Wencel/Telefonie in konvergenten Netzen..
Wencel, K.: Telefonie in konvergenten Netzen ist besonders gefährdet. In: iwp 57 (4) S.231-233 (2006)
Wer noch nichts über Pharming, Phreaking, Phishing,Spit, Clipping, DoS oder Voice-Bombing gehört hat, erfährt hier, dass er IDS, bzw. das SRTP (Secure Realtime Transport Protocol) von Siemens braucht. Ob diese Aussage einer Reklame, oder der Veritologie entsprechend, ein Faktum ist, wird sich noch erweisen müssen. Wobei in der Wissenschaft schon seit langem Veritologie auf lange Sicht die beste Reklame ist. Messinstrumente, Reagenzien oder auch Medikamente verkaufen sich, wenn wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sie eindeutig am präzisesten, zuverlässigsten oder am wirksamsten sind. (W. Umstätter)
Nacke/Veritologie…
Nacke, O.: Veritologie – Wahrheitskunde: ein neuer Name für eine neue Disziplin. In: iwp 57 (4) S.226-229 (2006)
Veritologie ist eine neue Wissenschaft, wenn die herkömmliche Wissenschaft es aufgegeben hat, rücksichtslos nach Wahrheit zu suchen, weil immer mehr Wissenschaftler, oder besser gesagt Pseudowissenschaftler, sich gezwungen sehen, das zu publizieren, was man von ihnen erwartet, im Gegensatz zu dem was sie als „Wahrheit“ erkennen. Dabei steigt das Interesse der lobbyistischen Finanziers an bestechlichen Pseudowissenschaftlern mit dem zunehmenden Gewicht der Wissenschaft bei allen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfindungen. Dies ist somit zweifellos ein wachsendes Problem, das dazu führt, dass man unter Stichworten wie fraud in science oder Wissenschaftsbetrug bei Recherchen zunehmend Treffer erzielt.
Nacke zählt 10 „Definitionen des Begriffs ’Wahrheit’“ auf. Sie kommen aus verschiedenen Kontexten und sind damit verschiedene Aspekte des Gesamtproblems, wobei die Feststellung, dass Wahrheit die „Übereinstimmung der Erkenntnis mit der objektiv-realen Wirklichkeit“ ist, den Kern wohl am ehesten trifft, denn das ist es, was eine wissenschaftliche Theorie leisten muss. Im Gegensatz zu dem oft zu hörenden Satz, „Das mag in der Theorie so sein, in der Praxis ist das ganz anders.“, handelt es sich bei dieser Aussage um eine Hypothese, die sich eben nicht verifizieren lässt, also auch nicht der Veritologie unterläge.
Der Beitrag Nackes wirft also damit die Frage auf, ob die herkömmliche Wissenschaft sich als Veritologie erneuern muss, oder, und auch das wäre denkbar, dass moderne Dokumentation sich als Veritologie versteht, die Widersprüche, Betrügereien oder einfache Fehler aufdecken hilft. Eine der wichtigsten Aufgaben der Dokumentation in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts war z.B. Doppelarbeit zu verhindern. Die Aufgabe, die Produktion von Unsinn bzw. Unwahrheit zu minimieren, ist noch immer eine klassisch bibliothekarische bzw. dokumentarische. Im allgemeinen geschah und geschieht dies in Bibliotheken und Dokumentationen schon dadurch, das vergleichbare, widersprüchliche oder auch sich ergänzende Publikationen so zusammengestellt werden, dass die Benutzer dieser Systeme sich selbst ein fundiertes Urteil bilden können. Nackes Aufruf, es wäre wünschenswert, wenn die Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis der Veritologie einen angemessenen Platz einräumen würde, ist somit durchaus bedenkenswert. (W. Umstätter)
Pasternack/Fachinformationssysteme..
