Zur möglichen Rolle der Bibliothek in einer nach-utopischen Netzgesellschaft.
Überlegungen von Ben Kaden / @bkaden
I
Dass das Internet als vernetzter, überräumlicher und echtzeitlicher Kommunikationsraum von Beginn an dazu verführte, Projektionsfläche vielfältiger Gesellschaftsutopien zu werden, ist weithin bekannt. Man versprach sich, angefangen bei einer durch und durch umstrukturierten Weltgesellschaft und hin bis zu einer simplen aufklärerisch-emanzipatorischen Wirkung vieles von einer digitaltechnisch geprägten Reorganisation unseres Zusammenlebens, organisiert über ein „basisdemokratisches, hierarchiefreies und unkontrolliertes Medium“ (Tilman Baumgärtel: Das Ende der Utopien. In: Neue Zürcher Zeitung, 04.07. 2013, S. 19).
Ähnliche Versprechen galten mit Abstrichen auch für das Bibliothekswesen und die Bibliothekswissenschaft, stand doch der Leitstern der Digitalen Bibliothek über dem Firmament dessen, was sie sich als zukünftige Gestade und Ankerplätze vorstellten. Dass das zwanzigste Jahrhundert in eine Art Wissensgesellschaft auslief und die Bibliotheken lange Zeit die zentralen Verfügungsinstanzen für systematisch erfasstes und abrufbares Wissen darstellten, hätte sie eigentlich zu den Leitakteuren dieser neuen Welt werden lassen können. Diese Erwartung löste sich bekanntlich nur bedingt ein, was eventuell wenigstens teilweise auch daran gelegen haben mag, dass sie im Selbstverständnis der Branche lange Zeit nicht übermäßig verankert war. Bibliothek und Internet blieben viele Jahre trotz aller Vorzeichen getrennte Welten mit überschaubaren Schnittmengen, allen voran der Schnittmenge des Web-OPAC. Damit blieb die Institution freilich in der Nische und vor allem auf ihre in diesem Nachweismedium erfassbaren Bestände fixiert. In digitalen Kommunikationswelten ist Bestand jedoch ein Anachronismus, zumal wenn nur der Nachweis und nicht der Inhalt direkt vermittelt wird. Das aber prägte bald das Erwartungsbild der Menschen im Netz.
Der Schritt zur umfassenden Überformung der Gesellschaft mit digitalen Mitteln war selbstverständlich unvermeidlich, denn natürlich poppte das Internet nicht als plötzliche Überraschung in die Lebenswelten, sondern fasste nur eine ganze Reihe von vorlaufenden Technologietrends (Datenbanken, BTX, Desktop-Publishing, Telefonie, Digitalisierung, Personalcomputer, etc.) zu einer Struktur zusammen. Die Richtung der Entwicklung war mehr oder weniger längst vorbestimmt. Der wirkliche Durchbruch zum Omnimedium gelang durch ein paar vergleichsweise kleine Lückenschlüsse und die Durchsetzung von Benutzungsoberflächen, die das Technische hinter das Inhaltliche zurückdrängten und es so für die riesige Masse derer attraktiv machte, die keinerlei größeren technischen Interessen hatten, sich wohl aber für die (vermeintliche) Leichtigkeit des digital vermittelten Kommunizierens (und später auch Einkaufens) anfällig zeigten.
Diese Leichtigkeit drückte denn auch den utopischen Kern aus. Jeder kann an etwas aktiv teilhaben, was vormals nur passiv zur Verfügung stand. Lange wurde (und an manchen Stellen wird es noch immer) das Internet immer als Kontrast- oder Gegenmedium zu bis dato vorherrschenden Kommunikationsformen verstanden. Der Medienwissenschaftler Tilman Baumgärtel erinnert in seiner jüngst im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung abgedruckten Rückschau auf die Utopien der frühen und mittleren Netzgesellschaft sehr anschaulich daran, dass das WWW anfangs zunächst von, nun ja, Randfiguren geprägt war, also Akteuren, denen Zugang zu und aktive Nutzung von etablierten Medienstrukturen nur begrenzt möglich waren. Oder die, mit welcher Motivation auch immer, kein Interesse an der mühsamen Einpassung in diese hatten. Sie erkämpften eine eigene Form der Medienmacht und Diskurshoheit dadurch, dass sie nicht – wie sonst bei Revolutionen üblich – bestehende Räume und Kanäle eroberten – sondern die Entwicklung eigener (Alternativ-)Strukturen forcierten, die schließlich so erfolgreich wurden, dass sie diejenigen, von denen sie sich bisher ausgeschlossen fühlten, schlicht für obsolet erklären konnten. Die, deren Herz chronisch für die Underdogs schlägt, hegten dafür heftige Sympathien. Genutzt hat es wenig. Denn heute sehen wir, dass diese anarchistischen morgenluftigen Vorstellungen tatsächlich utopisch, bestenfalls ein Interregnum blieben. Was Aspekte wie Mitmenschlichkeit, Chancengleichheit und Autonomie angeht, sind wir, wie wir heute erkennen, eher nicht vorangekommen.
