpassung der Verwendungspraxis getreu eigenen Vorstellungen enthält. Man sticht mittlerweile mit dem Facebook-Profil auch bei sorgfältigster Pflege nicht mehr heraus und folgerichtig erscheint es unsinnig, darauf überhaupt Wert zu legen. Wenn an dieser Stelle die mittelbare und auf Tausch orientierte Selbstentfaltung die auf Status orientierte direkte Selbstdarstellung, die Facebook strukturell betont, ablöste, wäre das eine auch für Bibliotheken interessante Entwicklung.
VII
Denn einerseits müssen sie in jedem Fall wissen, was ihre (zukünftigen) Zielgruppen an kulturellen Werten, Zielen und Wünschen verfolgen. Und andererseits sind Inhalte und deren Vermittlung ihre genuine Stärke. LIBREAS probiert – ergebnisoffen und mit nicht wenig Freude –seit Januar, ob sich die Idee einer digitalen Referatezeitschrift und damit auch so etwas wie Wissenschaftskommunikation über Tumblr abbilden lässt. Als Haupthürde zeigt sich dabei die simple Tatsache, dass die entsprechende Zielgruppe bisher (noch) nicht in diesem Medium aktiv ist. Auch was das generelle Verständnis für das Medium angeht, hat Tumblr im Jahr 2013 vielleicht den Stand von Twitter anno 2008.
Wie sich das für Bibliotheken darstellt, ist nicht ganz klar. Man findet aber zum Beispiel eine Reihe von Inhalten, die – an anderer Stelle – von der Library of Congress ins Netz gestellt wurden.
Der Bedarf scheint also – wenn auch nicht ad hoc quantifizierbar – gegeben. Problematisch für das Trendmedium Tumblr dürfte aber sein, dass spätestens dann, wenn die Bibliotheken Tumblr-Seiten betreiben, der Mainstream da ist. Dass diese Medium einen grundsätzliche Bedeutung wie Facebook erlangt, ist derzeit jedenfalls nicht zu erwarten. Aber vielleicht läuft es eine Weile neben Twitter mit, dem es am Ende angesichts der Beschränkung auf ein sehr einfaches Grundprinzip wahrscheinlich doch näher steht. Aus meiner Sicht kann man Tumblr, wie ich schon einmal schrieb, irgendwo zwischen diesem für ausführliche Inhalte gedachten Weblog und dem Verbreitungskanal Twitter verorten. Dass nun eine kleine Konkurrenz zu Facebook entstehen soll, kommt auch für mich einigermaßen überraschend und begründet sich vor allem darin, dass dies die derzeit eher zufällig nahe liegende Alternative ist. In Bezug auf digitale Soziale Netzwerke ist sie vermutlich nicht die Zukunft. Vielleicht aber ein Türöffner, der die Hegemonie von Facebook ein Stück weit durchbricht und die den Weg für andere Varianten der sozialen Interaktion im Web bereitet.
In den Raptexten werden übrigens beide Varianten gleichermaßen ganz gern, wie die Eingangszitate zeigen, als überflüssige Medienformen abgekanzelt. Die spannende mediensoziologische Frage wäre nun, inwieweit dies irgendeinen Einfluss auf die Hörerschaft hat. Die Deutung von Social Media als Zeitverschwendung weist jedenfalls nicht wenig in die Richtung, dass (nicht nur) die Generation Z ausgerechnet das Erleben nicht-digitaler Räume als äußerst attraktiv empfindet. Ohne Digitaltechnologie wird dies sicher nicht ablaufen. Allerdings wird sie, so (nicht nur) meine Vermutung, nicht vordergründig darübergestülpt, sondern dezent in diese eingebettet sein.
Nebenbei bemerkt: Dem Facebook aus Zeitgründen abgeneigten Haftbefehl folgen auf Facebook aktuell mehr als eine halbe Million Nutzer. Audio88 und Yassin haben bislang keinen Tumblr-Blog.
