Publikationsfreiheit.de, Open Access und Geisteswissenschaften.
Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
I
Der Aufruf „Publikationsfreiheit für eine starke Bildungsrepublik“ (www.publikationsfreiheit.de) war unbestreitbar eine prägendes Ereignis der Debatten und Kontroversen vor allem aber nicht nur um das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG). Er verfehlte allerdings, wie wir nun wissen, sein unmittelbares Ziel. Der Bundestag beschloss selbst angesichts der Unterschriften von Jürgen Habermas, Jürgen Osterhammel und Marlene Streeruwitz eine Neuregelung der Urheberrechtsschranken im deutschen Urheberrechtsgesetz, die dank eines Zugeständnisses an die Presseverlage kurz vor Beschluss die Reichweite der Schranken leicht begrenzen, punktuell ein paar Lücken schließen (Textmining) und sichert insgesamt die Situation, die sich aus den drei berühmten Körben der deutschen Urheberrechtsgeschichte ergab, in neuen Formulierungen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Aufruf nichts als diskursive Aquafitness war. Ganz im Gegenteil.
Das gilt in vielerlei Hinsicht. So dürfte die Vernetzung und Willensbildung im deutschen Verlagswesen und im Börsenverein des deutschen Buchhandels einen erheblichen Schub erfahren haben. Zugleich präsentiert er in hochkonzentrierter Form und im Zusammenhang mit anderen Quellen der absolvierten Urheberrechtsdebatte, wie öffentliche Auseinandersetzungen dieser Art mit welchen Narrativen unterfüttert öffentlich kommuniziert werden, wie sich welche Öffentlichkeit mobilisieren lässt und welche Akteure welche Kanäle zu aktivieren in der Lage sind. Wir wissen nun in gewisser Weise, wie vital die Beziehungen zwischen Verlagen und ihren Autorinnen und Autoren sind und wer für welche Botschaften besonders empfänglich ist.
Zugleich sind der Aufruf und seine Spuren aber auch als diskursgeschichtliche Forschungsdaten hochinteressant. Glücklicherweise ist die Seite mittlerweile auch im Internet Archive gesichert. Insbesondere die rege genutzte Möglichkeit, einen Kommentar zur Vorlage „Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil…“ zu hinterlassen, kumulierte nämlich einen außerordentlichen und einzigartigen qualitativen Datenpool zu Einstellungsmustern in Verlagswesen, Wissenschaft und Kulturproduktion gegenüber aktuellen Entwicklungen im Publikationswesen und insbesondere im wissenschaftlichen Publizieren. Spätere Analysen zum Medienwandel und seinem Echo in den 2010er Jahren werden darauf dankbar zurückgreifen. Wenngleich naturgemäß nicht repräsentativ, gibt das Material doch exemplarisch Zeugnis zur Debattenkultur unserer Gegenwart. (more…)
LIBREAS.Sommertext: Eine Postkarte aus Päwesin.
von Ben Kaden (@bkaden)
Der späte Juli ist Urlaubshochzeit, was man im ewigen Tourismus-Festival von Berlin-Mitte gar nicht so spürt, andernorts aber schon, zum Beispiel in Regionalexpresszügen Richtung Ostsee, die sehr bunte Mischungen an Menschen auf engem Raum konzentrieren. Man spürt sie aber auch an Orten wie der Bäckerei Backwahn, die leider wirklich so heißt und im an einem Sträng oder Streng genannten Kanal zwischen Beetzsee und Riewendsee gelegenen Päwesin die Kreuzung zwischen Brandenburger Straße und Dorfstraße bewacht. Zu befürchten ist freilich nicht, dass der launige Hang zum mehr oder weniger originellen Wortspiel, wie er für Frisörgeschäfte üblich wurde, nun auch das Bäckereihandwerk erreicht und man sich auf Bezeichnungen wie Back-Kuss, Laib-Back oder Back in the Days einstellen muss. Der Frisör in Päwesin heißt ja auch ganz traditionell Hairstyle & Wellness. Ihn unterscheidet von anderen Einrichtungen seiner Art neben seinem funktionalen Namen lediglich, dass hinter ihm die buddhistische Klosterschule Ganden Tashi Choeling steht. Und diese betreibt eben auch das kleine Bäckereicafé Backwahn und stellt sich damit nebenbei irgendwie auch aktiv der Schrumpfung der kleinen Gemeinde entgegen. Das milde Wortspiel des Brot- und Kuchenhandels ist zugleich deshalb halbwegs authentisch, weil die Quantität des Angebotenen die Erwartungen an eine kleine Landbäckerei tatsächlich ohne Probleme sprengt. Beeindruckend.
Von Bhagvan-hafter Erhabenheit gibt es dagegen an diesem Montag im Juli eher keine Spur, auch wenn die Nonnen bzw. in diesem Fall wohl Bhikkhuni hinter der üppigen Auslage den Schwäbischen Käsekuchen zumindest mit ernsthaft-konzentrierten Gesichtern und viel Sorgfalt, fast bedächtig einwickeln, während sich Menschen zu einer Schlange formieren, die durchaus an den Bockwurstverkauf diverser Campingplatzurlaube in der DDR gemahnt. Man sieht viel gebräuntes Bein, das in abgelaufenen Sandalen endet, ein paar sonnengerötete Nasen, weitgeschnittene Kleider und Kurzarmhemden sowie den Brauch, Brieftasche und Portemonnaie bereits in der Hand zu halten, wenn man sich einreiht, auch wenn die eigentliche Transaktion noch 10 bis 15 Minuten entfernt ist. Beliebt ist der Laden also, was nicht verwundert. Das liegt nicht nur an den Backwaren des Backwahn, die auch in ihrer Qualität erwartungsgemäß jenseits von allem liegen, was jemals auf Campingplätzen von Kagel oder Baabe zu bekommen war. Sondern auch daran, dass es der einzige Laden weit und breit ist und obendrein eine Sehenswürdigkeit, denn wo wird einem schon mal der Kaffee von Schülerinnen einer Klosterschule aufgebrüht.
Und so kommt man nur zu gern aus der Sommerfrische von Bollmannsruh oder dem Landgut in Groß Behnitz oder gar per Minibus aus Brandenburg an der Havel rüber nach Päwesin und hofft auf einen der wenigen Sitzplätze auf der überdachten Terrasse. Heute leider vergeblich, aber nebenan, fast am Fuße der sehr hübschen kleinen Kirche des Ortes gibt es an der Wendeschleife für den Havelbus die Möglichkeit, entweder im Gras oder auf der Bank der Haltestelle zu sitzen, was gemütlicher ist, als es zunächst klingt, glücklicherweise, denn der nächste Bus fährt erst in einer Stunde.