Pasternack, P.: Internetgestützte Fachinformationssysteme aus dem 18.Jahrhundert? In: iwp 57 (4) S.223-226 (2006)
Die Frage ist sicher provokativ gemeint. Ist die Vorstellung bei den Fachportalen, dass alles Wissen, das relevant sein könnte, „über jeweils einen themenzentrierten Ort abrufbar sein“ sollte, „der enzyklopädischen Idee des 18. Jahrhunderts verhaftet?“ (S.223) Und führt dies zum „information overload“? Der Referent kann dieser Einschätzung nicht folgen. Denn 1. gibt es für Informationsspezialisten keinen „information overload“ sondern gerade den Mangel an zuverlässiger Information, der sie ja zwingt, mit allen Ticks relevante Informationen zu finden. 2. Die scheinbare Informationsflut entsteht bei vielen Laien nur dadurch, dass sie im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten, um die bessere Information, möglichst alles und überall suchen, was hilfreich sein könnte. 3. Die Idee der Enzyklopädisten war weniger, alle Informationen dieser Welt zusammenzutragen, als vielmehr, diese durch Vernetzung und Vergleich in möglichst verlässliches Wissen zu komprimieren.
Die „kleine Wunschliste“ (S.224-225) des Autors, dass Informationsangebote frei übersetzt, besser zugänglich, leichter recherchierbar, flexibler bei zukünftigen Herausforderungen und näher am Bedarf sein sollten, ist einerseits ohne Zweifel richtig. Andererseits fragt man sich, ist Google schwer zugänglich, nicht leicht recherchierbar, zu starr in seiner Entwicklung oder nicht am Bedarf orientiert? Nein. Es geht hier um die Fachportale. Und damit ergibt sich die Frage, warum werden diese nicht googleartig, vergoogelt oder googlig? Der Grund ist vermutlich der, dass man gerade den höheren Anspruch der Fachwelt bedienen will und muss, und das erfordert bekanntlich den Informationsspezialisten nicht nur auf der Produzentenseite, sondern auch auf der Rechercheseite. Hier hat die Stefi-Studie in die falsche Richtung gewiesen. Spitzenwissenschaft braucht mehr Informationsspezialisten und nicht Endnutzer, die als informationswissenschaftliche Laien in Google herumstochern. Denn das ist das Verführerische für Laien, wenn sie recherchieren, sie können meist nicht beurteilen, ob sie alles Wichtige, das Wesentliche, nur ein Prozent dessen oder noch weniger gefunden haben. Sobald sie etwas finden, haben sie ein Erfolgserlebnis, dass nur der Informationsspezialist zerstören kann, wenn er ihnen aufzeigt, was sie alles hätten finden können bzw. müssen. Beim Autor heißt das: „In der Unüberschaubarkeit wird der sich mündig Orientierende zwangsläufig strukturell entmündigt.“ (S.224)
Im Zusammenhang mit der Bemerkung: „Aus Sicht des Finanziers stellt sich … die Frage nach der Finanzierbarkeit …“ ist es nicht uninteressant daran zu erinnern, dass man bei der Einführung von Online-Retrievalsystemen in den siebziger Jahren festgestellt hat, dass ein Rechercheur in einer Stunde etwa das leistet, was man beim Bibliografieren in gedruckten Systemen in 24 Stunden zu leisten vermochte. Heute, bei Angeboten, die um ein Vielfaches größer sind, können wir ganz grob sagen, dass Bibliothekare durch Rationalisierungen dieser Art etwa hundertfach leistungsfähiger sind als ihre Vorfahren vor hundert Jahren. Das ist nicht außergewöhnlich, da Rationalisierungseffekte dieser Größenordnung in anderen Berufen ähnlich sind. Ein Teil dieser Einsparungen geht bekanntlich zu Lasten der Arbeitslosigkeit, ein anderer auf neue Berufe, wie Programmierer, Hardwareproduzenten, etc. Die Problematik ist natürlich noch sehr viel komplexer, wenn man bedenkt, wie viel Zeit viele Wissenschaftler mit mangelhafter Informationskompetenz bei ihren Internetrecherchen aufbringen, dies aber tun, weil sie damit noch mehr Zeit in ihrem wissenschaftlichen Wettbewerb sparen.