(03.03.2013)
It’s the frei<tag> 2013 Countdown (23): Kein Twitter ist auch keine Lösung: eine Reflexion.
von Christoph Szepanski1
„I think I’m Noam Chomsky
Dropped out of college
Started reading Noam Chomsky
Twitter feed look like I’m ready for war
Vonnegut is dead“
(Sole – I Think I’m Noam Chomsky)
Wer wohl jetzt noch nicht auf Twitter ist, der kommt wohl auch nicht mehr, so meine Behauptung, wenn man die einschlägigen Parabeln hierzu betrachtet. Irgendwo im Tal der Ernüchterung und zwischen dem rettenden Pleateau der Produktivität steckt der Zwitscher-Dienst derzeit. Jedenfalls scheint mir die Begeisterungsfähigkeit für die Nutzung von Twitter für die early oder late majority nun auch vorbei zu sein. Und auch der angenommene Wert des so genannten „Tweetamin B“ – der Effekt der sozialen Netzwerkeinbindung, welcher vor allem von der Exklusivität lebt, Ist nun auch durch. 2013. Jetzt.
Gewiss jedoch ist dieses twittern längst fashionable. Als cooles Gimmick auf der Party, beim Warten auf die Tram/ die nächste Grünphase oder um die Zeit zwischen zwei Verabredungen zu überbrücken – quasi die Nichtraucherversion der sonst hier üblichen Warte- oder Verlegenheitszigarette (wenn man schmerzlich spürt, was YOLO auch bedeuten kann) – und nicht zuletzt zu den Erscheinungen des digitalen Echtzeit-Eskapismus zuzuordnen.
Die letzten beiden Absätze haben es bereits impliziert: ich bin ein wenig von Twitter ernüchtert. Das Medium wird auch für mich zunehmend lauer. Der Lack ist ab, heißt es so schön, aber auch ich möchte nicht gleich in das derzeit hippe Twitterbashing verfallen (z.B. hier und hier).
Kein Twitter ist auch keine Lösung. Zunächst sei erstmal angebracht zu reflektieren, wieso es dazu kam, um im Verlauf des Textes Lösungen anzubieten, denn nörgeln und das ausschließlich (!) kann ja jeder. Aber was nützt das Ganze, wenn nicht zumindest Mittel und Wege zur Problembewältigung angeboten werden.
Die Ernüchterung
Twitter war sozusagen meine erste Social Media Liebe. Jetzt ist sie weg bzw. besser noch ihr Reiz. Denn eigentlich ist sie noch da. Aber aus dem glücksverheißenden Frühlingsgeschöpf wurde mittlerweile eine etwas welke Matrone, die sich freilich noch immer in dieselbe Caprihose zwängt. Es scheint einfach nicht mehr zu passen. Und darüber, warum mir all das plötzlich zu eng und bedrängend erscheint, denke ich nun intensiver nach. Vielleicht auch aus der Sehnsucht nach dieser ersten Begeisterung der neuen Möglichkeiten, wohlwissend, dass das mit einem ähnlichen Medium nie wieder geschehen wird. Bevor ich bloggte, bevor ich beschloss auf Facebook aktiver zu werden und mich überhaupt mit den mannigfaltigen Social Media Diensten eingehender auseinanderzusetzen, war rank und schlank nur Twitter.
Es ist richtig: die #aufschrei-Debatte trug maßgeblich dazu bei. Dass dort während dieser Kampagne das Blockieren von Meinungen, also von Accounts, erheblich zunahm und ich selten auf soviel Intoleranz in einem sozialen Netzwerk stieß – weil wohl jene Kampagne daneben ging – waren die feurigen Augen, denen ich verfiel. Ich bin mir auch bewusst, dass die Idee von einer meinungsmäßig ausgegeglichen Anzahl von Follower und Followings letztlich verträumt naiv ist. Am Ende wollen wir alle in der Geborgenheit unserer eigenen Filterblase bleiben und bestimmen können, was geschieht. Gezielt nach anderen Ansichten und Blickwinkel auf ein und desselben Gegenstandes zu suchen, passiert folglich eher selten.
Das geschieht genauso in der analogen Welt, der Realität, von Angesicht zu Angesicht und wird schließlich nur in den zunehmend separierter werdenden digitalen Räumen reproduziert.
