Praxisleitfaden „Publikationsberatung an Universitäten“. Eine Kurzbesprechung.
Karin Lackner, Lisa Schilhan, Christian Kaier (Hg.): Publikationsberatung an Universitäten. Eine Praxisleitfaden zum Aufbau publikationsunterstützender Services. Bielefeld: transcript, 2020. ISBN: 978-3-8376-5072-3. 39,00 €
Online unter:
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5072-3/publikationsberatung-an-universitaeten/
Begleitmaterialien:
https://doi.org/10.25364/publikationsberatung-materialien
von Ben Kaden (@bkaden)

Cover Praxis Guide „Publikationsberatung an Universitäten“ (Bielefeld: transcript, 2020)
Es gibt wenige Verlage, die die Transformation des wissenschaftlichen Publikationswesens so engagiert in ihrem Programm aufgreifen wie der Bielefelder transcript Verlag. Der vor einigen Wochen erschienene Leitfaden für die Publikationsberatung an Universitäten spiegelt das doppelt – einerseits thematisch, andererseits auch in der Tatsache, dass neben der gedruckten Ausgabe auch eine Open-Access-Fassung als PDF und ePub zum Download bereitsteht und dass der gesamte Band als CC-BY 4.0 lizenziert ist. Offener geht es aktuell kaum.
Dass die Texte auch als Druckausgabe vorliegen, mag vielleicht auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen. Es passt aber einerseits zum aktuellen Transformationsstand, in dem Print eben doch noch lebt und funktioniert andererseits erstaunlich gut, da es das Thema buchstäblich griffig macht. Das mag ein Indikator dafür sein, dass Print zumindest als Zweitform solcher Publikationen auch zukünftig leben wird, wenn Format und Satz stimmen und einen rezeptiven Mehrwert bieten. Hier das der Fall und es ist immer wieder erstaunlich, wie beruhigend die haptisch erfahrbare Fassung so eines “Alles-was-man-zum-Thema-wissen-muss”-Handbuchs wirkt.
Die Beiträge stammen allesamt von Personen, die in der Infrastrukturcommunity teils bereits seit vielen Jahren aktiv und bekannt sind. Dies ist sicher auch der Grund, warum der Rundumblick auf das Thema alle derzeit aktuellen Aspekte zumindest benennt. Das Buch bildet einen Horizont von der Bibliometrie und dem Publikationsmonitoring über akademische soziale Netzwerke und des Marketings, Academic Search Engine Optimization (ASEO), Aspekte des Forschungsdatenmanagements, Verlagsverträge und naturgemäß viel Open Access wird präzise und stellenweise fast ein wenig sehr knapp ab. Im Detail finden sich sehr hilfreiche Einordnungen von aktuellen Leitthemen wie APC-Rabatten oder den Wirkungen von Plan S. Dazu kommen Erfahrungseinblicke vor allem aus der Universität Graz, von der die drei Herausgeber*innen stammen. Margo Bargheer steuert zudem eine historische Hinleitung vom Journal des Sçavans bis zum Enhanced Publishing und Open Science bei, die man Studierenden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft durchaus als Einführungstext zur Hand geben könnte.
Entsprechend liegt mit dem Titel ein Handbuch vor, das aktuell die beste und kompakteste Anleitung zum Thema Publikationsberatung an Hochschulen sein dürfte und zwar nicht nur für den “Aufbau publikationsunterstützender Dienstleistungen” sondern auch für die Begleitung des Betriebs und Angebots solcher Dienste. Die Einleitung liefert zudem in kürzestmöglicher Form die Argumente, die man im Zweifel auch mal dem eigenen Präsidium vortragen kann, wenn man für die Einrichtung und den Ausbau solcher Dienste argumentieren muss. Die Ausgabe ist absolut auf der Höhe der Zeit, was zugleich immer auch ein wenig ein Dilemma darstellt. Denn Höhe der Zeit heißt Entwicklungs- und Transformationsstand 2020 und auch wenn der Wandel im wissenschaftlichen Publikationswesen oft vielen darin Aktiven immer noch zu behäbig erscheint, ist die Entwicklung doch rasant, so dass offen bleibt, wie lang die Halbwertszeit des Guides sein wird. Idealerweise erlebt er in der Zukunft regelmäßig eine Revision und Neuauflage. Ein Glossar wäre vielleicht noch ein zusätzliches Tüpfelchen auf dem i dieses Buches und seines Anliegens.
