LIBREAS.Library Ideas

Die Erklärung von Stavanger mit einem Schwenk zum Open Access. Serviert in der FAZ.

Posted in LIBREAS.Debatte by Ben on 13. Februar 2019

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Screenshot FAZ 13.02.2019

Screenshot FAZ 13.02.2019 / Screen oder Zeitung? In den pressevertriebsstrukturschwachen Regionen auch Berlins ist das keine Frage. Allein deshalb sollte die FAZ die Digitalisierung umarmen und in der Vertriebspraxis tut sie das auch. Thomas Thiel hat dennoch seine Zweifel und sieht sie nach Stavanger bestätigt.

Die Frage „Buch oder Bildschirm?“, also auf welcher Medienoberfläche sich besser lesen lässt, treibt die Welt faszinierenderweise auch 2019 um – zum Beispiel im „Forschung und Lehre“-Teil der FAZ vom 13.02.2019. Der Anlass für Thomas Thiel (hier als tth) besteht in der so genannten Stavanger-Erklärung („E-READ“, weiter Informationen) zur Lesekompetenz. Deren Haupteinsicht lautet in etwa, dass das Lektüreziel die Wahl des Lektüremediums bestimmt und Gedrucktes besser für ein Tiefenverständnis funktioniert. Der FAZ-Redakteur versucht nun zu beleuchten, was die nicht gerade überraschende, nun aber empirisch nochmals verifizierte Erkenntnis, dass Papier nach wie vor Relevanz und Wert in der Rezeptionskultur besitzt und vermutlich behalten wird, für die Digitalisierungsstrategien in der Wissenschaft bedeutet. Dass die Textpraxis der wissenschaftlichen Kommunikation kein Gegenstand der Stavanger-Perspektive selbst war, spielt dabei offenbar keine Rolle. Für die Lehre sind die Einsichten fraglos hochrelevant und Erfahrungen aus der Lehrpraxis zeigen, dass die Frage wie viel und wie komplex Text für Studierende sein sollte, jede Semesterplanung maßgeblich prägt. Neu ist diese Frage freilich ebenfalls nicht. (more…)

Kann die Luftfahrtindustrie ein Vorbild für das wissenschaftliche Publizieren sein?

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 12. September 2017

Eine Kritik von Ben Kaden (@bkaden) zu

Toby Green: We’ve failed: Pirate black open access is trumping green and gold and we must change our approach. In: Learned Publishing. Early View. 6. September 2017 DOI: 10.1002/leap.1116 (Der Beitrag kann auch ScieneOpen diskutiert werden.)

Zusammenfassung

Ausgangspunkt der Argumentation ist die These, dass sowohl der goldene als auch der grüne Weg des Open Access mehr oder weniger als gescheitert gelten müssen. Eine grundsätzliche strukturelle Veränderung, wie sie die Bedingungen des digitalen Publizierens in der Wissenschaft erfordern, haben sie nicht bewirken können. In diese Lücke ist Sci-Hub mit seinem „Black Open Access“ eingedrungen und hat, so Toby Green, damit Tatsachen geschaffen, die die Bemühungen um Grün und Gold im Prinzip obsolet werden lassen. Die Ursache dafür sieht er darin, dass die notwendigen Änderungen im Publikationssystem nicht von allen sechs Stakeholdern – Autoren, Heimatinstitutionen der Autoren, Forschungsförderung, Bibliothekaren, Verlagen, Lesern – gleichermaßen mit getragen und abgestimmt („in concert“) umgesetzt werden.  Als Lösung schlägt er eine Änderung des Geschäftsmodells der Verlage vor. Diese sollten ihre Dienste, analog zum Vorbild der Fluggesellschaften, differenzieren. In dem skizzierten Szenario gibt es einen freien Read-Only-Basisdienst (gratis open access, vgl. Peter Suber, 2007) und Mehrwertdienste für die unterschiedlichen Stakeholder. Auf Autorenseite wären dies Dienste wie Peer Review und Lektorat. Auf der Leserseite könnten dies semantische Anreicherungen, Alert-Dienste und Impact-Messungen sein. Für Bibliotheken stellt sich Toby Green angereicherte Metadaten, Nutzungsberichte und Support-Services vor. Wissenschaftsförderer und Wissenschaftsinstitutionen könnten thematische Fachberichte kaufen. Toby Green spricht an dieser Stelle von einer Demokratisierung der Wissenschaftskommunikation („democrizing scholarly communications“). Durch den Read-Only-Basisdienst ist zu erwarten, so seine These, dass Sci-Hub überflüssig wird.

Kritik

Das Gedankenspiel ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Toby Green vernachlässigt, dass das System des Goldenen und auch des Grünen Weges für die Stakeholder über weite Strecken funktioniert. Die hohen wissenschaftsethischen Ziele diverser Erklärungen wurden nachweislich nicht eingelöst. Dennoch ist Open Access keinesfalls gescheitert und funktioniert in bestimmten Communities exzellent.

Sci-Hub wird zwar als Konkurrenz angesehen und auf dem Rechtsweg sowie diskursiv verfolgt. Die Popularität der Schattenbibliothek hat jedoch keinen Open-Access-Hintergrund aus wissenschaftsethischer Sicht sondern beruht unter anderem darauf, dass es einen Großteil der über DOIs adressierbaren Literatur an einer Stelle abrufbar macht. Relevant sind hierbei vor allem Closed-Access-Publikationen. Sci-Hub wird zudem erfahrungsgemäß auch oft für Inhalte genutzt, die lokal lizenziert sind bzw. bereits als Gold- oder Green-OA verfügbar sind. Dieser Aspekt der, wenn man so will, Kanalbündelung als Nutzungsanreiz wird in der Argumentation komplett unterschlagen.

Problematisch ist ebenfalls, dass die Mehrwertdienste für die Stakeholder nur als Schlagwörter benannt werden und wenig überzeugen. Ob Autoren beispielsweise bereit wären, für Peer Review zu bezahlen, ist völlig unklar und keinesfalls mit dem Bordverkauf in Flugzeugen zu vergleichen. Für andere Dienste wie Impact-Messungen gibt es bereits einschlägige Dienstleister und Angebote. Hier sind Angebote auf Ebene der Einzelpublisher angesichts des Charakters der Wissenschaftskulturen nicht sinnvoll da zu wenig aussagestark. Alert-Dienste bekommt man bei vielen Wissenschaftsverlagen bereits gratis. Sie sind dort als Teil des Vertriebs etabliert. Die Rolle thematischer Fachberichte übernehmen in vielen Forschungsbereichen so genannte Review-Article, die direkt in den Prozess der Wissenschaftskommunikation eingebunden sind. Inwieweit dies gesondert systematisiert werden kann und sollte, ist ein interessanter Punkt. In bestimmten Bereichen wie der Medizin existieren bereits spezialisierte Dienstleister mit genau diesem Ansatz.

Insgesamt ist die kritiklose Übernahme des Unbundling-Konzepts aus der Luftfahrtindustrie für die wissenschaftliche Kommunikation sehr fragwürdig und für dieses Szenario eher unpassend. Unterschlagen wird, dass bei dieser Praxis vielen Fällen ein erheblicher Komfortabbau und also Qualitätsverlust der, hier buchstäblich, Customer Journey festzustellen ist. In der Praxis sind die Wahlmöglichkeiten der Zusatzdienste oft sehr begrenzt und zugleich überteuert. Der Vorbildcharakter dieser Industrie ist aus Sicht von mindestens vier bis fünf der sechs Stakeholder im wissenschaftlichen Kommunikationssystem schwer nachvollziehbar.

Schließlich bleibt zu fragen, inwieweit das vorgeschlagene gratis Open Access tatsächlich in Einklang mit dem Konzept von Open Access zu bringen ist. Informationsethisch mag der reine und zugleich doch beschränkte Zugang einen Vorteil darstellen, da ein begrenzter Zugang besser als kein Zugang ist. Aus Sicht der Wissenschaftskommunikation, für die Open Access die gleiche Teilhabemöglichkeit alle Autorinnen an den kommunikativen Zyklen von Publikation über Rezeption bis Zitation darstellt, könnte die vorgeschlagene Variante die Situation sogar noch verschlechtern. Toby Green vernachlässigt hier also die Ansprüche und Bedingungen der Wissenschaftler als Kommunikationsgemeinschaft.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Es ist allen in diesem Feld Aktiven bewusst, dass Open Access bisher keine allgemeine überzeugende Form gefunden hat. Der Vorschlag von Toby Green weist jedoch aus den oben benannten Gründen keine fruchtbare Perspektive hinsichtlich einer denkbaren Lösung auf.

(Berlin, 12.09.2017)

Publikationsfreiheit.de, Open Access und Geisteswissenschaften.

Posted in LIBREAS.Debatte by Ben on 31. Juli 2017

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

I

Der Aufruf „Publikationsfreiheit für eine starke Bildungsrepublik“ (www.publikationsfreiheit.de) war unbestreitbar eine prägendes Ereignis der Debatten und Kontroversen vor allem aber nicht nur um das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG). Er verfehlte allerdings, wie wir nun wissen, sein unmittelbares Ziel. Der Bundestag beschloss selbst angesichts der Unterschriften von Jürgen Habermas, Jürgen Osterhammel und Marlene Streeruwitz eine Neuregelung der Urheberrechtsschranken im deutschen Urheberrechtsgesetz, die dank eines Zugeständnisses an die Presseverlage kurz vor Beschluss die Reichweite der Schranken leicht begrenzen, punktuell ein paar Lücken schließen (Textmining) und sichert insgesamt die Situation, die sich aus den drei berühmten Körben der deutschen Urheberrechtsgeschichte ergab, in neuen Formulierungen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Aufruf nichts als diskursive Aquafitness war. Ganz im Gegenteil.

Das gilt in vielerlei Hinsicht. So dürfte die Vernetzung und Willensbildung im deutschen Verlagswesen und im Börsenverein des deutschen Buchhandels einen erheblichen Schub erfahren haben. Zugleich präsentiert er in hochkonzentrierter Form und im Zusammenhang mit anderen Quellen der absolvierten Urheberrechtsdebatte, wie öffentliche Auseinandersetzungen dieser Art mit welchen Narrativen unterfüttert öffentlich kommuniziert werden, wie sich welche Öffentlichkeit mobilisieren lässt und welche Akteure welche Kanäle zu aktivieren in der Lage sind. Wir wissen nun in gewisser Weise, wie vital die Beziehungen zwischen Verlagen und ihren Autorinnen und Autoren sind und wer für welche Botschaften besonders empfänglich ist.

Zugleich sind der Aufruf und seine Spuren aber auch als diskursgeschichtliche Forschungsdaten hochinteressant. Glücklicherweise ist die Seite mittlerweile auch im Internet Archive gesichert. Insbesondere die rege genutzte Möglichkeit, einen Kommentar zur Vorlage „Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil…“ zu hinterlassen, kumulierte nämlich einen außerordentlichen und einzigartigen qualitativen Datenpool zu Einstellungsmustern in Verlagswesen, Wissenschaft und Kulturproduktion gegenüber aktuellen Entwicklungen im Publikationswesen und insbesondere im wissenschaftlichen Publizieren. Spätere Analysen zum Medienwandel und seinem Echo in den 2010er Jahren werden darauf dankbar zurückgreifen. Wenngleich naturgemäß nicht repräsentativ, gibt das Material doch exemplarisch  Zeugnis zur Debattenkultur unserer Gegenwart. (more…)

Warum die Publikation von Forschungsdaten nach wie vor ein begrenztes Phänomen bleibt.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 5. April 2017

Eine Notiz im Anschluss an

Jens Klump: Data as Social Capital and the Gift Culture in Research. In: Data Science Journal. 16, p.14. DOI: http://doi.org/10.5334/dsj-2017-014

von Ben Kaden (@bkaden)

Wer sich mit dem Thema der Forschungsdatenpublikation befasst, kann die Lücke zwischen allgemeinen in Forschungsdaten-Policies verkündeten Anspruch an einen offenen Zugang zu diesen Daten und der Wissenschaftspraxis nicht übersehen: Trotz aller wohlbegründeten Argumente ist die Zahl der publizierten Datensätze sehr überschaubar. Andererseits ist das Konzept der Forschungsdatenpublikation nur dann wirklich nachhaltig und sinnvoll, wenn solche Veröffentlichungen nicht insular und aus dem Enthusiasmus einzelner Forschender heraus geschehen, sondern dort, wo sie sinnvoll sind, ein Eckstein wissenschaftlichen Austauschs bilden. Wissenschaft lebt von Systematizität. Wenn Forschungsdatensätze eher zufällig auf einem Repositorium landen, ist es sicher besser als keine Verfügbarkeit. Aber es ist eben nicht wissenschaftlich und ähnelt im Fall einer Nachnutzung eher dem glücklichen Zufallsfund im Archiv, während der Normalfall bleibt, dass man keine Daten für seine Forschungsfrage findet. Auch wenn es eigentlich welche gäbe.