Für Kaffee und Kuchen to go braucht man natürlich nicht ganz so lange und da kommt mehr als gelegen, dass fast direkt an der Haltestelle, also in denkbar bester Position etwas gibt, was man auch aus dem Prenzlauer Berg kennt, das hier jedoch weitaus größer skaliert in den Nachmittag leuchtet: Eine öffentliche Tauschbibliothek, untergebracht in einem Bauwagen. Wenn man nichts zum tauschen dabei hat, kann man sie immerhin als Präsenzbibliothek nutzen und sie ist gar nicht mal schlecht sortiert. Jedenfalls wenn man bereit ist, über seinen Schatten in den des Wagens zu springen und sich auf etwas ältere Ausgaben einzulassen. Das Sortiment ist eine Kombination aus Literatur der DDR der 1980er und Literatur des wiedervereinigten Deutschlands der 1990er Jahre, wobei die 1980er erstaunlicherweise wenigstens gefühlt doch mehr Substanz mitbringen. Zur Urlaubszeit in Ostdeutschland passt es ohnehin besser, wenn das erste aus dem Regal gezupfte Buch ansetzt mit:
„Und weil er so müde ist, daß die Beine ihn nicht mehr tragen wollen, findet er sich an dieser schaumigen Ecke des Spielzeugmeeres, Ostsee geheißen, wieder…“
Der Beetzsee ist freilich keine Ostsee sondern ein ernsthaft schöner See, ein Libellenparadies sowieso, ein paar schöne Falter mischen sich auch noch hinein, die Luft schmeckt nach Sommer in der nahen Ferne, die Sonne heizt gut durch und die Schwalben schwingen über die stillen Feldwege, die gleich hinter dem Ort beginnen, als wäre es ein DEFA-Kinderfilm und sofort biegt die Katze Erinnerung um die Ecke und mit ihr eine Reise nach Sundevit und Sieben Sommersprossen. Den Feldweg bzw. in diesem Fall die grob gepflasterte Fischerstraße kommt allerdings keine Ferienlagerwandergruppe herunter sondern ein Trio auch aus der Ferne eindeutig als solche erkennbare Berliner Backpacker, vielleicht Anfang 20, wie man sie früher in Friedrichshain verortet hätte und heute vielleicht an den noch unpolierten Ecken von Weißensee, wobei man hier im ländlichen Straßensand besser versteht, warum sie so begeistert barfuß laufen. Vielleicht irrt man sich aber auch hinsichtlich der Verortung, allerdings schwitzen sie auch aus der Nähe betrachtet Großstadt aus jeder Pore und fahren später mit dem Bus in Richtung Anschlussbahnhof zur Hauptstadt. Zudem ist so ein Bruch des Stimmungsbildes ist auch wichtig, denn so gern man DEFA-Kinderfilmsommer als Nostalgieelement in derartige Atmosphären einstreut, so wenig möchte man sie nochmal erleben. Auch das Tauschbibliotheksbuch – Omar Saasvedra Santis‘ Erfolgbuch Blonder Tango – bricht passenderweise gleich mit der Erwartung, denn nach der Nennung der Ostsee schwimmt die Jahreszeit aus dem Juli davon und „Rogelio Astudillo steckt seine Zunge heraus, um auf ihr die Eisnadeln aufzuspießen, die vom Wasser herüberspringen.“ Und auch das: Ein Eis gibt es in Päwesin jedoch nur am Wochenende. Montags ist die Bauernstube, einziger erkennbarer Speiseeisverkauf des Ortes, im Gegensatz zur Tauschbibliothek, geschlossen.
(Berlin, 30.07.2017)
Von „sozialisierten Drucken“ zu „Raubdrucken“ (plus: Geschichte des linken Buchhandels ’68 bis in die 80er)
Zu: Uwe Sonnenberg. Von Marx zum Maulwurf: Linker Buchhandel in Westdeutschland in den 1970er Jahren (Geschichte der Gegenwart, Band 11). Göttingen: Wallstein Verlag (2. Auflage), 2016
von Karsten Schuldt
Das hier zu besprechende Buch hat an berufeneren – nämlich auf Geschichtsschreibung, Literatur- und Gesellschaftskritik fokussierten – Stellen sehr gute Kritiken erhalten (zum Beispiel hier, hier, hier und hier) und das nicht zu Unrecht. Der Autor beschreibt in dieser Dissertation – die auch in dieser Ausgabe immer noch eine solche, mit all den hunderten Fussnoten, ist – die Entwicklung des linken Buchhandels – hier gefasst als Buchhandlungen, Verlage, (Sozialistische) Verlagsauslieferung und am Rand Druckereien – in der Bundesrepublik Deutschland zwischen dem Entstehen einer eigenständigen, grossen linken Szene um 1967 bis in die früher 1980er Jahre. Diese Beschreibung ist materialreich, der Text selber etwas mehr als 500 Seiten lang. Orientiert ist die Beschreibung am Verband des linken Buchhandels (VLB), was zum Beispiel die von der DDR unterstützten Buchhandlungen der DKP (Deutsche Kommunistische Partei) ausschliesst, welche nur am Rand erwähnt werden. Nicht wirklich Thema sind zudem die Autorinnen und Autoren der Literatur, die in diesem linken Buchhandel gedruckt und verbreitet wurde.
Die untersuchte Zeit war eine, nur für die linke Szene genommen, ereignisreiche. Vom Aufbruch und der Hoffnung, dass bald alles besser wird, Ende der 1960er, über die Selbstauflösung des SDS, dass Entstehen der zahllosen K-Gruppen, deren Zerfall und dem Entstehen neuer Szenen und Infrastrukturen, insbesondere der Autonomen und des Neo-Anarchismus, der Stadtguerilla bzw. Terrorgruppen, insbesondere der RAF, bis hin zur Ausdifferenzierung der neuen sozialen Bewegungen. Auch theoretisch kein kleiner Bogen: Von der Wiederentdeckung marxistischer und anarchistischer Klassiker, inklusive der nicht-stalinistischen Traditionen und Vorläufer (Frankfurter Schule, Sexpol, Rätekommunismus, Trotzkismus etc.), über die zeitgenössischen Marxismen (Histomat und Diamat, Maoismus, Titoismus etc.) bis hin zum Poststrukturalismus und der eigenständigen Theoriebildung der neuen sozialen Bewegungen (Umweltbewegung, Feminismus in seinen unterschiedlichen Formen etc.). Oder anders: Eine Zeit mit vielen Experimenten, Bewegung, Hoffnungen, Sackgassen und Neuanfängen. Und mittendrin der Buchhandel mit Projekten, die sich als Teil dieser Bewegung begriffen, teilweise als direkt involviert, teilweise als überparteilich. Insbesondere vor den 1980ern auch immer wieder mit Versuchen, nicht einfach linke Literatur zu produzieren und zu verbreiten, sondern auch gleich die Arbeit anders zu organisieren und nicht als reinen Broterwerb zu verstehen. Der VLB als Verband machte dieses ganzen Entwicklungen auch intern mit, von massiven Aufschwung am Anfang über partei-ähnliche Strukturen und eine interne Spaltung bis hin zum Aufgehen in lokalen Netzwerken.
Erstaunlich brav
Das alles stellt der Autor dar, schon alleine durch die Zeit und die Bewegung ist es interessant. Er macht auch klar, dass das Feld der radikalen Linken – allen immer wieder auftretenden Tendenzen, es von aussen, oft polemisch, als ein gemeinsames Feld zu beschreiben – schon immer stark untereinander differenziert war. Gleichwohl ist das Buch, gerade dafür, erstaunlich brav erzählt. Nicht nur chronologisch (was sinnvoll ist, um das Material zu ordnen), sondern auch erstaunlich faktisch und kurz angebunden. Es ist nicht defamatorisch: So absurd die jeweilige Kleingruppe, über die berichtet wird, auch ist, sie wird nicht bewertet, sondern ernst genommen. (Ausser der RAF, deren Position angesprochen, aber der so viele Positionen gegenübergestellt werden, dass klar ist, dass ihre Entwicklung abgelehnt wird.) Dabei werden auch grosse Entwicklungen und Beschlüsse in wenigen Absätzen erzählt.1 Alles in allem macht das Buch, trotz seiner Dicke, einen erstaunlich gehetzten Eindruck.
Dabei verzichtet der Autor sogar darauf, die Diskussionen und Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen darzustellen. Man erfährt, dass sich (kein Witz) die KPD/ML intern in eine KPD/ML-Zentralkomitee und die KPD/ML-Zentralbüro spaltete, weil dies Einfluss auf einige Buchhandlungen hatte; aber nicht, wieso. Das muss man sich bei Interesse selber erarbeiten, genauso wie andere Differenzen und Diskussionen. Es wird zum Beispiel auch nicht hergeleitet, wie Teile der feministischen Bewegung zu der Überzeugung gelangten, dass sie eigene Frauenräume aufbauen müssten, sondern es wird einfach dargestellt, wie und wann Frauenbuchläden gegründet wurden, die diesem Anspruch folgten (was für den VLB Konsequenzen hatte, da er als Verband unter anderem den Anspruch hatte, Konkurrenz zwischen linken Buchläden auszuschliessen, während einige der Frauenbuchläden argumentierten, dass sie das durch ihren Fokus nicht tun würden, selbst wenn sie sich in der Nähe eines anderen Buchladens einrichteten). Die gesamte Darstellung ist sehr fokussiert.
Vor allem interessant, weil nicht bekannt
Es gibt in dieser Geschichte viele interessante Aspekte. Die Versuche in Buchhandlungen und Verlagen das Arbeiten anders zu organisieren, waren, trotzdem man ihnen teilweise eine grosse Naivität unterstellen will, zum Teil erstaunlich weitreichend. Der – frühe – Merve Verlag hatte zum Beispiel den Anspruch, dass nur verlegt wird, was sich auch inhaltlich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erarbeitet wurde, was zu mindestens drei Plena pro Woche, nach der eigentlichen Arbeit, führte. Andere Verlagen formulierten den Wunsch, aus der kritischen Literatur, die sie verlegten, auch selber etwas zu lernen. Es gab immer die Hoffnung auf ein nicht-entfremdetes Arbeiten im Kollektiv. Gleichzeitig gab es auch immer wieder Buchhandlungen, die sich als Agitationszentrale einzelner Gruppen verstanden.