II
Die Technologie, so schien es, gab es her: Mit vergleichsweise geringem realweltlichem Aufwand konnte man einen nahezu unbegrenzten Kommunikationsraum ausgestalten. Die Zäune für das Handeln zog der Code und auch der war durchaus flexibel. Solange das Web eine Nische blieb und in der herkömmlichen Lebenswelt nur dadurch spürbar wurde, dass man die Memos in der Firma durch E-Mails ersetzte, war die ganze Angelegenheit so entspannt, von solcher Leichtigkeit geprägt, wie man es von kalifornischen Träumereien erwartet. Das große Säbelrasseln ergab sich auch nicht so sehr im Traum der Autonomie und einem offeneren Miteinander, wie ihn beispielsweise der im Artikel zitierte Howard Rheingold hegte, wenn er schrieb:
„Da wir einander nicht sehen können, können wir auch keine Vorurteile über andere bilden, bevor wir gelesen haben, was sie mitteilen wollen, Rassenzugehörigkeit, Geschlecht, Alter, nationale Abstammung und die äussere Erscheinung werden nur bekannt, wenn jemand diese Merkmale angeben will.“ (zitiert nach Baumgärtel, 2013)
Selbst wenn solche Aussagen bereits damals von einer kaum fassbaren Reflexionsarmut geprägt zu sein schienen, so waren sie doch wenigstens freundlich und welcher sich an den Rand gedrängt fühlende Intellektuelle träumt nicht davon, Teil einer anderen „Community of Minds“ zu sein. Idealerweise in leitender Position.
Die Probleme traten auf, als das WWW wirklich ein mächtiges und andere Kommunikations- und Medienformen unkontrolliert verdrängendes Phänomen wurde. Das erste für viele sehr deutliche Signal war mutmaßlich die Napsterisisierung des Musikkonsums. So schwenkte die Debatte spätestens in den 2000-Jahren mehr und mehr in selbstgerechte Urteile zum Überholtsein alter Medien um, die gegen Kulturverfallsthesen, Verteufelungen und Bedrohungsszenarien jeder Färbung gefeuert wurden (bzw. umgekehrt) und auf den entsprechenden Podien nicht selten in für Außenstehende eher peinlich wirkende Deutungskämpfe und kleinkarierte Rechthabereien mündeten.
Richtig heiß und paradox liefen die Debatten, als die Schlacht auf der herunter bipolarisierten Grundebene (Digital=Zukunft+erstrebenswert vs. Analog=Geschichte+zu überwinden) absehbar gewonnen war und Google und Apple und andere erfolgreich die Monopolisierungen, der die frühe Netzgemeinde gerade durch digitale Alternativen entgehen oder auch etwas entgegensetzen wollte, reproduziert hatten. Netzgesellschaftliche Topoi waren vergleichsweise weiche Ziele für Polemiken, wo im harten Kern schlicht die kommende Verteilung der Tortenstücke der Digitalökonomie zwischen alten, absteigenden und neuen, aufstrebenden Akteuren ausgefochten aber selten an sich hinterfragt wurde. Letztlich führt sogar die Frage nach Closed oder Open Access vor allem zu einer volkswirtschaftlichem Abwägung, die mögliche informationsethische Argumente deutlich überlagert.
III
Parallel und vielleicht auch müde vom jahrelangen Ringen bzw. Selbstdefinieren und/oder verführt durch – wie auch Tilman Baumgärtel erwähnt – klassische Etablierungsmöglichkeiten „als populäre und gutbezahlte Konferenzredner und Unternehmensberater“ versanken viele der einstigen Digitalrevolutionäre schließlich mehr oder weniger vollständig in einer Apple-ästhetisierten Welt der Nabelschau, in der Utopien, so scheint es heute, einzig technisch-funktional als „The Next Big Thing“ überlebten. Die übergeordnete Provokation blieb nicht selten als Grundgeste erhalten – aber immer auch irgendwie als Produkt und ein bisschen austauschbar.
Das Bibliothekswesen schloss weitgehend erst zu diesem Zeitpunkt auf, übernahm teilweise schnell die Phraseologik der 2.0-Sprache, in der es von Anfang an nur um Geschäftsmodelle, also Marktstrukturierung ging, die aber die Emanzipationsmetapher als voran geschobene Brechstange dazu benötigte, sich so zu immunisieren, dass sie jede Kritik sofort als reaktionär abwehren konnte.