Wenn es also, wie der Autor schreibt, von einer „angebots-, zu einer strikt nutzerorientierten Informationsbereitstellung“ kommen soll, dann ist die Frage, wer die Nutzer sind. Wissenschaft erfordert höchste Professionalität, und den Bau von Wolkenkratzern überlässt man auch nicht den Heimwerkern, auch wenn die Baumärkte boomen. Die Entwicklung in den USA geht in Richtung QuestionPoint, Steigerung der Leistungsfähigkeit der Reference Librarians und Rationalisierung über Wissensbanken. Dies ist eine deutlich andere Position des Referenten, sie mit der Argumentation des Autors zu vergleichen bietet sich an.
(W. Umstätter)
Rosemann/Volltextabfrage…physisches Buch
Rosemann, L.: Die Volltextabfrage und das Alleinstellungsmerkmal des physischen Buches. In: iwp 57 (4) S.217-218 (2006)
Nicht ohne Grund versucht der Autor zu belegen, warum auch bei einem Buch mit Volltextretrievalangebot ein Register sinnvoll, oft sogar notwendig sein kann. Der Grund ist im Prinzip einfach. Man kann nur Gegenstände suchen, von denen man weiß, dass es sie gibt. Insofern regt ein gutes Register oft erst dazu an etwas zu suchen. Das hier aufgeworfene Problem ist aber ein anderes. Ausgehend von Google Book Search, wird mit Recht darauf hingewiesen, dass dieses Angebot sicher nicht immer kostenlos bleiben wird – spätestens, wenn die Ebene des fair use verlassen wird. Google schickt sich also an, einer der größten Verlage, Buchhändler oder auch die größte kommerzielle Bibliothek der Welt zu werden. Möglicherweise ist es dann als global paradox, alles in einem, mit vielen weltweit Mitarbeitenden, die in lockerer Abhängigkeit zum Mutterkonzern stehen. Vor dieser Konkurrenz fürchten sich mit Recht heute viele Verlage, während sich andere noch mit Vorstellungen von Bibliotheken und deren Missbrauch eines veralteten Urheberrechts beschäftigen. Vermutlich ist dieser Nebenschauplatz wichtig, wenn sich Google Book Search in aller Ruhe entwickeln können soll.
Der entscheidende Punkt, auf den der Autor hier aufmerksam macht, ist, dass gegenüber bisherigen Volltextabfragen, man den Volltext nicht mehr lesen, durchblättern und bei Belieben ausdrucken kann. Die neuen Angebote trennen die Möglichkeit, jedes Wort zu suchen davon, diese Worte auch in einem oft notwendigen Kontext lesen zu können. Der Trend, für alles Gefundene, und auch das nicht Gefundene, zu zahlen, steigt weiter an. Wie das geschieht, wird kurz angedeutet, mit dem Fazit: „Der Paradiespförtner wird sicherlich irgendwann ein Eintrittsgeld verlangen.“
Wie weit dabei Register die Qualität erhöhen, ist sicher eine interessante Frage. Möglich ist es. Sicher ist auch, dass die Verstimmung von Informationskäufern, bzw. Erwerbern von Dokumentnutzungsrechten, steigt, wenn sie zunehmend die Erfahrung machen, dass das, was sie suchen, und dass was sie erhalten, nicht übereinstimmt und somit den Preis nicht Wert ist. (W. Umstätter)
Currás/Informationism and neural information assimilation
Currás, E.: Informationism and neural information assimilation. In: iwp 57 (4) S. S.203-210 (2006)
Dass Information nicht nur ein wichtiges Thema unserer Zeit ist, sondern ein fundamentaler Begriff der menschlichen Gesellschaft, wird hier aus sozialwissenschaftlicher Sicht von einer Chemikerin und Professorin der Informationswissenschaft in Madrid festgestellt, historisch zu belegen versucht und definitorisch verankert. Dabei geht die Autorin nicht nur zurück bis auf Sokrates und Plato, sie streift auch kurz Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Descartes u.v.a. Da man bei der Frage, was Information ist, aber immer unterscheiden sollte, was vor und was nach dem Werk von Shannon und Weaver 1949 geschrieben und gesagt wurde, ist ihr Vergleich der Zitate von Michailov, Buckland, Dretske, Hill, Henrichs, Capurro, McCrank, Katuscák, Matthaeidesová, Nováková, Zaragoça u.a. nicht uninteressant. 61 Referenzen belegen ein breites thematisches Spektrum von der Philosophie, über die Informationstheorie, zu den sozialen Aspekten, bis hin zu den „Neuronal theories“ oder der „Cosmic information“.