Beachtlich auch, wie sich Buchhandlungen zu Informationspunkten der Szene entwickelten, die nicht nur Bücher verkauften, sondern eine Infrastruktur anboten und Kristallisationspunkte für die Szene darstellten.( Man ist beim Lesen unwillkürlich daran erinnert, dass Öffentliche Bibliotheken heute gerne behaupten, Zentren der Gesellschaft darstellen zu wollen und fragt sich, ob sie das je so weitgehend erreichen können, wie es der linke Buchhandel zum Teil für „seine Szene“ geschafft hat.)
Die Bibliotheken, nein eigentlich: Der Börsenverein
Bibliotheken kommen in diesem Buch kaum vor. Interessant ist vielleicht die Bemerkung, dass die Bibliothekstantiemen auch in dieser bewegten Zeit, 1973, durchgesetzt wurde, allerdings nicht vom Linken Buchhandel, sondern eher vom Verband der Schriftsteller (VdS), die an einen Diskurs, der auch den Frankfurter Buchmessen 1967 und 1968 auch durch protestierende Vertreterinnen und Vertreter der Verlage („Literaturproduzenten“) etabliert wurde – nämlich das alle am Prozess der Herstellung von Literatur Beteiligten an dieser mitwirken und von dieser profitieren sollten –, anknüpften. Auch diese Regelung ist nicht selbstverständlich, sondern hat eine Geschichte.
Eine Geschichte aus dem Buch aber ist für das Bibliothekswesen interessant, zumindest sollte sie es sein. Sie handelt vom Verhalten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, einer Vereinigung, um die Bibliotheken (in Deutschland) nicht herumkommen und zu dem sie je nach Thema ein gutes oder ein gespanntes Verhalten haben. Allein wegen dieser Geschichte lohnt sich die Lektüre des Buches, zumindest eine oberflächliche.
Bevor der linke Buchhandel sich mit eigenen Verlagen und Buchhandlungen etablierte, begann er in den Mensen der Universitäten Westdeutschlands und Westberlins mit Büchertischen. Diese waren vor allem mit – je nachdem, wen man fragt – „Raubdrucken“ oder „sozialisierten Drucken“ bestückt, Nachdrucken von (zuerst) vergriffenen oder kaum zu beschaffenden Texten, die zum Beispiel aus Bibliotheken oder Antiquariaten besorgt wurden. Später wurden auch, durchaus mit politischer Forderung, Texte nachgedruckt, die sehr wohl zu beschaffen waren, aber nach Ansicht der druckenden Kollektive zu teuer wären. Wenn die Texte zur Theoriebildung für die Revolution benötigt würden, müssten sie auch von allen gelesen werden können, nicht nur von denen, die sie sich in teuren Ausgaben leisten könnten. Zudem hätte Verlage nicht das alleinige Recht, zu bestimmen, welche Bücher veröffentlicht und nicht veröffentlicht würden. Sie beriefen sich dabei auch auf Selbstverlage wie die von Büchner, Lessing oder Klopstock.
Man kann diese Argumente als vorgeschoben bezeichnen und ihre Ernsthaftigkeit bezweifeln (was auch schon damals getan wurde), dennoch ist nicht zu bestreiten, dass diese Texte für die radikale Linke in Deutschland relevant waren. Die Dialektik der Aufklärung war 1967, aufgrund des Einspruchs von Max Horkheimer, nicht greifbar, ausser in diesen Nachdrucke. Klassische Texte des Anarchismus – oder auch nur solche zur Kommune von Kronstadt – oder der linken Opposition zur KPD in der Weimarer Republik waren nur so greifbar. Die heutige Linke mit ihren autonomen Ansprüchen ist ohne diese nicht Literatur nicht mehr vorstellbar.
Diese Nachdruckerei / Raubdruckerei etablierte sich mit der Zeit. Ganze Kollektive verschrieben sich ihr als Arbeit, die nicht so entfremdet sei, wie in der Fabrik und gleichzeitig die Revolution fördern würde. Die Kommune 1 finanzierte sich zum Beispiel zum Teil damit. Und, darauf weist das Buch auch hin, dies war keine reine Untergrund-Szene. Als sich die Kollektive etablierten – mit Adressen und Bestelllisten –, begannen auch normale Buchhandlungen bei Ihnen zu bestellen. Die Drucke zeigten ein Interesse an linker Literatur an, auf die dann einige Verlage massiv reagierten (Suhrkamp, Rowohl, Luchterhand, Europäische Verlagsanstalt). Die ersten Verlage der neuen Linken entstanden aus diesen Kollektiven, auch weil irgendwann die zu „entdeckenden“ Texte zu grossen Teilen entdeckt und neu entstandene Literatur verlegt werden sollte.
Ende der 1960er Jahre begann sich der Börsenverein des deutschen Buchhandels für das Thema zu interessieren. Zwar waren von den „sozialisierten Drucken“ vor allem selber linke und links-liberale Verlage betroffen, also bei weitem nicht alle Mitglieder des Börsenvereins, aber das hinderte ihn nicht daran, sie als Angriff auf das Copyright selber zu interpretieren. Obwohl Anfang der 1970er Jahre in der Öffentlichkeit ein eher lockerer Umgang mit dem Thema „Raubdrucke“ herrschte, arbeitete der Börsenverein daran, den Diskurs öffentlich und vor gesetzlich zu ändern. (Das erinnert nicht sehr an die Situation vor einigen Jahren, als die Musik- und Filmindustrie das eigentlich gesellschaftlich stark etablierte Kopieren (Privatkopie) von Musik und Filmen zu unterbinden suchte. Die Argumente und das Vorgehen war, wie gleich zu sehen sein wird, sehr ähnlich.)
Es wurde durch den Börsenverein ein Szenario aufgebaut, bei dem Behauptungen über angebliche Verluste von Verlagen durch den „Raubdruck“ aufgestellt wurden, die an sich nicht haltbar waren; es wurde angestrebt, im Bundesinnenministerium ein Sonderdezernat „Raubdrucke“ bilden zu lassen und es wurde ein Privatdetektiv angeheuert, der die angebliche Szene hinter den Raubdrucken ausspähen sollte. Der Diskurs wurde umgedreht: Während die „sozialisierten Drucke“ auch als Kritik am offiziellen Buchhandel gelesen werden konnten, der notwendige Bücher nicht oder zu teuer verlegte, und oft auf lokaler Initiative entstanden, malte der Börsenverein das Bild einer kriminellen Vereinigung, die nur Profitinteressen („Wirtschaftskriminalität“) hätte. Die – damals auch offen formulierte Kritik – an den Verlagen konnte so ignoriert werden.
Der geannte Privatdetektiv recherchierte tatsächlich einige Lager von „Raubdrucken“, die von der Polizei ausgehoben wurden. Der Börsenverein erklärte diese zu Teilen eines Netzwerks und legte Zahlen vor, die von mehreren Millionen DM an „Umsatzausfall“ ausgingen (indem gefundene Drucke massiv hochgerechnet wurden und – eine bestimmt noch aus den Kampagnen gegen „Raubkopien“ bekannte Argumentation – indem behauptet wurde, dass jede Person, die einen solchen Druck gekauft hätte, sonst eigentlich eine „richtige“ Ausgabe gekauft hätte). Am Ende setzte der Börsenverein seine Sicht politisch durch, konnte die implizite politische Kritik verstummen lassen und stattdessen das Bild von kriminellen Strukturen etablieren. Gleichwohl endeten die meisten Verfahren nicht, wie der ganze Diskurs um „Wirtschaftskriminalität“ vermuten liesse, in Verurteilungen, sondern oft in Freisprüchen oder wenn doch in Verurteilungen, in geringen Geldstrafen. Das Problem war nicht halb so gross, wie behauptet, aber der Börsenverein aber konnte einen Diskurs etablieren, bei dem am Ende er als legitimer Vertreter der Verlage und der Gesellschaft galt. Vielleicht unbewusst agierte er so, wie später dann die Musikindustrie.