Gemeinhin werden drei Gründe für Forschungsdatenpublikationen benannt: Forschungstransparenz, Nachnutzung und der Erwerb wissenschaftlicher Reputation. Abgesehen von ethisch besonders motivierten Publizierenden dürfte vor allem der Aspekt einer die Anrechenbarkeit von Forschungsdatenpublikationen als wissenschaftliches Kapital der Schlüssel zu einer weiteren Verbreitung sein. Insofern ist es unter anderem wichtig, Datenpublikationen so zitier- und verfügbar zu halten, wie es auch Aufsatzpublikationen sind. Die übergeordnete Sachlage ist aber selbstverständlich komplexer.

In einem aktuellen Aufsatz für das Data Science Journal geht nun Jens Klump der Frage nach, weshalb Data-Sharing-Policies bisher nur begrenztes Echo in den Fachkulturen und ihren Kommunikationspraxen finden. Er nähert sich der Frage wissenschaftssoziologisch und argumentiert nachvollziehbar, dass es nicht ausreicht, Forschungsdateninfrastrukturen aufzubauen. Vielmehr, so lässt sich ergänzen, sind diese eine Basisanforderung, um Data-Sharing-Praxen zu stimulieren. Entscheidend ist jedoch eigentlich, die Verfassung des sozialen Systems der Wissenschaft als eine „Reputation Economy“ zu verstehen und aus diesem Verständnis heraus passende Ansatzpunkte für Anreize zu setzen. Der einschlägigen Infrastrukturforschung bescheinigt Jens Klump dahingehend Defizite. Wenn also in der Reputationsökonomie der Wissenschaft die eigenen wissenschaftlichen Handlungsmöglichkeiten (z.B. über Fördermittel und Anstellungen) mittels kommunikationsbasierten Erwerb von Reputation und wissenschaftlichem Status gesichert und ausgebaut werden, dann sollte das Phänomen der Forschungsdatenpublikation folgerichtig in dieses System grundlegend integriert werden.

Interessant ist nun die durch den Übergang von einer vorwiegenden Individualwissenschaft zu einer Kollaborationswissenschaft (oft, aber nicht nur, in Gestalt von Großforschung) auftretende Verschiebung der Anforderungen. Im zweiten Fall bedarf es für eine Karriere mehr als Reputation – es gilt die Balance zwischen Reputationsgewinnen und Kollaborationsgewinnen zu finden. Man muss also in der kollaborativen Forschung nicht nur als Individuum wissenschaftlich hochklassig arbeiten, sondern zugleich an den richtigen Punkten ein geschickter Teamspieler sein.

Zwangsläufig betonen und belohnen, wie auch Jens Klump herausstellt, kollaborativ orientierte Fachkulturen das Teilen von Forschungsressourcen und also auch Forschungsdaten stärker als Kulturen, in denen der Schwerpunkt hauptsächlich auf  dem Reputationsgewinn des einzelnen Forschers liegt. Zieht man dies heran, erklärt sich auch das Spannungsverhältnis zwischen den sehr auf Kollaboration gerichteten Digital Humanities und den traditioneller ausgerichteten Geisteswissenschaften, bei denen sich Forschende häufig selbst als primär Werkschöpfende mit allen Ansprüchen an eine so genannte „Werkherrschaft“ sehen. Die aktuellen deutschen Urheberrechtsdebatten (Stichwort Publikationsfreiheit.de) könnten also maßgeblich von der Sorge um Reputationseinbußen getrieben werden. Zugleich stehen sie deutlich erkennbar den Ansprüchen kollaborationsorientierter Wissenschaft entgegen. Während die traditionellen Individualwissenschaften Erkenntnis primär zentriert auf den individuellen Forscher als Erkennenden (und idealweiser Ersterkennenden) gelesen und interpretiert haben, fokussieren, so eine natürlich etwas verkürzte Deutung, Kollaborationskulturen viel stärker den Forschungsgegenstand und das Erkenntnisziel als Fixpunkte. Sie behandeln die Forschenden zwar nicht als beliebig austauschbar, aber doch als stärker hinter die Forschungsziele zurücktretend. Ist das eigentliche Ziel nun idealerweise der Erkenntnisfortschritt selbst, so scheint es auch deutlich plausibler und vermittelbarer, dass zum Beispiel die Bereitstellung von Forschungsdaten für die Community im Sinne dieses Fortschritts stärker zu gewichten ist, als der individuelle Anspruch als Erheber dieser Daten auch eine umfassende Datenherrschaft ausüben zu können.

Individualwissenschaftliche Praxen knüpfen dagegen stärker die Originalität einer Erkenntnis an die konkrete forschende und erkennende Person als Urheber. Zu viel Transparenz oder gar die Bereitstellung der eigenen Datengrundlage (zum Beispiel in Form von Annotationen) für ähnlich motivierte Forschende (=Konkurrenten) wird zwangsläufig als erhebliche Preisgabe wissenschaftlichen Kapitals gesehen, aus dem das soziale Kapital gewonnen wird, mit man seine Karriere macht.

Einen Sonderfall stellt die Auftragsforschung dar, wenn sie das Ziel des Intellectual Property mit Teamforschung verbindet und zum Beispiel Patentierbarkeit des Erkenntnisproduktes anstrebt. Dann greifen ähnliche Zurückhaltungsmechanismen und eine Preisgabe u.a. der Datengrundlage oder auch der Verfahrensbeschreibung ist vor Sicherung des Patents und damit des rechtlich stabilisierten Verwertungsanspruchs unbedingt zu vermeiden.

Mit der Zunahme von Public-Private-Partnership-Projekten verkompliziert sich die Frage nach den Anreizen zum Teilen von Forschungsdaten demnach zusätzlich. Wissenschaft ist somit keinesfalls als isoliertes soziales System zu betrachten, auch wenn diese Sicht zunächst einmal hilft, um über die Idee einer idealtypischen Reputationsökonomie nach den passenden Interventionspunkten zugunsten einer stärkeren Öffnung wissenschaftlicher Arbeit zu suchen. Die Kommodifizierung der Erkenntnisproduktion verlagert den als für das wissenschaftliche Verhalten bestimmend definierten Peer Pressure in stärker rechtlich regulierte Bedingungen. Für denkbare Anreize zum Teilen von Forschungsdaten und -verfahren muss dies nicht schlecht sein, weil man auf rechtlichem Wege stärker auch verbindliche Mandatierungen anstreben kann – so wie die Nicht-Veröffentlichung bereits jetzt bei der Auftragsforschung klar mandatiert wird.

Abgesehen davon ist es zweifellos nach wie vor sinnvoll, auch die impliziten Normen des sozialen Systems Wissenschaft zu adressieren. „[P]ublishing data must add to reputation“ (vgl. Klump, S. 5) ist eine Basisformel für das Schaffen von Anreizen für die Forschungsdatenpublikation, die jede/r in diesem Bereich Aktive berücksichtigen sollte. Denn ohne die Aussicht auf einen potentiellen Reputationsgewinn wird es schwer, den erheblichen Mehraufwand einer soliden Datenpublikation zu vermitteln. Wissenschaftsethische Argumente werden selbstverständlich gern gehört und Ideen einer Open Scholarship stoßen selten auf Widerspruch. Ebenso selten haben sie freilich eine Wirkung, die über ein „Ja, man müsste..“ hinausreicht. Der aktuell wirksamste Weg zur Anregung von Datenpublikationen scheint die zunehmende Einforderung von Begleitdaten durch (High-Impact-)Journals, die einen gewissen Zwang mit einem Reputationsversprechen verknüpft. (vgl. zu solchen Supplementary Materials auch diesen Artikel im eDissPlus-Blog)

Dass Datenzitation (und Zitationsindices) und damit einhergehend Reputationsgewinne jedoch vergleichbar mit dem Publizieren von formalen Wissenschaftspublikationen wie Aufsätzen und auch Monografien größeren Einfluss haben werden, scheint trotz allem aktuell wenig wahrscheinlich. Während eine wissenschaftliche Erkenntnis selbst publiziert werden muss, um gelten zu können, ist dies für die ihr zugrundeliegenden Forschungsschritte nicht erforderlich. Für den Weg zur Erkenntnis reicht meist eine kurze Schilderung als Beleg des wissenschaftlichen Vorgehens. Eine weitere Anreicherung um zusätzliche Materialien wie umfassende Forschungsdaten scheint dagegen nicht zuletzt angesichts der schon lange beklagten Publikationsflut (und damit Rezeptionskrise) kaum als Default-Modus gewünscht. Zudem ist auch so nicht jeder Datensatz zur Nachnutzung geeignet oder zur Feststellung des Werts der daraus gewonnen Erkenntnis notwendig. Schließlich stehen sehr häufig auch einfach persönlichkeits- und datenschutzrechtliche Aspekte als unverrückbare Hürden vor einer möglichen Datenpublikation.

(Offenes) Data-Sharing dürfte daher auch langfristig nur in bestimmten Forschungsbereichen relevant werden. In diesen jedoch ist eine umfassende Abdeckung fraglos erstrebenswert. Und auch bereits für diese keineswegs eindeutig bestimmten und überschaubaren Felder haben Infrastrukturforschung und Policy-Entwicklung noch viel Arbeit vor sich. Daher könnte es sogar förderlich sein, das Ideal einer vollumfänglichen Open-Data-Kultur zugunsten einer differenzierteren Sichtweise zu relativieren um anhand schärfer bestimmter Zielgruppen und -szenarien die passenden Anreize definieren zu können.

(Berlin, 05. April 2017)

Ergänzung zu: Der Fall Julien Reitzenstein vs. H-Soz-Kult und die Frage nach der Kritikfähigkeit in der Wissenschaft

Posted in LIBREAS.Debatte by Ben on 27. Februar 2017

von Ben Kaden (@bkaden)

Im Anschluss an den am Freitag veröffentlichten Beitrag Der Fall Julien Reitzenstein vs. H-Soz-Kult und die Frage nach der Kritikfähigkeit in der Wissenschaft korrespondierte ich ausführlich mit Julien Reitzenstein und erfuhr mehr zu den Hintergründen der Angelegenheit. Grundlegend lässt sich festhalten, dass die Sachlage differenzierter zu betrachten ist, als es zum Beispiel das Echo auf Twitter vermuten lässt. Ich halte es daher aus zwei Gründen, also einerseits der Fairness halber, die allen Positionen Raum zugestehen soll und andererseits, um die Debatte mit aus meiner Sicht notwendigen Zusatzinformationen zu bereichern,  für geboten, meinen Ursprungskommentar mit dem nachstehenden Text zu ergänzen.

I

Ein aktuelles Geschehen, zumal eines sich noch entwickelndes, zeitnah zu kommentieren, birgt immer seine Gefahren. Anders als in der Rückschau sieht man immer nur einen Ausschnitt. Verrückt man diesen nur ein wenig, ändert sich eventuell die Grundlage dessen, was es zu beurteilen gab und relativiert oder revidiert damit die Beurteilung selbst.  Andererseits möchte man gern zeitnah reagieren, gerade auch wenn man sein Medium als eines versteht, das Teil fortlaufender Diskurse ist. Im Fall des Falles Julien Reitzenstein vs. H-Soz-Kult gab es durchaus eine Hemmung, die offengestanden dadurch motiviert war, dass das Vorgehen in der verfügbaren Schilderung bei H-Soz-Kult und FAZ so eindeutig und eindeutig gefährlich schien, um von Anwaltspost ausgehen zu müssen, wenn ein Halbsatz verrutscht. Am Ende war diese Sorge zugleich Motivation, denn das Grundverständnis von LIBREAS ist seit je, dass es zum Diskurs gehört, furchtlos Position zu beziehen und in Kommentaren die persönliche Sicht auf einen Sachverhalt direkt zu formulieren. Dass das Vorgehen gegen einzelne Formulierungen in einer wissenschaftlichen Rezension per Unterlassungserklärung der Gegenstand der Anmerkung war, gibt der Sache einen Spin Richtung Metaebene. (more…)

Der Fall Julien Reitzenstein vs. H-Soz-Kult und die Frage nach der Kritikfähigkeit in der Wissenschaft

Posted in LIBREAS.Debatte by Ben on 24. Februar 2017

Eine Anmerkung von Ben Kaden (@bkaden)

Update 27.02.2017: Im Anschluss an die Veröffentlichung des nachstehenden Beitrags korrespondierte ich ausführlich mit Julien Reitzenstein und erfuhr mehr zu den Hintergründen der Angelegenheit. Grundlegend lässt sich festhalten, dass die Sachlage differenzierter zu betrachten ist, als es zum Beispiel das Echo auf Twitter vermuten lässt. Ich halte es daher aus zwei Gründen, also einerseits der Fairness halber, die allen Positionen Raum zugestehen soll und andererseits, um die Debatte mit aus meiner Sicht notwendigen Zusatzinformationen zu bereichern,  für geboten, meinen Ursprungskommentar mit weiteren Ausführungen zu ergänzen.

