Das liest die LIBREAS: Zu einer neuen Kolumne. Eine Einladung zur Mitarbeit
Ein Ziel des LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation ist genau das: Die Kommunikation im Feld der (vor allem deutschsprachigen) Bibliotheks- und Informationswissenschaft und des Bibliothekswesens auf unterschiedliche Weise zu fördern. Dies geschieht vor allem durch die Publikation der Zeitschrift LIBREAS. Library Ideas und auf anderen von der Redaktion genutzten Kanälen. Es soll aber ganz explizit nicht darauf beschränkt sein. Wir gehen davon aus, dass die Wissenschaft und die Praxisfelder dann grundsätzlich kompetenter und besser werden, wenn in ihnen aktiv und offen kommuniziert wird, wenn Beiträge anderer rezipiert und reflektiert werden.
Ziel der Kolumne
Auf der letzten Vereinssitzung (21.10.2017) wurde unter diesem Blickwinkel die Einrichtung einer neuen Kolumne mit dem (jetzt vorläufigen) Titel “Das liest die LIBREAS” beschlossen. Die Kolumne soll in jeder Ausgabe der Zeitschrift erscheinen. Ihr Ziel ist, einen kurzen Überblick zu Publikationen (in verschiedenen Formaten, von Monographien und Artikel über Social Media bis hin zu Konferenzen) zu geben, die jeweils in der letzten Zeit im genannten Feld erschienen sind oder für das Feld Relevanz haben. Die Zusammenstellung wird keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern subjektiv zusammengetragen: Was interessant und erwähnenswert erscheint, also auch von anderen wahrgenommen werden sollte, soll genannt werden. Ebenso soll genannt werden, was unnötig oder falsch genug erscheint, um eine kritische Perspektive zu öffnen oder bisweilen eine überflüssige Lektüre zu sparen. Es gibt zu viel zu lesen und auch uns hilft es, wenn wir Filter haben. Dabei geht es nicht um ausführliche Besprechungen, sondern um kurze Hinweise von wenigen Sätzen. Es geht um einen Überblick: Was ist da? Was sollte rezipiert werden? Was irritiert? Was ist so interessant, dass man es herausheben sollte? Was ist so uninteressant, dass man es getrost vergessen kann?

Lesesaal in der Kommode am Bebelplatz in Berlin mit dem sogenannten Lenin-Fenster, Glasmalerei eines Künstlers namens, tatsächlich, Frank Glaser aus dem Jahr 1968, die daran erinnert, dass Lenin selbst einmal in diesem Haus Leser war. Die LIBREAS-Redaktion selbst liest dort eher selten, was unter anderem auch daran liegt, dass die Leseplätze der nun Zweigbibliothek Rechtswissenschaft sehr begehrt und meist besetzt sind. (Foto: Ben Kaden / Flickr. Lizenz: CC BY-NC 2.0)
Einladung / Aufruf zur Mitarbeit
Die Kolumne wird für Hinweise und eine Mitarbeit offen stehen. Wenn Sie der Meinung sind, eine bestimmte Publikation verdient eine Erwähnung, würden wir Sie darum bitten, eine Hinweis darauf (im Idealfall so, dass er direkt übernommen werden kann, also mit bibliographischen Nachweis und einer kurzen Begründung) an uns zu schicken. Wenn Sie mit einem Thema im gesamten Bereich der Bibliotheks- und Informationswissenschaft beschäftigt sind, in diesem regelmässig Literatur rezipieren und ebenso regelmäßig Hinweise auf interessante Publikationen liefern möchten, würden wir uns auch darüber freuen. “Das liest die LIBREAS” muss und sollte keine Kolumne der Redaktion LIBREAS. Library Ideas werden. Besser wäre es, wenn es eine der Community selber wird. Vorrangig zuständig für die Kolumne ist Karsten Schuldt, den Sie unter karsten@libreas.eu zeitschriftenschau@libreas.eu erreichen. [Die Hinweise werden in der Kolumne mit dem Namen der jeweiligen Beiträgerinnen / Beiträger gekennzeichnet.]
Stellungnahme des Vorstands des LIBREAS e.V. zur angekündigten Schließung der Düsseldorfer Informationswissenschaft.
Mit großem Erstaunen musste der Vorstand des LIBREAS-Vereins zur Kenntnis nehmen, dass die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf das Fach und den Studiengang der Informationswissenschaft als entbehrlich ansieht. (vgl. hier) Wir halten diese Sicht für einen großen Fehler.
Bereits der tägliche Blick in die Zeitungen – auch in die gedruckten – offenbart vor allem eines: Die Gesellschaft, ihre Diskurse, ihr ökonomisches Fundament, ihre kulturelle Verständigung und ihr Erkenntnisprogramm namens Wissenschaft sind mehr und mehr digitalisiert. Man kann das mögen oder nicht, es ist ein unausweichbarer und unumkehrbarer Trend, der gerade deshalb umso mehr gestaltet werden muss. Besonders die gegenwärtige Hilflosigkeit vieler Akteure auch in der Wissenschaft im Umgang mit dieser Transformation unterstreicht, wie notwendig es ist, sich systematisch, analytisch, verstehend und erklärend mit digitalen Phänomenen auseinanderzusetzen, um die Rahmenbedingungen und Entwicklungen adäquat begleiten zu können.
Gäbe es für diesen Erkenntniskomplex keine Wissenschaft, müsste man eine erfinden. Glücklicherweise gibt es ein Fach, das bereits mit einiger Tradition als Schnittstellendisziplin genau die Agenda zu adressieren in der Lage ist, deren Wucht erst jetzt deutlich wird. Man kann die Community der Informationswissenschaft zu Recht dahingehend kritisieren, dass sie diese Rolle bislang nicht zureichend zu kommunizieren verstand. Man kann bzw. muss sich wünschen, dass sie zukünftig aktiver, kritischer und engagierter bestimmte Fragestellungen angeht und zum Beispiel die Idee der Informationsethik wieder belebt. Was man gerade nicht kann bzw. sollte, ist, sie abzubauen.
Die anstehende Düsseldorfer Entscheidung einer Schließung scheint uns ungeachtet eventueller interner organisatorischer Überlegungen als ein zeit- und wissenschaftsblindes Signal. Es ist aus unserer Sicht nicht vermittelbar, warum man anstatt eine derart zeitgemäße Disziplin weiter aufzuwerten, auszubauen und die offensive Neupositionierung des Faches anzugehen, eine Schließung überhaupt ins Auge fasst. Der Wissenschaftsstandort Düsseldorf verspielt hier leichtfertig eine Chance.
Möglicherweise gegebene Sparzwänge sind sinnvollerweise und zwar nicht zuletzt auch aus volkswirtschaftlichen Gründen, sachlich reflektiert und nicht rein fiskalisch motiviert umzusetzen. Was im Jahr 2016 sachlich für den Abbau einer Disziplin spricht, die die Themen der Stunde adressiert, wurde bisher nicht kommuniziert.
Der LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation appelliert an die Weitsicht und Vernunft des Fakultätsrates der Philosophischen Fakultät sowie des Rektorats der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die für den kommenden Dienstag geplante Entscheidung auszusetzen und grundsätzlich zu überdenken.
Berlin, den 21.01.2016
(Die Stellungnahme wird postalisch an den Dekan der Philosophischen Fakultät,Prof. Dr. Ulrich Rosar, sowie an die Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Anja Steinbeck, übermittelt.)
Der SWiF 2014. Ein Interview mit Evelyn Dröge und Violeta Trkulja.
Im Herbst (am 14. und 15. November 2014) findet am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin der 5. Studenten-Workshop für informationswissenschaftliche Forschung SWiF 2014 statt. Aus naheliegenden Gründen unterstützt der LIBREAS-Verein die Veranstaltung sehr gern. Und das legt wiederum nah, sich mit den beiden Organisatorinnen am Institut, Evelyn Dröge und Violeta Trkulja, vorbereitend zu einem Gespräch zu treffen.

Violeta Trkulja und Evelyn Dröge auf dem Balkon des Instituts in der Dorotheenstraße.
Der SWiF-Workshop ist per Namen einer für „informationswissenschaftliche Forschung“. Er findet dieses Jahr aber am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft statt. Ist es denn auch möglich, ein bibliothekswissenschaftliches Forschungsthema vorzuschlagen?
Selbstverständlich. Wir verstehen Bibliotheks- und Informationswissenschaft als ganz und gar interdisziplinär. Bibliothekswissenschaftliche sind genauso willkommen wie zum Beispiel sozialwissenschaftliche Konzepte, die sich an Fragestellungen aus unserem Feld anbinden lassen. Die Informationswissenschaft ist hier ausdrücklich als inklusives Konzept und damit gerade nicht als ausgrenzend zu verstehen. Die Bezeichnung Bibliotheks- und Informationswissenschaft wäre dazu sogar eher zu einengend.
Warum benötigt man eine Veranstaltung wie den SWiF?
Wir haben den Eindruck, dass den Studierenden ein Format dieser Art fehlt. Auf Fachkonferenzen gibt es häufiger Veranstaltungen für Doktoranden oder für Young Information Professionals, jedoch selten für Studierende aus dem LIS-Bereich. Zudem ist dieser Rahmen häufig eher auf eine Vermittlung der Nachwuchsforschung an ein Fachpublikum gerichtet.