Auf der anderen Seite kämpften ein paar Protagonisten mit noch stumpferen Waffen um die Beibehaltung eines vordigitalen Stands. Die Berliner Bibliothekswissenschaft war in dieser Zeit, auch das gehört zur jüngeren deutschen Bibliotheksgeschichte, derart in Selbsterhaltungs- und Neuausrichtungsbemühungen derangiert, dass sie selbst den bibliothekarischen Fachdebatten zum Thema kaum Impulse geben konnte. Es blieb am Abend eines Tages zumeist nur Affirmation, nicht selten mit einer Prise Servilität.
Mit der Durchsetzung des WWW als Konsumraum reduzierte sich der utopische Gehalt auf den Zentralwert des immer guten „Neuen“ und eine Rhetorik der vorreitenden Andersheit, die auch dann noch werbewirksames Verführungsmittel war, als die große Masse längst mitstrudelte. Der Schlüssel des Erfolges liegt möglicherweise in der permanenten technischen und gestalterischen Optimierung und/oder Variation der Endgeräte, was durch neue Produktzyklen immer zugleich Fortschritt signalisierte, wo man eigentlich nur das Display etwas breiter zog. Auch mit rein konsumistischer Hingabe konnte man sich lange Zeit als Teil einer aufbrechenden Zukunftsgesellschaft fühlen.
Fast unvermeidlich wurden in die Diskurse zur Aufgabe der Bibliotheken darauf nachjustiert. Konsum (bzw. Erlebnis) und die Herstellung der Anschlussfähigkeit an den Arbeitsmarkt (hier als Bildung verstanden) wurden die windschnittigen Pole, zwischen denen sich Bibliotheksarbeit im frühen 21. Jahrhundert zu entfalten hatte. Das Mittel wurde das, was alle(s) bewegte: Technologie. Die Freude am Aufbau neuer Infrastrukturen war unzerbrechlich und wo es Risse gab, wurden diese mit der Annahme, dass Bibliotheken garantiert aussterben, wenn sie nicht sofort aktiv werden, grob gekittet, wo man vielleicht ein bisschen mehr hätte kittlern sollen.
IV
Die Legitimationspflicht liegt bekanntlich selten auf Seiten der Revolutionäre und eventuelle Grundsatzfragen kann man immer zunächst hinter der Dringlichkeit des Augenblicks und später dann hinter den Erfolg vermeldenden Tatsachen vergraben. Wenn es nur neu ist und die Scheinobjektivität der Nutzungsstatistik eine Art Erfolg vermeldet, dann erübrigt sich meist jede weitere Analyse. Nicht nur, aber vor allem die Geschichte zeigt freilich, wie nachteilig sich eine Verlagerung von Richtungsentscheidungen auf das Maß der Masse (gern instrumentalisiert für die Interessen einer Elite) auswirken kann.
Das Problem auch der bibliothekswissenschaftlichen Diskurse war lange, dass es zwischen unwissender Ablehnung und nicht viel mehr wissender Affirmation so gut wie keine theoretisch grundierte Reflexionsarbeit geschweige eine aufklärte Kritik der Entwicklungen gab, die eine andere Annäherung und eine möglicherweise stärkere an übergeordneten Werten fundierte Innovationslenkung nach sich hätte ziehen können.
Nach wie vor werden vorwiegend externe Trends (oft ein bisschen unsystematisch) aufgegriffen, die, sofern möglich, die Grundlage einer bibliothekarischen Selbstoptimierung bieten. Eine gestaltende Rückbindung an die Gesellschaft findet dagegen nur äußerst eingeschränkt statt, wobei man sich gern auf eine mittelbare Wirkung beruft.
Dabei enthalten das Konzept der Bibliothek wie auch seine realweltliche Ausprägung ziemlich viel von dem, was es braucht, um unter Nutzung digitaler Technologien, tatsächlich ein Stück weit utopischer, d.h. gezielt an, wenn man so will, humanistischen Werten orientiert, gesellschaftsprägend zu wirken. Die Utopie für die Bibliotheken wäre etwas kleiner, weniger disruptiv gerichtet, als die Vorstellungen beispielsweise von Timothy Leary oder Howard Rheingold. In ihr ginge es eigentlich nur um das die forcierte Schaffung eines Bewusstseins, das zu einer kritischen und hinterfragenden Auseinandersetzung mit den scheinbar selbstverständlichen wirtschaftlichen und politischen Rahmungen der Lebenswelt befähigt. Die Bibliothek wäre in gewisser Weise in der permanenten Opposition, ein Raum, um ein „Es könnte und kann auch anders sein“ zu denken. Man könnte es eigentlich Aufklärung nennen.
V
Der Zeitpunkt könnte für eine entsprechend aktivere Positionierung richtiger nicht sein. Nach Edward Snowden gibt es offensichtlich ein interessantes Erwachen, das möglicherweise im Rückblick mehr von einer Zäsur haben wird, als wir heute ahnen. Dass die Reaktionskette auch in der Politik eher emotional (erst Überraschung, dann Empörung) ausfällt, zeigt, wie notwendig ein differenzierendes und abgeklärtes Bewusstsein in dieser Richtung wäre.