Was mich aber wirklich enttäuschte (ein Sprichwort besagt, dass man nur enttäuscht werden kann, wer sich vorher selbst täuschte) war die vor kurzen gemachte Beobachtung, dass man auf Twitter vor allem die Agenda der etablierten Medien aus TV (so genanntes Social TV), Print sowie Onlinejournalismus und Rundfunk fortführt, sodass das Medium letztlich doch nur zur Steigerung der Reichweite des Etablierten dient. Twitter eignet sich strukturell nicht zum neuen Sender, sondern verlängert nur die Kanäle, die ohnehin schon dominieren. Dazu zählt nicht nur der #aufschrei. TV-Formate, insofern, dass sie so platziert sind, dass sie einen Teil der Online-Community auch ansprechen – positiv wie negativ (jungst z.B. zdfLogin, Absolute Mehrheit, #wwtfmg oder selbst Wetten, dass…) können sich sicher sein, dass ihr Programm von der Twitter-Community bis zum letzten Grad der Irrelevanz fortgeführt wird. Das betrifft gerade die x-te Bekundung, wie einseitig, langweilig oder verblödend das Ganze ist. Luhmanns Realität der Massenmedien (alles was wir wissen, wissen wir von denen) – so der freie und sehr verkürzte Auszug – schlägt uns hier ein Schnippchen. Twitter war in der letzten Zeit ein wenig zu häufig lediglich Multiplikator für etwaige TV-Formate oder Kampagnen der Hegemonen des Printjournalismus. Und viel zu oft fühlt man sich in den Agenden nach wie vor auf die Rolle des Publikums reduziert. Das muss nicht unbedingt die des Claqueurs sein. Gerade der Buh- und Zwischenrufer ist gefragt, solange sein Zwischenruf nichts grundsätzlich hinterfragt. Denn gerade so lässt sich der Eindruck (oder womöglich sogar mehr noch der Mythos) der neuen digitalen Demokratie aufrechterhalten.
Für mich heißt es dann oftmals „abschalten“. Manchmal führt das jedoch auch zu Kuriositäten. So war es (nicht nur für mich) beobachtbar, dass die Anzahl der Tweets die hinsichtlich des #aufschrei hashtags gesendet wurden sprunghaft abnahmen, als „der Bachelor“ auf RTL lief. Eine sentiment analysis dahingehend wäre interessant und sicher finden sich bald ein paar Medienwissenschaftler, die das übernehmen. Lediglich die Mär von 90 000 twitternen ausschließlich weiblichen Sexismus-Opfern unter dem #tag aufschrei wurde korrigiert.
Twitter muss weiter für den einen oder anderen kuriosen priming-Moment herhalten. Sobald man ein Event verfolgt und parallel dazu Twitter nutzt, sieht man je häufiger man auf Twitter interagiert eher das Event durch die Augen der Anderen, als das Eigene (was da so dem Kopf entspringt). Das kann stören, jedoch auch manchmal ziemlich hilfreich sein. Bei mir war eher letzteres der Fall.
Ein Lösungsansatz
Das Blockieren von anderen Twitterern ist letzlich nur eine Handlung im Rahmen der Bewältigung von Alltagskomplexität, so meine These. Dahinter steckt nicht unbedingt Böswilligkeit. Eher Überforderung. Problematisch wird es, wenn sich daraus eine Art Systematik entwickelt, gar eine Bewegung, die den digitalen Putzlappen schwingt und gegenläufige Argumentationen wegzuwischen versucht, damit die etablierten bzw. die gerade zu verkaufenden Meinungen durchsetzungsstark genug bleiben. Twitter ist nun nicht mehr länger Multiplikator für bspw. TV-Formate, sondern auch für Ideologien.
Was wir benötigen, wäre eine zur Twittersphäre passende Selbstverpflichtung, die sich am ehesten an den auch sonst in der anlogen Welt etablierten und gut funktionierenden humanistischen Werten orientiert. Darin enthalten: Sei dir bewusst, dass der oft hastig eingetippte Schmäh-Tweet letztlich mehr über dich aussagt, als über denjenigen den man damit zu diskreditieren versuchte. Problematisch bei diesen Aussagen ist ja stets, dass die Forderungen von der anvisierten Zielgruppe letztlich ignoriert werden. Ein Paradoxon, welches nicht erst seit Social Media besteht. Zumindest etwas mehr Reflexion wäre ein Anfang.