Die linken Verlage, auch wenn sie sich gegen die Unterstellungen des Börsenvereins wehrten, waren damals oft schon längst zur Produktion eigener Titel übergegangen und mussten sich auch mit ganz anderen Problemen beschäftigen (insbesondere dem Deutschen Herbst).
Fazit
Wie schon erwähnt ist das Buch vor allem wegen der Geschichte, die es beschreibt, interessant. Es langweilt nicht, sondern hetzt die Leserinnen und Leser regelrecht durch die Geschichten und Zeiten. Selbst mit einem soliden Hintergrund in der radikalen Linken – wenn man zum Beispiel selber diese Buchläden genutzt hat und selber Geschichten über die letzten K-Gruppen erzählen kann – wird man immer wieder einzelne Gruppen, Auseinandersetzungen und Positionen anderswo nachschlagen müssen.
Am Ende versucht der Autor einen Ausblick auf die Zukunft des linken Buchhandels zu geben, der eher sehr kurz und unvollständig ausfällt. Er verweist darauf, dass bestimmte Strukturen weiter bestehen (Sozialistische Buchauslieferung), andere neu entstanden sind (Linke Buchtage in Berlin, Linke Literaturmesse Nürnberg) und sich gleichzeitig das Internet mit all seinen Möglichkeiten (zum Beispiel für das Verbreiten „vergessener“ Literatur, wie einst die „sozialisierten Drucke“) neu entwickelt hat. Das ist schon alles faktisch richtig, aber auch wenig aussagekräftig. Warum ist das jetzt da? Wieso gibt es immer wieder neue Verlage, Zeitschriften, selbst Buchhandlungen, die sich der linken Szene zuordnen lassen? Wieso die, aber nicht (kaum) noch die K-Gruppen? Es ist vielleicht nicht Aufgabe das Autors, als Historiker, das zu beantworten; es wäre eher eine Frage für einen andere Arbeit. (Was allerdings jetzt fehlt, ist eine Geschichte der linken Aufbrüche dieser Zeit im westdeutschen Bibliothekswesen. Es muss sich gegeben haben, unter anderem die Zeitschrift „Kritische Bibliothek“ (1971, 1975-1980) zeugt davon.)
1Die absurdeste ist wohl die, dass der Kommunistische Bund Westdeutschland, seinerzeit die wohl einflussreichste K-Gruppe, 1973 bis 1974 nicht nur viele Gruppen und Zirkel dazu brachte, sich ihm anzuschliessen, sondern auch viele linke Buchläden, um dann September 1974 zu bestimmen, dass diese Buchläden zu schliessen seien, da sie eine falsche Strategie darstellten (sie erreichten nicht die Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern Studierende, obwohl erste der Revolution machen sollten und deshalb anders – mit Literatur-Obmännern, wie die KPD in den 1920ern – erreicht werden mussten). Daraufhin wurden ernsthaft die meisten dieser Buchläden geschlossen, egal wie gut sie sonst funktionierten. Dieser ganze Ablauf nimmt im Buch zehn Seiten ein und ist quasi schon vorbei, bevor man das Ausmass dieses Vorgangs begreift.
Eine Ansichtskarte aus Woodstock, NY.
Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
Die Kleinstadt Woodstock, NY muss seit nun mehr fast 48 Jahren damit auseinander setzen, dass sie primär mit einem epochemachenden Musikereignis synonym gesetzt wird, das gar nicht in ihrem Stadtgebiet statt fand. In diesem Schatten schwebt zugleich ein anderes Fest, dass sich in wenigen Tagen zum 86sten Mal jährt: Die Woodstock Library Fair, deren Zweck es traditionell nicht zuletzt ist, Fundraising für die Woodstock Public Library zu betreiben und dieses Jahr das Motto „Woodstock – Citizens of the World“ trägt. Der Rahmen konnte und könnte für so eine Veranstaltung nicht besser sein. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts, besser gesagt, seit der aus Yorkshire stammende Textitelerbe Ralph Radcliffe Whitehead mit seiner Jane Byrd McCall die Künstlerkolonie Byrdcliffe begründeten, entwickelte sich die kleine Gemeinde zum Schnittpunkt äußerst weltläufigen Kunst- und Kulturschaffens, auch wenn Byrdcliffe selbst nur etwa 30 Jahre blühte. Als Echoraum (und touristische Attraktion) wirkt die Kolonie aber bis heute. Und in diesem hört man jedes Jahr im fortgeschrittenen Juli die Rummelplatzmusik des Bibliotheksstadtfestes an der Library Lane.
Wie es dort Mitte des 20. Jahrhunderts zuging, zeigt eine Ansichtskarte, die es gerade noch rechtzeitig vor dem 22. Juli in unsere Sammlung von Bibliotheksansichtskarten schaffte. Der Blick in diese offenbart zugleich, dass die Sammlungsnische des Bibliotheksfests aktuell exklusiv von diesem einem Exemplar besetzt wird. Grund genug, zukünftig aktiver Ausschau nach derartigen Zeitdokumenten zu halten.
Die Ansichtskarte wurde bei Dexter, West Nyack, NY gedruckt. Der Verlag war Bob Wyer Photocards, Delhi, NY, der nicht zuletzt für seine Ansichtskarten zu Bildungseinrichtungen bei Sammlerinnen und Sammlern bekannt und beliebt ist. Die Geschichte des Fotografen – auch der gezeigten Szenerie – Robert Selden Wyer ist dabei selbst sehr spannend. Ursprünglich Journalist u.a. für den Oneonta Daily Star wurde er von der Zeitung 1936 in gewisser Weise als Pilot für den Test erster Schritte in Richtung Fotojournalismus beauftragt. Dadurch lernte er fotografieren und wechselte in den 1940ern ganz auf dieses Feld, bald auch mit eigenem Studio. In den 1940ern Jahren erkannte sein Frau Wilhelmina, dass es lohnend sein könnte, ins Ansichtskartengeschäft einzusteigen. Was es dann auch war. Die Delaware County Historical Association berichtet, dass Bob Wyer Photocards um die 20% des Marktes für College Postcards abdeckte. Und überliefert weiterhin, dass Bob Wyer selbst schätzte, dass um die 56 Millionen seiner Ansichtskarten verschickt wurden. Im Vergleich zu den wirklich großen Herstellern bleibt das freilich überschaubar und deshalb sind sie auf dem Sammlermarkt auch nicht gerade in penetranter Häufigkeit zu finden. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Ansichtskarten an sich am Ende doch zu den Ephemera zu zählen sind und entsprechend schnell verloren gingen. Dies ist im Fall Bob Wyer auch deshalb sehr bedauerlich, weil viele der Karten trotz ihrer Rolle als Medium kurzer persönlicher Nachrichten doch durchaus mit Aufnahmen geschmückt sind, die von einem guten Auge für Komposition und den richtigen Augenblick zeugen. Gerade weil das Medium verlangt, Szenerien möglichst generisch zu fassen, lassen sich Bildwinkel und vor allem der Platzierung von Menschen im gezeigten Raum leicht Besonderheiten einschreiben. Für viele Karten Bob Wyers scheinen gewisse typische Merkmale identifizierbar, deren Erläuterung allerdings an anderer Stelle erfolgen muss.
Die Aufnahme der Woodstock Library Fair fällt in seinem Gesamtwerk nämlich ein wenig heraus und steht vielmehr in der Bildtradition der Lokalberichterstattung, wie man sie heute auch noch in der Lokalpresse findet. Es ist ein klassisches Wimmelbild, nah am Schnappschuss, wenn auch mit guter Linienführung und hinsichtlich der schwierigen Beleuchtung dadurch gerettet, dass der schattige rechte Bildrand zwei strahlende Sonnenschirme aufweist. Das Medium Buch spielt keinerlei Rolle, umso mehr das Medium der Geselligkeit, unterstrichen durch die Ballons und dadurch, dass die Festwiese wirklich gut gefüllt ist. Die Wolkenkratzerattrappe signalisiert das amerikanische Nationalgefühl, das Eckchen Haus als Gegenpol und vor allem der Bewuchs weisen die Situation allerdings als durch und durch kleinstädtisch, eventuell eher sogar ländlich aus. Ein clichéhaft – im besten Sinne – amerikanisches Sommerfest für Jung und Alt und damit ist auch die Essenz dessen erfasst, was die Woodstock Library Fair sein möchte, wie man auch dem aktuellen Programm entnehmen kann.