Was die aktuelle Debatte eigentlich nur offenbart, ist, dass die klassischen, vordigitalen Machtverhältnisse wieder- bzw. im Web ebenfalls hergestellt sind. Der scheinbare Alternativraum wurde ganz klassisch erobert. Das WWW ist heute ein Marktplatz und zugleich eine ausgezeichnete Kontrollbasis, wobei die dahinterliegenden Prozesse der Marktakteure und der staatlichen Kontrolle fast auf identische Weise funktionieren, wie Tilman Baumgärtel unterstreicht:
„Das Geschäftsmodell von Google basiert im Grunde auf einem Data-Mining, das demjenigen, das die NSA betreibt, vergleichbar ist. Der Unterschied ist lediglich, dass die NSA Terrorverdächtige identifizieren will, während Google sein gesammeltes Wissen über seine Nutzer analysiert, um ihnen auf sie geschnittene Werbebotschaften zu präsentieren.“
Das ist kein Ende der Utopie, sondern eine wenig überraschende, aber geschickt vollzogene Gegenrevolution. Das erhoffte Shangri-La wurde ganz traditionell kolonialisiert. Die harmlose politischen Spätrudimente der digitalen Aufbruchseuphorien (mustergültig: die Piratenpartei) zeigen, wie wenig es braucht, um solche Bewegungen zu marginalisieren.
Letztlich, so eine Erkenntnis mutmaßlich bereits der Steinzeitpsychologie, wollen die Menschen vor allem etwas, was bequem ist und sie ansonsten nicht weiter fordert. So haben sich alte Macht- und Kontrollprinzipien nach wenigen Jahren der Überforderung und Verwirrung nicht nur mit den neuen Strukturen arrangiert, sondern sie nahezu kampflos übernommen. Die meisten neuen Milliardäre dieser Wirtschaft – und das unterscheidet sie erstaunlicherweise kaum von den Oligarchen des Russlands der 1990er Jahre – sind die, die sich besonders opportun verhielten und reibungslos dem sie umgebenden Normensystem (in diesem Fall des Spätkapitalismus) fügten. Ihr revolutionäres Anderssein reduziert sich auf popkulturelle Effekte, eine an Don’t be evil-Nullsätzen ausgerichteten Geschäftsethik und dass sie frech in Billiglohnländern gefertigte Sneaker dort tragen, wo man früher schon in braunen Oxfords schief angeschaut wurde. Man kann ihnen das gar nicht vorwerfen: Keiner dieser Akteure hatte jemals etwas anderes im Sinn, als eine in der Regel genial einfache Idee zur Optimierung einer sozialen Praxis (Informationssuche, Gespräch, Selbstinszenierung) zu entfalten. Weltverbesserung fängt hier im ganz Kleinen und Praktischen an. Und endet auch dort. Allerdings sind die Konsequenzen gewaltig.
VI
Was wir nun sehen – obwohl man es sich, wie Tilman Baumgärtel anmerkt, „eigentlich schon in den Tagen der Morgenröte des Netzes denken“ konnte – ist eine Art Daten-Totalitarismus. Die NSA benutzt zur Krönung, wie wir erfahren, Open-Source-Programme, lange das Königsbeispiel des freien, altruistisch gerichteten und kollaborativen Geistes der neuen Netzkultur. Die türkische Polizei vervollständigt derweil ihre Festnahmelisten anhand von Web 2.0-Profilen.
Dass wohlmeinende Vorkämpfer den Boden für äußerst unsympathische und am Ende menschenfeindliche Regime bereitet haben (bzw. dass die in der Regel einen Hauch weniger idealistischen unter den Vorkämpfern in dieser schließlich auch mitwirkend aufgingen), ist freilich für die Menschheitsgeschichte sehr gewöhnlich. Neu ist die offensichtliche Totalisierbarkeit einer Daten-Macht, die uns in Hinblick auf unsere Kommunikationen, also auf unsere Sozialität und damit unsere Einbettung in der Welt, regulierbarer macht als jemals zuvor. Es besteht eine ziemlich direkte technologische Linie von der Volltextsuche über die semantische Analyse zum Geospacing zur Exekution per Drohne. Dafür, dass wir, d.h. also auch die Bibliotheken und die Bibliothekswissenschaft, das wissen, kämpfen wir mit ziemlich soften Bandagen. Nicht einmal zu einer Diskussion über die datenpolitische Rolle, die das Bibliothekswesen und die Bibliothekswissenschaft übernehmen könnte, kam es bisher.