In dieser Woche kam eine, glücklicherweise, erstaunliche und aus Sicht der Herausgeberschaft einer Zeitschrift, die auch Rezensionen veröffentlicht äußerst unersprießliche Angelegenheit ans Licht. Auf der zentralen deutschsprachigen Webplattform für die Geschichtswissenschaften, H-Soz-Kult, war 2016 eine Besprechung des Historikers Sören Flachowsky erschienen, der sich mit der Arbeit mit dem Titel Himmlers Forscher : Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im „Ahnenerbe“ der SS (Paderborn: Schönigh, 2014) des Historikers Julien Reitzenstein auseinandersetzte. Julien Reitzenstein fand am Besprechungstext offenbar einiges unzulänglich. Diese Mängel schienen ihm gravierend genug, um die Ebene des fachlichen Disputs sofort zu verlassen und sowohl den Rezensenten wie auch die Herausgeber von H-Soz-Kult mit einer vom Landgericht Hamburg angesegneten Unterlassungserklärung zu konfrontieren.

Michael Wildt und Rüdiger Hohls haben den Vorgang mit sichtbaren Bemühen um Transparenz auf der Seite beschrieben und betonen, was eigentlich jedem Leser und jeder Leserin der problemlos über die amerikanische Mutterseite noch verfügbare Orginalrezension klar sein dürfte: (more…)

Wissenschaftskommunikation auf Gut Siggen. Und zehn Thesen als Ergebnis

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS on tour by Ben on 24. Oktober 2016

Ein Kurzbericht von Ben Kaden (@bkaden).

Gut Siggen / digitale Wissenschaft

Zwölf Ansichten (zu Digitalisierung und Wissenschaft): Ein Teil der Diskursgruppe auf Gut Siggen.

Den Berliner erinnert Ostholstein ohne große Umschweife irgendwie an Ostbrandenburg, allerdings immer mit einem erheblichen Unterschied im Detail. Der Bahnhof in Oldenburg wirkt wie so viele Provinzbahnhöfe mehr aufgelassen als betrieben. Aber auf seinem einzigen Gleis hält zweimal pro Stunde ein ICE (einmal nach Hamburg, einmal nach Kopenhagen). Beide Ecken Deutschlands enden im Osten an einem Wasser, das mit O beginnt: Oder und Ostsee. Beide Regionen setzen, wo es eben geht, auf Tourismus, aber die eine, sofern die Infrastruktur der Maßstab ist, mit deutlichem größeren Zustrom als die andere, was der Oktober mit seinem Nieselregen aber gründlich überdeckt.  Und sowohl dort wie auch dort ist es für alle ohne eigenes Fahrzeug gar nicht so leicht von A nach B zu gelangen. In Ostholstein zum Beispiel von Oldenburg nach Siggen / Heringsdorf.

Der öffentliche Nahverkehr besteht aus einem Kleintransporter namens Rufbus, den man freilich sehr frühzeitig rufen muss. Ansonsten steht man an einem grauen Montagabend auf einem Parkplatz und bemüht sich vergeblich am Telefon, denn der Anruf erfolgt außerhalb der Geschäftszeiten und da kann der Fahrer auch nichts machen. Beruhigt sind die, die dieses Telefonat nicht als Protagonisten sondern als Zeugen erleben, im besagten weißen Transporter sitzend und über schmale Straßen durchs Wagerland zum Gut der Wahl schwankend. Also wir. Bei der Gelegenheit erzählt der Fahrer von einem Herzenswunsch, der die Ostbrandenburger und die Ostholsteiner Abgeschiedenheit, nun ja, verbindet: Der Anschluss an ein schnelles Internet. Oder überhaupt ein Anschluss. Kathrin Passig, so wird später berichtet, sei hier erstmalig seit fast Jahrzehnten für zwei zusammenhängende Tage offline gewesen. Und wenngleich die meisten der diesmal in Siggen Anwesenden nicht ganz so radikaldigital orientiert sind, ging es ihnen genaugenommen ähnlich. Digitalität ist in unseren Feldern – Wissenschaft, Bibliotheken, Publikationsmärkte – das Adernetz, durch das die Kommunikationen rasant fließen. Auf den Feldern von Siggen aber immer noch eher Ausnahme als Regel.

Das allerdings ist gut so. Denn wo die Stille und bei Bedarf Ostseewellenrauschen ist, findet sich vielleicht auch ein neuer Weg, über das „Konzepte des wissenschaftlichen Publizieren im digitalen Zeitalter“ zu reflektieren. Zumal die schmale Leitung, die das Gut mit der digitalen Sphäre verbindet, immer noch stabil genug steht, um das entsprechende Twitter-Hashtag (#Siggen) über zwei Tage in den Twitter-Deutschland-Trends zu verankern (Dokumentation zu #Siggen). Das allerdings sagt auch viel über die Twitter-Nutzung in Deutschland aus. Für die Klausur zum digitalen Publizieren in der Wissenschaft erweist sich die Einbindung von Twitter in den Vor-Ort-Diskurs zugleich als digitale Wissenschaftspraxis und Outreach-Medium, mit dem es bald u.a. die Sorge zu zerstreuen gilt, hier entstände eine Art Bilderberg-Club für die Wissenschaftskommunikation. [Update 26.10.2016: Der hier verlinkte Ulrich Herb distanziert sich ausdrücklich von der Verknüpfung mit der Zuspitzung Bilderberg und weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Zuspitzung ihre Ersturheberschaft in diesem Tweet von Eric Steinhauer hat.]

Diese Gefahr bestand freilich nie, auch wenn das Gut Siggen in seiner Geschichte schon manchen aus heutiger Sicht fragwürdigen Besuch beherbergte. Mittlerweile ist das von der Alfred Toepfer Stiftung betriebene Gut ein ganz normales Anwesen mit üppiger Hausbibliothek, Cembalo im Kaminzimmer und gutsgeschossenem Hirschbraten auf der Abendtafel, für dessen Nutzung sich jeder bewerben kann. Die Motivation hinter dem „Think Tank“ war keinesfalls, wie mehrfach versichert wurde, das Erzeugen von Exklusivität. Sondern der Wunsch, in größtmöglicher Konzentration neue Gesichtspunkte in einer Debatte freizulegen, in der eigentlich schon alles gesagt wurde, nur vielleicht noch nicht von jedem.

Wer einschlägige Konferenzdiskussionen kennt, weiß, dass in den fünf Minuten Fragezeit im Anschluss an dreißig Minuten Powerpointillismus meist die gleichen Akteure ihre bekannten Standpunkte in den Raum werfen und man sobald es wirklich spannend werden könnte, zur Postersession und dem Standgespräch in kleiner Gruppe weitergereicht wird. Selbiges ist oft inspirierend, bleibt aber meistens ohne weitere Aufzeichnung und wird daher spätestens mit dem Poster zusammengerollt und weggestellt.

Das Oktobertreffen zu Siggen folgte daher einem Modus, der das beste beider Welten kombiniert: kurze Impulsreferate in einem eher intimen Zirkel werden verbunden mit kaum begrenzter Diskussionszeit und dem Ziel, die in der Zwischenwelt aus Vortrag und Gespräch zum Thema entstehenden Ideen zu bündeln und zu veröffentlichen.

Das Siggener Themenspektrum war zu diesem Zweck breit aber erwartungsgemäß nicht allumfassend gestaltet: Es reichte von der Frage nach der Autorschaft im Digitalen speziell unter dem Einfluss genuin digitaler Publikationsformen (Wissenschaftsblogs, Soziale Netzwerke, Webannotation; Anne Baillot, Michael Kaiser, Alexander Nebrig), zu denen auch Forschungsdaten und Enhanced Publications (Ben Kaden) gehören über die Wissenschaftssprache und ihre Lektorierbarkeit (Friederike Moldenhauer) sowie Fragen der Qualitätssicherung und Reputationsmessung (insbesondere transparenten (Peer-)Review-Ansätzen; Thomas Ernst, Mareike König) im Digitalen bis hin, natürlich, zu Publikations- und Verlagsmodellen (Constanze Baum, Alexander Grossmann, Ekkehard Knörrer, Klaus Mickus, Volker Oppmann, Christina Riesenweber) und schließlich dem Urheberrecht (Eric Steinhauer).

Die konkreten Diskussionen zeigten nicht selten, dass bereits dieser geclusterte Ansatz möglicherweise zu weitläufig gewählt war, denn an vielen Stellen mussten Detailfragen doch aus dem Seminarzentrum heraus- und per Zwiegespräch auf den Weg zum Strand mitgenommen werden. Atmosphärisch ist das allerdings ungemein schöner als der Fachaustausch am Poster…

Im Ergebnis steht mit den Thesen naturgemäß wieder ein Kompromiss, der das wissenschaftliche Publikationssystem nicht aus der Bahn werfen wird, aber zehn komprimierte und Twitter-taugliche Thesen vorlegt, die nun offen diskutiert werden können und sollen. Zu diesem Zweck und in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Merkur werden sie an verschiedenen Stellen, unter anderem an dieser Stelle im LIBREAS-Blog publiziert.

 


#Siggenthesen

Siggener Thesen zum wissenschaftlichen Publizieren im digitalen Zeitalter

Das digitale Publizieren ermöglicht bessere Arbeits- und Erkenntnisprozesse in der Wissenschaft. Diese Potenziale werden aus strukturellen Gründen gegenwärtig noch viel zu sehr blockiert. Wir möchten, dass sich das ändert, und stellen deswegen die folgenden Thesen zur Diskussion:

1

Digitales Publizieren braucht verlässliche Strukturen statt befristeter Projekte. #Siggenthesen #1

Innovationen im Bereich digitaler Publikationsformate in der Wissenschaft, die in Pilot- und Inselprojekten entwickelt werden, bedürfen einer gesicherten Überführung in dauerhaft angelegte, institutionen- und disziplinenübergreifende Infrastrukturen, um im Sinne der Wissenschaftsgemeinschaft nachhaltige und wettbewerbsfähige Angebote liefern zu können. Wir rufen sowohl Fördereinrichtungen und politische Instanzen als auch Verlage und Bibliotheken auf, sich dieser Verantwortung zu stellen und entsprechende Förder- und Integrationskonzepte im bestehenden Wissenschaftsbetrieb konkret und umgehend umzusetzen. Eine systemische Veränderung hin zum digitalen Publizieren kann nur durch ein verlässliches Angebot exzellenter Dienstleistungen erreicht werden.

2

Die traditionellen Großverlage behindern strukturell unsere offene Wissenschaftskommunikation. #Siggenthesen #2

Wissenschaftliche Publikationen sind Teil eines ökonomischen Wertschöpfungsprozesses, den vor allem große Verlage zur Kapitalsteigerung nutzen. Wir sehen allerdings, dass eine digitale Publikationskultur jenseits einer reinen Orientierung an Gewinnspannen aufgebaut werden kann, denn der Wissenschaftsbetrieb schafft selbst durch offene Lizenzierungen Räume für eine freie Zirkulation von Forschungsergebnissen. Die Zuschreibung von Reputation über Publikationsorte und Verlagsnamen, die Einschränkung von Sichtbarkeit durch Adressierung von kleinsten Expertenkreisen und das Beharren auf gewinnorientierten Verwertungsmechanismen, in denen wissenschaftliche Kommunikation sowie wissenschaftlicher Fortschritt zur Ware wird, stehen zur Disposition. Sie müssen, wenn sie den Zielen einer freien und offenen Wissenschaftskultur im Wege stehen, neu ausgehandelt werden – auch wenn dafür ökonomische oder statusbezogene Risiken für die beteiligten Akteure entstehen.