Die umseitig angebrachte Nachricht auf der von Woodstock nach Bradford, New Hampshire verschickten Karte passt prima in dieses Stimmungsbild: „We are having such a nice visit with our friends over here.“ Das Datum des Poststempels – der 14. August 1961 – macht es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass die Library Fair Anlass des Besuchs war. Sondern um eine gänzlich davon unabhängige Erholungsreise, bei der auch ein Pferd eine Rolle spielte, die sich leider 56 Jahre nachdem die Ansicht verschickt, nicht mehr spezifizieren lässt. Dass Bibliothek und Bibliotheksfest darin involviert waren, ist unwahrscheinlich, weshalb an dieser Stelle ein Hinweis auf die Woodstock Library TV Show #47 angebrachter ist, die ein interessantes Beispiel für Öffentlichkeitsarbeit mittels Social Media darstellt und in der unter anderem das ausdrücklich politische Motto der diesjährigen Festivität erläutert wird.
(Berlin, 16.07.2017)
Ein Seminarskript, ehrlich gesagt
Zu: Reckling-Freitag, Kathrin / Bibliothekspädagogische Arbeit: Grundlagen für Mitarbeiterinnen in (Schul-)Bibliotheken. Schwalbach/Ts. : debus Pädagogik, 2017
von Karsten Schuldt
Das zu besprechende Buch ist kurz, deshalb kann auch die Besprechung kurz sein. Um gleich eine Kritik vorwegzugreifen: Der Titel ist viel zu gross für das, was im Buch eigentlich getan wird. Was der Titel verspricht, ist eine Darstellung von Grundlagen zur „Bibliothskspädagogischen Arbeit“; was das Buch liefert. sind die kommentierten Skripte einer Lehrveranstaltung zum Thema, welche von der Autorin an der HAW Hamburg gegeben wird. Dabei ist auch der für das Thema gewählte Begriff ein wenig zu gross.
Worum es geht, ist, einen Überblick zu geben über die Themen, die für eine bibliothekarische Veranstaltung, welche im weiteren Sinne dem Bildungsbereich zuzuordnen ist, zu beachten sind. Dabei wird die Autorin an einigen, praktischen Punkten, sehr kleinteilig – zum Beispiel bei der konkreten Zeitplanung einer Veranstaltungen – und an anderen Punkten recht oberflächlich – ob es zum Beispiel überhaupt eine spezifische Pädagogik für Bibliotheken gibt, das wird einfach vorausgesetzt. Dass das Buch ein Unterrichtsskript ist, zeigt sich auch an den jedem Kapitel vorangestellten Lernzielen (meist zwei Anstriche), den häufig eingesetzten Graphiken, die einen schon erläuterten Sachverhalt nocheinmal darstellen und den häufigen Praxisaufgaben, bei denen das gerade Erläuterte angewandt werden soll. Gerade diese Aufgaben machen das Buch sehr Hands-on. Es ist nicht einfach durchzulesen, sondern – so zumindest die offensichtliche Vorstellung hinter dieser Struktur – Schritt für Schritt mit einzelnen Übungen durchzugehen. Und sicherlich sind die Aufgaben und der Aufbau des Buches so, dass sie Lernende bei ihrem Lernen unterstützen – schliesslich ist es als Skript schon mehrfach in der konkreten Lehre genutzt worden.1
Das Buch streift Themen vor allem: Aufbau des Bildungssystems, Lerntheorien (sehr kurz), Themen, die in Bibliotheken als Thema von Bildungsveranstaltungen sinnvoll sein können, Aufbau von Lehrveranstaltungen, Durchführungen von Veranstaltungen. Der wichtige Punkt ist hier, dass diese Themen gestreift werden. Mehr nicht. Man hat nach dem Lesen des Buches einen Überblick darüber, was man noch lernen müsste. Viel mehr lässt sich in den, ja immer nur einige Monaten kurzen, Seminaren wohl auch nicht erreichen. In einem Buch würde es sich aber erreichen lassen, da hätte man mehr Platz. Gleichzeitig ist der Vorteil von Seminaren, dass diese immer aus dem Gezeigten, hier dem Skript, und dem persönlich durch die Dozierende Vermittelten bestehen. Im Buch fällt die Vermittlung fort, die oft das Gezeigte erst sinnfähig macht. Es wäre eigentlich zu hoffen gewesen, dass dies durch mehr und konkreteren Text ausgeglichen würde, so dass das Buch tatsächlich als Handreichung und eben nicht nur als Anregung, weiterzulernen (was selbstverständlich auch seine Berechtigung hat), zu nutzen gewesen wäre.
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Wie gesagt, vermittelt der Titel, dass das Buch etwas anderes wäre, als es tatsächlich ist. Es sind keine Grundlagen, die vermittelt werden, sondern es ist mehrere Schritte darunter anzusiedeln, als ein Aufzeigen von zu behandelnden Themen. Vor allem ist es aber nicht, wie im Titel behauptet, für Schulbibliotheken sinnvoll. Die Veranstaltungen, die hier geschildert werden, sind solche, die ausserhalb des Schulalltags in Öffentlichen Bibliotheken durchgeführt werden können, auch in Zusammenarbeit mit der Schule (dazu gibt es einige Aussagen im Buch). Schulbibliotheken, zumindest der grösste Teil, haben aber gar nicht die Aufgabe, selber Bildungsaktivitäten zu entfalten; sondern vor allem, den Schulalltag zu unterstützen. (Die Autorin, welche früher in der Büchereizentrale Schleswig-Holstein arbeitete, weiss das bestimmt selber. Nur wenn man die wenigen Schulbibliotheken, die sich als „kleine Öffentliche Bibliotheken“ verstehen, als Normalfall behauptet, ergäbe der Titel einen Sinn. Zu vermuten ist, dass der Verlag – welcher von den wenigen Monographien zu Schulbibliotheken, die aktuell auf dem Buchmarkt greifbar sind, immerhin zwei publiziert hat und damit die meisten2 – zumindest diesen Zusatz angebracht hat.) Das ist ärgerlich, weil es viel zu wenig Literatur zu Schulbibliotheken in deutscher Sprache gibt und dieses Buch eher „so tut“ als gehörte es dazu, auch wenn es Abschnitte enthält, die Schulbibliotheken thematisieren.
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Auffällig ist zudem, dass das Buch sehr, viel zu sehr positiv geschrieben ist. Dabei ist pädagogische Praxis – egal in welchem Feld – einerseits voll von Scheitern, auf das vorbereitet werden sollte: Eigensinnige Lernende, unerwartete Lerneffekte, wo das, was man vermitteln will, bei den Lernenden ungewollte Effekte hat, Verweigerung, die zu Lernprozessen oft dazu gehört. Das ist normal, bei allen Bildungsaktivitäten, aber in diesem Buch wird der Eindruck vermittelt, das bei richtiger Planung schon alles gut laufen wird. Das scheint gefährlich. Andererseits ist das Feld „Bildung“ – egal ob Didaktik oder Bildungspolitik – voller Behauptungen und Floskeln, die oft Profanes überdecken. Es wäre sinnvoll, dies mit einem kritischeren Blick anzugehen, zum Beispiel die Aussagen des Nationalen Bildungsberichtes nicht einfach für bare Münze nehmen, wie es im Buch gemacht wird, sondern auch als politisches Dokument zu lesen. (Das wäre Kritik im Sinne von Textkritik.) Gut möglich, dass die im eigentlichen Seminar passiert, im Buch fehlt es.
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Grundsätzlich fehlt dem Buch, auch wenn Lerntheorien kurz besprochen werden, Theorie. Vieles wird einfach behauptet, kaum erklärt, schon gar nicht in Modellen, die man überprüfen beziehungsweise weiterentwickeln könnte und die Sachverhalte erklärten (zum Beispiel nicht nur aufzählen, was es für Formen des Lernens gibt, sondern zeigen, was diese für Effekte im Lernprozess der Lernenden haben). Es ist, wie schon gesagt, sehr Hands-On. (Wilfried Sühl-Strohmenger und Ulrike Hanke haben das in ihrem Buch „Bibliotheksdidaktik: Grundlagen zur Förderung der Informationskompetenz“ expliziter versucht, Olaf Eigenbrodt arbeitet offenbar – wenn man den Verlagsankündigungen und seinen Vorträgen trauen darf – an einem Buch zu Lerntheorien, dass vielleicht diese Lücke besser schliessen wird.)