Was man sich aus einer Metaperspektive zudem unbedingt ergänzend wünschte, wäre eine kritischere, gern informationsethische Reflexion. Aber es ist offensichtlich, dass dies nicht Gegenstand des vorliegenden Titels sein sollte und auch für des Zielszenario eines “Praxis Guides” nicht passend wäre. Es ist keine bibliothekswissenschaftliche Arbeit sondern eine Veröffentlichung, die für zwei Szenarien optimal passt: Erstens, wenn man in der Wissenschaftsinfrastruktur arbeitet und publikationsunterstützende Angebote auf- oder ausbauen möchte. Und zweitens, wenn man sich sehr leichtgängig einen Überblick über aktuelle praxisrelevante Themen und Schlagworte im Bereich der Transformation des wissenschaftlichen Publikationswesens verschaffen möchte.
Studien zur Nutzung von Bibliotheken in Frankreich
Karsten Schuldt
Zu: Yolande Maury; Susan Kovacs; Sylvie Condette (dir.). Bibliothèques en mouvement. Innover, fonder, pratiquer de nouveaux espaces de savoir. (Information – Communication). Villeneuve d’Ascq : Presse universitaires du Septentrion, 2018
Von 2013 bis 2015 gab es in Frankreich Forschungsmittel für zwei soziologisch / ethnologische Projekte zur Nutzung von Bibliotheken (Wissenschaftliche, Öffentliche und „centres de documentation et d’information”, CDI – die französischen Formen von Schulbibliotheken) durch Nutzer*innen und Bibliothekar*innen. Die Projekte wurden von Forschenden verschiedener Universitäten in zahlreichen Unterprojekten und vor allen in Gemeinden um Paris und Marseille durchgeführt. Im Band „Bibliothèques en mouvement” wurden im letzten Jahr die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorgelegt. Gründe für die Verzögerung sind nicht ersichtlich, aber sie ist dennoch relevant, da in den letzten Jahren bekanntlich weitere Entwicklungen in Technologie, Medien und gewiss auch französischen Bibliotheken stattfanden.
Einige Schwachstellen des Buches
Ebenso nicht ersichtlich ist die Rolle, die Bibliotheken in diesen Forschungen spielten – wurden sie nur untersucht oder hatten sie selber Anteil daran, dass die Projekte überhaupt zustande kamen? Das ist nicht unwichtig. Die Hauptthese des Buches ist, dass es ungefähr seit dem Jahr 2000 sowohl in Medien und Technologie als auch in Bibliotheken zu massiven Veränderungen gekommen sei. Die Studien sollen erfassen, wie die Bibliotheken in der neuen Medien- und Technologielandschaft funktionieren. Aufhänger für viele der Unterprojekte sind „Learning Centre”, welche in diesen Jahren in französischen Bibliotheken eingerichtet wurden, sowohl in Universitäten als auch in Schulen, wo sie zur Modernisierung (der schon in den 1970ern als moderne Bibliotheksform eingerichteten und in den 1990ern, unter anderem durch eine eigene Ausbildung des Personals als „professeur documentaliste”, professionalisierten) CDI genutzt wurden. Es ist, um das vorwegzunehmen, ein Problem des Buches, diese Veränderungen überhaupt nicht zu zeigen (dazu sind ethnologische und interpretative Methoden, die in den Studien verwendet wurden, vielleicht auch nicht geeignet), sondern aus Policy-Dokumenten und Darstellungen von Bibliothekar*innen abzuleiten. Es ist nicht klar, ob dies von Bibliotheken motiviert wurde oder ob die Forschenden von sich aus diese Vorstellungen entwickelt haben. Es ist zumindest ein Schwachpunkt, da die Studien immer Momentaufnahmen zeigen, aber behaupten, daraus auch Entwicklungen ableiten zu können.