3

Wir publizieren Open Access, um zu kommunizieren. Langzeitverfügbarkeit ist ein nachrangiges (weitgehend gelöstes) Problem. #Siggenthesen #3

Ein oft geäußerter Einwand gegen Open Access ist die angebliche Flüchtigkeit des digitalen Mediums im Vergleich zu gedruckten Büchern. Dabei wird übersehen, dass auch für Druckschriften das Problem der Langzeitverfügbarkeit virulent ist. Diese Frage darf daher nicht überbetont werden. Vielmehr weisen wir auf die Vorteile digitaler Inhalte als Kommunikationsmittel hin: Digitale Veröffentlichungen, die anerkannte und standardisierte Formate nutzen, haben ebenso eine Überlebenschance wie eine beispielsweise nur noch von wenigen Bibliotheken abonnierte Subskriptionszeitschrift; die Sichtbarkeitschancen sind im digitalen Format indes ungleich höher. Außerdem sind die Methoden der digitalen Archivierung wie Emulation, Remediation und Format-Migration bereits weit entwickelt – und werden kontinuierlich eingesetzt und weiterentwickelt, da ein immer größerer Teil der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung primär oder sogar ausschließlich digital vorliegt. Schließlich erleichtern digitale Netze erheblich die Archivierung digitaler Medien durch redundantes Speichern an mehreren physischen Lokationen.

4

Der Streit um Open Access ist kein Streit um technische Formate, sondern um Status und verschwindende Disziplinengrenzen. #Siggenthesen #4

Die öffentliche Diskussion um Open Access braucht eine neue Zielgerichtetheit, die Vor- und Nachteile transparent darstellt und statt polemischer Maschinenstürmerei kompetente Akzente setzt. Zeitschriftenkrise, Zukunft der Monographie, unklar werdende Fächergrenzen, bessere Wissenschaftskommunikation etc. dürfen nicht weiter in einen Topf geworfen werden, auch wenn der digitale Medienwandel diese unterschiedlichen Felder affiziert. Wir rufen alle Beteiligten – Befürworter wie Gegner des Open Access – auf, bewusster und sachgerechter zu reflektieren und zu diskutieren. Eine sinnvolle und gestaltende Veränderung gelingt nur, wenn wir anerkennen, dass digitales Publizieren bestehende Hierarchien hinterfragt und eine Umverteilung von symbolischem und ökonomischem Kapital mit sich bringen wird.

5

Webmedien wie Blogs, Wikis und andere soziale Medien sind zentral für einen offenen und freien Wissenschaftsdiskurs. #Siggenthesen #5

Digitale Publikationsmöglichkeiten bieten durch ihre bequeme und leicht erlernbare Handhabbarkeit sowie ihren unmittelbar vernetzenden Charakter die Möglichkeit, den Austausch von Informationen im Wissenschaftsdiskurs deutlich zu dynamisieren. So eignen sich beispielsweise Blogs für eine formal strengere Anbindung an bereits bestehende Genres des Wissenschaftsbetriebs, und ergänzen diese zugleich, indem sie (neuen) kleinen Formen, kommentierenden Texten und Konversationen einen Raum bieten. Der unaufwendige Betrieb dieser Medien macht sie zu weniger hierarchiebelasteten Kommunikationsformaten, wobei gleichzeitig auch redaktionelle Schranken zur Qualitätsoptimierung eingezogen werden können. Die prinzipielle Offenheit der Technik schafft einen kommunikativen Freiraum, der sich als Schreibschule im Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens anbietet und die bestehende Wissenschaftskommunikation um neue Dimensionen erweitert.

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Transparente Daten und ihre Bewertung ermöglichen andere und neue Formen der Qualitätsmessung in der Wissenschaft. #Siggenthesen #6

Bei der Auswahl von Artikeln für Fachzeitschriften oder bei der Bewertung von Publikationsleistungen beispielsweise in Berufungsverfahren werden meist unterkomplexe Formen der Qualitätsmessung eingesetzt bzw. einfachen Metriken und Kennzahlen zu viel Gewicht beigemessen (wie etwa dem Journal Impact Factor). Auf digitalen Plattformen stehen vielfältige Daten transparent zur Verfügung, die die Qualitäten von Artikeln besser quantifizierbar machen: etwa Aufruf- und Downloadzahlen, Lesedauer, Zahl der Reviews und Kommentare, Bewertungen in Reviews und Kommentaren, Zitationen in wissenschaftlicher Literatur und in Sozialen Medien. Wir schlagen vor, dass solche Nutzungsdaten ebenso öffentlich zugänglich gemacht und genutzt werden können wie die zugrundeliegenden Inhalte. Diese Daten können in spezifischen Bewertungsverfahren zielgerichtet kombiniert und müssen um qualitative Elemente ergänzt werden, um die aus den bisherigen quantitativen Messverfahren bekannte Manipulationsanfälligkeit weitestgehend auszuschließen.

7

In digitalen Publikationen und ihren Versionen können Autorschafts- und Beiträgerrollen genauer differenziert werden. #Siggenthesen #7

In gedruckten wissenschaftlichen Veröffentlichungen wurden verschiedene Autorschafts- und Beiträgerrollen nur ungenau bestimmt: Die Naturwissenschaften kennen die hierarchische Reihung der beteiligten Autorinnen und Autoren, die Geisteswissenschaften trennen im Regelfall zwischen der einen Autorperson und verschiedenen Beitragenden, die in der Danksagung genannt werden. Digitale Publikationen ermöglichen die abschnitts- und versionsgenaue Attribuierung von (Haupt-/Co-) Autorschaften sowie von Beiträgerrollen. Auf diese Weise kann wissenschaftliche Reputation zielgenauer und auf Basis einer Attribuierung auch kleinerer Beiträge, wie zum Beispiel von Kommentaren, transparenter ausgewiesen werden.

8

Entscheidungen über die digitale Agenda und ihre Infrastrukturen in der Wissenschaft setzen digitale Expertise voraus. #Siggenthesen #8

In vielen Gremien, die wichtige wissenschaftspolitische Infrastrukturentscheidungen treffen, sitzen unserer Einschätzung nach Akteure, die keine ausreichende medienpraktische und -theoretische Expertise zu Fragen des digitalen Publizierens besitzen. Hochschulen brauchen daher den Mut, Entscheidungen über ihre zukünftigen Infrastrukturen in die Hände digitalaffiner und entsprechend ausgebildeter Personen zu legen. Den digitalen Stillstand in vielen Bereichen unseres Hochschulsystems können und wollen wir uns nicht mehr leisten.

9

Der Erwerb und Einsatz digitaler Kompetenzen ist für die Ausbildung, Lehre und Forschung fundamental. #Siggenthesen #9

Um die Potenziale der digitalen Medien für Arbeits- und Erkenntnisprozesse in der Wissenschaft voll ausschöpfen zu können, ist es wichtig, digitale Kompetenzen auszubilden. Dazu gehören einerseits technische (Code lesen, Programmieren, Algorithmen verstehen) und handwerkliche Aspekte (kollaboratives und vernetztes Arbeiten, Social Reading, Multimedialität), die andererseits aber auch einschlägige analytische und soziale Fertigkeiten (Diskussionskompetenz, Medienkritik, kreatives Denken) grundlegend fördern. Der aktuelle Zustand in der Vermittlung digitaler Grundkenntnisse ist unserer Einschätzung nach an Schulen und Hochschulen – gerade auch im internationalen Vergleich – vollkommen unzureichend. Um das umgehend zu ändern, braucht es eine verbindliche und verpflichtende Ausbildung in allen Bereichen der Wissenschaft und über alle Ausbildungsstufen hinweg – hier müssen gerade auch die Lehrenden lernen.

10

Medienkonvergenzprognosen sind immer unsinnig. #Siggenthesen #10

Jede Disziplin hat einzelne zentrale Zeitschriften, die voraussichtlich auch demnächst noch nicht im Open Access veröffentlicht werden. Das ist aber kein Argument gegen den aktuell beobachtbaren Wandel – es werden auch noch Musikkassetten und Schallplattenspieler verkauft. Die Zukunft wird durch die Beteiligten gestaltet, somit beeinflussen wir die Gültigkeit unserer eigenen Prognosen. Da der Gestaltungsprozess grundsätzlich in einem Interessenwiderspruch stattfindet und der Diskurs dazu über weite Strecken von durchsetzungsgetriebener Rhetorik geprägt wird, ist es erforderlich, die eigenen Ziele und Interessen eindeutig und verständlich benennen zu können.

 

Sie können die #Siggenthesen auf dem Blog von Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken unterzeichnen und kommentieren.

Diese Thesen stehen unter der Lizenz CC BY 4.0. Sie entstanden im Rahmen des Programms „Eine Woche Zeit“ zum Thema „Konzepte wissenschaftlichen Publizierens im digitalen Zeitalter“. Die Veranstaltung fand vom 10.-16. Oktober 2016 im Seminarzentrum Gut Siggen statt, wurde organisiert von Klaus Mickus, Dr. Constanze Baum und Dr. Thomas Ernst in Kooperation mit der Alfred Toepfer Stiftung und dem Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. An der Veranstaltung haben Vertreterinnen und Vertreter der folgenden Bereiche teilgenommen: Forschung, Lehre, Bibliotheken und wissenschaftliche Infrastrukturen, Wissenschaftsverlage, Lektorat, Übersetzung, Verlagsberatung, Wissenschaftsblogs, Online-Publikationsplattformen und Online-Zeitschriften.

 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren u.a.:

  • Dr. Anne Baillot (Centre Marc Bloch, Berlin)
  • Dr. Constanze Baum (Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel; Redakteurin der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften)
  • Dr. Thomas Ernst (Universität Duisburg-Essen, Literatur- und Medienwissenschaft)
  • Mirus Fitzner (Universität der Künste Berlin, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikationswissenschaft)
  • Prof. Dr. Alexander Grossmann (HWTK Leipzig, Professor für Verlagsmanagement und Projektmanagement in Medienunternehmen)
  • Lambert Heller (Leiter des Open Science Lab der Technischen Informationsbibliothek Hannover)
  • Ben Kaden, M.A. (HU Berlin, DFG-Projekt Future Publications in den Humanities)
  • Dr. Michael Kaiser (Leitung von perspectivia.net, dem Publikationsportal der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, Bonn; Lehrbeauftragter für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln)
  • Dr. Ekkehard Knörer (Redakteur der Zeitschrift Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken)
  • Dr. Mareike König (Abteilungsleiterin 19. Jahrhundert, Digital Humanities und Bibliotheksleiterin am Deutschen Historischen Institut Paris, Redaktionsleiterin de.hypotheses.org)
  • Klaus Mickus (Berlin/Berkeley, juris GmbH)
  • Friederike Moldenhauer (Dipl. Soz., Lektorin und Übersetzerin, Hamburg)
  • Volker Oppmann (Geschäftsführer und Cultural Entrepreneur von log.os, Berlin)
  • Christina Riesenweber, M.A. (Freie Universität Berlin, Center für Digitale Systeme)
  • Prof. Dr. Eric Steinhauer (Bibliothekar an der FernUniversität in Hagen; Honorarprofessor am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU Berlin)

 

 

Berlin, 24.10.2016

Felix Stalder über Diskursivität und Peer Review.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 17. Oktober 2014

Eine Notiz  von Ben Kaden (@bkaden)

I.