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Aus Öffentlichen Bibliotheken tönt regelmässig der Wunsch, Handreichungen zu erhalten, wie bestimmte Dinge zu tun sind. Die zu leifern sei die Aufgabe von Expertinnen und Experten, Fachhochschulen. Das Buch reagiert gut auf diesen unmöglichen Wunsch (da diese Handreichungen niemals so genutzt zu werden scheinen, wohl weil die realen Aufgaben immer komplexer sind, als das sie in solchen Handreichungen abgedeckt werden könnten und weil sie immer nur einen Teil der Arbeit abnehmen und die Umsetzung doch Aufgabe der jeweiligen Bibliothek bleibt) indem es eine Übersicht an Themen liefert, die zu bearbeiten, vor allem selber zu lernen wären. Nicht weniger.
Fussnoten:
1 Disclaimer: Der Rezensent unterrichtete bis vor Kurzem einen ähnlichen Kurs (an der Fachhochschule Potsdam), deshalb scheint ihm die objektive Bewertung der Inhalte schwierig. Grundsätzlich, wenn auch mit anderen Schwerpunkten und etwas kritischer, wurde in seinem Kurs Ähnliches angesprochen. Die Parallelen sind allerdings erstaunlich. (Zudem wird einen seiner Arbeiten ausführlich zitiert, was es noch schwieriger macht, das Buch wirklich objektiv zu bewerten.) Deshalb hier die eher rein positivistische Darstellung.
2 Disclaimer: Eines davon vom Rezensenten mitgeschrieben, insoweit ist es auch nicht möglich, eine objektive Bewertung des Verlages vorzunehmen.
Eine kurze Geschichte zu einem bibliothekarischen Phantomschmerz
Zu: Helga Schwarz (2017). Das Deutsche Bibliotheksinstitut: Im Spannungsfeld zwischen Auftrag und politischem Interesse. Berlin: Simon verlag für Bibliothekswissen, 2017 [2018]
von Karsten Schuldt
Die Autorin des Buches, welches hier besprochen werden soll, hat aktuell relativ viele Auftritte in der Presse, da sie ihre Promotion – die in dem Buch vorgelegt wird – mit 81 Jahren abgeschlossen hat (zum Beispiel hier, hier, hier). Das ist auch beachtlich und eine symphatische Human Interest Story. Vor allem zeigt ihre Lebensgeschichte (erst Bibliothekarin, dann Programmiererin für Bibliotheken, Firmeninhaberin für Bibliothekssoftware und jetzt Doktorin der Bibliothekswissenschaft) ein ungebrochenes Interesse am Bibliothekswesen, dass zu bewundern ist.
In dieser Besprechung soll es allerdings nicht um diese Leistung, sondern vorrangig um ihr Buch gehen, dass als Übersicht eine Forschungslücke schliesst, die das Bibliothekswesen, wenn es an der eigenen Entwicklung wirklich interessiert wäre, schon längst hätte schliessen müssen (und können), aber gleichzeitig auch einige Kritik verdient.
I.
Ihr Buch umfasst die gesamte Geschichte des Deutschen Bibliotheksinstituts (dbi), einer Einrichtung, die denen, die noch nicht so lange im Bibliothekswesen sind, gerne einmal als der Glanz alter Zeiten vorgehalten wird. Früher hätte es das Institut gegeben, dann (2000) war es weg und seitdem scheint es irgendwie nicht mehr so gut zu sein im Bibliothekswesen. (Der Rezensent gehört zu denen, die nach 2000 im Bibliothekswesen ankamen und damit das dbi auch nicht mehr live erlebt, sondern nur davon gehört haben. Vielleicht hat das seine Meinung vom Buch auch geprägt.)
Dabei war die Geschichte es dbi erstaunlich kurz. Offiziell gegründet – selbstverständlich mit Vorlauf und Vorläufereinrichtungen – 1978, 2000 geschlossen und bis 2003 abgewickelt, existierte es gerade einmal 25 Jahre (drei davon in Auflösung) und hatte zum Beispiel auch nur einen Direktor und eine Direktorin. So viel Zeit hatte es also gar nicht, um Einfluss zu entwickeln.
Gegründet wurde es mit den folgenden Vorgaben:
„Das Institut erforscht, entwickelt und vermittelt bibliothekarische Methoden und Techniken mit dem Ziel der Analyse, Entwicklung, Normierung und Einführung bibliothekarischer Systeme und Verfahren.“ §2 des Gesetz über das Deutsche Bibliotheksinstitut vom 22. Mai 1978
Zeitlebens scheint es aber auch andere Ziele und Begehrlichkeiten von Bibliotheken und bibliothekarischen Verbänden gegeben zu haben. Das Buch deutet diese an, aber – dies eine Kritik, die weiter unten nochmal ausgeführt wird – es wird nicht richtig klar, welche Ziele das genau waren. Während seiner Existenz übernahm es Arbeiten an Systematiken, unterhielt Kommission (die später in den dbv übergingen, wo sie auch „herkamen“, und die Grundlage dessen heutiger Kommissionen / Fachkommission darstellten), gab Publikationen heraus (zum Beispiel die Zeitschrift schulbibliothek aktuell oder die Reihe dbi-materialien, welche aber nach Angabe des Buches oft Studien anderen Einrichtungen und nicht des dbi publizierte) und betrieb Datenbanken, zum Beispiel die Zeitschriftendatenbank und bauten (das wird mehrfach betont) subito auf (jetzt bekanntlich von einem Verein getragen). Auch nach dem Lesen des Buches wird aber über solche Aufzählungen hinaus nicht so genau klar, was das Institut tatsächlich tat oder hätte tun sollen. Gleichzeitig war es gross, zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte es über 100 Angestellte.
Nach dem Aufbau war es in den 1980er Jahren aktiv, dann geriet es in den Strudel der Veränderungen in der Wissenschafts- und Kulturpolitik nach der Wende in der DDR und der Vereinigung von BRD und DDR. Ende der 1990er wurde es dann abgewickelt.
Diese Geschichte ist das Thema des Buches. Die Autorin orientiert sich dabei auf die institutionelle Sicht. Es geht in ihrer Geschichte um Gesetze, politische Entscheidungen, Verordnungen, Evaluationsverfahren, Lobbyversuche. Dabei hat sie – wie es bei einer Promotion dieser Art zu erwarten ist – intensiv in Archiven gearbeitet und Interviews mit Beteiligten geführt. Was man aber nicht erwarten darf – obwohl es sich anböte – sind Angaben über die inhaltliche Arbeit des Instituts und seiner Wirkung (oder auch Nicht-Wirkung) auf Bibliotheken. Das wird alles nur angerissen und in Stichworten abgehandelt.1
II.
Leider hat die Autorin – entgegen ihrer Aussage im Vorwort, als Unbeteiligte einen objektiven Blick auf diese Geschichte zu haben – doch die Tendenz, ohne weitere Quellen (die vielleicht in der eingereichten Fassung der Promotion vorhanden waren und erst für den Verlagsdruck entfernt wurden) eigene Meinungen zu vertreten, teilweise sogar dem dbi, dem ehemaligen Direktor, ungenannten Angestellten des dbi oder auch den Bibliotheken und bibliothekarischen Verbänden, Vorwürfe zu machen. Dies wird insbesondere in den Fazits der einzelnen Kapitel – die ansonsten sehr hilfreich sind – deutlich.
Hinzu kommt die Tendenz, die Quellen nicht quellenkritisch zu verwenden, sondern – wenn es in die Argumentation passt – für die Wahrheit zu nehmen, teilweise auch „aufzuleveln“. So wird der Bericht von einer Konferenz, den Claudia Lux lieferte, zu einer „Studie“ erklärt, welche Claudia Lux durchgeführt hätte. Als ausländische Stimmen zur Schliessung wird mit Jean-Marie Reding gleich mehrfach ein Kollege aus Luxemburg zitiert, welcher bis heute sehr engagiert dem luxemburgischen Bibliotheksverband vorsteht, auf jeder bibliothekarischen Konferenz in Deutschland und der Schweiz vertreten ist und immer eine dezidierte Meinung hat – und mit diesem Wissen und dieser Aktivität gerade nicht irgendeine „ausländische bibliothekarische“ Stimme ist. Schwarz tut aber so, als wäre seine Meinung repräsentativ für die Reaktionen aus dem Ausland.