Warum es gerade bei den „neuronal theories“ wichtig ist, auf Shannon und Weaver als „starting point“ zurückzugehen, ist unklar. Denn diese Theorie war sicher nicht weniger der Start für die moderne Genetik mit der DNS als Informationsträger, für die Nachrichten-, Satelliten- und Computer Technik oder die Kybernetik. Erst letztere hatte dann großen Einfluss auf die Neurobiologie. Das wirklich fundamentale an der Informationstheorie war die Erkenntnis, dass Information weder Energie noch Materie ist, sondern Entropie, und dass Entropie, wie Boltzmann zeigen konnte, als eine statistische Größe Ordnung messbar machte. Dies konnten all Diejenigen die vor diesem Paradigmenwechsel lebten nicht wissen. Viele danach können es bis heute noch nicht glauben, weil Ordnung als Summe statistischer Wahrscheinlichkeiten in einem Maßsystem, das nicht wie Meter, Kilogramm oder Sekunde linear, sondern erstmals mit logarithmischer Skalierung gemessen wird, ein fundamentaleres Verständnis von Information erfordert, als das gemeinhin der Fall ist. Mit dieser Theorie ergab sich auch für die alte Wissenschaft der Semiotik (im Sinne der Kirchenväter, die die Zeichen Gottes zu verstehen suchten und der mittelalterlichen Medizin) eine völlig neue Bedeutung, weil Shannon und Weaver erkannten: „information must not be confused with meaning“. Die Bedeutung von Zeichen ist per definitionem Gegenstand der Semiotik und sie hat die Informationstheorie als Fundament. Insofern ist es in dieser Arbeit höchst interessant zu sehen, wie weit sich diese Erkenntnis, 57 Jahre nach dem publik werden der Informationstheorie, ausgebreitet hat.
Die Behauptung bezüglich der Information: „Its energetic nature is interesting.“ (S.206) findet immer wieder ihren Weg in die Publikationsorgane, obwohl es eindeutig ist, dass Information, Redundanz und Rauschen, mit der Maßeinheit bit, ein Maß für Ordnung, und nicht für Energie in Joul ist. Dass auf dieser Basis, von Informationstheorie und Semiotik, „a new area of knowledge“ (S.209), gemeint ist vermutlich era of knowledge, entsteht, ist schon heute deutlich erkennbar. Gerade darum wird es immer wichtiger, eine konsequente Wissenstheorie auf dem soliden Fundament der Informationstheorie aufzubauen.
(W. Umstätter)
Altenhöner, R./Langzeitarchvierung und –verfügbarkeit als strategische Aufgabe
Altenhöner, R.: Die Last des Erbe(n)s Langzeitarchvierung und –verfügbarkeit als strategische Aufgabe im BMBF-Projekt „Kooperativer Aufbau eines Langzeitarchivs digitaler Informationen (kopal)“ In: iwp 57 (4) S.197-202 (2006)
Dass Langzeitarchivierung ein wichtiges Thema unserer Zeit ist, steht außer Frage. Dass darum Beiträge wie dieser wichtig sind, ebenfalls. Inzwischen ist die Diskussion über Verfilmung versus Digitalisierung auch weitgehend in den Hintergrund getreten. Um so wichtiger ist es, Projekte wie kopal oder nestor zur Kenntnis zu nehmen und Abkürzungen wie DIAS, OAIS oder koLibRi in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Auffallend ist dabei zunächst, dass bei dieser Thematik Abkürzungen, wie SGML und XML im Text nicht ins Auge fallen, wenn man bedenkt, dass spätestens bei der ISO-Standardisierung von SGML klar war, dass man in den USA auf diese Auszeichnungssprache als digitaler Archivierungssprache setzte. Insofern muss man bei diesem Beitrag das Kleingedruckte lesen, wenn in drei Grafiken die Buchstaben XML immer wieder auftauchen.