„Wir sollten davon ausgehen, dass Wissen aus Debatten her vorgeht und dass Debatten oder Diskurse die zentralen Elemente der Wissensproduktion sind. Anstatt einen Text „den Erfordernissen entsprechend“ zu modellieren und ihn dann mit dem Stempel des Peer Review zu legitimieren, sollten Beiträge als Ausgangspunkte für Debatten betrachtet werden, die offen sind und offen bleiben.“ (Stalder, 2014)

schreibt der Medienwissenschaftler Felix Stalder in der, tatsächlich, Nullnummer der Zeitschrift Kamion, die – ganz nah an der Idee des Open Access – mit dem Motto „Der Aufstand der Verlegten“ antritt. (mehr zur Zeitschrift bei Brandmayr, 2014) Der Autor verwirft darin sehr offensiv die Idee des Peer Review, die ihm gerade im Double-Blind-Modus als sehr eigenartiges Verfahren, als ein „in vielerlei Hinsicht paradoxer Prozess“ erscheint:

„Durch die Verschleierung der Einflussnahme der Gutachter_innen auf den veröffentlichten Text wird ein Anspruch auf unpersönliches Wissen erhoben (das im Zuge des Begutachtungsprozesses entsteht), und es wird eine individuelle Autor_innenstimme behauptet.“ (ebd.)

Die Gründe, die aus seiner Sicht gegen das Peer Review sprechen, sind zusammengefasst:

  • Es besteht ein (Macht)Missbrauchspotential auf Seiten die Gutachter.
  • Die Autorenherkunft lässt sich gerade mithilfe digitaler Recherchetechnologien sehr einfach ermitteln (Stilproben, Thematik), so dass die Blind-Variante nicht wasserdicht ist.
  • Peer Review befördert einen stilistischen und formalen Konsens, wirkt also, wenn man so will, für den Diskurs homogenisierend
  • Das Peer-Review-Verfahren ist schlicht inkonsistent und zu langwierig.

II.

Es gibt mittlerweile erwartbar eine ganze Reihe von Überlegungen, wie der Ansatz des Peer Review als Qualitätskontrollmaßnahme überholt und reformiert werden kann. Stalder geht kurz auf Tony Prug und dessen Idee des Open Process Academic Publishing (Prug, 2010) ein. Diese beinhaltet u. a. auch, dass die publizierende Arbeit, also das, was ein Journal und eine Redaktion sowie, wenn vorhanden, die Reviewer tun, sichtbar wird und zugeordnet werden kann. Der für die Wissenschaftsgemeinschaft und die Selbstorganisation ihrer Publikationsprozesse entscheidende Schritt wäre eine komplette Nachvollziehbarkeit des Reviewing, die Missbrauchsmöglichkeiten erheblich reduziert und obendrein Metadiskurse zum Verfahren anregt, weil nun auch die Defizite des Review-Verfahrens erkennbar und analysierbar werden.

Stalder sucht eine andere Lösung. Er möchte das Peer-Review-Verfahren insgesamt überwinden. Entscheidend ist für ihn nicht, wie sehr ein Text bestimmten Vorstellungen und Kriterien der Gutachter entspricht, sondern welches diskursive Potential dieser enthält. Ins Zentrum der Auswahlentscheidung rückt die Debatte (vgl. Eingangszitat). Interessant für die Redaktionspraxis von kleinen Fachzeitschriften wie LIBREAS, die sich ständig intensiv mit der Frage der Begutachtung und Beitragsauswahl beschäftigen, sind Stalders Vorstellungen vom Aufgabenprofil einer Redaktion:

„Die Aufgabe des Redaktionsgremiums einer Zeitschrift wäre demnach eine doppelte: Erstens gilt es einzuschätzen, ob ein eingereichter Beitrag das Potenzial hat, die diskursive Praxis des Zusammenhangs weiterzubringen; und zweitens müssen, um die Debatte zu eröffnen, die Schlussfolgerung(en) dieser Einschätzung durch das Redaktionsgremium zusammen mit dem ursprünglichen Beitrag veröffentlicht werden. Das Redaktionsteam muss zu keiner Einigung gelangen. Es sollte ausreichen, dass ein Mitglied überzeugende Argumente dafür liefern kann, was aus diesem Beitrag tatsächlich einen Beitrag zur gemeinsamen diskursiven Praxis macht. Sollten andere Redakteur_innen zu anderen Schlussfolgerungen kommen, so wären auch ihre Argumente zu veröffentlichen. Eine Zurückweisung sollte nur dann erfolgen, wenn sich niemand positiv dafür interessiert.“ (Stalder, 2014)

Es beruhigt in gewisser Weise, dass in praxi ein solcher Prozess eines Editorial Reviews von Anfang an die einzige Option für eine Open Access-Zeitschrift im Betriebsmodus von LIBREAS war. Die zum Stalder’schen Konzept lückenschließende Ergänzung wäre nun, die Entscheidungsargumente aus den Protokollen der Redaktionsbesprechungen zu extrahieren, aufzubereiten und neben dem Beitrag als eine Art Paratext zu veröffentlichen.

Stalders Konzept klingt zunächst einmal nach einer reizvollen Idee, die wir auch gern intern reflektieren werden. Es birgt jedoch auch die Gefahr, dass die Redakteure mit ihrer plötzlich öffentlichen Rolle als Expertenjury eine prominentere Position im Publikationskontext einnehmen, als sie eigentlich anstreben. Das Kriterium der, wenn man so will, erwartbaren Diskurswucht eines Beitrags müsste in jedem Fall hinsichtlich der jeweiligen, also unserer, Diskursgemeinschaft spezifizieren. Schon das dürfte Probleme bereiten, denn die Erfahrung zeigt, dass sich die Zielgruppe von LIBREAS schwer eng umreißen lässt.

Die Einschätzung, „was aus [einem] Beitrag tatsächlich einen Beitrag zur gemeinsamen diskursiven Praxis macht“, fordert darüber hinaus einen Entscheidungsmaßstab, der konsequenterweise selbst wiederum transparent ermittelt werden muss. Ob sich das am Ende auf der Bewertungsebene allzu sehr vom traditionellen Peer Review unterscheidet, ist offen. Denn auch das Peer Review hat im Kern keinen anderen Grund als die Beurteilung, wie relevant und damit anregend für Folgeforschung oder Folgediskurse ein Beitrag ist. Alle übrigen Kriterien (passt ein Beitrag qualitativ in die jeweilige Zeitschrift?, ist er formal korrekt ausgearbeitet?, etc.) setzen auf dieser Grundidee auf.

Schließlich bleibt auch noch zu beachten, dass sich der Aspekt der Diskursivität in den so genannten STEM-Fächer ganz anders als in den Geisteswissenschaften präsentiert. Dort dient Peer Review im Idealfall zur Absicherung von faktueller und Verfahrenskorrektheit. Die dadurch erfolgende Vorfilterung trägt erfahrungsgemäß zu einer sehr willkommenen Komplexitätsreduktion bei, da – wiederum im Idealfall – nur Beiträge überhaupt in den Rezeptionszyklus gelangen, die den wissenschaftlichen und fachlichen Standards entsprechen. Das sollte nicht einer Homogenisierung sondern eher einer Kanalisierung entsprechen, bei der (wir denken an Ranganathans Every reader his/her book.) Publikationen möglichst genau dem passenden Adressatenkreis zugeleitet werden. Sind die Wissenschaftler mit dem Zuschnitt und den Review-Kriterien einer Zeitschrift vertraut, gelingt es ihnen umso besser, die Primärentscheidung zu treffen, ob ein Aufsatz für eine Lektüre überhaupt relevant ist. Die Forderung, Review-Verfahren transparenter und nachvollziehbar zu gestalten, ist hier absolut berechtigt. Das Kriterium der Debattenfähigkeit dürfte jedoch keine große Rolle spielen. Denn die Debatten finden in diesen Disziplinen eher über die Editorials, manchmal auch die Berichten und den Korrespondenzseiten der Fachzeitschriften vermittelt statt, also genau in den Teilen der Zeitschriften, die nicht einem Peer Review unterliegen.

 III.

Die Umbrüche im Publikationswesen an sich und besonders auch in der wissenschaftlichen Kommunikation sind so notwendig wie erwartbar langwierig. Das zeigt auch die Publikation von Felix Stalder in Kamion. Der Autor beschreibt in seiner Analyse der Debatte etwas, was sehr nah an die Idee liquider Dokumentensysteme rückt und führt einiges an, was in der Modellierung zu so genannten „enhanced Publications“ regelmäßig auftaucht, nämlich das Ziel:

„Materialien einfacher zwischen verschiedenen Publikationsformaten hin und her zu bewegen, von Interventionen über vielleicht auf Video aufgezeichneten Gesprächen hin zu Online-Artikeln und elektronischen oder gedruckten Büchern und wieder zurück.“ (Stalder, 2014)

Dies ist konzeptionell gar nicht allzu weit von dieser Beschreibung entfernt:

„Grob definiert versteht man unter “enhanced publications” Publikationsformen, die über eine digitale Nachbildung von Druckmedien hinausgehen und zum Beispiel mit Zusatzdiensten und Multimedia-Materialien angereichert sowie hypertextuell und/oder semantisch vernetzt sind.“ (Kaden, Kleineberg, 2014)

Was Stalder zu Recht in diesen Kontext einzubringen unternimmt, ist, diese Vernetzung nicht nur auf der Ebene der Formate, der maschinenlesbaren Verknüpfung sowie generell dem Anschluss von Begleitmaterialien wie Forschungsdaten oder Verfahrensdokumentationen zu sehen. Wissenschaftliche Kommunikation bleibt auch zukünftig unvermeidlich ein primär soziales Geschehen, weshalb die Vernetzungsdynamik von Publikationen naturgemäß auch und aus Sicht von Publizierenden ganz besonders von der Perspektive der Diskursivität her gedacht werden muss.

Digitale Kommunikationswerkzeuge der Gegenwart und idealerweise auch alle kommenden Publikationsstrukturen sollten dies ausdrücklich berücksichtigen und unterstützen. Die einfache Einbindung von Web-Elementen in Soziale Netzwerke ist dabei nur eine der simpelsten Varianten.

Selbst wenn man versteht, wie aufwendig es ist, mit engem Budget eine Zeitschrift herauszugeben, hätte man sich daher auch aus diesem Grund im Fall von Kamion ein wenig mehr Mut zur Nutzung offenerer digitaler Publikationsformen gewünscht. Schließlich tritt die Zeitschrift mit dem Anspruch an:

„Sie forciert den Verkehr, die Übersetzungen, die Vernähungen zwischen sozialen Bewegungen, Kunstpraxen und kritischer Intellektualität. Sie eröffnet Raum für entspannt theoretische, essayistische, nicht-akademische Schreibweisen und experimentelle Erzählformen. Sie entwickelt Taktiken und Strategien der Verkettung, Neuzusammensetzung und Bildung von Allianzen.“ (Kamion, 2014)

Publiziert wurde die Null-Ausgabe leider im Rückgriff auf das antiquierte und im digitalen Sinn denkbar verschlossene PDF-Format.

Erstaunlicherweise relativiert sich diese Kritik ein wenig, wenn man weiter recherchiert. Dann findet man den Text Felix Stalders bereits stärker „enhanced“, nämlich mehrsprachig und mit ein paar weiterführenden Informationen verknüpft, parallelpubliziert auf einem Portal namens _transversal texts_ (einem „multilingual webjournal“ herausgegeben vom europäischen institut für progressive kulturpolitik in Wien), wobei wiederum wenigstens für den Erstbesucher reichlich undurchsichtig bleibt, was, wie und mit welchem Zweck zusammenhängt. Aus performativer Hinsicht ist diese Unübersichtlichkeit, die so kennzeichnend für vielschichtige und offene digitale Kommunikationsumgebungen ist, fraglos gelungen. Einem Rezipienten, der permanent zwischen beiden Welten, nämlich der analogen bzw. analog geprägten und der digitalen und enhanced ausgericheten Publikationskultur wandelt, fehlen hier freilich stabile Orientierungsmarker, anhand derer er einschätzen kann, womit er es überhaupt zu tun hat. Was man nämlich nicht vergessen darf, ist, dass das diskursive Potential einer Publikation nicht allein von der Entscheidung der Herausgeber und der Redaktion abhängt. Ähnlich, wenn nicht sogar wichtiger ist die Bewertung und Begutachtung der Publikation durch das Publikum, also die rezipierende Diskursgemeinschaft. Die Aufgabe einer Redaktion ist folglich, nicht nur Beiträge auszuwählen, sondern auch einen Präsentationsrahmen zu entwickeln, der diese ohne großen zusätzlichen Aufwand eindeutig und konzentriert rezipierbar macht.