Sie hat eine Meinung zum dbi und versucht diese zu untermauern. Für eine Promotion oder einen objektive Geschichte ist das nicht angebracht und auch tatsächlich der grösste Kritikpunkt, der in dieser Rezension anzubringen ist. Es ist bleibt eine subjektive Darstellung, wenn sie auch ausführlich (auf institutioneller Ebene) ist und auf reichem Quellenmaterial, dass durch die Publikation ja in den Diskurs eingeführt wird und jetzt von anderen genutzt werden kann, basiert.
III.
Die Autorin setzt auch dazu an, zu erklären, wieso das dbi wieder geschlossen wurde. Es wird dazu wohl immer mehrere Deutung geben, aber laut dem Buch scheint es ein Zusammenspiel aus Animositäten innerhalb des dbi, einen schwachen Chef – wobei nicht ganz klar wird, ob die Autorin dies auch der Person selber vorwirft oder nur der Konstruktion des dbi, bei dem der Leiter keine richtige Weisungsbefugnis aber gleichzeitig mit dem Kuratorium eine übergeordnete Aufsichtsinstitution hatte – und einer Änderung der Wissenschaftspolitik, die von den Bibliotheken und bibliothekarischen Verbänden übersehen worden sei, gegeben zu haben. Das wird aber nicht nachgewiesen.
Vielmehr hat die Autorin gerade im zweiten Teil des Buches, der dem Ende des dbi gewidmet ist, die Tendenz, die Geschichte als Politikroman zu schreiben, wo einzelne Beamtinnen und Beamte der Verwaltungen, einzelne Politikerinnen und Politiker sowie Bundesländer Interessen hätten (die nicht so richtig erklärt, sondern als gegeben vorausgesetzt werden), welche dann gegeneinander intrigieren und dabei das dbi schliessen. Einen solchen Roman könnte man auch für den Anfang schreiben, aber das unterbleibt. Vielmehr hat die Autorin die Angewohnheit, im zweiten Teil ständig und ohne grösseren Kontext die Beteiligten an allen möglichen Kommissionen und Verwaltungen aufzuzählen, mit Namen und Funktion, während die Beteiligten im dbi bis auf den Direktorin und die spätere Direktorin fast immer ungenannt bleiben. (Genannt werden noch die Angestellten der Bibliothekarischen Arbeitsstelle, die aber gar nicht zum dbi gehörte, obwohl sie im Buch viel Platz eingeräumt bekommt.) Selbst dann, wenn einzelnen Personen im dbi Vorwürfe gemacht werden, bleiben sie ungenannt. Es scheint, als wäre die Politik Schuld und müsste deshalb benannt werden.
Dabei ist die Situation aus Sicht des Rezensenten recht einfach, wenn sie auch für das Personal des dbi damals persönlich destruktiv war: Das dbi wurde in der Gründungswelle von Bildungs- und Kultureinrichtungen in den 1970er Jahren gegründet und zwar in Berlin, weil Berlin – so das Buch – versuchte, sich als Zentrum des bibliothekarischen Einrichtungen zu etablieren.2 In einem politischen Akt wurde die Finanzierung für das Institut – wie für viele andere Einrichtungen dieser Gründungswelle – durch einen Eintrag auf der „Blauen Liste“ – die Einrichtungen umfasste, welche von Bund und Ländern gemeinsam gefördert wurden – gesichert. 1989 änderte sich diese Lage, einmal durch die Wende und ein anderer Mal durch die Änderung der Wissenschafts- und Kulturpolitik, die sich nun verstärkt am neoliberalen Denken orientierten. Berlin fokussierte sich darauf, Hauptstadt zu werden, die Förderung wurde von Infrastruktur auf Projektförderung umgestellt, mit der Abwicklung von Einrichtungen der DDR bildete sich eine Kultur der Abwicklungen aus, die auch auf Einrichtungen ausserhalb der DDR ausgriff.
Inhaltlicher Grund für die Schliessung des dbi war eine Evaluation durch den Wissenschaftsrat, der die Blaue Liste – jetzt die Leibniz-Gemeinschaft – zu einer Liste von Forschungseinrichtungen umbauen wollte. Die Evaluation stellte, neben anderem Lob und anderen Schwächen, fest, dass das dbi keine Forschungseinrichtung sei und empfahl die Schliessung. Die deutschen Bibliotheken scheinen dies – so zumindest die Reaktionen, von denen die Autorin berichtet – nicht so verstanden zu haben, sondern als Angriff auf die bibliothekarische Arbeit. Schwarz betont, dass sich vor allem Öffentliche Bibliotheken diese Vorstellung zu eigen gemacht hätten, während sie grossen Wissenschaftlichen Bibliotheken vorwirft, auch darauf geschaut zu haben, Projekte des dbi übernehmen zu können. Das könnte aber auch nur heissen, dass Wissenschaftliche Bibliotheken schon früher die Kultur der Projektförderung kennengelernt hatten und deshalb sahen, dass das dbi nicht weiterzuführen wäre.
Was in dieser Geschichte fehlt, scheinen zwei Dinge zu sein: Zum einen scheint es, als wäre das dbi immer nur das Ergebnis einer politischen Entscheidung gewesen, und zwar nicht vom Bund, sondern einem Bundesland, dass eine Nische zu besetzen suchte. Wenn das stimmt, wäre es nur logisch, dass – als diese Nische unnötig wurde, weil Berlin Hauptstadt war – das dbi nicht weiter gefördert wurde. Zum anderen scheint die Schliessung des dbi gerade nicht spezifisch gegen Bibliotheken gerichtet gewesen zu sein, sondern liest sich auch im Nachhinein so, als wäre sie ein später Teil der ganzen Abwicklung von Einrichtungen in den fünf neuen Bundesländern und Berlin gewesen, die in den Mitte bis Ende der 90er Jahre die Berliner Politik bestimmten, nur dass es beim dbi auch Auswirkungen auf Bibliotheken im restlichen Deutschland hatte. Aber abgewickelt wurde damals ständig irgendetwas. Man hätte diesen Kontext darstellen können, dann wäre auch diskutierbar geworden, ob und wie hier das dbi herausstach oder gerade nicht herausstach.
Dies wurde von den bibliothekarischen Verbänden und Bibliotheken, die sich äusserten, nicht so gesehen. Diese schrieben gegen die Abwicklung an und behaupteten eine besondere Wichtigkeit des dbi; eine Position, die Schwarz übernimmt, auch wenn sie den Verbänden vorwirft, damals die geänderte Zeit nicht gesehen zu haben. Aber so, wie sie es darstellt, scheinen die Veränderungen generell gegen das dbi gerichtet gewesen zu sein. Es wird im Buch ständig eine Klage wiederholt – dass eine frühere Evaluation die Fokussierung auf Öffentliche Bibliotheken gefordert hätte und dann später genau dieser Fokus negativ gewertet wurde – die wohl in den späten 1990er im Bibliothekswesen regelmässig wiederholt wurde, und angedeutet, dass diese spezifisch unfair gewesen wäre. Im grösseren Kontext scheint dies aber nur die gängige Variante der damaligen Schliessungspraxen von Einrichtungen gewesen zu sein.3
Der Rezensent würde die Situation eher dahin gehend interpretieren, dass das dbi von Anfang an schwach angebunden und mit einem unmöglichen Auftrag versehen war – oder anders: dass das Ende eigentlich schon bei der Gründung angelegt war.
IV.
Es wäre zu erwarten, dass eine Arbeit, wie sie die Autorin vorlegte, mit ihren rund 400 Seiten plus Anhängen, auch vermittelt, was das dbi eigentlich genau getan hat und wozu es – so die Behauptung aus der Bibliotheksszene am Ende des dbi – unverzichtbar gewesen sei. Das wird aber überhaupt nicht klar. Schwarz nennt zwar eine Anzahl an Arbeitsgebieten, aber das verbleibt auf einer ganz oberflächlichen Ebene.