Eine weitere Schwierigkeit mit dem Buch ist wohl, dass es – aus guten Gründen – eingebunden ist in französische akademische Denkstrukturen. Immer wieder wird auf französische Philosophie und Ethnologie zurückgegriffen, aber wenig erläutert. Das macht das Buch nicht unlesbar, aber Vorwissen über diese Denktraditionen ist von Vorteil für das Verständnis der Diskussionen in ihm. Einige Texte – vor allem eher philosophische Reflexionen über die Veränderung von Wissen im digitalen Zeitalter –, die wenig zum eigentlich Thema des Buches beitragen, sind wohl nur aus diesen akademischen Traditionen zu verstehen.
Der Blick von aussen auf Bibliotheken
Dabei soll nicht der Eindruck erzeugt werden, dass das Buch unnötig oder durchgängig problematisch wäre. Beachtet man seine Grenzen, dann ist es beachtlich. Zuerst ist es bemerkswert, dass überhaupt solche Studien finanziert wurden. Das wäre im DACH-Raum nicht zu erwarten. Interessant auch, dass sich Forschenden aus anderen Bereichen – und gerade nicht aus der bibliothekarischen Fachhochschule enssib (École nationale supérieure des sciences de l’information et des bibliothèques) – fanden, welche zu dieser Frage forschen wollten. Gerade letzteres ist auch eine Stärke der Studien, da hier Forschende ohne den Wunsch, unbedingt etwas positives (oder negatives) über Bibliotheken beweisen zu wollen, ihre Methoden anwandten, um zu klären, wie Bibliotheken genutzt werden. (Dabei zeigen sie auch gleichzeitig, dass sie die Bibliotheken sehr wohl als relevante Einrichtungen wahrnehmen.)
Die angewandten Methoden sind letztlich nicht sehr zahlreich: Es wurden viele Interviews geführt, Beobachtungen durchgeführt, Photos und Pläne als Artefakte erstellt und ausgewertet, Umfragen durchgeführt und zudem wurde – wie schon gesagt – zum Teil auf philosophische Theorien zurückgegriffen. Das ist alles in der Bibliotheksforschung nicht vollkommen neu, aber doch eindrucksvoll, diese versammelt zu sehen. Offensichtlich, so zeigt das Buch, sind die Methoden wirklich geeignet, Bibliotheken zu untersuchen. Hingegen sind die untersuchten Bibliothekstypen – wie ebenso schon erwähnt – divers. Auch wurde darauf geachtet, nicht etwa nur Metropolbibliotheken zu untersuchen, sondern eher solche in den Vorstädten und kleineren Gemeinden, die wohl besser „normale” Bibliotheken repräsentieren.
Nutzung der Bibliotheken: Gut, aber unaufregend
Während das Buch selber davon ausgeht, dass Veränderungen stattfanden, zeigen die Untersuchungen selber eine weniger aufregende Nutzung der Bibliotheken. Yolande Maury berichtet zum Beispiel von einer Studie über relativ neu eingerichtete Learning Centre in Universitäten. Es wurde vor allem die Raumaufteilung und die Raumnutzung beobachtet. Alle Centre wurden so eingerichtet, dass es laute und leise Zonen gäbe, denen spezifische Funktionen, die teilweise für die Bibliotheken neu sein sollen, zugeschrieben wurden. Die Zonen waren immer so angeordnet, dass sich die lauten in der Nähe des Eingangs befänden. Gleichwohl wurden die Learning Centre nicht so genutzt: In allen gab es eine sichtbare Nutzung, aber vor allem eine sehr ruhige. Trotz all der Zonen und anderen Angebote arbeiteten die Studierenden hauptsächlich ruhig und für sich alleine. Sie richteten Arbeitsplätze halb privat ein, indem sie diese mit eigenen Materialien, Mänteln und Taschen für sich markierten. (Etwas, was auch in anderen Studien in anderen Ländern mehrfach beobachtet wurde.)