(Berlin, 17.10.2014)

Quellen

Alessia Bardi; Paolo Manghi (2014) Enhanced Publications: Data Models and Information Systems. In: LIBER Quarterly, Vol. 23, Nr. 4, S. 240-273, apr. 2014., vgl. http://libreas.tumblr.com/post/99488614736/enhanced-publications

Tanja Brandmayr (2014) Die Lust an transversalen Texte. In: Versorgerin, #103, http://versorgerin.stwst.at/artikel/aug-23-2014-2204/die-lust-transversalen-texten

Ben Kaden, Michael Kleineberg (2014) Das Fu-PusH-Weblog. In: Future Publications in den Humanities (FuPusH). Weblog. 13.10.2014, https://blogs.hu-berlin.de/fupush/2014/10/fupush/

Kamion [Redaktion] (2014) Einfahrt „Nicht abonnieren, wir gehen jetzt. In: Kamion, Nr. 0. S. 2f. (24. Juni 2014), http://diekamion.org/einfahrt/)

Tony Prug (2010) Open Process Academic Publishing. In: ephemera, Vol. 10, Nr. 1, S. 40-63, http://www.ephemerajournal.org/contribution/open-process-academic-publishing

Karsten Schuldt (2012) Peer Review – eine Entscheidungsfrage für kleine Zeitschriften. In: LIBREAS.Weblog, 06. Juni 2012, https://libreas.wordpress.com/2012/06/06/peer-review-eine-entscheidungsfrage-fur-kleine-zeitschriften/

Felix Stalder (2014) Wissenschaftliches Schreiben jenseits der Peer Review. Vom individuellen Schreiben zur diskursiven Praxis. In: Kamion, Nr. 0. S. 4-10 bzw. bei transversal: http://eipcp.net/transversal/0614/stalder/de

(Ben Kaden ist Mitherausgeber der Zeitschrift LIBREAS. Library Ideas und beforscht derzeit im Projekt Future Publications in den Humanities (Fu-PusH) an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation in den Geisteswissenschaften.)

Das DOAJ und seine Qualitätssicherung.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Ben on 14. August 2014

Anmerkungen von Ben Kaden (@bkaden)

Die Qualitätssicherung des Directory of Open Access Journals (DOAJ) ist derzeit das Sommerthema der Wissenschaftskommunikation. Da LIBREAS dort gelistet ist (und die Redaktion den in der Tat nicht gerade unterkomplexen Fragebogen zumindest schon einmal abgearbeitet hat), interessiert uns das auch aus persönlicher Betroffenheit.Im großen Rahmen sind natürlich die Hintergründe und allgemeinen Ziele, wie sie derzeit kumuliert kommuniziert werden, interessanter.

Ein Artikel im Nachrichtenbereich von Nature (Van Noorden, 2014) vermittelte unlängst Einiges zu den Versuchen, qualitätssichernde Wände in das mittlerweile zum Tummelplatz nicht immer ganz im Sinne der wissenschaftsethischen Grundeinstellung des ursprünglichen Open-Access-Gedankens stehender Business-Ansätze (u.a. das so genannte „Predatory-Open-Access“) gewordene Gebäude eines Zentralverzeichnisses der Open-Access-Zeitschriften einzuziehen.

Der erste Schritt ist die „Reapplication“, die für jede Zeitschrift, die gern im DOAJ gelistet werden möchte, notwendig ist. Das entsprechende Formular gibt es hier über diesen Link und enthält für LIBREAS mit seinem nicht ganz stromlinienhaften Format durchaus überraschende und herausfordernde Elemente, die wir hoffentlich erfolgreich bezwungen haben und die in jedem Fall zur Reifung der Zeitschrift beitragen.

Das Basiskriterium ist erwartungsgemäß absolut freier Zugang zu den publizierten Inhalten, worauf auch Rick Anderson in seinem Bericht im Fachblog The Scholarly Kitchen hinweist:

„According to the application form, access embargoes of any length will disqualify a journal from inclusion; journals that put any content at all behind a pay wall (i.e. hybrid journals) are also excluded.“ (Anderson, 2014)

Allerdings galt dies, soweit ich mich erinnere, auch schon vor zehn Jahren. Darüberhinaus verweist Rick Anderson auf einen etwas schwierigeren Aspekt, nämlich den der Transparenz bei der Gewichtung der Angaben im Fragebogen. Tatsächlich weiß man nicht so recht, worauf man achten muss, um sich nicht doch eventuell aus dem Angebot zu klicken, wobei man den Betreibern vielleicht doch zutrauen sollte, hier differenziert im Zweifel auch den Einzelfall im Blick zu behalten:

„Otherwise, little information is provided about how the various criteria will be weighted, and it appears that the decisions will be substantially subjective.“ (Anderson, 2014)

Bei wohlwollender Auslegung meint „subjective“ nämlich genau diese Art von qualitativer, individueller Inaugenscheinnahme. Für die Journals, die im Verzeichnis bleiben, wird als Neuerung eine Gütesiegel für Publikationen erstrebenswert und relevant, mit dem das DOAJ die Titel kennzeichnen möchte, welche die höchsten Standards erfüllen und damit in gewisser Weise vom Organisationsmodell und ihren formalen Eigenschaften zu den besten 10 bis 15 % der Open-Access-Zeitschriften zählen.

So wird also an beiden Enden der OA-Skala qualitätsoptimiert. Einerseits gilt, was Alma Swan vom derzeitigen DOAJ-Betreiber IS4OA ( Infrastructure Services for Open Access C.I.C.), bei dem naheliegend DOAJ-Gründer und eigentlich Gesicht Lars Bjørnshauge als Manager des DOAJ angestellt ist sagt:

„We need to show which journals come up to a minimum standard of quality [.]“ (vgl. Van Noorden)

Andererseits wird eine Exzellenzgruppe ermittelt. Dazu kommen 10 % aktuell noch im DOAJ verzeichnete Publikationen, die die Hürde des Mindeststandards nicht nehmen werden, so jedenfalls die Vermutung Lars Bjørnshauges. (ebd.)

Ob die eventuell als Gegenentwurf zur schwarzen Liste von Jeffrey Beall (bei Anderson auch „Beall’s List“ genannt, bei Van Noorden einfach „blacklist“, vgl. dazu auch ausführlich Crawford, 2014, dessen Kernaussage lautet: „I believe the lists should be ignored.“) gedachte „Whitelist“ des DOAJ den zukünftigen Standard zur Qualitätsbewertung von Open-Access-Zeitschriften darstellen wird, ist freilich noch offen. Dass die DOAJ-Verantwortlichen nach der Kritik an ihrer Qualitätssicherung nun mit einer Flucht nach vorn versuchen, als dominanter Akteur eine eminente Position im Open-Access-Feld nicht nur zu erhalten, sondern intensiver als zuvor selbst u.a. per eigenem Gütesiegel Standards für das Open-Access-Publizieren zu setzen, durchzusetzen und zu steuern und damit ihre Reichweite und Bedeutung auszudehnen, lässt sich nicht übersehen.

Nach offizieller Lesart steht dies übrigens weniger im Zusammenhang mit der Liste Bealls, sondern mit einer grundsätzlichen Überarbeitung des DOAJ nach der Übernahme des Betriebs durch die IS4OA C.I.C., wie sie im Dezember 2012 angekündigt wurde (DOAJ, 2012) und die offensichtlich auch eine weitere Professionalisierung nach extra-universitären Ansprüchen zum Ziel hat. Auch für eine Community Interest Company bildet Business den Vordergrund des Geschäfts, selbst wenn im Hintergrund das Interesse der Gemeinschaft steht.

Van Noorden zitiert dabei eine Hauptherausforderung (und in gewisser Weise Konkurrenten) für das Verzeichnis und seine Rolle im Alltagsbetrieb der Wissenschaft:

„Moreover, Beall points out, many researchers and universities will instead judge a journal’s quality by whether it is indexed in major citation databases, such as Elsevier’s Scopus index, rather than looking at the DOAJ’s list.“ (Van Noorden)

Mit einer rigorosen Qualitätskampagne bzw. sogar OA-Exzellenzmessung per Hand –

 „a small cohort of some 30 voluntary associate editors — mainly librarians and PhD students — will check the information submitted in reapplications with the publishers, and there will be a second layer of checks from managing editors“ (ebd.)

– bemüht man sich also, öffentlichkeitswirksam und – jedenfalls nach dem Eindruck Rick Andersons – etwas dünnhäutig (mit „touchiness“), Boden gut zu machen und das Profil zu schärfen.

Die Hauptherausforderung gegenüber der Open-Access- bzw. Wissenschaftscommunity wird in diesem Prozess darin liegen, zureichend Transparenz zu zeigen, um jeden Verdacht einer lückenhaften, zu lockeren oder zu strengen Sortierung und Bewertung auszuräumen. Es geht, wie so oft, um Vertrauen, das gegenüber dem DOAJ relativ leicht zu erschüttern war.

Dass es, vorsichtig formuliert, traditionell eher inklusiv vorging, wusste allerdings bereits lange vor der Beall’schen Liste jeder, der einmal quer durch das Verzeichnis browste. Die Geschichte des Open-Access-Publishings ist de facto auch eine der Politur, des strategischen Setzens von Markern und des Vorspiegelns von Initiative, deren Hauptziel nicht in der tatsächlichen Verbesserung der wissenschaftlichen Kommunikation lag. Und dass, seitdem mit Open Access Geld zu verdienen ist, eine ganze Reihe von Akteuren vor allem dieser Motivation folgen und raushebeln, was dieser Markt so hergibt, war eigentlich auch erwartbar.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es für die DOAJ-Betreiber fraglos auch relevant, überzeugend zu vermitteln, wie die Wissenschaftscommunity als interessenleitend für die Arbeit der CIC im Rahmen des jeweils Ertragsmodells ihre wirkliche Berücksichtigung findet.

Die Schritte, die das DOAJ (bzw. IS4OA) gerade einleitet, kommen einerseits selbstverständlich etwas spät und ein bisschen sehr von außen induziert. Andererseits sind sie unvermeidbar und folgen generell einem auch für die Wissenschaft richtigen Ziel und präzise nah an deren Bedarf.  Wo Publikationsstrukturen sehr komplex werden, braucht man Verfahren und Instanzen, die diese Komplexität verlässlich vorfiltern und durchschaubar machen. Das DOAJ war und ist ein Ansatz dafür. Ob die aktuellen Schritte konkret zu etwas führen, was für das Verzeichnis wie auch das wissenschaftliche Publizieren befriedigend ist, lässt sich naturgemäß heute noch nicht absehen.

Als wir LIBREAS circa im Jahr 2006 dort registriert haben, lag die Qualitätshürde übrigens in der Frage nach dem Review-Verfahren. Die Angabe „Editorial Peer Review“ in einer formlosen E-Mail war zu diesem Zeitpunkt zureichend. Es verblüfft uns schon immer wieder, wie sehr diese Welt des lockeren Vertrauens und fröhlichen Probierens in diesem Zweig mittlerweile eine von Gestern zu sein scheint.

(Berlin, 14.08.2014)

Quellen

Rick Anderson (2014) Housecleaning at the Directory of Open Access Journals. In: The Scholarly Kitchen. 14.08.2014 http://scholarlykitchen.sspnet.org/2014/08/14/housecleaning-at-the-directory-of-open-access-journals/

Walt Crawford (2014) Journals, “Journals” and Wannabes: Investigating The List. In: Cites & Insights, Vol. 14, No. 7 http://citesandinsights.info/civ14i7.pdf

DOAJ / Alma Swan (2012) Future plans for the development of the DOAJ. In: is4oa.org. 18.12.2012 http://is4oa.org/2012/12/18/future-plans-for-the-development-of-the-doaj/

Richard Van Noorden (2014) Open-access website gets tough. In: Nature News. 06.08.2014, http://www.nature.com/news/open-access-website-gets-tough-1.15674

EIS, newlis und LIBREAS. Ein Blick in die INETBIB und darüber hinaus.