Es ist verständlich, dass man sich nicht unnötig außerhalb des Kerngeschäfts exponieren möchte (man wird angreifbar) und dass man genauso wenig das Bedürfnis verspürt, außerhalb des Funktionsrahmens, dem die Gesellschaft einem zugesteht, Verantwortung zu übernehmen (man ist ohnehin schon voll ausgelastet). Eigensicherung, so der Eindruck, geht vor Gestaltungswillen. Daher bleibt es oft bei unverfänglichen, ein bisschen selbstbeweihräuchernden Wahlsprüchen wie „Wir öffnen Welten“ (Bibliothekartag 2014), in denen man alles Mögliche verpacken kann und mit denen man niemandem weh tut. Eine tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung ergibt sich daraus freilich noch nicht automatisch. Und durchgängig überzeugend ist diese Art von Anspruchsdenken, gegossen in nicht in jedem Fall ganz zündendes Bibliotheksmarketing, in Rückbindung an die Realität derzeitiger Wissenskulturen nur mit Einschränkung. Die benötigen die Bibliothek als Weltöffner nämlich nicht zwingend. Die Geschichte winkt dagegen derzeit mit mehr als einem Zaunpfahl dahin, wo sich Bibliotheken ihrer/unserer Zeit gemäß und wirksam nicht nur in sondern auch für eine Öffentlichkeit positionieren könnten.
(Berlin, 05. Juli 2013)
It’s the frei<tag> 2012 Countdown (16): Kurt Drawert (2), Digitale Geisteswissenschaft und Bibliotheken
Ben Kaden
Man erinnerte mich unlängst und nicht unbegründet daran, dass der LIBREAS-frei<tag>-Countdown mit Texten versehen werden sollte, die auch etwas wahlweise mit der Unkonferenz zum Stand der Bibliotheks- und Informationswissenschaft oder derr Summer School des LIBREAS Vereins zu tun haben sollte.
Immerhin meine kleine Glosse zu Kurt Drawert verfehlte diesen Anspruch recht deutlich. Er bereichert aber mein Leben wiederum um die Erfahrung, wie es ist, gelesen und nicht ganz so verstanden zu werden, wie ich es meine. So schreibt Armin Steigenberger auf lyrikzeitung.com:
„Es scheint, dass derjenige, der auch nur irgendwas gegen das Internet vorbringt, heute sofort unter Generalverdacht steht, was ich eigentlich genauso eindimensional finde. Insofern ist Ben Kadens Replik in summa eine ziemlich vorhersehbare Reaktion und an neuen Argumenten, die mich wirklich überrascht hätten, kommt gar nichts.“
Hier kollidieren natürlich Erwartungshaltungen und fast naturgemäß driften Meinen und Verstehen zielstrebig auseinander. In welcher Hinsicht ich generell verdächtige, erschließt sich mir auch nach dem Wiederlesen meines Textes nicht. Gleiches gilt für den Zweck der Pauschalisierung „das Internet“, gegen das zu opponieren freilich genauso sinnvoll wäre, wie der Kampf gegen Bahnschienen, Webstühle, Windmühlen und Schnellstraßen.
Darum geht es aber Kurt Drawert auch nicht. Sondern ihn treibt die Überlegung (oder Angst), wie (dass) sich die Rezeption verändert, wenn sich das Träger- und Abbildungsmedium ändert. Dahingehend geschieht ohne Zweifel viel und die Rezeptionsforschung stürzt sich hoffentlich begeistert auf diese Veränderungen. Und hoffentlich weniger voreingenommen als Kurt Drawert in seinem tristen Text.
Dass dieser den konkret Handelnden und die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungs- und Rezeptionswelten hartnäckig ausklammert, ist für mich der trübste, fast blinde Fleck seines Essays. Dass er zudem den Untergang der Literatur durch Digitaltechnologie prophezeit, ist eine so traurige wie grundlose Schlussfolgerung. Und der bebende Brustton, mit dem diese Einschätzung in den Diskurs eingeworfen wird, liegt so fernab jedenfalls meiner Lebenswirklichkeit, in der man Werkzeuge als Möglichkeiten betrachtet und nicht als auf des Herzens liebste Dinge gerichtete Dolche, dass ich mehr mit Erstaunen als mit Gegenrede reagieren kann. Neue Argumente sind zudem in dieser Urdebatte der digitalen Gesellschaft schon deshalb schwer zu finden, weil ich gar keinen Antagonismus à la „Freiheit des Netzes vs. Freiheit der Buchrezeption“ sehe.
Selbst wenn ich Technologiekritik gemeinhin hoch schätze, vermag ich weder das Problem noch den Pessimismus Kurt Drawerts nachzuvollziehen. Jedenfalls, solange unsere Kultur noch so etwas wie die Lyrikreihe des Hochroth-Verlags hervorbringt und ich die Option habe, meine Abendlyrik in einem stillen Zimmer vom Papier abzulesen. Ich wüsste nicht, welcher Techniker mir das nehmen wollte. Und daher bleibt mir die ganze Aufregung fremd – in einer unangenehmen Weise.
