Stellungnahme des Vorstands des LIBREAS e.V. zur angekündigten Schließung der Düsseldorfer Informationswissenschaft.
Mit großem Erstaunen musste der Vorstand des LIBREAS-Vereins zur Kenntnis nehmen, dass die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf das Fach und den Studiengang der Informationswissenschaft als entbehrlich ansieht. (vgl. hier) Wir halten diese Sicht für einen großen Fehler.
Bereits der tägliche Blick in die Zeitungen – auch in die gedruckten – offenbart vor allem eines: Die Gesellschaft, ihre Diskurse, ihr ökonomisches Fundament, ihre kulturelle Verständigung und ihr Erkenntnisprogramm namens Wissenschaft sind mehr und mehr digitalisiert. Man kann das mögen oder nicht, es ist ein unausweichbarer und unumkehrbarer Trend, der gerade deshalb umso mehr gestaltet werden muss. Besonders die gegenwärtige Hilflosigkeit vieler Akteure auch in der Wissenschaft im Umgang mit dieser Transformation unterstreicht, wie notwendig es ist, sich systematisch, analytisch, verstehend und erklärend mit digitalen Phänomenen auseinanderzusetzen, um die Rahmenbedingungen und Entwicklungen adäquat begleiten zu können.
Gäbe es für diesen Erkenntniskomplex keine Wissenschaft, müsste man eine erfinden. Glücklicherweise gibt es ein Fach, das bereits mit einiger Tradition als Schnittstellendisziplin genau die Agenda zu adressieren in der Lage ist, deren Wucht erst jetzt deutlich wird. Man kann die Community der Informationswissenschaft zu Recht dahingehend kritisieren, dass sie diese Rolle bislang nicht zureichend zu kommunizieren verstand. Man kann bzw. muss sich wünschen, dass sie zukünftig aktiver, kritischer und engagierter bestimmte Fragestellungen angeht und zum Beispiel die Idee der Informationsethik wieder belebt. Was man gerade nicht kann bzw. sollte, ist, sie abzubauen.
Die anstehende Düsseldorfer Entscheidung einer Schließung scheint uns ungeachtet eventueller interner organisatorischer Überlegungen als ein zeit- und wissenschaftsblindes Signal. Es ist aus unserer Sicht nicht vermittelbar, warum man anstatt eine derart zeitgemäße Disziplin weiter aufzuwerten, auszubauen und die offensive Neupositionierung des Faches anzugehen, eine Schließung überhaupt ins Auge fasst. Der Wissenschaftsstandort Düsseldorf verspielt hier leichtfertig eine Chance.
Möglicherweise gegebene Sparzwänge sind sinnvollerweise und zwar nicht zuletzt auch aus volkswirtschaftlichen Gründen, sachlich reflektiert und nicht rein fiskalisch motiviert umzusetzen. Was im Jahr 2016 sachlich für den Abbau einer Disziplin spricht, die die Themen der Stunde adressiert, wurde bisher nicht kommuniziert.
Der LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation appelliert an die Weitsicht und Vernunft des Fakultätsrates der Philosophischen Fakultät sowie des Rektorats der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die für den kommenden Dienstag geplante Entscheidung auszusetzen und grundsätzlich zu überdenken.
Berlin, den 21.01.2016
(Die Stellungnahme wird postalisch an den Dekan der Philosophischen Fakultät,Prof. Dr. Ulrich Rosar, sowie an die Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Anja Steinbeck, übermittelt.)
Kindheitswelten: Peanuts, Bibliotheken und Bürokratie
von Juliane Waack (@Jules_McCloud)
Nach einem willkommenen Weihnachtsgeschenk in Form eines Bandes zur Geschichte der Charles-Schulz-Comics (Chip Kidd et al. (2015): Only what’s necessary: Charles M. Schulz and the art of Peanuts. New York: Abrams Comic Arts) und einer daraufhin ausgiebigen Reise in die zahlreichen Lebenswelten des Cartoon-Strips stolperte ich alsbald über die nicht unerhebliche Zahl an Peanuts-Cartoons, in denen die Bibliothek und ihre Nutzung eine tragende Rolle spielen, sei es nun das Lesen von Büchern, das Konzept der Bibliothek oder der heißgeliebte Bibliotheksausweis, die Peanuts – wie wohl jedes andere prädigitale Kind – gingen zur „Bibo“.