Die Idee des SWIF ist dagegen der direkte Austausch zwischen den Studierenden. Wir möchten, dass Studierende von unterschiedlichen Hochschulen und mit unterschiedlichen informationswissenschaftlichen Forschungsinteressen untereinander ins Gespräch kommen, sich und ihre Arbeit und nicht zuletzt auch die Studiengänge der anderen Studierenden wechselseitig kennenlernen. Von jeder Hochschule ist zudem ein Dozent als Ansprechpartner dabei. So kann man zum Beispiel auch frühzeitig bei der Promotionsplanung ermitteln, welche Hochschule sich für das eigene Thema besonders eignet.
Im Prinzip kann man den SWiF als ein Pendant zu den etablierten Formaten für Promovierende verstehen, bei dem ein fachlicher und sozialer Austausch unter Peers gefördert wird.
Im Ankündigungstext liest man von einer „Auswahl geeigneter Vorträge“. Wie gestaltet sich denn dieses Auswahlverfahren?
Die Auswahl liegt in den Händen des Organisationsteams. Allzu große Sorgen sollte sich aber niemand machen, der einen substantiellen Beitrag einreicht. Erfahrungsgemäß können fast alle Vorschläge, die fachlich relevant sind, berücksichtigt werden. Uns geht es vor allem darum, eine große inhaltliche Breite abzubilden und Studierende möglichst vieler Hochschulen zu berücksichtigen. Außerdem sollte schon ein inhaltlicher Fortschritt über eine Forschungsidee hinaus vorgestellt werden können. Was aber keinesfalls bedeutet, dass die Arbeit schon fertig sein soll. Es können übrigens nicht nur Forschungen aus dem Umfeld Bachelor- oder Masterarbeiten vorgestellt werden. Auch Projekte sind willkommen. Sogar Hausarbeiten sind, sofern sie eine gewisse inhaltliche Originalität und methodische Qualität besitzen, für uns interessant.
Der SWiF richtet sich ja an den wissenschaftlichen Nachwuchs, der sich idealerweise in das disziplinäre Feld der Informationswissenschaft, nun ja, hineinforscht. Wie beurteilt ihr generell den Zustand des Faches in Deutschland?
Dass es so ausgeprägte Metadiskussionen zu Stand und Rolle des Faches gibt, liegt möglicherweise daran, dass in der Informationswissenschaft sehr unterschiedliche Bilder von dem existieren, was „Informationswissenschaft“ eigentlich ist. Die Informationswissenschaft ist grundsätzlich äußerst interdisziplinär. Das Bild was man vom Fach hat ist dabei oft vom Standort abhängig. Gerade deshalb scheint es sehr wichtig, dass sich der wissenschaftliche Nachwuchs über Veranstaltungen wie unsere dieser Interdisziplinarität und den damit verbundenen Chancen bewusst wird. Insgesamt beschäftigt sich die Informationswissenschaft schon sehr intensiv mit der Frage, was sie eigentlich ist.
Vielleicht sollte man es mehr aus den Möglichkeiten der Verknüpfbarkeit betrachten. Die Informationswissenschaft ist ein sehr breites Feld. Die Studierenden verfügen entsprechend am Ende ihres Studiums über eine sehr große Palette an Methoden und Kompetenzen, die sie in vielfältigen Zusammenhängen einbringen können. Andererseits greift das Fach häufig Themen auf, die man so auf den ersten Blick eventuell gar nicht als informationswissenschaftlich eingeschätzt hätte, die bei intensiverer Beschäftigung damit aber wieder sehr passend erscheinen. Gerade auf Konferenzen stellt sich dieser Effekt häufiger ein.
Die möglicherweise etwas negative Stimmung hinsichtlich der übergeordneten Relevanz der Informationswissenschaft in Deutschland mag auch damit zusammenhängen, dass es keine übergeordnete institutionelle Instanz gibt, die hierzu Impulse setzt. Die DGI übernahm lange diese Funktion, scheint momentan aber mehr auf praktische Fragen konzentriert. Für die informationswissenschaftlichen Institute und die informationswissenschaftliche Forschung in Deutschland fehlt derzeit eine Vereinigung, die sie gebündelt vertritt. Vorstellbar ist, dass sich das International Symposium for Information Science (ISI) des Hochschulverband Informationswissenschaft (HI) als eine solche Plattform weiter etabliert.
Was sind eigentlich eure derzeitigen Forschungsschwerpunkte hier am Berliner Institut?
Wir beschäftigen uns in erster Linie mit Linked Open Data und Fragen des Semantic Web. Wissensrepräsentation und Ontologieaufbau sind ja zentrale Themen der Informationswissenschaft. Aus dem DM2E-Projekt (Digitised Manuscripts to Europeana) ergeben sich zahlreiche Forschungsfragen in dieser Richtung, die unsere Forschungsagenda sicher noch lange prägen werden. Deshalb freuen wir uns, dass mit dem neuen Forschungsrahmenprogramm der EU HORIZON 2020 mittlerweile noch stärker auf Nachhaltigkeit bedachte Forschungsfördermöglichkeit bestehen.
Die demnächst erscheinende Ausgabe von LIBREAS widmet sich dem Thema „Frauen und Bibliotheken“. Wie ist es eigentlich um das Thema „Frauen und Informationswissenschaft“ bestellt?
Nach dem subjektiven Eindruck verhält es sich da gar nicht so anders. Auf der mittleren Ebene, also hier unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern, sind erstaunlich viele, wenn nicht sogar überwiegend Frauen zu finden, wogegen die Professuren eher männlich dominiert sind. Interessant ist dabei die Rolle des Faches als mögliche Transferdisziplin. War und ist die Informatik weitgehend männlich geprägt, dürfte das Geschlechterverhältnis in der Bibliothekswissenschaft eher umgedreht sein. Versteht man die Bibliotheks- und Informationswissenschaft bzw. die Informationswissenschaft als Mittlerinstanz zwischen Informatik und Fragen den aus diesem Umfeld entstehenden Fragen, so kann man sie durchaus als eine Schnittstelle ansehen, die beide Welten geschlechterübergreifend besser zusammenbringt. Aus der Informationswissenschaft können mehr informatikinteressierte Studierende kommen und da wir mehr Frauen als die Informatik haben, können sich so wahrscheinlich mehr Frauen für dieses Fach interessieren. Und tatsächlich gibt es mittlerweile erstaunlich viele LIS-Studentinnen mit einem ausgeprägten Interesse für Fragen und Verfahren der Informatik.
(Berlin, 21.07.2014 / Interview und Foto: Ben Kaden)
Mondfahrer von heute. Über den Sputnikschock und Diversität.
von Ben Kaden / @bkaden
I
Eine bestimmte (=meine) Generation von Studierenden des Instituts für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin erlebte jeweils meist im ersten Semester ihren Sputnik-Schock. Und zwar in einer Vorlesung bei Professor Umstätter, der dieses Ereignis berechtigt aber soweit erinnerlich auch als einziger der Dozierenden in Beziehung zu dem setzte, was man damals unter Bibliothekswissenschaft verstand, also einer Annäherung an die Informationsversorgung vor allem als Fachinformation mit dokumentationswissenschaftlichem Schwerpunkt.
Aus diesem Zeithorizont begleitet uns das Echo der Dokumentation noch bis heute im Titel des informationswissenschaftlichen Standardhandbuchs Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation und der Leitzeitschrift Journal of Documentation. Ansonsten scheint sich das Phänomen der Dokumentation wenigstens in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft weitgehend in anderen Themen und Schlagwörtern zwischen Informations- und Wissensphänomenen, der Digital Library und dem WWW aufgelöst zu haben. Wo Vladimir Nabokov einmal die schöne Metapher für eine Organisation wählte, die „nur noch ein Sonnenuntergang hinter einem Friedhof sei“, steht über dem Konzept einer Dokumentationswissenschaft schon lang der Abendstern.
Das ist insofern etwas bedauerlich, als dass mit dem bereits vor der Jahrhundertwende zwar etwas abgetragenen aber dafür auch sympathisch unpathetischen Begriff der Dokumentation ein anschauliches Bindeglied für die Gegenstandswelt zwischen Bibliotheks- und Informationswissenschaft existierte:
Bibliotheken befassten sich mit publizierter Information und verwalteten recht grobrasternd Bestände, die Dokumentation interessierte sich für alle greifbare Information, wenn sie nur relevant genug wahr, und verwaltete diese thematisch mittels Deskriptoren (der Datenträger als Objekt war zweitrangig) und die Informationswissenschaft blickte aus einer Metaebene darauf, was Menschen mit Information machen, also auf die Prozesse die den Gegenständen von Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft vorausgehen.
Damit gab es eine klar aufgefädelte Kette und Studierende des Faches wussten, wenn sie wollten, ziemlich genau, womit sich welche Facette beschäftigt. Heute scheint es, als würde die Informationswissenschaft mehr noch als die Bibliothekswissenschaft an dieser Hürde etwas straucheln, was nicht zuletzt daran liegt, dass die digitale vernetzte Gegenwartskultur uns permanent in Mischräumen allgegenwärtiger und diverser Formen von Information, Redundanz, Rauschen und also mehr oder weniger erfolgreicher Kommunikation hält. Soziale Netzwerke wie Facebook sind dabei eigentlich nichts weiter als Radikalisierungen der Dokumentation, wobei die Größe Thema durch die Größe persönliche soziale Identität ersetzt wurde. Selbstverständlich existieren die Erschließungssysteme auf der Zugangsebene höchstens simplifiziert (dafür aber für jeden sofort erschließbar). Auf der Verwaltungsebene der Anbieter sind sie dagegen kaum für Außenstehende einsichtig aber angenommen ziemlich elaboriert.