Nun bin ich fast schon wieder dabei, das Thema zu verfehlen. Aber man kann nicht zuletzt in Anschluss an Kurt Drawert (unter Hilfestellung von Armin Steigenberger) immerhin eine Einstiegsthese für die Unkonferenz daraus formulieren:
Digitale Medien verändern die Rezeptionspraxis, „weil das Internet als ‚Resonanzraum‘ kein störungsfreier Raum ist, sondern nebenher allerhand ‚Interferenzen‘ passieren, wo man auch permanent zusätzliche Infos bekommt, die man nicht bestellt hat, die aber die Rezeption, das „sich-Einlassen“ stören […]“ (vgl. http://lyrikzeitung.com/2012/07/29/119-gezwitschert-gegeigt-und-gesungen-2/)
(Die Tatsache, dass es on- und offline individuell große Unterschiede bei der Ausübung der bislang zentralen Kulturtechnik unserer Gesellschaft gibt, mag man vielleicht zunächst ausklammern.) Für die Texthermeneutik und das Close Reading ist diese Frage mindestens genauso relevant, wie für die Bibliotheken, die sich fragen, ob sie in einem Neubau lieber einen klassischen Lesesaal oder eine Kommunikationszone mit Café und Indoor-Spielplatz unterbringen sollen.
Und es wirkt auf die Frage zurück, wie wir schreiben sollen, wenn wir für das Netz schreiben. Armin Steigenberger betont beispielsweise in seiner Replik zu meiner Drawert-Lektüre, dass sich die Besprechung des Aufsatzes Kurt Drawerts in einem Weblog womöglich verbietet:
„Hinzu kommt die Tatsache, dass Drawerts NZZ-Artikel nicht im Netz verfügbar ist, was gewissermaßen gewollt ist – alles andere wäre ja wieder eine Einladung zum Entreißen, würde seine These nur belegen, dass eben alle Texte verlieren, sobald sie online sind und somit zu Verkürzung und Überlassung einladen. Denn diesen Text im Blog zu besprechen wäre vergleichbar damit, eine Blogdiskussion über die These abzuhalten, ob Blogdiskussionen nicht per se haltlos sind: eine contradictio in adiecto. Insofern wird Drawerts Artikel nun selbst „entrissener“ Text, in Ausschnitte zerbröckelt und unterlegt mit Bockwurst und Bier.“
Diese Argumentation überzeugt mich leider kaum. Denn (a) ist die Rekontextualisierung nach Gusto weder ans Web noch an Weblogs gebunden, sondern ein Leitelement schriftsprachlicher Debatten und vermutlich die Basis aller Kultur. Und (b) wäre die Verweigerung sich dem Diskurs zu stellen, indem man einen Beitrag zum Diskurs zwar trotzig präsentiert aber eben nur offline und daher um Diskursferne bemüht, diskursethisch untragbar. Und (c) ist ein Weblog einfach nur eine neutrale Publikationsfläche, die, wie ein Blatt Papier, vom Gossip bis zur Weltformel alles in Schrift fassen kann, was in Schrift zu fassen ist.
Gern gestehe ich dagegen ein, dass man meinen Text leicht als Bestätigung der These Kurt Drawerts lesen kann. Ich würde mir allerdings wünschen, dass man etwas anderes daraus mitnimmt. Nämlich den Aufruf zu mehr Gelassenheit in diesem Diskurs.

Manfred auch? Die Grenzen automatischer Verfahren Digitaler Geisteswissenschaften lassen sich in fast jeder Buch anschaulich bereits durch Oberflächenlektüre abschätzen. Denn welche automatische Textanalyse würde hier korrekt schlussfolgern, dass der russische Komponist Wladimir Martynow nicht etwa einen – obendrein recht lebendigen – Ferienhausvermieter aus dem Oberallgäu zu einer zentralen Autorität seiner geistesgeschichtlichen Sozialisation zählt, sondern jemanden von der Schwäbischen Alb, der wusste, wie uns die Technik ins Gestell zwingt. Man mag das Problem als spitzfindig empfinden, aber wir benutzen die digitalen Verfahren ja gerade zum Zwecke der Spitzfindigkeit, d.h. um auch das zu entdecken, was unserem Auge sonst entginge. Hier hat das händische Blättern noch gereicht. Dem Lektorat Der Anderen Bibliothek ist der kleine Fehler auf Seite 189 vermutlich ziemlich peinlich. Abgesehen davon ist die Ausgabe von Kerstin Holms „Moskaus Macht und Musen“ (Berlin: AB – Die Andere Bibliothek, 2012) jedoch ein gelungenes Beispiel dafür, warum wir von Buchkultur sprechen.