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS.Debatte by Ben on 29. Juli 2014

von Ben Kaden (@bkaden)

Am vergangenen Donnerstag (24.07.2014) bestätigte Rainer Kuhlen in der Mailing-Liste INETBIB, dass das geplante Projekt einer neuen europäischen Open-Access-Zeitschrift bzw. Kommunikationsplattform für die Informationswissenschaft (European Journal of Information Science bzw. EIS-ICP bzw. Open-Access-Zeitschrift/Publikations-, Informations- und Kommunikationsplattform EIS – European Information Science (OA-PIKP-IW)) keine Förderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu erwarten hat. Damit ist das Projekt vorerst gescheitert. Rainer Kuhlen verfügt als emeritierter Professor zwar über Expertise und Kontakt jedoch eben nicht über Infrastruktur und Mittel. Und ohne diese lässt sich ein Unterfangen dieses Zuschnitts nicht bewältigen. (vgl. Kuhlen 2014, Antragstext: Kuhlen, Womser-Hacker,2014)

Die Reaktionen in der Mailing-Liste auf die Mail Rainer Kuhlens verdeutlichen, wie die Frage eine Reorganisation der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Fachkommunikation (de facto fallen beide Facetten in Deutschland sehr häufig sogar noch mit der bibliothekarischen und informationspraktischen Fachkommunikation zusammen, wenngleich es sich beim Kuhlen’schen Vorhaben um ein dezidiert informationswissenschaftliches handelte) unter dem Ansprach des Open Access verhandelt wird. Da dies unmittelbar auch für LIBREAS interessant ist, sollen die bisher verfügbaren Positionen hier kurz dokumentiert, sortiert und kommentiert werden.

Rainer Kuhlen selbst mutmaßte in seiner Erstmeldung nur indirekt über die Gründe, die die DFG möglicherweise zur Ablehnung gebracht haben („nicht gut genug“, „zu ambitiös“, „ob die Informationswissenschaft in der DFG keine Lobby hat“, vgl. Kuhlen, 2014).  Thomas Krichel, der sich ein paar Vortragsfolien von Rainer Kuhlen angesehen hat, meinte in einer ersten Reaktion, dass die DFG-Entscheidung, wenn der Antrag den Folien ähnelte, wenig überraschend sei, spezifizierte die Aussage aber nicht weiter. (Krichel, 2014a) Nun ist das Spiel des Mutmaßens zwar sehr unterhaltsam, am Ende aber auch müßig, zumal die leider nicht zugänglichen Gutachten die Wahrheit bzw. eine unabweisbare offizielle Begründung für den abschlägigen Bescheid enthalten, die wir voraussichtlich nie erfahren werden, so dass auch niemand die Freude empfinden wird, beim Orakeln richtig gelegen zu haben.

Die drei Überlegungen Kuhlens klingen allerdings wahrscheinlicher als die Vermutung, die Eric Steinhauer ins Spiel bringt. Diese weist dafür über den Antrag hinaus in die oft betrübliche Realität der Redaktionspostfächer:

„Wäre es eine zu abwegige Vermutung, dass ein Grund dafür vielleicht auch in dem Umstand zu suchen sein könnte, dass es für ein neues Fachorgan einfach nicht genügend Autoren gibt?“  (Steinhauer, 2014a)

1. Publikationskultur (Eric Steinhauer)

Der von ihm angesprochene Punkt, nämlich wie man überhaupt im deutschen LIS-Feld genügend Beiträge für eine ganze Bandbreite von Publikationsformen (also auch die Neugründungen Neugründungen Informationspraxis  und o-bib sowie für Nanopublikationen, wie Eric Steinhauer ergänzt, das Sortiment der Social-Media-Welt), verfehlt zwar etwas den geplanten Zuschnitt von EIS, da dieses Journal als wissenschaftliche Fachplattform nicht unbedingt auf bibliothekspraktische Texte blicken sollte. Er greift mit der Frage „Wer schreibt?“ aber dennoch eine grundlegende Herausforderung auf, die sich jeder Fachzeitschrift für Bibliothekswesen bzw. Bibliotheks- und Informationswissenschaft stellt.

Für Eric Steinhauer beginnt das Problem freilich noch früher bzw. auf der anderen Seite des Publikationskreislaufs. Was publiziert wird, so sein Eindruck, wird oft so gut wie gar nicht rezipiert:

„eine Lektüre, geschweige denn eine produktive Rezeption publizierter Arbeiten [findet] kaum statt[…]“  (Steinhauer, 2014a)

Entsprechend nachvollziehbar ist sein Appell, den Blick weniger auf die Publikationsorgane als auf die Publikationskultur selbst zu richten. Daran, wie sich Informationspraxis und o-bib entwickeln, wird sich auch empirisch zeigen, ob in der deutschen Fachgemeinschaft genügend Platz für eine solche Vielzahl von Publikationsorganen ist. (Steinhauer 2014b)

Ursächlich für die mangelnde Rezeption bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Publikation sind für ihn „selbstreferenzielles Projektdenken und zuviel quasi-politisches Gehabe“ und ein zu gering ausgeprägtes Bewusstsein für Interdisziplinarität beispielsweise mit den Kulturwissenschaften, die bibliothekswissenschaftlich relevante Sachverhalte äußerst rege aufgreifen.

2. Kein Peer Review,  dafür ein Referateblatt (Walther Umstätter)

Walther Umstätter sieht angesichts der Zahlen der Absolventen in den Ausbildungs- und Studiengängen durchaus noch Raum für eine weitere Publikationsplattform. (Umstätter, 2014a)

Er kritisiert jedoch, dass im Vorfeld keine bibliometrische Profilierung der geplanten Publikation stattfand. Er bezieht sich dabei auf eigene Vorarbeiten (Mayr, Umstätter, 2008), die zu dem Ergebnis führten:

„Gerade mit der immer stärkeren Abnahme an deutschsprachigen wissenschaftlichen Zeitschriften wächst die  Bedeutung derer, die noch existieren, insbesondere für den Nachwuchs.“ (Mayr, Umstätter, 2008)

Größere Probleme bereitet ihm jedoch der Ansatz des Open Access selbst. Die von Eric Steinhauer erwähnten Publikationen und besonders Social-Media-Kanäle erscheinen ihm stärker als Angebote für „bestimmte Interessengruppen und „Indies““, wogegen die Diskussion der so genannten newlis-Debatte eine übergreifende, „zentrale“ Lösung anstrebte. Im Kern fehlen Zentralorgane, wie es naturwissenschaftliche Disziplinen mit den Übertiteln Nature oder Science besitzen, in den Geisteswissenschaften, zu denen Walther Umstätter offenbar auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft zählt. Der Grund dafür ist aus seiner Sicht, dass es hier keine auf harte Fakten bezogene Streitkultur gibt. Man bleibt beim Feststellen von Meinungen und deshalb, so Walther Umstätter, ist die Publikationskultur in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft nur schwach ausgeprägt:

„Es geht in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu wenig um die Fakten und Konsequenzen der Informationstheorie als Hard Science, und zu oft nur um das Geplauder um moderne Schlagworte.“ (Umstätter, 2014a)

Weiterhin erweitert Walther Umstätter im Anschluss an Eric Steinhauer die Debatte um den Aufruf, dass die in internationalen Zeitschriften erschienenen Publikationen in der deutschen Bibliotheks- und Informationswissenschaft intensiver als bisher – idealerweise mit den „besten Wissenschaftlern als Reviewern“ – „fundiert und kritisch“ einem Art Post-Peer-Review unterzogen werden. Sehr deutlich spricht er sich also für eine Art Referatezeitschrift der deutschen Bibliotheks- und Informationswissenschaft aus, dass über aktuelle Fachentwicklungen informiert und zugleich einen fehlenden Zugang zu diesen Titeln kompensiert.(Umstätter, 2014c)

Ein Post-Publication-Peer-Review ist für Walther Umstätter auch generell für neugegründete Zeitschriften das Mittel zur Qualitätssicherung. (Umstätter 2014b) Er argumentiert, dass beim Pre-Publication-Peer-Review  in der Wissenschaft in immerhin 4,5% der Fälle (vgl. Cawley, 2011) zum Review eingereichte Erkenntnisse durch die Reviewer selbst nachverwertet (bzw. gestohlen) wurden. Darüber hinaus könnte der Vorteil, frühzeitig und teilweise auch inspirierend den Forschungsstand der Fachkollegen zur Kenntnis nehmen zu können, auch generell eine zentrale Motivationsgröße für die Mitarbeit am zumeist nicht vergüteten Reviewing für Fachzeitschriften darstellen. Er wird in diesem Punkt durch Thomas Krichel unterstützt, der auf das Fachrepositorium E-LIS verweist. (Krichel, 2014b)

Schließlich betont Walther Umstätter in einer dritten Positionierung, dass er ursprünglich LIBREAS in der Rolle des aus dem newlis-Umfeld heraus forcierten neuen Open-Access-Organs sah. (Umstätter, 2014c, Umstätter, 2012) Er interpretiert dabei einen Text von Ben Kaden als diesbezüglich abschlägig. (Kaden, 2012, mehr dazu unten) LIBREAS hätte aus seiner Sicht als eine Art Referateorgan mit einer entsprechenden Unterstützung und einem Anschluss an die Idee von EIS durchaus das passende Produkt für den festgestellten Bedarf werden können:

„Natürlich hätten die Mitstreiter bei LIBREAS noch weit mehr ihre Arbeit aufteilen müssen, hätten Rechte und Pflichten abgeben müssen, um die anfallende Arbeit zu schaffen, hätten einiges an Arbeit auf die Softwareebene delegieren müssen, und gerade das müsste man der DFG klar machen, wo die eigentliche Projektidee liegt, die bei Kuhlens Antrag nicht deutlich genug wurde, weil er anderenfalls hätte angenommen werden müssen.“ (Umstätter, 2014c)

3. Kein Förderbedarf (Klaus Graf)

Für Klaus Graf besteht schlicht kein Bedarf für eine DFG-Förderung. Eine bezahlte Redaktion wäre ein netter Bonus, die Open-Access-Praxis zeigt aber, dass es einerseits infrastrukturelle Unterstützung durch Hochschulen (Open-Journal-Systems u.a. der Universitätsbibliothek Heidelberg gibt) und andererseits der hauptsächlich ehrenamtliche Ansatz „der beiden angekündigten deutschsprachigen OA-Journals […] moderner und zukunftsweisender“ ist. (Graf, 2014a)

Zur Frage des Reviewing positioniert sich Klaus Graf mit der Einstellung „publish first, filter later“. (Graf, 2014b) Ein „gründliches traditionelles Review” stellt dabei eine Art Erstfilter dar. Die weitere Qualitätsbewertung eines Beitrags erfolgt idealerweise als Post-Publication-Review und damit dürfte zu diesem Aspekt ein Konsens bestehen.

4. Das Problem des Nebenbei (Annette Kustos)

Anette Kustos rekurriert auf das von Eric Steinhauer eingebrachte Problem des „Wer schreibt?“  bzw. „Wer schreibt wissenschaftlich?“ und ergänzt die Debatte um die Position, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare mit einer „ständige[n] „Breitenperformance““ oftmals kaum mehr an Text zu produzieren in der Lage sind, als solchen in der wenig geliebten Form der Praxisberichte. Für eine tiefe Quellenrecherche und wissenschaftliches Ausarbeiten der Beiträge bleibt im Arbeitsalltag kaum Gelegenheit.

Sie betont zudem den Aspekt, dass die Arbeit des Publizierens in den vorliegenden Open-Access-Strukturen ohne direkte Entlohnung und quasi nebenbei, finanziert durch anderweitige Erwerbsarbeit erfolgt. Open Access, so betont sie, kann eigentlich nur funktionieren, wenn die grundsätzlichen Betriebsressourcen der Publikationsplattformen finanziert sind. Deshalb ist sie auch Mitglied im LIBREAS-Verein und unterstützt diesen mit einem Jahresbeitrag. Das Fehlen eines solch abgesicherten „institutionelle[n] Unterbau[s] mit Grundmitteln für den Fachkontext Informationswissenschaft“ könnte, so die Vermutung, im Fall von EIS der Kern des Problems sein. Ihr Best-Practice-Beispiel aus dem bibliothekarischen Bereich ist die Zeitschrift GMS Medizin-Bibliothek-Information.