Eine solche Vermutung scheint jedenfalls insofern naheliegend, da die eigendokumentierten und von den Betreibern zielgerichtet nacherschlossenen Datenmengen dieser Kommunikationsnetzwerke, wir wie lange ahnten und heute sogar wissen, nicht nur Basis von Geschäftsmodellen sind, sondern auch zahlreichen Geheim- und Nachrichtendiensten ein Anwendungs- und Entwicklungsfeld für gesellschaftliches Steuerungswissen bieten. Darüber, wohin wir steuern bzw. gesteuert werden, besteht derweil bei weitem nicht gleichermaßen intensiv elaboriertes Wissen. Und wenn man hört, dass die Europäische Union die Forschungsförderung im geisteswissenschaftlichen Bereich rein auf Projekte aus dem Bereich der Digital Humanities konzentrieren möchte, dann scheint das übergeordnete Interesse an solchen metafunktionalen Fragestellungen auch nicht sonderlich ausgeprägt zu sein.
II
Im Jahre 1957 und lange vor der Polyexzentrik der Postmoderne hatte man es dahingehend noch gut. Denn man besaß den Kalten Krieg mit seiner bipolaren Ordnung als Orientierungsmuster. Sein Pendant ist heute vielleicht der Krieg gegen den Terror, der allerdings, so wie die Kommunikationsstrukturen, weitaus weniger schematisch aufgegliedert wirkt und auch nicht vergleichsweise mittels (Geheim)Diplomatie verhandelt werden kann. Glaubt man der Zeitung, haben wir es eher mit neoarchaischen Lösungen (und Denkmustern) zu tun, die sich dankbar auf Hochleistungstechnologie stützen. Wir streiten derweil aber auch nicht mehr um die Entwicklung eines besseren Gesellschaftssystems, sondern für die Konsolidierung des erreichten.
Die aktuellen Überwachungspraxen spiegeln das ausgezeichnet wieder und wo früher die Auslöschung der ganzen Erde im Raum steht, bleibt heute nur die Drohung, dass jeder gerade das ein Zufallsopfer sein kann. Über diesen Umweg gelingen eine Konkretisierung der gefühlten Gefährdung und eine weitaus überzeugendere Legitimation von kontrollierenden Eingriffen in das, was man sich einmal als Privatheit erkämpft hat.
Nicht die großen Entwürfe kollidierender Gesellschaftssysteme sondern individuelle Verstrickmuster, wie man sie aus der griechischen Tragödie erinnert und die sich in bester Passung vor einem ständig raunenden Chor aus sozialen und Massenmedien entfalten, dominieren die Stories unserer Gegenwart, wobei wir uns die damit verbundenen klassischen Fragestellungen schenken und rein auf die Fakten konzentrieren. Insofern ist die Umstrukturierung der Geisteswissenschaften von der Deutung hin zur Empirie vollauf konsequent.
Nun gibt es in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Library Quarterly einen kleinen (offensichtlichen Rede-)Text, der auf den ersten Blick fast ein Stück aus der Zeit gefallen zu sein scheint. (Totten, 2013) Denn er schlägt den Bogen in eine Zeit zurück, in der Individualität an sich noch kein allzu großer gesellschaftlicher Wert war, zugleich aber sogar Naturwissenschaftler vereinzelt noch, in den Spätausläufern der Little Science, als Persönlichkeiten (bzw. Eminenzen) galten (und diese Rolle auch Anstrebten), bevor die Big Science sie in Laborteams zum Dienste der Gesellschaft zusammendampfte. Die Invertierung der erfolgten Wertzuschreibung ist soziologisch sehr interessant: Während auf der Ebene des Privaten die persönliche Entfaltung zum Maßstab erwuchs (mit allen bekannten Folgen und Neu-Vermassungen) und die Menschen reihenweise die Fließbänder verließen, entwickelte sich im 20. Jahrhundert für die Wissenschaftler der Anspruch, sich möglichst jeder Idiosynkrasie entkleidet quasi wesensnackt an die Assembly-Line zu stellen und planmäßig Innovation oder wenigstens neues Wissen Projekt für Projekt (erfolgreich) zusammenzuschrauben. Dieser Prozess entfaltet sich bis heute, wobei José Ortega Y Gasset schon wieder recht frisch wirkt, während die Forschungs- und Wissenschaftspolitik noch beschäftigt ist, ihre Moderne zu Ende zu führen.
III
Dass Herman L. Totten, u. a. Dean des College of Information der University of North Texas, Chair der iConference 2013 und Träger des Melvil Dewey Award, nun abstrakt Diversität als Vorteil herausarbeitet, hat leider rein gar nichts mit einem humanistisch geprägten Konzept der Andersheit zu tun. (siehe Totten, 2013) Sondern schlicht mit der Totalverwertung aller Verschiedenheiten zum Wohle eines übergeordneten Ganzen. Sein Einstieg ist eine Erinnerung an den Sputnik-Schock, dem er einst über das Twitter seiner Studienzeit – dem aufgeregten gemeinsamen Zeitungslesen im Wildcat Inn auf dem College-Campus – erfuhr: „Russia Launches the First Satellite!“ Die Scham über den Sieg der Sowjetunion (kurz: Russia) im Space Race der sich dereinst für die fortschrittlichere Hälfte der Welt haltenden Amerikanern, ging tief und sorgte für einige Verstörung. Wie aus – je nach Wetterlage auch buchstäblich – heiteren Himmel wurde das Selbstbild der technologisch führenden Nation erschüttert und, so fürchtete man, das Fremdbild ebenso:
„The United States was humilated. No longer would the world deem America as the superior nation in science and technology.“
Dass es dabei gar nicht mal so sehr darum ging, dass irgendwo am Himmel ein Satellit piepst und blinkt, sondern darum, dass dieselbe Raketentechnologie mutmaßlich aufwandsarm Nuklearsprengköpfe zum Zwecke der Detonation um die halbe Welt schicken konnte, erwähnt der Autor leider nicht. Vielleicht war der Atomkern des Technologiewettstreits im Kalten Krieg den Freshmen dieser Jahre aber auch nicht so bekannt.
Mit der Demütigung entfaltete sich jedenfalls eine große Verwunderung, etwa vergleichbar mit dem inneren Aufruhr des feschen Abschlussballkönigs, der zusehen muss, wie der farblose introvertierte Trottel aus der letzten Bank auf einmal Arm in Arm mit der Prom Queen aus der Ballsaal scharwenzelt – ebenfalls ein uramerikanisches Kulturnarrativ, das sich in zahllosen Generationen prägenden Teenagerfilmen findet, das jedoch heute, da diese einst gehänselten Nerds mit Mitte Zwanzig zu den reichsten Menschen des Landes gehören, weitgehend überlebt erscheint.
Im Jahr 1957 blieb die Frage im Raum:
„How could a country where the majority of the population had only learned to read and write in the last fifty years outdo the United States, the most innovative country in the world?“
Wie haben die Sowjets das gemacht? Herman L. Totten verspricht im Sommer 2013 eine Antwort zu geben und das Originelle an seiner Antwort ist, dass er die Lösung ausgerechnet in der Diversität sieht. Wobei Diversität in seiner Welt folgendermaßen beschrieben wird:
„Diversity includes gender, ethnicity, religion, cultural background, sexual orientation, age, and disabilities.“
Eine Aussage, die, da weitgehend unerläutert, dem Leser mehr als drei Fragezeichen auf den Weg gibt. Zumal die Sowjetunion der 1950er Jahre, wie sogar jeder Readers-Digest-Leser wissen konnte, schon ein paar Jahrzehnte Kulturentwicklung hinter sich hatte, die nicht unbedingt als diversitätsfördernd bekannt waren. Im Gegenteil: Zur Blütezeit Stalins vermochte man nicht selten sogar mit hochkonformen Verhalten als Diversant durchgehen und musste sich in diesem Fall glücklich schätzen, wenn man sich weiterhin in hochdruckhomogenisierten Straflagerkolonnen am Sieg des Sozialismus beteiligen durfte. Für Wissenschaftler gab es zu diesem Zweck der fortgesetzten Teilhabe, wie wir von Solschenizyn wissen, einen eigenen Höllenkreis namens Scharaschka.
Dass Russland gerade für Großprojekte vom Fern- und U-Bahn-Bau über Stahlwerke und Stauseen im Niemandsland bis zum Weltraumprogramm unbegrenzt Menschenmaterial zur Verfügung stand, das man vergleichsweise flexibel nutzen konnte, bemerkt Herman L. Totten genauso wenig, wie, dass die sowjetische Wissenschaft aus naheliegenden Gründen weitaus zentralisierter und also frühzeitig an der Kandare politisch vorgeschriebener Zielstellungen arbeitete. Das erleichterte nicht nur die Abstimmung der Forschungspläne, sondern verkürzte auch Entscheidungsketten.