Auf einer solchen Basis könnte man sich dann nämlich den Fragestellungen wie der widmen, wie viel Verflüssigung, Bricolage und Versetzung von Textinhalten wir eigentlich für welchen Zweck zulassen wollen? Die wird nämlich nicht zuletzt akut im Umfeld dessen, was man Digital Humanities nennen.
Die Hamburger Tagung, die vermutlich als ein Schlüsselereignis der Digitalen Geisteswissenschaften in Deutschland gelten kann, brachte es immerhin zu zwei Artikeln in derselben Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und beide Texte versuchen etwas, was die Protagonisten dieses neuen methodologischen Spektrums bisweilen etwas vernachlässigen: die Metasicht auf Sinn und Unsinn, auf die Wechselbeziehung von Machbarem und Wünschbarem.
Wolfgang Krischke (Wege und Abwege digitaler Forschung. In: FAZ, 25.07.2012, S.N3, nicht frei online) betrachtet die Entwicklung relativ nüchtern:
„Von einem neuen Paradigma kann […] kaum die Rede sein, in manchen Bereichen der Linguistik bedient man sich der elektronischen Datenverarbeitung schon seit der Lochkarten-Ära.“
Allerdings räumt er selbst ein, dass die Möglichkeiten einer statistischen Analyse von Sprache heute doch – vor allem quantitativ – ein wenig mehr zulassen, als die Lochkartenpioniere vermutlich überhaupt ahnen konnten. Und er betont an der schlichten und interessanten, rein quantitativ aber kaum greifbaren Forschungsfrage:
„Wie verändert sich beispielsweise die Bedeutung von „Freund“ durch den Gebrauch, der von diesem Wort in den sozialen Netzwerken gemacht wird?“,
dass eine Horizontlinie der Erforschung der Websprache und ihrer Folgen bereits durch urheber- und datenschutzrechtliche Regeln eingezogen wird. Immerhin: Die Notwendigkeit einer informations- und wissenschaftsethischen Diskussion der Digital Humanities lässt sich in diesem Zusammenhang – also nicht zuletzt für die Unkonferenz – exzellent veranschaulichen.
Dazu zählt zudem eine weitere Frage, nämlich die, ob es nicht geradezu geboten ist, aussterbende Sprachen als generelles Kulturgut so gut und lückenlos wie nur möglich mit den vorhandenen Technologien zu dokumentieren, selbst wenn das am Ende vielleicht mit dem konkreten „Überleben der bedrohten Idiome“ nicht mehr zu tun hat, als eine Nachzucht einer in freier Wildbahn verschwundenen Tierart im Zoo. (Oder gar nur einem taxidermischen Präparat im Naturkundemuseum.)
Und ebenfalls wissenschaftsethisch interessant ist die Rolle von Google, das Korpus und N-Gram-Viewer als Zentralbausteine gewisser Facetten digitaler geisteswissenschaftlicher Forschung bereitstellt. Hier wirkt ein Unternehmen, wenn auch sicher ein sehr besonderes, massiv gestaltend auf eine Wissenschaftslinie ein, von der gern nicht selten betont wird, sie sei – möglicherweise analog zur Google-Suche – perspektivisch die einzige und alternativlose Option.
Thomas Thiel (Eine Wende für die Geisteswissenschaften? In: FAZ, 25.07.2012, S. N5) nimmt sich der Entwicklung aus einer wissenschaftsadministrativen bzw. -infrastrukturellen Position an und zeigt, dass Digital Humanities mehr meinen muss, als Google bietet. Er betont die für die Bibliothekswissenschaft zentrale Dreiheit von Digitalisierung, Standardisierung und Langzeitarchivierung (inklusive Qualitätssicherung). Wenn man das Fach sowie die wissenschaftlichen Bibliotheken also naheliegend auf die Rolle einer Zentralinstanz der digitalen Geisteswissenschaften orientiert, dann rutscht es automatisch in die Aufgabe, nicht nur Publikationen, sondern Korpora bzw. geisteswissenschaftliche Primärdaten zu sammeln, zu erschließen, vorzuhalten und nach Bedarf verfügbar zu machen. Die Digital Humanities (DH) könnten demzufolge der Bibliothekswissenschaft endlich eine fixe Forschungsrichtung vorgeben. Und dem wissenschaftlichen Bibliothekswesen eine Perspektive für die Zeit nach der Hegemonie der Printkultur.