Nichtsdestotrotz ist mir Twitter immer noch eines der wichtigsten sozialen Netzwerke und am Ende eines Tages dann doch nicht so ein Unort wie es vielleicht erscheint. Twitter bleibt auch weiterhin im Tagesablauf fest integriert, wenn auch die große Leidenschaft dahin ist. Man sitzt zum Abend beieinander und weiß, dass es schlimmer hätte kommen können. Und ist traurig, dass es nicht besser kam. Aber vielleicht ist es noch nicht zu später. Immerhin haben wir Spielräume und was geschieht, hängt doch maßgeblich von der gewählten Nutzungsart ab. Twitter kann vieles sein: ein nach persönlichen Vorlieben konfigurierter Nachrichtenchannel, ein Weg A-, B- oder C-Promis und Debbie-D-cup nahe zu sein, eine Aphorismensammlung oder Sammelbecken diverser Stimmen der Gesellschaft. Für Soziologen ist Twitter ein exzellenter Datenpool und für Marketing-Experten erst recht. Ach, und als (wissenschaftlicher) Dokumentlieferant ist Twitter natürlich auch prima. All das wird gesteuert durch das eigenverantwortliche hinzufügen oder entfernen von Accounts denen man folgen möchte. Und wenn man es geschickt macht, dann eignet es sich vielleicht – ich betone: vielleicht! – auch als Werkzeug zur individuellen politischen Emanzipation. Eines ist jedoch klar: Twitter schenkt uns nichts.
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1 Ursprüngliches Erscheinungsdatum 24.02.2012. Wegen Krankheit des Autors und dank eifriger Mithilfe der LIBREAS Redaktion für diesen LIBREAS Countdown publiziert.
Aus der Redaktion: LIBREAS microbloggt nun auch bei Tumblr. Aber warum?
Das Microblogging-Netzwerk Tumblr ist derzeit – bis auf wenige Ausnahmen – in der Wissenschaftskommunikation etwa so populär, wie es Twitter 2008 war und wie es Pinterest 2015 sein wird. Also eher nicht.
Während Wissenschafts- und Fachblogs mittlerweile weitgehend als sinnvolle Bereicherung wissenschaftlichen Austausches akzeptiert und genutzt werden, während das Streupotential von Twitter als Hinweismedium weithin anerkannt ist, stellt sich bei Tumblr bislang tatsächlich die Frage des Mehrwerts für einen fachlichen Austausch. Entsprechend finden sich unter den derzeit schätzungsweise dort gehosteten 80 Millionen Mikroblogs in der Tat äußerst wenige mit Wissenschafts- oder Fachbezug (aber es gibt sie). Möglicherweise hemmt das Fachpublikum, dass man sich dort noch schneller als auf anderen Plattformen der dem WWW prinzipiell innewohnenden Nachbarschaft zu Internet-Phänomenen wie dem Technoviking oder den Lolcats bewusst wird. Benutzungsschwellen scheiden dagegen eher aus – der Anspruch an die Bedienkompetenz liegt höchstens knapp über WhatsApp-Niveau.
Wer Tumblr regelmäßig nutzt, weiß natürlich, dass man sich dort eher auf einem Basar als in der Akademie bewegt. Als weiterer Nachteil mag gelten, dass man auf Tumblr nicht direkt kommentieren kann. Man kann Beiträge allerdings annotiert rebloggen. Und selbstverständlich ist es möglich, einem Beitrag – nicht mit Daumen, sondern per Herzchen – seine Anerkennung namens „like“ zuweisen. Diese beiden Formen der denkbar niedrigschwelligen Bestätigung bilden die Essenz des Tumblr-Modells und werden entsprechend gut aufgeschlüsselt angezeigt (vgl. dieses schöne Beispiel).
Wenn sich LIBREAS nun dorthin erweitert, dann geschieht dies aus einer erkannten Lücke zwischen Blog und Twitter heraus. Wir publizieren hier im Weblog Beiträge, die sich im Regelfall direkt als Aufforderung zum Diskurs verstehen. Wir verlinken über Twitter (und Facebook) Inhalte, die uns im Web begegnen oder die wir ins Web stellen und auf die wir unsere Leser gern hinweisen möchten. Bisweilen stoßen wir jedoch auch auf Inhalte, die wir kommentieren oder etwas erweitert weitergeben möchten, ohne gleich einen größeren Blogbeitrag daraus zu entfalten. Weder Twitter noch Facebook eignen sich dafür besonders gut.