IV
Für Herman L. Totten ergibt sich der sowjetische Erfolg beim Wettlauf zu den Sternen vorwiegend daraus, dass die Rote Armee (kurz: Russia) 1945 tausende deutsche Wissenschaftler und versprengte jüdische Intellektuelle („the brightest and best minds in Europe“) nach Russland brachte. „Behind the Iron Curtain, Russia abducted and exploited the brilliant minds of these people.“ Das Quantum Wettbewerbsvorteil lag also im rücksichtlosen Import vielfältiger Expertise und so verkehrt ist das gar nicht. Denn Sergei Koroljow, DER (Scharaschka erfahrene) ingenieurtechnische Weltraumpionier der Sowjetunion dieser Zeit, brachte sich tatsächlich aus Deutschland ein paar kluge Assistenten aus dem Umfeld Wernher von Brauns auf sein abgeschiedenes Forschungseiland. Von Braun dagegen fand als einer von „some [abducted] German scientists“, die aber offenbar eine vergleichsweise überschaubare Rolle spielten in Fort Bliss, Texas dank zweier Integrationsprojekte namens Overcast und Paperclip sein Aus- und Einkommen. Die deutschen Denker im sowjetischen Raumfahrt-Think-Tank durften in den 1950er wieder zurück zu ihrer Heimaterde, nachdem sie ihren Anteil zum Wettbewerbsvorteil („The advantage of harnessed diversity! This advantage always leads to success.“) beigesteuert hatten.
In der Folge des Textes erwähnt Herman L. Totten dann doch noch das Vermixen von Diversität in der sowjetischen Kultur zu etwas, was er „Soviet puree“ nennt, dem er den „tossed salad“ (offensichtlich und hoffentlich in Unkenntnis der Slang-Bedeutung dieser Wendung) der USA entgegensetzt. Spätestens hier verliert die Brücke zwischen Sputnik-Schock und Diversität vollends ihr Geländer. Was erwiesenermaßen stimmt, ist, dass die USA als Schlussfolgerung aus dem ersten menschengemachten Erdtrabanten massiv in ihr Bildungs- und natürlich Fachinformationswesen investierten. Ein Effekt war offensichtlich auch die forcierte Entwicklung des Online Retrieval (Umstätter, 2000, S. 191), was aus heutiger Sicht erstaunlich geradlinig zum Googleversum führte.
Hermann L. Totten erwähnt die enorme Steigerung der Ressourcen, die der National Science Foundation (NSF) vom Kongress zugewiesen wurden,
„to promote the progress of science; to advance the national health, prosperity, and welfare; to secure the national defense“.
Es überrascht einerseits, dass an dieser Stelle das Schlagwort “Big Science” nicht fällt und dass andererseits der Dean einer informationswissenschaftlichen Einrichtung die Folgen für die Fachinformation – unter anderem den Ausbau von Metadokumentationen wie Referatediensten – nicht erwähnt. Beispielsweise wurde die Indexierung der Chemical Abstracts in den frühen 1960er computerisiert, was im Anschluss an den von Herman L. Totten ebenfalls unerwähnten Weinberg-Report nur folgerichtig war. Denn der Bericht stellte dezidiert die potentielle Bedeutung von (standardisierten) Referate- und Nachweisdiensten heraus. (Weinberg et al., 1963, S.4) Wobei diese Erkenntnis zugegeben weniger exklusiv von Alvin M. Weinberg und seinem Team hervorgebracht wurde, sondern als generelle Notwendigkeit schlicht in der Luft lag.
Aber immerhin hatte es so die Regierung der USA auch noch einmal expliziert auf dem Tisch, genauso wie die formulierte Notwendigkeit, die Fachinformationsflüsse an zentraler Regierungsstelle um Blick zu haben – also eine Art „Planning Tool for Resource Integration, Synchronization, and Management” – von Informationsflüssen. Es liegt eine gewisse schicksalshafte Ironie in der Tatsache, dass Alvin Weinberg gut zehn Jahre später von Präsident Nixon aus seiner Wissenschaftskarriere als Kernforschungsinstitutsdirektor geworfen wurde, weil er sich zu fortschrittsbremsend-technologiefolgenabschätzend (so die Einschätzung der Regierung) bei der Entwicklung Nuklearreaktoren zeigte. Am Ende eines Tages läuft es ja trotz aller Diversitätsversprechend des „tossed salads“ auf die Frage nach der Verteilung von Entscheidungsmacht heraus.

Der Juli 1960 führte in den USA zu einigen Neuerungen. Unter anderem wurde das Prä-Touchpad Etch-a-Sketch auf den Markt gebracht. Zuvor jedoch, am 04. Juli, wurde die offizielle Flagge mit den 50 Sternen (nach dem Entwurf des 17-jährigen Robert G. Heft ), die es auch auf den Mond schaffte, erstmalig aufgezogen. Am selben Tag erschien die berühmte 4 Cent-Briefmarke (Scott-Katalog-Nummer 1153, gestaltet vom neusachlich geprägten Künstler Stevan Dehanos), produziert nach dem Monsignore des Wertzeichendrucks des 20. Jahrhunderts, Gualtiero Giori, benannten Druckverfahren (zweifarbiger Stichtiefdruck). Zwei Tage zuvor war die American Woman Issue (Scott-Nr. 1152) an den Postschaltern gelangt, die Mutter und Tochter hinter einem aufgeschlagenen Buch zeigt und als „a tribute to American women and their accomplishments in civic affairs, education, arts and industry“ dienen sollte. Die Briefmarkengeschichte ließe, wie sich zeigt, auch in diesem Fall eine wunderbare sozialgeschichtliche Zeitanalyse zu. Der gezeigte Beleg markiert nur eine Perspektive, die aber fast wie geplant die Verknüpfung von Nationalstolz, Wert der Diversität und optimierter Verwaltung kombiniert. Auf welcher Grundlage der Sender des Briefes aus Minneapolis ausgerechnet diese drei Marken wählte, ist leider nicht mehr ermittelbar. In jedem Fall griff er zu der im Juni 1981 ausgegebenen Sondermarke zum „International Year of the Disabled“ (Scott Nr. 1312) der UNO, die von der Zeichnerin und Streiterin für die Rechte Behinderter streitenden Martha Perske entworfen wurde. Interessant ist an der Marke die Betonung die Verknüpfung mit dem Erkenntnisinteresse unter dem Slogan der trotz der körperlichen Einschränkung gegebenen Befähigung. Wirklich aussagekräftig wird jedoch erst der Vergleich mit einer am 19.07.1960 ausgegebenen Briefmarke. Die vom eher für seiner Cover-Gestaltung für Groschenromane bekannten Carl Bobertz entworfene Ausgabe (Scott Nr. 1155) zeigt ebenfalls einen Mann im Rollstuhl, der jedoch nicht ein Mikroskop sondern eine Bohrmaschine bedient. Die damit verbundene Aufforderung las sich: „Employ the Handicapped“. Zur Motivation der Marke ist mir nichts bekannt. Da der gezeigte Industriearbeiter jedoch beinamputiert zu sein scheint, könnte ein Bezug zur Sorge um Kriegsveteranen vorliegen. Für unsere kleine Nebenanalyse zeigt sich in den 20 Jahren Differenz zwischen Briefmarkenausgaben aber vor allem der Schritt von der Beschäftigung in der Industrie zur Teilhabe an einer Wissenschaftsgesellschaft. Die dritte Briefmarke auf dem Beleg zeigt schließlich die von Rudolph de Harak ziemlich lieblos gestaltete Figur des Metallmagnaten Joseph Wharton, der hier als Stifter der Wharton School an der University of UPenn geehrt wurde. (Scott Nr. 1920) An die Schalter kam die Ausgabe ebenfalls im Juni 1981. Die Wharton School zählt bis heute zu den Topadressen, die man für einen MBA in Betracht ziehen kann. Die derzeit dort lehrende Professorin für Informationsmanagement, Shawndra Hill, wurde zudem in diesem Jahr dadurch international bekannt, dass sie den Beruf das „Data Scientist“ zum mutmaßlich „sexiest job of the 21st century“ erklärte. (Allerdings zitierten sie nicht alle Quellen, die über diese Aussicht berichteten, als Quelle.) So schließt sich einstweilen der Kreis vom Nationalgefühl über die Integration in Wissensgenerierungsprozesse hin zu Ökonomisierung und Big Science, die eigentlich schon immer notwendig auch Big Data war. Dass die US-Post allerdings noch eine Briefmarke zu Ehren der Big Data Scientists herausbringen wird, ist angesichts ihrer wirtschaftlich prekären Lage nicht sicher. Wenn sie es jedoch tut, wird sie deren Verwendung wahrscheinlich minutiös dokumentieren. So ist sie also selbst bereits längst im Big-Data-Business aktiv.
V
Herman L. Tottens Volte pariert diese Aspekte durch die bekannte Praxis des Ausblendens. Sein Diversitätsbegriff ist, vorsichtig formuliert, unterreflektiert. Seine Schlüsse wirken teilweise fast rührend. Die zentrale Folge des Sputnik-Schocks ist für ihn eine Öffnung des Bildungssystems „to include all races and cultures living in the United States“, was ebenfalls eine gewisse Verkürzung der Geschichte des Bildungswesens der USA darstellt. Und vielleicht dann einen Hauch schönrednerisch wirkt, wenn man sich beispielsweise an die Kämpfe um die Desegregation des Schulbesuchs erinnert, die sich etwa zeitgleich mit dem Space Race entfalteten. Die Rassentrennung an US High Schools wurde nicht aus der Erkenntnis, dass Diversität die Wissenschaft befördert, aufgehoben. Sondern schlicht weil sie verfassungswidrig war. (Brown vs. Board of Education, 347 U.S. 483 (1954))
In der aufgeräumten Argumentationswelt von Herman L. Totten liest man dagegen:
„Monies were used to promote inclusiveness, which is the embracing and harnessing of a diverse talent pool. As a result of this harnessed diversity, the United States beat the Russians to the moon! In other words, diversity is an advantage to the nation as well as an advantage to all of you who are given the opportunity of an education to promote this inclusiveness.”