5. Kommentar (Ben Kaden)

Ob die INETBIB-Diskussion um die Nichtbewilligung einer DFG-Förderung für EIS-ICP die generelle Debatte um die Publikationsstrukturen in Bibliothekswesen, Bibliotheks- und Informationswissenschaft bzw. Informationswissenschaft, die unter der Überschrift newlis eine erfreuliche intensive Kommunikation und schließlich, nicht minder erfreulich, gleich zwei konkrete Publikationsprojekte nach sich zieht, wieder intensiver aufflammt, ist nach vier Tagen noch nicht absehbar. Dass eine Diskussion stattfindet spricht aber deutlich für eine Vitalität der Fachgemeinschaft, auch wenn die TeilnehmerInnen weitgehend bekannt und von vergleichsweise geringer Zahl sind. Aus den bisherigen Stimmen lassen sich folgende Kernpaspekte extrahieren:

  • Es gibt zu wenige (gute) Autoren bzw. Beiträge.
  • Es wird zu wenig bzw. zu wenig aufmerksam und kritisch gelesen.
  • Open-Access-Publikationen sind relativ kostengünstig einzurichten.
  • Open-Access-Publizieren erfolgt fast notwendig ehrenamtlich.
  • Das Peer-Review-Verfahren sollte durch ein Post-Publication-Review abgelöst werden.
  • Eine Referateblatt, dass Forschungsergebnisse besonders aus internationalen Publikationen an das Fachpublikum vermittelt, wäre wünschenswert.

Sehr zentral aus meiner Sicht jedoch noch ein anderer Aspekt, der noch nicht expliziert wurde, aber ursächlich für viele Reibungspunkte sein dürfte: die mangelnde Abgrenzung. Genaugenommen ist es nämlich nicht unbedingt zutreffend, wenn man das geplante EIS-ICP mit LIBREAS, Informationspraxis und o-bib oder anderen bibliothekarischen Fachzeitschriften in einen unmittelbaren Zusammenhang setzt. Sowohl der geographische Zuschnitt (Europäische Union) wie auch die fachliche Konzentration (Informationswissenschaft) zielten nachvollziehbar doch vielmehr auf eine konkrete Wissenschaftsgemeinschaft und weniger auf eine Fachgemeinschaft, die bis in die Bibliothekspraxis reicht, was sich besonders bei der Art der einreichbaren Beiträge und deren Reviewing gezeigt hätte. Die Zielgruppe unterscheidet sich demnach grundlegend von der der genannten anderen Open-Access-Zeitschriften.

Herausforderung und Konkurrenz für EIS-ICP wären daher vielmehr die in der Fachdisziplin fest etablierten Titel, also Zeitschriften wie JASIST, das Journal of Documentation und sicher auch die IWP sowie eine gut sortierte Handvoll internationale Open-Access-Publikationen wie First Monday oder InformationR, in denen auch deutsche informationswissenschaftliche Autoren relative stabile und vor allem etablierte Strukturen für ihren Fachdiskurs vorfinden, in denen sie ihre Forschung kommunizieren können. Allerdings heißt es im Antrag bei der Bedarfsanalyse: „Faktisch publizieren deutsche WissenschaftlerInnen, bis auf Ausnahmen, kaum in den international führenden Journalen des Fachgebiets […]“ (Kuhlen, Womser-Hacker, 2014, S. 32) Hier eröffnet sich noch ein ganz anderes Feld für eine Debatte zur gegenwärtigen Publikationskultur der Bibliotheks- und Informationswissenschaft, dessen Bearbeitung erst einmal vertagt werden muss.

Dass sich eine Vielzahl von VertreterInnen der Fachcommunity laut Liste im Antrag (Kuhlen, Womser-Hacker, 2014) zur Mitarbeit im Editorial Board bereiterklärten mag einerseits den Netzwerkkompetenzen der Antragsteller geschuldet sein. Andererseits zeigt es dennoch mindestens, dass die informationswissenschaftliche Community einer weiteren Publikationsplattform nicht abgeneigt gegenüber steht.

Interessant wäre es natürlich, die Gutachten mit der Ablehnungsbegründung einzusehen. Die Vermutung, dass EIS tatsächlich sehr, vielleicht zu komplex und zugleich im Gegensatz zu anderen, niedrigschwelligeren Open-Access- und Nanopublikationsformen ziemlich traditionell top-down-strukturiert angelegt war, stellte sich bereits bei den Präsentationsvorträgen von Rainer Kuhlen u.a. im BBK des Berliner Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft ein und bestätigt sich auch in gewisser Weise bei der Lektüre des Antrags. Jedoch sind auch die Erwartungen und formalen Ansprüche der DFG zu berücksichtigen und zweifellos steht einem informationswissenschaftlichen Projekt ein hoher informationswissenschaftlicher Innovationsanspruch in einem solchen Antrag sehr gut zu Gesicht.

Es bleibt dabei: auch mit Informationspraxis, o-bib, LIBREAS, 027.7 und anderen Publikationen fehlt eine deutschsprachige Open-Access-Zeitschrift für die Disziplin der Informationswissenschaft. Keine der genannten Open-Access-Publikationen erfüllt die Standards, die eine Wissenschaftsgemeinschaft berechtigt an ein für sie tragfähiges Leit- und Kommunikationsmedium stellt.

Aus Sicht von LIBREAS kann ich mich der Position von Annette Kustos sehr gut anschließen: Es ist mit den vorhandenen Mitteln und auf der Basis der Beiträge die uns erreichen unmöglich, ein hartes wissenschaftliches Journal herauszugeben, wie es Walther Umstätter und Rainer Kuhlen mutmaßlich vorschwebt. Das bedeutet keineswegs, dass nicht auch auf diesem Weg wissenschaftliche und andere relevante Erkenntnisse in diesen Medien ihren Weg zum Leser finden. Bei konsequenter Anwendung wissenschaftlicher Standards wäre bei LIBREAS jedoch die Ablehnungsrate selbst des Editorial Reviews so hoch, dass wir bestenfalls alle zwei Jahre eine Ausgabe publizieren könnten. Wir haben uns dagegen entschieden und folgen lieber Klaus Grafs Devise „publish first, filter later“.

Ich habe LIBREAS unlängst in einer Diskussion als Themenseismograph bezeichnet und ich denke immer mehr, dass es das ist, was wir aktuell mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln leisten können: wir zeichnen bestimmte Aspekte und Erörterungen dazu auf, in der Hoffnung, dass sie rezipiert werden und etwas darauf folgt.

Die Einnahmen des LIBREAS-Vereins decken derzeit die technischen Grundkosten und ermöglichen uns darüber hinaus hin und wieder Veranstaltungen wie den SWiF zu unterstützen. All die Ambitionen, die zweifellos darüber hinaus bestehen, müssen derzeit zurückgestellt werden.

Wenn Walther Umstätter in seiner Mail vom 27.07. explizit auf LIBREAS eingeht, dann ist auch diese Prämissen zu berücksichtigen. Es ist keinesfalls so, dass LIBREAS sowohl newlis wie auch EIS ablehnend gegenüberstand. Ganz im Gegenteil. Mit und zu newlis gelang es in einen Dialog zu treten (u.a. auf dem frei<tag> 2012). Dass unsere Erfahrungen und Ideen für EIS offenbar wenig Relevanz besaßen, ist am Ende wahrscheinlich doch dem sehr anderen Zuschnitt geschuldet. Soweit ich beurteilen kann, stand LIBREAS als Anschlusspunkt für den Projektantrag von Rainer Kuhlen nie zur Debatte. Zum Dialog auch zu EIS waren wir dennoch jederzeit bereit und haben dies auch signalisiert. Die bereits oben zitierte Aussage Wather Umstätters

„Natürlich hätten die Mitstreiter bei LIBREAS noch weit mehr ihre Arbeit aufteilen müssen, hätten Rechte und Pflichten abgeben müssen, um die anfallende Arbeit zu schaffen, hätten einiges an Arbeit auf die Softwareebene delegieren müssen, und gerade das müsste man der DFG klar machen, wo die eigentliche Projektidee liegt, die bei Kuhlens Antrag nicht deutlich genug wurde, weil er anderenfalls hätte angenommen werden müssen.“ (Umstätter, 2014c)

wirkt daher möglicherweise etwas verzerrend. Was wir nicht wollten und was ich in meiner Antwort auf Walther Umstätter schrieb (vgl. Kaden, 2012), war zu unserer laufenden LIBREAS-Arbeit mit unseren schmalen Ressourcen große und mittlere Pläne Dritter zu bedienen.

Was die Software-Lösung angeht, sind wir mit der Github-Lösung und der Variante für Langzeitarchivierung über den e-doc-Server der Humboldt-Universität eigentlich ziemlich zufrieden. Für die anderen Spielereien benutzen wir, was an Social-Media-Komponenten üblich ist und vermissen relativ wenig. Wir verstehen uns also auch an dieser Stelle durchaus als anschlussfähig.

Auch als Organisationsform LIBREAS ist mit dem LIBREAS-Verein so offen, wie es eben geht. Wir freuen uns selbstverständlich weiterhin auch, über weitere – verlässliche und belastbare – Mitglieder der Redaktion, vor allem in den Bereichen Autorenbetreuung und Review-Management. Wir freuen uns auch über AutorInnen.

Die Idee des Referateblatts (oder Abstract-Journals), wie sie Walther Umstätter in seiner Nachricht in der INETBIB als Desiderat beschreibt, nahmen wir übrigens im LIBREAS-Weblog auf und führen sie im LIBREAS-Tumblr weiter:

„Die Seite LIBREAS.tumblr.com dient also dem Zweck, selektiv und in betont knapper Form Erkenntnisse aus dem aktuellen Publikationsgeschehen in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu sammeln, zu bündeln und sorgsam auszutaggen.“ (Kaden, 2013)

Dass wir darin nicht einmal in Richtung eines Anspruchs auf Vollständigkeit gehen und nicht ontologiebasiert erschließen, was vielleicht ein toller Anspruch und zugleich die Erwartung der Fachwelt wäre, liegt nun leider auch daran, dass unser Tag mit allem Möglichen gefüllt ist – Annette Kustos weiß, was wir meinen – und wir uns daher erlauben, nur dass zu lesen und zu referieren, was uns wirklich interessiert. Doch auch dieses Format steht prinzipiell jedem offen und über ben@libreas.eu sind Ideen und fast lieber noch konkrete Referate sehr willkommen.

(Berlin, 29.07.2014)

 

 

Quellen

Valentine Cawley (2011): An Analysis of the Ethics of Peer Review and Other Traditional Academic Publishing Practices. In: International Journal of Social Science and Humanity, Vol. 1, No. 3, September 2011. S. 205-213. DOI: 10.7763/IJSSH.2011.V1.36

Klaus Graf (2014a) Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53582.html

Klaus Graf (2014b) Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 27.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53588.html

Ben Kaden (2013) Aus der Redaktion: LIBREAS microbloggt nun auch bei Tumblr. Aber warum? In: LIBREAS.Weblog. 24.01.2013 https://libreas.wordpress.com/2013/01/24/aus-der-redaktion-libreas-microbloggt-nun-auch-bei-tumblr-aber-warum/

Ben Kaden (2012) LIBREAS als Schweigbügelhalter? Eine Position zur newLIS-Debatte. In: LIBREAS. Weblog. 04.07.2014. https://libreas.wordpress.com/2012/07/04/libreas-als-schweigbugelhalter-eine-position-zur-newlis-debatte/

Thomas Krichel (2014a): Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014 http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53570.html

Thomas Krichel (2014b): Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53584.html

Rainer Kuhlen (2014): Kein EIS. In: INETBIB, 24.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53568.html

Rainer Kuhlen, Christa Womser-Hacker (2014) Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft aus dem Programm Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme, hier zu 12.11 Elektronische Publikationen Einrichtung einer Open-Access-Zeitschrift/Publikations-, Informations- und Kommunikationsplattform. Berlin, Hildesheim: 07.01.2014. Volltext: http://www.kuhlen.name/MATERIALIEN/Projekte/RK-antrag-EIS-unter-CC-BY3-0-27072014-PDF

Annette Kustos (2014) Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 28.07.2014 http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53595.html

Philipp Mayr, Walther Umstätter (2008) Eine bibliometrische Zeitschriftenanalyse zu JoI, Scientometrics und NfD bzw. IWP. In: Information – Wissenschaft und Praxis. Jg. 59 Heft 6/7 (2008) S. 353-360. Volltext: http://www.ib.hu-berlin.de/~mayr/arbeiten/mayr-umsta_IWP08.pdf

Eric Steinhauer (2014a): Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53576.html

Eric Steinhauer (2014b)): Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53581.html

Walther Umstätter (2014a) Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53580.html

Walther Umstätter (2014b) Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 25.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53583.html

Walther Umstätter (2014c) Re: [InetBib] Kein EIS. In: INETBIB, 27.07.2014, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg53587.html

Walther Umstätter (2012) Re: [InetBib] BIBLIOTHEKSDIENST erscheint bei De Gruyter: Stellungnahme der BID. In: INETBIB, 02.07.2012, http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg47944.html