Ein Beispiel: Die Autorin sieht die Arbeit im Anschluss an die Wende als den eigentlich Höhepunkt des dbi an, welches zahllosen Bibliotheken in der DDR, dann in den fünf neuen Bundesländern, Beratungen geboten hätte, damit diese ihre neuen Herausforderungen meistern könnten. Aber wie sah das den genau aus? Schwarz erwähnt Weiterbildungsveranstaltungen und persönliche Beratung. Nur: Welche Weiterbildung? Wie? Was waren die Themen? Was waren die Effekte? Wie sinnvoll war das wirklich? (Insbesondere während der Streichungswellen der frühen 90er Jahre.) Und was heisst persönliche Beratung? Ist da jemand durch die Lande gefahren und hat in den Bibliotheken Händchen gehalten? Software erklärt? Den Buchhandel? Gab es einen Telefon-Hotline? Darüber schweigt sich Schwarz aus, obwohl sie diese Beratung mehrfach betont. Und so steht es praktisch mit der gesamten Arbeit des dbi. Was haben all die Angestellten dort getan?Was wurde mit dem Rechner gemacht? Was war die Aufgabe der Datenbanken? (Schwarz nennt zum Beispiel regelmässig die Zeitschriftendatenbank, die Bibliothekarinnen und Bibliothekaren bekannt ist, aber anderen potentiellen Leserinnen und Lesern ihres Buches unbekannt sein dürfte.) Das ist auch nach dem Buch überhaupt nicht klar (und somit kann man auch mit dem zeitlichen Abstand zur Schliessung nichts mehr aus dieser Arbeit lernen). Es bleibt bei oberflächlichen Andeutungen.
Das gilt aber auch dann, wenn das dbi kritisiert wird (oder Kritiken zitiert werden). Gerade der Begriff „innovativ“ – im Sinne von „das dbi war nicht innovativ genug“ – wird im Buch oft angeführt, ohne das ersichtlich wird, was heissen soll. Teilweise scheint es – weil die Autorin mehrfach betont, dass das dbi gerade in den letzten Jahren seines Bestehens veraltete Hardware genutzt hätte und nicht sofort im Internet aktiv war – als hätte es mehr Software und Hardware haben und einsetzen sollen (und wohl auch Bibliotheken anbieten). Aber ist das schon „innovativ“? Ist das nicht gerade eine so verkürzte Vorstellung, dass es schon wieder zum Sujet wird? Teilweise scheint die Autorin vorauszusetzen, als wüssten alle Lesenden, was eigentlich die Aufgaben des dbi gewesen wären; aber das stimmt ja (wie schon mehrfach gesagt) nicht.
Grundsätzlich ist es berechtigt, eine Untersuchung, wie sie Schwarz unternommen hat, auf die institutionellen Vorgänge zu fokussieren. Es hätte aber dargestellt werden müssen, dass dies der Fokus; die Kritik ist hier hauptsächlich, dass genau dies unterblieb und mit dem Buch der Eindruck vermittelt, als würde eine Gesamtgeschichte des dbi versucht.
Ein Ergebnis diese oberflächlichen Darstellung ist allerdings, auch weil wir in einer Zeit leben, in der das dbi schon seit bald 15 Jahren nicht mehr existiert und das deutsche Bibliothekswesen trotzdem nicht zusammengebrochen ist (ganz abgesehen davon, dass andere Bibliothekswesen nie ein solches Institut hatten), als wären die ganzen Unterstützungsaussagen, die am Ende aus dem Bibliothekswesen für das dbi abgegeben wurden, nur das gewesen – Unterstützung in letzter Minute, ohne wirklichen Realitätsgehalt. Es wäre vielleicht nicht die Aufgabe der Autorin, aber von anderen gewesen, wirklich zu begründen, wozu das dbi nötig gewesen war (und vielleicht wieder wäre) – und nicht zu versuchen, nur die richtigen Floskeln anzubringen.
V.
Das Buch schliesst, wie schon gesagt (und wie die Autorin auch in ihren Gesprächen mit der Presse immer wieder betont), eine Lücke. Das dbi war einen Einrichtung des Bibliothekswesens, die zumindest im Nachhinein als wichtig verstanden wurde. Es ist richtig, dass diese Geschichte jetzt zumindest grundsätzlich dargestellt ist und die grundsätzlichen Quellenbestände für eine weitere Geschichtsschreibung aufgearbeitet und benannt wurden. Dass sich das Buch durch seinen Fokus auf die institutionelle Geschichte stellenweise eher träge liest, ist ihm nicht vorzuwerfen. Die Aufgabe einen Promotion ist es nicht zu unterhalten, sondern eine wissenschaftlich solide Arbeit vorzulegen.
Kritisch anzumerken bleibt die Tendenz der Autorin, ständig eigene Einschätzungen anzubringen, insbesondere, wenn diese auf Quellen aufzubauen scheinen, die nicht genannt sind. Wer hofft, durch die Aufarbeitung dieser Geschichte Argumente für ein neues dbi zu finden, wird aber enttäuscht sein. Es nicht nur nicht klar, welche Arbeit das dbi geleistet hat oder heute leisten könnte. Es wird auch klar, dass schon die Einrichtung und dann auch die Abwicklung eigentlich nichts mit den Interessen von Bibliotheken und bibliothekarischen Verbänden zu tun hatten, sondern mit politischen Entscheidung in spezifischen politischen Situationen. Mit der Verstärkung des Föderalismus in Deutschland, spätestens mit der Föderalismusreform 2006, und der Etablierung eines neoliberalen Verständnisses von Wissenschafts- und Kulturförderung, ist es unwahrscheinlich geworden, dass eine solche politische Situation in näherer Zukunft wieder eintreten wird. Und selbst dann sollte die Geschichte des dbi – aber auch anderer Projekte – eher eine Warnung davor sein, für den Aufbau bibliothekarischer Infrastrukturen auf solche politischen Möglichkeiten zu setzen – diese Situationen sind irgendwann vorbei und damit auch die Unterstützung für solche Infrastrukturen. (Bei Bauten ist das anders, die sind dann faktisch da, auch wenn die politische Situation sich ändert.)
Zu bemerken ist, dass nicht nur die Geschichte des dbi weiterhin viele blinden Flecken hat, sondern das andere Einrichtungen, die das Bibliothekswesen prägen, ähnliche institutionelle Geschichten verdienen würden, weil so klar würde, wie sie überhaupt in ihre jetzige Position geraten sind. Zu denken wäre an die grossen Firmen im Bibliotheksbereich (zum Beispiel die ekz), die bibliothekarischen Verbände, die wenigen Verlage, in denen bibliothekarische und bibliothekswissenschafliche Literatur erscheint und vor allem die schon länger laufenden Zeitschriften des Bibliothekswesens. Helga Schwarz hat anhand des dbi gezeigt, dass solche Geschichten möglich sind.
Fussnoten
1 Und genau hier scheint es einen Unterschied zwischen denen zu geben, die das dbi in den 1980ern noch in voller Arbeit erlebt haben und denen, die erst später dazu kamen. Vielleicht musste man Bibliothekarinnen und Bibliothekaren in den 1980er Jahren – zumindest in der BRD und West-Berlin – nicht erklären, was das dbi macht. Vielleicht hatten alle eine Meinung dazu. Heute wäre gerade das interessant.
2 In der Argumentation des Buches ist diese Behauptung auch eine Schwachstelle, da nicht gezeigt wird, wie Berlin dieser Ziel sonst noch verfolgt hat. Das Institut für Bibliothekswissenschaft an der Freien Universität wird gar nicht erwähnt, auch andere Einrichtungen nicht. So scheint es, als wäre dieses „Interesse“ Berlins mit der Gründung des dbi schon wieder erloschen zu sein.
3 Eventuell ist das auch die persönliche Geschichte des Rezensenten, der in der gleichen Zeit, als das dbi geschlossen wurde, in der Berliner Kinder- und Jugendpolitik erlebt hat, wie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nur deshalb geschlossen wurde, weil von einem Jahr zum anderen 50% der Fördersumme gestrichen wurden, ohne weitere Begründung. Und das einige Jahre lang, zumeist mit viel kürzerer Frist zwischen Mitteilung der Streichung und der tatsächlichen Schliessung (zumeist, ohne das das Personal, wie es beim dbi passierte, in den Stellenüberhang des Landes Berlin übernommen wurde). Mit diesem Hintergrund scheint die Schliessung des dbi, die sich immerhin fünf Jahre hinzog, bei aller persönlichen Tragik für die Betroffenen, dann wieder wie ein Luxus.
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