Es ist nicht ganz klar, wen der Dean hier adressiert, aber sein Text liest sich insgesamt wie eine Programmrede, die er vor möglicherweise betroffen zu Boden blickenden Absolventen des mehrfach erwähnten Institute of Museum and Library Services (IMLS) hielt, dessen Weblog einen solchen Termin vermerkt. (Cherry, 2012)
Doch selbst wenn man eine solch verkürzte Darstellung der Entwicklung der amerikanischen Bildungspolitik zur Integrativität und Diversitätsförderung in einer kleinen Festansprache zugunsten eines in jedem Fall hehren Anliegens hinnimmt, bleibt unklar, warum The Library Journal diesen Holzschnitt auch noch abdruckt. Und ob Sätze wie,
„People of diverse cultures, religionsm and social status founded the United States. Do you realize that this diversity has made the United States the strongest and greatest nation on earth?”,
in den USA tatsächlich das Kriterium für „scholarship about libraries as organizations that connect their communities to information” und „ research that explores the changing roles of libraries as they pertain to the growing influence of information in policymaking, equity, access, inclusion, human rights, and other societal issues.” erfüllen, bleibt wenigstens vor dem Horizont kontinentaleuropäischer Ansprüche an einen intellektuellen Diskurs fraglich.
Es könnte freilich sein, dass die Perspektive auf den Text durch eine mangelnde Kenntnis der lokalen Bedingungen in Denton, Texas verzerrt sind und dass die Aversion gegen Superlative bündelnden Aufbruchsappelle wie
„[b]y embracing diversity you will become a part of strongest nation in the world’s quest for knowledge, security, and peace.”
aus dem Ennui eines sehr diversitätsgeforderten Berliner Alltags resultiert. In jedem Fall gibt es die iConference 2014 an der Berlin School of Library and Information Science unter dem denkbar um Lokalkolorit bemühten Motto „Breaking down walls“ und Beiträge wie der von Herman L. Totten deuten die Möglichkeit eines kommenden kräftigen Kulturschocks mehr als an.
(Berlin, 04.07.2013)
Literatur
Brown et al. vs. Board of Education of Topeka et al. (1952-1954) Appeal from the United States District Court for the District of Kansas. No. 1 Entscheidung vom 17. Mai 1954, http://caselaw.lp.findlaw.com/scripts/getcase.pl?court=US&vol=347&invol=483
Kevin Cherry (2012) Things are Going SWIM-ingly Out West. In: UpNext: The IMLS-Blog. 07.12.2012, http://blog.imls.gov/?p=2009
Herman L. Totten (2013) The Advantages of Diversity. In: Library Quarterly. Vol. 83, No. 3, S. 204-206. http://www.jstor.org/stable/10.1086/670694
Walther Umstätter (2000) Die Nutzung des Internets zur Fließbandproduktion von Wissen. In: Klaus Fuchs-Kittowski, Heinrich Parthey , Walther Umstätter, Roland Wagner-Döbler (Hrsg.) Organisationsinformatik und Digitale Bibliothek in der Wissenschaft: Wissenschaftsforschung Jahrbuch 2000. Berlin: Gesellschaft für Wissenschaftsforschung 2010. S. 179-199 / 2. Auflage 2010 verfügbar unter http://www.wissenschaftsforschung.de/JB00_179-200.pdf
Alvin M. Weinberg / The President’s Science Advisory Committee (1963) Science, Government, and Information. The Responsibilities of the Technical Community and the Government in the Transfer of Information. Washington: US. Government Printing Office
En Vague? Ein Beitrag zur Methodendiskussion in der Bibliothekswissenschaft.
Ein Kommentar von Ben Kaden
Die Frage nach der wissenschaftlichen Methode in der Bibliothekswissenschaft ist in gewisser Weise die Urdebatte des Fachs und wer sich dafür interessiert, findet in der morgigen Ausgabe des Berliner Bibliothekswissenschaftlichen Kolloquiums am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität möglicherweise die Gelegenheit, an der Fortsetzung selbiger teilzuhaben. Vier etablierte Protagonisten des Fachs – Simone Fühles-Ubach, Petra Hauke, Michael Seadle, Konrad Umlauf – präsentieren das Handbuch Methoden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (Berlin: DeGruyter, Mai 2013, Verlagsseite zum Titel, Inhaltsverzeichnis als PDF). LIBREAS wird sich sicher dem Titel nach Möglichkeit ausführlicher widmen und widmen müssen. Allerdings liegt er uns noch nicht vor.
Verfügbar ist jedoch ein Blogbeitrag des Mitherausgebers Michael Seadle, den dieser zu Beginn des Monats in seinem Weblog Digital+Research=Blog publizierte. Vermutlich nicht ohne Schnittmenge zu seinem Beitrag im erwähnten Handbuch (Entwicklung eines Forschungsdesigns) formuliert er dort eine kleine Handreichung Finding a research question.
Wer seine Veranstaltungen am Institut kennt, weiß, dass für ihn als Bibliothekswissenschaftler völlig zu Recht die Methode und die Forschungsfrage im Zentrum der wissenschaftlichen Arbeit stehen. Besonders gilt dies für Abschlussarbeiten und Promotionen. Leider tut er dies offensichtlich nicht nur völlig zu Recht, sondern erachtet es auch als völlig zureichend für die wissenschaftliche Arbeit. Er unterscheidet sich damit jedoch in einem zentralen Aspekt wesentlich von dem, was ich für die Wissenschaft Bibliothekswissenschaft als entscheidend erachte.
Zu Beginn seines Blogpostings schreibt Michael Seadle:
„Many students start with a topic that they would like to research. This is natural, but in some ways secondary to the process of scholarly writing.“
Am Ende betont er:
„The topic matters only in so far as data are available and the research method can reasonably apply. Topics are temporary and can change with the seasons. Good research questions grow ultimately out of the intersection of scholarly methods and quality data. „
Beides verweist auf eine erhebliche Reduktion der Rolle von Wissenschaft, die sich einzig nach einer schematischen Durchführbarkeit richtet. Das Thema ist – bestenfalls – nachgeordnet, weitgehend austauschbar und ergibt sich in jedem Fall von selbst.
Steht einmal eine Methode („In graduate school I settled on a set of ethnographic tools, which I have used and reused over the decades.“), dann kann man jeden verfügbaren Datensatz damit durchpflügen. Die Forschungsfrage ergibt sich von selbst und sollte möglichst geradlinig beantwortbar sein:
„The best research questions for a thesis are ones with a straightforward answer. I generally recommend a yes/no question, or one that has a quantitative answer, or one that is a choice among reasonable alternatives. These are not the only possible research questions, but questions involving complex issues about „why“ or even „how“ tend to be beyond the scope and experience of even the cleverest doctoral students. The virtue of a yes/no type question is that the student can make a clear choice. A thesis with a vague answer is not a contribution to knowledge, while even a very narrowly stated and highly qualified yes/no answer can be a reasonable step forward.“
Man kann dies durchaus als praktikable Lebenshilfe für den herausgeforderten Promovenden verstehen. Es führt aber gerade in einen Zustand, der für mich exakt nicht der Sinn einer wissenschaftlichen Tätigkeit im 21. Jahrhundert sein kann. Nämlich in ein Funktionshandeln, in einen angepassten und schematischen Wissenschaftsvollzug, in dem ein selbstkritisches Hinterfragen genauso wenig verankert ist, wie eine auf übergeordnete Kontexte der gesellschaftlichen Wirkung von Wissenschaft gerichtete Reflexion.
Michael Seadle schreibt selbst und zutreffend:
„Having a method means absorbing a way of thinking.“
und scheint kein Problem darin zu sehen, dass die absorbierende Anpassung an bestimmte Denkstile (also gerade nicht kritische Elaboration und Anerkennung) die Handlungsweise ist, die zu Ideologisierungen führt. Damit ist – siehe die Frage des „Topics“ oben – nicht einmal an inhaltlichen oder wertspezifischen Aspekten orientierte, sondern eine reine Formalideologie gemeint. Nach meinem Verständnis ist die Aufgabe der Wissenschaft aber gerade der Versuch, jede Form von Ideologisierung, auch die der Funktionalisierung, und den daraus entstehenden Folgen, zu unterlaufen.
Wissenschaftshandeln ist für mich entsprechend politisches und wertorientiertes Handelns in dem Sinne, dass es nicht nur auf die eigene interne Stimmigkeit und das Funktionieren in diesen geschlossenen der Institute und Fachcommunities begrenzt ist, sondern mit jeder Forschungsfrage auch die Richtungsfrage stellt: Wie wirkt das, was ich erarbeite, auf die Gesellschaft, als deren Teil ich handele und – auch das und nicht nur ökonomisch gesehen – in deren Dienst ich stehe und für die ich, in dem ich die von mir übernommene Rolle des wissenschaftlichen Tätigseins auch Verantwortung trage?
Während Bibliotheken als Institutionen ganz offensichtlich ihre gesellschaftliche Aufgabe ohne Berührungsängste thematisieren, liegt nach meiner Beobachtung die große Schwäche der Bibliotheks- und auch der Informationswissenschaft in Deutschland darin, dass sie zu weit von der sie umgebenden gesellschaftlichen Umwelt entkoppelt, agieren.