Man könnte nun die Rubrik LIBREAS.Referate in Anspruch nehmen. Aber auch dort haben sich eher längere Besprechungen etabliert. Bisweilen erscheinen in einem Beitrag jedoch nur einzelne Gesichtspunkte oder eben das, was als neue Erkenntnis in den Diskurs zurückfließt, interessant. Dafür nun gibt es das Tumblr–(Micro)Blog. Eine lockere Inspiration mag man im berühmten Harper’s Index suchen und finden. Die Seite LIBREAS.tumblr.com dient also dem Zweck, selektiv und in betont knapper Form Erkenntnisse aus dem aktuellen Publikationsgeschehen in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu sammeln, zu bündeln und sorgsam auszutaggen. Ob sich dies auf einer täglichen Basis (#daily lis) durchhalten lässt, wird sich zeigen. Jedenfalls sind wir gewillt, in höherer Frequenz aus den Texten, die uns ohnehin regelmäßig über die Schreibtische und Desktops gleiten und zu denen wir sonst vielleicht eine Notiz auf einer Karteikarte machen würden, den einen oder anderen Fakt, das eine oder andere Zitat herauszuziehen und dort abzulegen. Nebenbei prüfen wir zudem, inwieweit sich diese Form des Microbloggings in die Praxis des wissenschaftlichen Kommunizierens mittels digitaler sozialer Netzwerke einbinden lässt.
Zusammengefasst: Wir nutzen Tumblr einerseits für eine Tätigkeit, die uns als maßgeblicher Baustein unserer Profession vermittelt wurde: Wir dokumentieren. Und andererseits für etwas, was uns von Natur aus mitgegeben wurde: Wir probieren aus.
(Ben Kaden, Berlin 24.01.2013)
Der Krieg in unserem Pad. Über militärische Konflikte und Social Media.
von Ben Kaden
Eine jedenfalls für mich sehr aufsehenerregende Entwicklung ist der außerordentliche Einsatz von Social-Media-Werkzeugen durch die Israel Defense Forces als Begleitung der aktuellen Militäreinsätze im Gaza-Streifen. (vgl. auch diesen Beitrag auf heise.de) Vom Twitter-Feed über einen – fast schon traditionell anwirkenden – YouTube-Kanal bis hin zu einem Tumblr-Blog wird die Weböffentlichkeit massiv und gezielt mit Informationen versorgt. Man könnte in gewisser Weise von einem Trend zum Warketing sprechen. Eindeutige Info-Grafiken bieten sich dafür geradezu an und ergänzen die fotografische Berichterstattung, die die realweltlichen Schäden gezielt dokumentieren.
Das sich dahinter befindliche Anliegen ist selbst mit wenig diskursanalytischen Gespür klar erkennbar: Die Informationsströme zum militärischen Vorgehen werden zwar nicht vollständig kontrolliert, aber doch maßgeblich gelenkt und beeinflusst. Je mehr Nachrichten über diese Kanäle gestreut werden, desto stärker kann man auf das Bild des Einsatzes in den Augen der (westlichen) Öffentlichkeit, vor der man hinsichtlich des eigenen militärischem Vorgehens grundsätzlich eine Legitimationspflicht hat, einwirken.
Dass diese Pflicht existiert, ist ein zentraler Verdienst der Demokratie. Und sie sollte durchaus weitaus überzeugendere Argumente einfordern, als beispielsweise, dass der Einsatz so minimalinvasiv wie möglich erfolgt und Kollateralschäden weitgehend vermieden werden. Einerseits ist das für Außenstehende kaum tatsächlich zu überprüfen und andererseits ist dieses Bekenntnis heute ohnehin nur die Anerkennung einer Selbstverständlichkeit militärischer Interventionen. Auf einer zweiten Ebene dient die Betonung dieses Aspekts zur Verstärkung einer Gut-Böse-Dichotomie, zumal ein diesbezügliches Fehlverhalten (vermeintlich oder real spielt hier fast keine Rolle) des Gegenübers oft überhaupt erst die Gegnerschaft herstellt und den Einsatz erforderlich macht. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass häufig dieselben Argumente von beiden Seiten angeführt werden. Die Grausamkeit des Anderen und damit verbunden das eigene Recht auf Selbstverteidigung verschmelzen an diesem Punkt und machen die Situation für die Außenstehenden, die nicht zuletzt über Social-Media-Nachrichten direkt einbezogen werden, undurchschaubar. Man kämpft heute offensichtlich stärker denn je nicht nur gegen einen Opponenten und das Einverständnis der eigenen Bevölkerung sondern zugleich um die Zustimmung einer externen Öffentlichkeit (=der Weltöffentlichkeit). Unter anderem auch damit, der Berichterstattung des Gegners ein diesbezüglich manipulatives Interesse vorzuwerfen bzw. nachzuweisen. (vgl. dieses Beispiel) Die gerechte Krieg muss im globalen (bzw. wenigstens westlichen) Diskurs allgemein als gerechtfertigt interpretiert werden. Die mediale Begleitung erfüllt vor allem den Zweck, dies mit immer neuen Nachrichten, die als Argumente gelten sollen, abzusichern.