(W. Umstätter)
Samulowitz/Gründungsgeschichte der … (iwp 57 – (4))
Samulowitz, H.: Zur Gründungsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation. iwp 57 (4) S.191-196 (2006)
Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten eine Diskussion darüber, ob die DGD 1941 oder 1948 gegründet wurde. Dabei ist ein Trend zu erkennen, der dazu führt, dass man die Gründung von 1941 immer weniger ignoriert und damit dieses Ereignis auch aufarbeitet. Der Hintergrund dessen ist einfach. Knüpft man an die Gründung der Nationalsozialisten 1941 in Berlin oder an die Nachkriegs-DGD 1948 in Köln an? Tatsache ist, dass man nach dem zweiten Weltkrieg mit einer nationalsozialistischen DGD nichts mehr zu tun haben wollte.
Insofern muss man sich fragen, warum hat ein erfahrene Autor wie Samulowitz das alte Thema nun noch einmal aufgearbeitet.(1)
Er hat dabei nicht nur die Einsichten von H. Arntz, E. Behrends, M. Buder, M. Komorowski, W. Ruske, G. Simon oder P. Spence Richards berücksichtigt, sondern auch auf die Rolle des 1941 stellvertretenden Vorsitzenden der DGD Maximilian Pflücke (neben dem 1. Vorsitzenden Prinzhorn) hingewiesen. Dieser war Herausgeber bzw. Chefredakteur des „Chemischen Zentralblattes“. Außerdem war er ab 1949 Professor für Dokumentation an der Humboldt-Universität zu Berlin.(2) 1951 wurde Prof. Pflücke mit dem Nationalpreis für Wissenschaft und Technik der DDR ausgezeichnet.(3) 1950 entstand in der DDR die Zentralstelle für wissenschaftliche Literatur, die 1957 wieder aufgelöst wurde und ihre Aufgaben dem Institut für Dokumentation bei der Akademie der Wissenschaften übertrug. Das Institut koordinierte die Dokumentationsstellen zentral, von denen es 1960 in der DDR 185 gab. Sein erster Direktor war Pflücke.(4)
Schon 2003 haben Samulowitz, H. und Ockenfeld, M. sehr beeindruckend darauf hingewiesen, wie sich die Dokumentation zu jener Zeit des Nationalsozialismus aufgespalten hat. Einerseits in die friedliche, die globalisierende, von LaFontaine, Otlet u.a., und andererseits in die kriegswichtige von M. Pflücke, R. Kummer und vielen anderen. Das moderne Bibliotheks- und Dokumentationswesen bekam zwei Gesichter, von dem viele eines bis heute nicht wahr haben wollen. Die Nationalsozialisten hatten die Macht des modernen Bibliothekswesens ebenso erkannt, wie u.a. Lazarsfeld, P. und Lasswell, H. in den USA, die die deutschen Tageszeitungen dokumentierten und analysierten, um kriegswichtige Erkenntnisse zu gewinnen.(6) Der Unterschied war nur der, dass man sich in Deutschland damals entscheiden musste, modernes Bibliotheks- und Dokumentationswesen mit den Nationalsozialisten zu betreiben, oder in Opposition zu beidem zu treten. Krüß sah sich in dieser Konsequenz 1945 gezwungen Selbstmord zu begehen.(7) Das ist das Problem großer Macht, sie erfordert zwangsläufig ein hohes Maß an Verantwortung.
Eine andere Alternative in solchen Situationen ist der passive Widerstand, den Prinzhorn darin erkannte, dass seine wissenschaftliche Beamtenschaft „mehr oder weniger aus Nullen“ bestand, wie er meinte.(8) Auch in der DDR gab es ohne Zweifel Menschen, die sich entscheiden mussten, die Macht des Wissens für die DDR zu nutzen, oder sich im Bibliotheks- und Dokumentationswesen stärker historisch zu orientieren – eine bibliothekarische Form des passiven Widerstands, die somit bei den Nicht-Nazionalsozialisten sichtbar wurde.