Dass man den Studierenden des Faches ihr wissenschaftliches Handeln auf die Ideallinie der Binärmuster verengt (yes/no) und zudem die epistemologisch unhaltbare These präsentiert, dass Vagheit, nicht zu verwechseln mit Beliebigkeit und eher synonym mit Offenheit, sowie dem Eingeständnis, dass Unschärfe zu komplexen Systemen und ihrer Betrachtung unvermeidlich gehört, keinerlei Belang für die Wissenskultur haben kann, erscheint mir jedenfalls nicht angemessen für eine zeitgemäße Bibliothekswissenschaft. Offen gesagt sogar eher als schädlich.
Allerdings vertraue ich auf die Weltgewandtheit und Intellektualität der Studierenden dieses Faches und darauf, dass sie der wissenschaftlich nicht untypischen Tendenz einer kritischen Opposition zu ihren Lehrern folgen. Das Entscheidende ist dabei sicherlich, wie der Ausbildungsapparat mit seiner systemgemäßen Asymmetrie der Machtverteilung bereit ist, von den Leitlinien – zum Beispiel den Michael Seadle’schen – abweichendes Denken anzuerkennen. Einer dynamischen und lebendigen Disziplin wäre jedenfalls anzuraten, die Außenposten ihres Denkens mindestens genauso zu fördern, wie den linientreuen Forschungsmainstream.
Mir teilte Michael Seadle übrigens einmal für eine Arbeit bei ihm mit, dass es für ihn auch die Derrida’sche Dekonstruktion als Methode akzeptabel wäre. So ganz habe ich mich dereinst trotz des Reizes (glücklicherweise) noch nicht darauf einlassen wollen. Auf eine bestimmte Art scheint mir aber die Dekonstruktion von Selbstverständlichkeiten genau das zu sein, was die Bibliothekswissenschaft als Methode vor dem Hintergrund der Verwandlung ihres Gegenstandes benötigt. Auch wenn am Ende erfahrungsgemäß kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch und ein Nicht-Fisch-nicht-Fleisch und in jedem Fall keine einfache, klar unterscheidbare, in Methodenzwänge formalisierbare Wahrheit stehen wird.
(27.05.2013, @bkaden)
Anmerkung: Namentlich gekennzeichnete Beiträge in diesem Weblog geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autoren wieder.
Das coole UND. Anmerkungen zur Umbenennung der DGI.
von Ben Kaden
„Die Namensänderung der DGI hat für Furore gesorgt. Das kann ich verstehen, jedoch nur aus euphorisch positiven Gründen“
schreibt Clemens Weins heute im Weblog der nun Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen (DGI). Ich sehe das nur bedingt. Furore im Sinne einer Begeisterung ist es nicht. Und Furor im Sinne wütender Proteste lässt sich in der Fachöffentlichkeit auch nicht erkennen. Treffender wären vielleicht Worte wie Kopfschütteln oder Verwunderung. Irgendwo in diesem Umfeld wäre jedenfalls meine Reaktion zu verorten.
Als Bibliotheks- und Informationswissenschaftler scheint es mir jedenfalls für Euphorie kein Anlass zu bestehen, wenn man die Informationswissenschaft streicht, um sie durch die unscharfen Ausdrücke „Information“ und „Wissen“ zu ersetzen. Möglicherweise muss eine „agile“, also laut Duden „regsame und wendige“, DGI diesen Schritt gehen, um damit ihre Agilität bzw. Augenhöhe zur Zeit zu beweisen. Eventuell ist sie damit ihrer Zeit auch voraus, wenn mit ihr ein „Paradigmenwechsel […] vom institutionellen Denken zum inhaltlichen Austausch“ angestrebt wird und man annimmt, dass strenge Wissenschaftlichkeit durch das Kriterium des pragmatischen Passens abgelöst wird. Das setzt voraus, dass sich die Grenzen von Wissenschaft und Praxis tatsächlich vermischen und man hat wenig Möglichkeiten, entsprechende Anzeichen zu ignorieren. In der Gesamtschau wäre dies das Ende der Wissenschaft, wie wir sie kennen und vielleicht ist es auch das Schicksal der Informationswissenschaft, frühzeitig diesen Schritt zu vollziehen.
Clemens Weins bringt mit dem Beispiel der „modernen IT-Unternehmen“ das Vorbild ins Spiel. Die großen Dominanten (Google, Facebook, Apple, Amazon) verwenden nicht nur etliche Elemente, die man aus der dokumentationswissenschaftlichen Grundausbildung kennt, sie integrieren sie auch überdisziplinär mit allem, was für Netzwerkanalyse und Rückkopplungsverfahren u.ä, an Methoden zweckmäßig erscheint. Wenn man so will, haben sie und nicht etwa die Informationswissenschaft (oder die Soziologie), die Gesellschaft zur Netzgesellschaft gemacht und informationswissenschaftlich wie informationssoziologisch durchdrungen.
Eine Nebenwirkung könnte bei dieser Entwicklung sein, dass sich dabei die wissenschaftliche Disziplin Informationswissenschaft einfach auflöst zugunsten wohlklingender und pragmatischer Lösungen und zu einem Evaluations-und Think-Tank für (tatsächliche und denkbare) Informationsdienstleistungen zusammenschnurrt. Selbstverständlich machen sich Unternehmen „intern Gedanken, was neue Technologien auslösen können und stellen sich sofort den praktischen Herausforderungen“, denn davon hängt ihre Geschäftsentwicklung ab. Diese ist im Gegenzug aber auch Erkenntnis leitend. Und hier liegt der Unterschied zur akademischen Informationswissenschaft, die sich um all die Aspekte kümmern kann (und sollte), die zwar aus Sicht von Verwertung und Produktentwicklung irrelevant sind, die aber für die Gesellschaft eventuell gerade deshalb eine große Bedeutung besitzen.
Ich habe folglich Probleme, mir Wissenschaft derart unternehmerisch eingefärbt zu denken. Und gerade, wenn man wie Clemens Weins Informationswissenschaft etwas hemdsärmlig als „Soziologie der Informatik“ definiert, was ich an sich begrüße, was allerdings vor nicht allzu langer Zeit nur sehr eingeschränkt nachweisbar dem Selbstverständnis der Disziplin entsprach (vgl. Kaden, Kindling, Pampel, 2012), sollte man sich vom Kriterium der „Faszination“ lösen.
Man muss nicht mit bzw. besser nach Pierre Bourdieu „Soziologie als Kampfsport“ (vgl. z.B. Hollerstein, 2012) ansehen. Doch man sollte anerkennen, dass es vor allem um Analyse und Kritik geht, also das gezielte und systematische Infragestellen von Scheingewissheiten idealerweise auf Grundlage empirischen Materials. Das steckt in gewisser Weise schon in dem Wunsch, „Informationen fließen zu lassen und immer verstehen wollen, wie sie fließen.“ Es ist auch vereinbar mit dem Bild der „Menschen, die verstehen wollen, wie sich Gesellschaft durch neue Informationstechnologien verändert und auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern sind.“ Nur wirkt der Ausdruck „Geschäftsfelder“ hier in der Rückbindung an die Wissenschaft genauso als Splitter im Text, wie die Reduzierung der Soziologie auf die Technologie- und Methodenanalyse. Wenn Clemens Weins den entsprechenden Absatz mit der Basta-Formulierung „Damit ist alles gesagt.“ einleitet, muss er sich auch darauf hinweisen lassen, dass in seiner Darstellung neben Technologien und Methoden der Grundgegenstand der Soziologie schlicht fehlt.
Es ist wahrscheinlich Teil des Zeitkolorits, Wissenschaft stark in Hinblick auf Innovation, Spin-Off-Projekte und mögliche wirtschaftliche Verwertungsszenarien zu betreiben und zu denken. Das beißt sich allerdings mit dem Konzept der Soziologie als Wissenschaft, wie ich sie verstehe. Mehr noch: wissenschaftliche Erkenntnisproduktion ist nach meinem Verständnis gerade nicht der Fluss sondern viel mehr die Staustufe der Information. Es geht in ihr nicht um die Optimierung und Stromlinienformgebung für reibungslose Übertragung, sondern darum, das, was geschieht, in einem größeren Rahmen zu verorten. Diesen Rahmen bildet die Größe Mensch. Es geht um den Menschen, sein Handeln, die dahinterstehenden Motivationen und wie er sich im Gefüge der Handlungsfolgen bewegt. In der Informationswissenschaft wäre das dann mindestens an den Phänomenen „Information“ und „Wissen“, gern auch noch mit „Redundanz“, „Rauschen“ und „Bedeutung“ zu konkretisieren und beispielsweise auf die in letzter Zeit mehr vom Feuilleton als von der Wissenschaft reflektierten Informationsethik orientierbar. (also vielleicht eben doch im Bourdieu’schen Kampfsportstil, vgl. Hollenstein, 2012, S.68: „Soziologie ist Kampfsport, fasst Bourdieu sein wissenschaftliches Selbstverständnis […] zusammen: Selbstverteidigung der Schwachen gegen Ungerechtigkeit. Soziologie ist also für Bourdieu „per se kritisch“, sie offenbart „Geheimnisse“, der Soziologe ist ein „Störenfried“.“)
Erfahrungsgemäß wirkt bereits der Streit um die Begriffs- und Gegenstandseingrenzung deutlich bremsend (also störend). Dazu addiert sich, dass Wissenschaft, wie ich sie hier denke, vorwiegend retrospektiv arbeitet, da ihr Material erst entstehen bzw. beobachtbar werden muss, bevor sie es durchdringen kann. So ist sie selbst gerade kein Innovationsmotor. Im Ergebnis könnte sie jedoch im Wechselspiel mit der Praxis dieses Wissen über an die gestaltenden Akteure (z. B. die Praxis) weitergeben, die es beispielsweise in ihr Wissen wie einfließen lässt. Oder eben nicht.