Die gestreuten Meldungen selbst dienen wiederum als ein Baustein der Berichterstattung in der Presse (vgl. dieses Beispiel bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) Demzufolge ist es auch hinsichtlich der mittelbaren Informationssteuerung zum Konflikt von außerordentlicher Bedeutung, möglichst viele Nachrichten kontrolliert zu streuen. Zumal dann, wenn Korrespondentennetze so ausgedünnt sind, dass Massenmedien und Presse nur bedingt eigenständig Informationen und Eindrücke vor Ort einholen können. Derartige Konflikte im 21. Jahrhundert sind de facto immer, mitunter vielleicht sogar zunächst vorrangig, Echtzeit-Kommunikationsprozesse im Web und davon ausgehend in den Massenmedien.
Erstaunlich ist hierbei die Kommodifizierung des Konflikts. Denn er wird über dieselben Kanäle und mit ähnlichen Strategien auf den Aufmerksamkeitsmärkten kommuniziert und damit in gewisser Weise als „Event“ durchgesetzt, wie es mit Produktinnovationen, Sportmeisterschaften oder Wahlen geschieht.
Ob YouTube wirklich kriegsentscheidend sein könnte, ist schwer zu beurteilen. Aber es ist für einen „Krieg der Bilder“ bereits eine etablierte Oberfläche – was die Frage aufwirft, welche Macht der Institution zukommt, die diese Oberfläche kontrolliert. Welchen Stellenwert kann also ein privatwirtschaftliches Unternehmen in einem derartigen Zusammenhang z.B. als Torwächter erhalten?
Je stärker politische Entscheidungen auch in Angelegenheiten von der Tragweite der derzeitigen Entwicklungen im Nahostkonflikt in Abhängigkeit von solchen Plattformen stehen, desto dringlicher wird die Auseinandersetzung mit einer deratigen informationsethischen Grundfrage, zumal zu erwarten ist, dass im Sinne eines Cyberwars hier direkt und entlokalisiert ein weltumspannender Nebenschauplatz entsteht, was nebenbei ganz neue Anforderungen an die IT-Sicherheit stellt. Der Konflikt wird nicht mehr nur in den Zeitungen oder in den Rundfunknachrichten verhandelt, sondern Teil der Oberflächen, über die wir auch (unterschiedlich intensiv) unser digitalen Sozialleben von der Partnerschaft bis zum Büroalltag verwalten, organisieren und abbilden.
Dass Konflikttrigger mittels derartiger digitaler Vernetzungen nahezu in Echtzeit benutzt werden können, um an verschiedenen Ecken der Welt gleichzeitig bestimmte Wirkungen hervorzurufen, zeigte das Geschehen um das „Innocence of Muslims“-Video. Da derartige mediale Auslöser nahezu immer Interessen geleitet forciert und also zur Manipulation in welcher Stoßrichtung auch immer eingesetzt werden können, wird auf Seiten der Empfänger, die im Social-Media-Kontext vor allem in ihrer Rolle als Multiplikatoren interessant sind, eine sehr hohe Beurteilungs- und Medienkompetenz sowie ein stabiles kritisches Grundverständnis für diese Prozesse notwendig. Man benötigt folglich eine auf derartige Phänomene vorbereitende informationsethisch grundierte Informationskompetenz.
Es gab gestern in meinem Leipziger Seminar zum Electronic Publishing eine interessante Diskussion darüber, inwieweit die Vermittlung derartiger Beurteilungs- und Nutzungsfähigkeit für digitalen Kommunikationsumgebungen ein Bestandteil der Curricula des Schulwesens sein sollte. Bereits ohne die hier umrissene Problematik scheint solch ein Schritt überaus plausibel. Dass er perspektivisch vermutlich notwendig wird, dürfte spätestens dann auf der Hand liegen, wenn die digitalen Kommunikationsnetzwerke als ubiquitäre Begleitstruktur des Alltags zum Austragungsort von Image-Kampagnen geworden sind, die nicht etwa das nächste Tablet bewerben, sondern eine Truppeninvasion. Dann nämlich spätestens gehört die Befähigung zur kritischen kommunikativen Auseinandersetzung mit prinzipiell manipulativ ausgerichteten Nachrichten- und Kommunikationsströmen in digitalen Social Networks zur elementaren demokratischen Handlungskompetenz.