Pflücke hatte sehr deutlich erkannt, dass „ein Maximum an Wissen und Erkenntnissen aus der Feindliteratur und deren Auswertung im militärischen, wissenschaftlichen sowie industriellen Sektor erstrebt werden muß. Deswegen sei auch die Deutsche Gesellschaft für Dokumentation entstanden und der Zentralnachweis für ausländische Literatur geschaffen worden.“(9)
Man kann also die Schwäche des heutigen deutschen Bibliotheks- und Dokumentationswesen nur verstehen, wenn man die historischen Zusammenhänge kennt. Sie verschwinden aber immer mehr in den Köpfen der Nachkommenden, so dass manche heutige Situation kaum noch verständlich ist.
Wenn beispielsweise R. Havemann die Einbeziehung der alten DGD in ein modernes Dokumentationswesen 1945 ablehnte, versteht man, warum die Nachkriegs-DGD sich auch in Westdeutschland immer auf ihre Gründung 1948 berief.(10) Nun, da diese janusköpfige Dokumentation, deren Publikationsorgan in Deutschland die „Nachrichten für Dokumentation“ waren, und die iwp (Information Wissenschaft & Praxis) heute ist, weitgehend sang und klanglos verstarb(11), lebt die moderne Digitale Bibliothek neu auf. Aber auch in ihr wird man die Frage klären müssen, „Was hat der Staat im Informationswesen zu tun, und was hat er zu lassen?“(12) Das Machtpotential des Bibliothekswesens zu unterschätzen war und ist dabei immer eine große Gefahr, gleichgültig wer es nutzt oder missbraucht. Tatsache ist aber, dass wissenschaftlich dokumentiertes Wissen für bzw. gegen Menschen eingesetzt werden kann, und dass in Kriegszeiten, wenn es gegen Menschen geht, die man dann als Feinde bezeichnet, die Geheimhaltung zunimmt. Darum ist es auch wichtig daran zu erinnern, dass LaFontaine „1939 vor den Deutschen aus Belgien fliehen musste.“(13)
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Fußnoten
(1) E. Gering: Die Gründer der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (2004)
http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/gering.pdf Der Autor sieht das interessanterweise umgekehrt: „In der langen Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation … sind die im „Dritten Reich“ liegenden Wurzeln dieser Gesellschaft, soweit sie ihr gesellschaftspolitisches Umfeld betrafen, immer mehr in den Hintergrund getreten.
(2) Ockenfeld, M. und Samulowitz, H.: Libraries and Documentation in Germany: A Long-Lasting Conflict. http://www.chemheritage.org/events/asist2002/26-ockenfeld-samulowitz.pdf
(3) http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/gering.pdf
(4) http://eprints.rclis.org/archive/00004981/01/MagisterarbeitMichaelRieck.pdf
(5) Samulowitz, H. und Ockenfeld, M.: Bibliothek und Dokumentation – eine unendliche Geschichte. ipw. 54 () 453-462 (2003)
(6) Naisbitt, J.: Megatrends S. 14. Heyne Sachbuch Nr. 01/7235 (1985)
(7) Umstätter, W.: 75 Jahre Bibliothekswissenschaft – Rückblick und Ausblick, in: Petra Hauke (Hg.): Bibliothekswissenschaft – quo vadis? = Library Science – quo vadis? Eine Disziplin zwischen Traditionen und Visionen: Programme, Modelle, Forschungsaufgaben. München: Saur, (2005)
(8) Samulowitz, H. S. 195; iwp 57 (4) 191-196 (2006)
(9) Alfred Karasek: Sitzung der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation am 6.9.44.
http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/Karasek.pdf
(10) Samulowitz S.196
(11) Umstätter, W.: Bibliographie, Kataloge, Suchmaschinen. Das Ende der Dokumentation als modernes Bibliothekswesen. Bibliotheksdienst 39 (11) 1442-1456 (2005)
(12) Samulowitz S.196
(13) Samulowitz S.195
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(W. Umstätter)
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