Das gravierendste Problem der Umbenennung der DGI liegt für mich in der Reproduktion des Urproblems der Informationswissenschaft selbst: der Terminologie selbst. Es gibt keine übergreifend anerkannte Definition der Ausgangsbasis „Information“ und dem Verhältnis zum nicht minder vieldeutigen Begriff des „Wissens“. Dazu kommt seit einigen Jahren der nicht minder ambivalente Omnibus „Inhalte“, für die die DGI mittlerweile offensichtlich steht, ohne sich, so könnte man flapsig sagen, in Deutsche Gesellschaft für Inhalte benannt zu haben.
Ich schreibe dies als jemand, der die Gelegenheit hatte, bei zwei zentralen Antagonisten dieser Debatte in der deutschsprachigen Informationswissenschaft zu lernen und der dabei erkennen durfte, wie wichtig eine genaue Bestimmung des Bezugsrahmens für diese Ausdrücke ist. Diesen Rahmen finde ich in der Argumentation im Blog nicht zureichend dargestellt.
Information und Wissen sind dank ihrer Universalität äußerst divers verwendete, bisweilen einfach sehr missverständliche Konzepte. Die Einhegung auf das Feld der Informatik bzw. Informationstechnologie, also auf die bitweltlich verarbeitbare Information wäre womöglich eine gangbare Spezifizierung (wenn auch nicht die mir sympathischste). Aber das geht aus dem neuen Namen nicht vor. Den problematischeren Begriff des Wissens (laut Walther Umstätter „begründete Information“, laut Rainer Kuhlen eine Art Agens der Informationsprozess) blieben dann immer noch unbestimmt. Der Container „Inhalt“ sowieso.
Als Nicht-Mitglied der DGI kann ich ihre Umbenennung gelassen nehmen. Als Informationswissenschaftler bedauere ich dennoch die Streichung der „Informationwissenschaft“ im Namen der DGI, zumal mich der Ersatzname in keiner Hinsicht und trotz der verständlichen und engagierten Erläuterung durch Clemens Weins nicht als bessere Wahl überzeugt. Das Fach, um das es mir geht, vermag ich im neuen „und“ jedenfalls nicht mehr erkennen. Und auch was Willi Bredemeier als einen Grund zur Umbenennung anführte, überzeugt mich, offen gesagt, keinen Millimeter:
„Der neue Name klingt gut oder ist, wie ein Teilnehmer der Mitgliederversammlung sagte, „cool“.“ (Bredemeier, 2013)
(25.04.2013 / @bkaden)
Verweise
Willi Bredemeier (2013) DGI – Neuer Name verabschiedet. In: Password / passwordonline.de, 28./29.04.2013, http://www.passwordonline.de/cms/news/28.-29.-april-2013.html
Oliver Hollenstein (2012) Soziologie als Kampfsport – Pierre Bourdieu. In: dersb. (2012) Das doppelt geteilte Land. Neue Einblicke in die Debatte über West- und Ostdeutschland. Wiesbaden: Springer VS. S.67-78
Ben Kaden, Maxi Kindling, Heinz Pampel (2012) Stand der Informationswissenschaft 2011. In: LIBREAS. Library Ideas. No.20 S. 83-96 urn:nbn:de:kobv:11-100199781.
Weins, Clemens (2013): Die agile DGI – ein Club für Informationsphilosophen und -pragmatiker. In: http://blog.dgi-info.de / 04.05.2013
Anmerkung: Namentlich gekennzeichnete Beiträge in diesem Weblog geben ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autoren wieder.
Raum_SHIFT Informationswissenschaft 2013: Rückschau auf die dritte frei<tag>-Unkonferenz
Das 13th International Symposium of Information Science (ISI 2013) wird möglicherweise als die am wenigsten betwitterte Konferenz (#isi2013) des Jahres in der Statistik unter der Rubrik Sonstiges auftauchen. Und auch der an dieses Mutterschiff des Fachdiskurses angedockte Unkonferenz raum:shift information science (#frei13) litt ein wenig unter der nur schwankenden bis vollständig abgetauchten konferenzbegleitenden W-LAN-Verbindung. Dass ein lokaler Mitarbeiter der Fachhochschule Potsdam auf Nachfrage schulterzuckend entgegnete, was man denn wolle, so sei das nun mal in Institutionen mit geschlossenem Netz, tropfte etwas Wermut in die ansonsten doch sehr gelöste Stimmung dieses Freitags. Jemand anderes meinte zweckoptimistisch, dass es doch ganz gut sein, wenn sich die TeilnehmerInnen auf die Gespräche und nicht auf das Begleitrauschen im WWW konzentrierten.
Nachdem wir uns von dem Gedanken verabschiedet hatten, die Unkonferenz in einer Art Livecasting möglichst umfassend digital zu begleiten, erwies sich das als womöglich sogar günstigere Konstellation. (Dennoch hätte man selbstverständlich gern die Wahl.) Einzig die Nachbereitung ist nun für uns ein bisschen aufwändiger, da nur die schnellen Handmitschriften und die verteilten Gedächtnisse bleiben.
Die vier Sitzungen
1. Theoriebildung in der Informationswissenschaft sowie – anschließend an die Abschlussdiskussion der ISI – Informationswissenschaft im Abschwung,
2. Computer jenseits der Papiermetaphern – wie kann digitale Kommunikationstechnologie nach dem Abschied vom Ordnerverfahren aussehen,
3. vom Sinn und Unsinn der Innovation – was bewirken Begriff und Idee des Neugeschöpften in der Entwicklung der Bibliotheken,
4. die ideale Konferenz – wie kann ein zeitgemäßer Fachaustausch noch organisiert
brachten abgesehen vom handlichen vierten Thema mit den zahlreichen Ideen, mit denen man das Prinzip von Konferenzen wie der ISI in der Tat ein bisschen schärfer und kommunikativer aufbügeln könnte, hauptsächlich Dialog und Verständigung.Beides vollzog sich angenehm inkludierend, denn sachgemäß sind bei einer Unkonferenz alle Stimmen und Positionen gleich.
Bei der Üppigkeit des ersten Themas schienen sie sogar gleich klein und dass Studierende des Faches nach der Sitzung äußerten, sie würden verwirrter denn je auf ihre disziplinäre Heimat blicken, bestätigt leider, dass die Informationswissenschaft nicht als Denkkollektiv mit festen Bezugspunkten (bzw. einem verbindenden Mindset) existiert, sondern weitgehend als Omnibusbegriff, fast beliebig einparkbar zwischen Ausdrücken wie Bibliothekswissenschaft, Informationswissenschaften, Bibliotheks- und Informationswissenschaft oder auch Library and Information Science. Dass sich die Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI) die Informationswissenschaft womöglich demnächst zugunsten einer Formulierung, die irgendetwas mit „Wissen“ enthält, aus dem Namen streichen möchte, ist sicher auch kein sonderlich stärkendes Signal. In einer Welt, in der man auch einen Master in Domotronik ablegen kann, besteht aber eigentlich kein Grund, die Informationswissenschaft elementar zu hinterfragen. Eher umgedreht würde ein Schuh daraus, mit dem man in Richtung neuer Relevanz marschieren könnte: durch eine aktive Auseinandersetzung mit eben dem Mindset, zusammensteckbar aus Gegenstand, Methoden und Modellen. Es muss nicht einmal unbedingt Konsens das Ziel sein. Ein gesunder und von gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Wahrnehmung geprägter Dissens würde vorerst für die deutsche Informationswissenschaft schon einen guten Schritt darstellen. Vielleicht ist das Fach (bzw. sind seine VertreterInnen) an dieser Stelle auch einen Tick zu wenig offensiv und selbstbewusst, was eventuell auch erklärte, weshalb man sich von Nachfragen, externen Vorwürfen und generellen Unsicherheiten so furchtbar schnell bedroht zu fühlen scheint. Dabei ist Unsicherheit eigentlich erst das Movens um Wissenschaft zu betreiben.
Wie bereits auf der Sitzung geäußert, sei diesem irritierten (wissenschaftlichen) Nachwuchs als Quintessenz der Aufruf zur Eigenverantwortung und zum aktiven Eingreifen auf den Weg gegeben. Die Informationswissenschaft ist, man spürt es auf Veranstaltungen wie dieser in Potsdam besonders intensiv, ein soziales Gebilde und gerade seine ungenügende übergreifende Stabilität sollte Anlass genug sein, selbst Formen der Gestaltung zu suchen und /oder die etablierten VertreterInnen des Fachs, die sich das Label Informationswissenschaft anheften, mit diesem Label ernst zu nehmen, und einen entsprechenden Zukunftsdialog einzufordern. Bedroht sind ja weniger die Karrieren der derzeitigen Großkopfeten des Faches, sondern die derer, die derzeit grundständig überlegen müssen, ob ihnen die Informationswissenschaft überhaupt eine Perspektive bieten kann.
Der papierlose Computer ist eine Form der digitalen Datenverarbeitung bzw. der digital vermittelten Kommunikation, die sich von all den Metaphern, die uns in den Verzeichnisstrukturen und Word-PDF-u.ä.-Dateien begegnen, befreit. Die Gutenberg-Galaxis wirft aktuell mit diesen Simulakren des Papierfasernen ihre Schatten in einen Organisationsraum für Inhalte und Aussagen, in dem dies wenigstens strukturell überflüssig bis anachronistisch wirkt. Eigentlich steht aber nichts Geringeres als die Auflösung des Dokuments an. Paperless Computing setzt auf tag-basierte Strukturen und Relationen, die sich im stetigen Fluss befinden und in Applikationen wie der Google-Brille, elektronischem Geld und selbstorganisierenden Kühlschränken (a) einerseits unmittelbar an der Schnittstelle zwischen Real- und Digitalwelt als direkte Naht wirken und (b) andererseits viel stärker auf konkrete Prozesse als auf die Erzeugung bleibender Dokumente ausgerichtet sind.