(Berlin, 17.11.2012)
Hört! Sagt! Robert Schriers Konversationsschema für digitale Bibliotheken.
(Referat zu Robert Schrier (2011) Digital Librarianship & Social Media: the Digital Library as Conversation Facilitator. In: D-Lab Magazine July/August 2011. Volume 17, Number 7/8. doi:10.1045/july2011-schrier )
Ab und an – eigentlich viel zu selten – werde ich in Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit bibliothekswissenschaftlichen Themen mit einer Frage konfrontiert, die die Teilaspekte „Warum?“, „Wofür?“ bzw. „Für wen?“ bündelt und darauf zielt, wie man all die theoretischen Überlegungen und weiten Wege, die man in der Auseinandersetzung mit Thesen und Beobachtungen geht, am Ende in Abkürzungen für das praktische Handeln verwandelt.
Gegen den Anspruch, dass die Erkenntnisse bibliothekswissenschaftlicher Reflexionsarbeit sinnvoll für bibliothekspraktische Gestaltungen anwendbar gemacht werden müssen, lässt sich nämlich nichts ins disziplinäre Feld führen. Außer vielleicht einem „Gemach, gemach“, denn das Fell des Bären der Erkenntnis wird erst dann zum (mit)teilbaren Gut, wenn es in der Höhle des Denkens genügend Dichte entwickelte, um nicht beim kleinsten Windstoß zu zerfallen. Dass die Verschiebungen auf dem Operationsfeld sich vergleichsweise rasant vollziehen, erleichtert das Ganze nicht unbedingt. Aber selbst dem tagesaktuellen Kommentar hilft es, wenn hinter ihm ein abstrakteres und stabileres Gerüst steht. Publikationsmedien wie dieses Weblog hängen ein wenig dazwischen: Sie entsprechen diesen Höhlen, die allerdings fast etwas von Zoogehegen haben, da man buchstäblich durch eine Scheibe (der des Displays) den dahinter befindlichen Akteuren beim Denken zusieht. In anderen Zusammenhängen würde man vermutlich ungeniert von Transparenz sprechen.
In dieses Gehege ziehe ich heute ein Beispiel für eine Überleitung zwischen Erkennen und Kommunizieren für die Bibliothekspraxis. In der aktuellen Ausgabe des D-Lib Magazine beschäftigt sich Robert Schrier von der iSchool der Syracuse University in seinem erfreulich überschaubaren Text mit den Möglichkeiten, die Soziale Medien gleichzeitig für die Bestandsvermittlung und mehr noch für die Nutzerbindung für Bibliotheken bieten. (more…)
Der Twill der Tweets. Die FAZ entdeckt mit der dhiha3 das Konferenztwittern.
„Wie sinnvoll ist der wissenschaftliche Einsatz von Social Media?“
fragt diesen Mittwoch Katharina Teutsch auf der Seite zu Forschung und Lehre der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. (Ausgabe vom 13.07.2011. Schöne virtuelle Tagungswelt. Seite N 5) Dort berichtet sie über eine Veranstaltung „Im Netz der sozialen Medien: Neue Publikations- und Kommunikationswege in den Geisteswissenschaften“ (mehr dazu hier), die Ende Juni im Deutschen Historischen Institut in Paris (DHIP) stattfand und dem Thema entsprechend eifrigst betwittert wurde. Wer die entsprechenden Feeds mitlas, kann sich die Lektüre eigentlich sparen oder sich auf das Symbolbild aus dem Grimm-Zentrum (als „Plattform traditionellen Wissens“ – FAZ) konzentrieren. Denn man bleibt zwangsläufig ohne Antwort auf die Eingangsfrage. Dafür war das Brennglas der Journalistin viel zu sehr auf dokumentarische Nahsicht geschliffen und selbst wo sie zum Schlussfolgern übergeht, vermisst der Leser erkenntnisstiftende Distanz. (more…)
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