Isabelle Fabre und Cécile Gardiès untersuchten die Nutzung eines Learning Centre, welches in einem CDI eingerichtet wurde (als eigener, einigermassen flexibel zu nutzender Raum) und stellten fest, dass die Schüler*innen diesen je nachdem nutzen, welche Aufgaben sie zu erfüllen hatten und dabei vor allem mit eigenen Materialien – nicht den Medien des CDI – arbeiteten. Gleichzeitig begriffen sie das Learning Centre nicht als gesonderte Einheit, sondern als Teil des CDI. Letzteres zeigt auch Sylvie Condette, die in neuen Schulen untersuchte, wie dort die Learning Centre wahrgenommen werden: Nicht viel anders als die CDI oder Bibliotheken selber auch, als sichere Räume und Rückzugsorte zum Arbeiten und Lernen.
Personal
Ein Fokus, der vielleicht so nicht eingenommen worden wäre, wären nicht Forschende von ausserhalb der Bibliotheken bestimmend gewesen, ist der des Personals. Untergründig ist dessen Einstellung zu den postulierten Veränderungen in verschiedenen Texten zu finden, explizit wurde es in zwei Teilprojekten untersucht (vorgestellt wieder von Yolande Maury und Sylvie Condette): Welche Veränderungen im professionellen Selbstbild des Personals und welche Ängste gibt es? Auch hier sind die Aussagen nicht eindeutig. Usus ist, dass Veränderungen stattfinden, aber sowohl welche als auch wie diese bewertet werden sollten, ist nicht klar. Der technologische Wandel wird genannt und als Fakt akzeptiert, aber gleichzeitig wird auf weiterlebende Werte und eine sich zum Teil wenig wandelnde reale Nutzung verwiesen. Gerade die zweite Studie stellt unter anderem eine grosse Unzufriedenheit und mangelhafte Kommunikation zwischen Leitung und Personal fest, die als grösseres Problem erscheint, als die konkreten Veränderungen.
Fazit: Unklar
So unklar wie diese Ergebnisse ist dann auch das Fazit des Buches: Es gibt Veränderungen, aber diese sind nicht wirklich greifbar. Während es einfach ist, anzugeben, was sich technologisch seit dem Jahr 2000 entwickelt hat und welche Bibliotheken wie umgebaut wurden, ist es offenbar viel schwerer, dies für die konkrete Nutzung von Bibliotheken (und Learning Centre) zu sagen. Sie werden positiv wahrgenommen und auch genutzt, aber viel weniger „aktiv”, laut, innovativ als vielleicht zu erwarten wäre. Sicherlich, gerade in den Schulen war die Einrichtung von Learning Centres eine von oben herab angestossene Entwicklung (wie sollte es Frankreich auch anders sein), aber doch immer in lokalen Ausprägungen. Vielleicht wurden so Veränderungen in der Nutzung von Bibliotheken antizipiert, die nicht eingetreten sind. Gleichzeitig zeigen die Studien aber auch, dass Learning Centre und andere neu eingerichtete Bibliotheken – mit den gleichen Grundideen wie im DACH-Raum, inklusive dem „3. Ort”, der nicht wirklich greifbar definiert werden kann – auch nicht schlecht genutzt werden. (Auch das gilt nicht nur für Frankreich, sondern findet sich auch in anderen Staaten wieder.)
Das Buch ergänzt also gut das Wissen über die Nutzung von Bibliotheken aus einem französischen Blickwinkel. Nicht ganz zielführend scheine die eher philosophischen Beiträge, welche eher ein Nachdenken über „Wissen” weitertreiben, dabei aber in einer eigenen, französischen Tradition verbleiben, die zum Beispiel informationswissenschaftliche Debatten aus anderen Staaten überhaupt nicht zu beachten scheinen. Es geht in ihnen eher um eine angebliche „Verflüssigung” des Wissens im Digitalen.
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