Innovation ist ein Schlagwort und manchmal sogar ein Totschlagwort, das seit einer Weile nicht ganz selten aus strategischen Gründen eingesetzt werden dürfte. Eine interessante Frage ist, zu welchem Zeitpunkt der Umschlag von sehr auf Beständigkeit setzenden bibliothekskulturellen Diskursen hin zu bisweilen wie aufgescheucht wirkenden innovationssüchtigen Transformationsbestrebungen erfolgte. Der Ausdruck „Innovation“ ist im deutschen Sprachschatz erst seit etwa 1960er Jahren zu finden (vgl. diese N-Gram-Analyse). Im Bibliothekswesen schlug er mutmaßlich erst später ein. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass dort die Idee der Innovation, also der Erneuerung und Überarbeitung bestimmter Bereiche in den Bibliotheken, nicht bereits vorher existierte. Daher sind die Verwendung des Ausdrucks „Innovation“ und die Fixierung auf die Idee der „Neuheit“ in der Annäherung an das Problem zu unterscheiden.
Karsten Schuldts Anstoß in diesem Weblog und auf der Unkonferenz eröffnet naheliegend zunächst eine diskurskritische Auseinandersetzung. Darüber hinaus entstehen organisationssoziologische Fragen (Wie ist das Konzept der Innovation in der Organisationskultur verankert? Wie sollte es verankert sein?), Fragen der Innovationsfolgenabschätzung (Was geht bei einem Automatisierungsschritt oder einem Auslagern von Aufgaben verloren?) , Fragen der Benutzungsforschung (Welche Innovationen wollen die NutzerInnen? Welche nicht?) sowie übergeordnet die Frage, inwieweit Innovation als Konzept im Bibliothekswesen zureichend reflektiert ist und wo das Wort möglicherweise nur blind bis opportunistisch verwendet wird, um Aktualität vorzuspiegeln und dem Zeitgeist Genüge zu tun. Dass die Rolle der Instanz, die Innovationskritik übt (im Sinne einer differenzierenden Analyse von Innovationen, der Idee und der Verwendung des Begriffs), weniger den von erfolgreichen Projektanträgen Abhängigen zukommt und mehr einer möglichst unabhängigen Bibliotheks- und Informationswissenschaft, scheint unvermeidlich. Dass die Disziplin dieser nachkommt bzw. sich dieser überhaupt annimmt, ist dagegen bisher nur sehr selten erkennbar.
Erfreulicherweise erfüllte das Konzept der Unkonferenz frei<tag> in gewisser Weile bereits einige der Empfehlungen, die die Sitzung zur „idealen Konferenz“ formulierte. Pecha-Kucha-Präsentationen als schwungvoll-sanfter Druck zur Dynamik in Präsentationen vermögen vielleicht zusätzlich Frische ins Format zu bringen. Netzvermittelte Begleitformen wie direktes Feedback über Twitter scheinen in richtiger Dosierung sehr wünschenswert zu sein, setzen aber ein leicht zugängliches und stabiles W-LAN voraus. Die altbekannte Einsicht, dass das wirklich Interessante an solchen Veranstaltungen in den Zwischenräumen, also den Pausengesprächen, den Nachdiskussionen beim Mittagessen und der Ideensammlung bei der Zigarette (das gibt es nach wie vor) oder dem Tee entsteht, drückt sich in dem Wunsch nach mehr Freiräumen für spontane soziale Interaktion aus. Die „ideale Konferenz“ ist demnach eine, bei der Kommunikations- und Interaktionsformen sehr vielfältig sind und Workshops, Keynotes und Poster genauso umfassen, wie Gesprächsecken und Web-Streams. Sehr nachvollziehbar ist der Anspruch, dass die Vorträge in erster Linie das Publikum in seiner gesamten Bandbreite interessieren sollten und nicht hauptsächlich das sicher wohlmeinende Programmkomittee. Deshalb könnte wenigstens ein Teil der Einreichungen in einem Open Review-Verfahren abgestimmt werden. Dass warme Jahreszeiten bevorzugt und Schnee im März abgelehnt werden, überrascht kaum, lässt sich praktisch jedoch nur sehr bedingt berücksichtigen.
Wir von LIBREAS halten für uns fest, dass das Prinzip der Unkonferenz funktioniert und sich vielleicht sogar besonders dazu eignet, den sich auf Veranstaltungen wie des ISI zwangsläufig anstauenden Bedarf nach vertiefender Kommunikation in produktive Kanäle zu leiten. Der Wunsch nach einer nächsten frei<tag>-Konferenz war deutlich vernehmbar und gerade als Verein mit dem Ziel der Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation sehen wir uns hier in der Verantwortung. Wann und wie genau wir dieser Rechnung tragen, werden wir in den kommenden Wochen beraten und wie immer zeitnah in diesem Weblog kommunizieren.
Für dieses Mal danken wir sehr herzlich allen TeilnehmerInnen an der Unkonferenz frei<tag> 2013 und freuen uns über die wiederholte Erkenntnis, dass man allein per Kommunikation das Ziel eines raum:shift der Informationswissenschaft, also einer aktivierenden Bewegung in einem dem Rahmen angemessenen Umfang erreichen kann.
Wir danken zudem dem Organisationsteam der ISI 2013 für die Möglichkeit, uns derart unkompliziert in den Fluss des Symposiums integrieren zu können.

Als Tafel- und Wandbild: Die Dokumentation der frei-tag 2013 Session Informationswissenschaft.
Ben Kaden (@bkaden) / 23.03.2013
Zweite Einladung zur frei<tag> 2013: raum:shift [information science] (Potsdam, 22.03.2013)
Kurz und schmerzlos: Immer noch lädt der LIBREAS.Verein für den 22.03.2013 nach Potsdam zur Unkonferenz frei<tag> unter dem Motto raum:shift [information science] ein. (Siehe erste Einladung.) Frisch eingetroffen sind nun Postkarten, die auch direkt zu dieser Veranstaltung einladen und ab jetzt überall auftauchen können.
(In den letzten Jahren tauchten solche Postkarten unter anderen jeweils 30 Tage lang im LIBREAS-Weblog im Rahmen eines thematisch auf die jeweilige Unkonferenz bezogenen Countdown auf.)
Das Dokument in Bitstromlinienform. Sarah Dudeks Thesen zur Zukunft des Dokuments.
zu Sarah Dudek (2012): Die Zukunft der Buchstaben in der alphanumerischen Gesellschaft. Text und Dokument unter digitalen Bedingungen. In: Bibliothek Forschung und Praxis 36 (2), S. 189–199.
Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1515/bfp-2012-0023.
Preprint: http://www.b2i.de/fileadmin/dokumente/BFP_Preprints_2012/Preprint-Artikel-2012-AR-2799-Dudek.pdf )
von Ben Kaden
Ein Fach wie die Bibliotheks- und Informationswissenschaft, von dem Bibliotheks- und Informationspraxis und wenn es gut läuft auch noch andere Teile der Gesellschaft neben der Ausdeutung von Vergangenheit und Gegenwart auch Handlungsanweisungen für ihre Zukunftsplanung erwarten können, muss sich zwangsläufig mit Prognostik auseinandersetzen.
Entsprechend zahlreich findet sich das Wort „Zukunft“ in den aus dem Fach hervorgehenden Publikationen. Allein das Korpus des LIBREAS-Weblogs enthält grob gezählt 550 Erwähnungen. Unter anderem auch deshalb, weil wir uns mit der Zukunft von gestern befassen. (Die Zukunft von gestern. Ein Beitrag zur Open-Access-Debatte aus dem Jahr 1996. / Die Zukunft elektronischer Datennetze aus dem Blickwinkel des Jahres 1980. / Dietmar Daths schießpulverne Zukunft des Internet aus dem Jahr 2002. / Bibliographie als Utopie. Zu einer Position aus dem Jahr 1896. ) Das Feld ist dankbar und ergiebig, vermag doch die Beurteilung im Blick zurück mit einem nachsichtigen Lächeln leicht all das aufdecken, was stimmte und noch leichter das, wo man sich einst irrte.
Schwieriger verhält es sich mit gegenwärtigen Blicken in die Zukunft. Denn weder der, der die Zukunftsentwürfe aufzeichnet, weiß, was tatsächlich geschehen wird, noch der, der an diese Thesen glauben oder eben nicht glauben möchte. Andererseits bleiben uns doch zwei Aspekte, die eine Einschätzung der Plausibilität von Zukunftsskizzen stützen: Einerseits die zugeschriebene Wahrscheinlichkeit, die man in gewissem Umfang aus der Gegenwart und vergangenen Entwicklungslinien abschätzen kann. Und natürlich die Tatsache, dass bestimmte Richtungsentscheidungen für die Zukunft, die im Heute fallen, erst durch den Diskurs um die Zukunft ihre Orientierung erhalten. Spielen die richtigen Parameter mit den richtigen Argumenten gut zusammen, gibt es wirklich so etwas, wie selbsterfüllende Prophezeiungen. (more…)
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