Leider enthält das wunderbare Comic-Geschichtsbuch „Only what’s necessary“ keinen der Bibliotheks-Strips der Peanuts. Die Handlung des Lesens ist jedoch allgegenwärtig, so auch in diesen beiden Reihen aus der Peanuts-Frühzeit des Jahres 1950. (aus dem zitierten Band)
Und auch im für Schulz sicherlich konkurrierenden, für Fans jedoch eher korrelierenden Calvin-and-Hobbes-Universum von Bill Watterson muss man nicht lange suchen, um die Vor- und Nachteile der Bibliothek als eine Lebenswelt des Kindes zu finden. Interessanterweise hebt sich in beiden Comicstrips ein ganz besonderes Thema hervor: die Idee der freien Nutzung der Bücher, die Mahngebühren und die Angst vor den mahnenden Bibliothekar/innen. Während Linus sich wundert, was die Bibliothek mit dem kostenlosen Verleihen der Bücher wohl im Schilde führt, schreibt ein verzweifelter Charlie Brown der Bibliothekarin, dass sie doch nicht seine Eltern einsperren möge, nachdem er ein Buch verloren hat. Auch Calvin erwartet die größte Folter und bemerkt – nachdem seine Mutter (im Gegensatz zu den Peanuts immer präsent) ihn über die tragbaren Mahngebühren aufgeklärt hat – trocken: „Nachdem mich die Bibliothekar/innen so angeschaut haben, habe ich irgendwie mit Schlimmerem gerechnet.“
Zugegeben, sowohl Calvin and Hobbes als auch die Peanuts erleben mehr als nur die Mahngebühren in ihrem Alltag mit der Bibliothek, doch wenn ich mich selbst an meine Kindheit erinnere, fällt mir ebenso die heißglühende Beklemmung ein, sich der verzögerten Buchrückgabe stellen zu müssen. Vielleicht ist es gar nicht so weit hergeholt, die Bibliothek als ersten (kindlichen) Ort zu wähnen, in dem ein Kind mit den Strukturen der Bürokratie – vom Ausweis bis zum Bußgeld – in Kontakt kommt. Während versäumte Fristen zuhause eher Standpauken oder genervte Eltern zur Folge haben, gibt es in der externen Lebenswelt einen ganzen Apparat (oftmals in Form von scheinbar Furcht einflößenden Respektpersonen ergo Bibliothekar/innen), der das Versäumnis ahndet und strikte Regeln zur Tilgung der „Schuld“ aufstellt, der man sich eher selten entziehen kann. Selbst in der Schule erscheint das Vergessen der Hausaufgaben oder der verpatzte Test etwas zu sein, das letzten Endes im Elternhaus „vor Gericht“ kommt. Nur die Bibliothek entzieht sich der rein familiären Schuld-und-Sühnefrage und stellt selbst für die minderjährigen Nutzer konkrete Regeln auf, die streng zu befolgen sind.
Warum sich der Gang in die Bibliothek dennoch lohnt, wird sowohl bei den Peanuts als auch Calvin and Hobbes klar: eine Unabhängigkeit des Wissens sowie durch das Wissen. Sally ist ganz überwältigt, dass es diesen Ort gibt, an dem man ihr – einem kleinen Mädchen – einfach so ein Buch über Sam Snead (ein Golf-Star der 1940er Jahre) aushändigt, während Calvin in einer Strip-Reihe versucht, „verbotene“ Lektüre über die Bibliothek zu beziehen (über hausgemachte Bomben, Schimpfwörter und Graffiti). So kann die Bibliothek mit einigem Biegen und Brechen sehr wohl als Raum und Metapher des Erwachsenwerdens gesehen werden: mit den gewonnenen Freiheiten gehen auch neue Verantwortungen einher und die Unabhängigkeit bedeutet auch immer ein Stück Unsicherheit, wenn es um die Konsequenzen des eigenen Handelns geht.
Das Kunst-Buch als Objekt.
Karsten Schuldt
Zu: Cella, Bernhard ; Findeisen, Leo ; Blaha, Agnus (Hrsg.): NO-ISBN: on self-publishing. Wien: Salon für Kunstbuch ; Köln: Buchhandlung Walther König, 2015. ISBN: 978-3-86335-818-1
I.
„NO-ISBN“ (ein Buch, dass ironischerweise eine ISBN hat) gibt einen Einblick in die Praxis der Selbstpublikation, vorrangig von Künstlerinnen und Künstlern, die Bücher als Teil ihrer Kunstpraxis erstellen und vertreiben. Die Grenzen dieser Praxis sind fliessend, insoweit gibt es auch zahlreiche Verweise zu anderen Praktiken des Selbstpublizierens, insbesondere aus politischen Gründen.
Ausgangspunkt des Buches ist der Salon für Kunstbuch den Bernhard Cella in Wien betriebt – als Ort, der als Art sozialer Skulptur das Abbild eines Buchladens darstellt, aber auch als Salon für zeitgenössische Kunst wirkt. Im Salon versammelt Cella – „versammeln“ als Begriff bietet sich an, da das Buch durchzogen ist von Verweisen auf Bruno Latour – Kunstbücher, dass heisst Bücher, die von Künstlerinnen und Künstlern als Teil ihrer Kunstpraxis hergestellt werden. Dabei handelt es sich nicht um Kataloge, sondern um eigenständige Werke. Die Diskussion dieser Praktiken in „NO-ISBN“ stellen klar, dass es bei diesen Büchern nicht per se um das Buch als Informationsträger geht, sondern zum Beispiel um das Buch als Objekt, um das Material, das für das Buch verwendet wird, um den Prozess des Buchmachens als künstlerischen Akt oder auch, beziehungsweise gleichzeitig, als widerständiger Akt, der alternative Produktionsziele und -wege etabliert und andere Distributionswege eröffnet. (more…)
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