Dazu muss sich das „Methodenfeld“ aus dem „Quellgebiet von Computerlinguistik, Computerphilologie und Fachinformatiken“ (Thomas Thiel) jedoch erst einmal als solches etablieren. Wobei nicht nur nicht notwendig, sondern überhaupt nicht zweckmäßig scheint, womit Jan Christoph Meister zitiert wird, nämlich der „empirische[n] Wende für die Geisteswissenschaften“ und dem Abschied vom „Paradigma der hermeneutischen Einzelforschung“. Hier wird erneut ein Ausschlussszenario ins Spiel gebracht, wo es völlig unnötig, in jedem Fall verfrüht ist. Thomas Thiel ordnet den bisherigen Stand der DHs zutreffend eher als „anwendungsorientierte Hilfswissenschaft“ als als „Speerspitze einer umfassenden Transformation der gesamten Geisteswissenschaften“ ein:
„Dass sie große Erkenntniszusammenhänge erschließen können, zeichnete sich nicht einmal schemenhaft ab.“
Ich sehe vielmehr auf lange Sicht als Ideal eine mehrschichtige Durchdringung quantitativer und metrischer Verfahren mit interpretativen, wie ich es jüngst in einem Kommentarthread, skizzierte:
„In einem zugespitzten Szenario könnte die Entwicklung vielleicht dahin gehen, dass wir auf der einen Seite große, tiefenerschlossene Datenbestände haben, aus denen auf der anderen Seite zahllose kleine und in verschiedene Richtungen zielende temporäre Interpretationen erfolgen und permanent diskutiert werden. Publikationen fassen diese Deutungen und Argumentationen eventuell sogar in festen Zeitabständen als gesichertere Referenzpunkte zusammen, zielen aber selbst nicht mehr Innovation, sondern nur auf Kumulation und Dokumentation. (Beispielsweise in eine aktualisierten Form von Referatemedien, die nicht mehr Publikationen, sondern Argumente, Schlüsse und Diskussionen sammeln, ordnen und in dieser Ordnung verfügbar machen.)
So wie es in bestimmten Geisteswissenschaften kanonisierte Texte gab und gibt, die über zeitstabil neu gelesen werden, so könnte ich mir vorstellen, dass es auch einen Kanon von Open Data-Datensätzen gibt, mit denen alle Disziplinen ähnlich verfahren. Messende und interpretative Disziplinen verschmelzen demnach. Und zwar nicht nur in der Form, dass sich Geisteswissenschaften zunehmend quantitativer Verfahren bedienen. Sondern auch, dass eine Form von Daten-Hermeneutik (möglicherweise mehr in Anschluss an die so genannte Objektive Hermeneutik) in die anderen Disziplinen dringt. (Implizit spielt nach meiner Erfahrung Interpretation seit je fast überall die entscheidende, nämlich Schlüsse grundierende Rolle. Nur erfolgt dieser methodische Schritt oft nicht zureichend reflektiert, d.h. im Bewusstsein, dass eine Schlussfolgerung immer ein interpretatives Moment enthält, das man auch methodologisch elaborieren kann.)“
Inwieweit in diesem Szenario langfristig die rein interpretativen geisteswissenschaftlichen Publikationen es noch leicht hätten, sich zu behaupten, oder ob sie sich nicht nach und nach in Richtung einer eher literarischen Abbildungs- und Erkenntnisdisziplin emanzipierten, die selbst mehr Wert auf Originalität in Form und Darstellung als an formalwissenschaftlichen Anspruch und Strenge legt, bleibt selbstverständlich einer von zahlreichen weiteren offenen Aspekten. In jedem Fall berechtigt uns nichts, ihnen jetzt (schon) die Tür zu weisen.
29.07.2012
50 Days of Lulz: Welche informationsethischen Fragen warf die Hackergruppe LulzSec mit ihren Aktivitäten auf? [Preprint]
von Karsten Schuldt
[PDF des Artikels „50 Days of Lulz“]
Im Mai und Juni 2011 operierte eine Gruppe von Hackern unter dem Namen LulzSec relativ offensiv und mit starker medialer Begleitung. Die Gruppe verkündete, sich vor allem über die schwache Sicherheit von Servern und Homepages lustig zu machen und hauptsächlich nach dem Prinzip zu operieren, selber Spaß zu haben. Als Methoden ihrer Angriffe benutzte die Gruppe vor allem DDoS-Attacken, offenbar ausgeführt von einem eigens aufgebauten Bot-Netz, sowie das Auslesen von Daten mittels SQL Injections. Beide Methoden wurden von anderen Hackern als relativ simpel bezeichnet, obgleich LulzSec immer wieder betonte, weitere Methoden zu benutzen. Dennoch erregt die Gruppe großes Aufsehen, zum einen da sie relativ viele Daten, zu denen sie Zugang gefunden hatte, veröffentlichte und sehr großen Organisationen – unter anderem das FBI – als Ziel ihrer Attacken aussuchte, zum anderen durch die Angewohnheit, die Öffentlichkeit beständig über ihre Attacken zu informieren.
Die Gruppe wurde von einigen auf Internetthemen spezialisierten Medien als „Grey Hat Hackers“ bezeichnet, da sie Elemente des Hackens, welches sich moralisch oder politisch motiviert und des Crackens, welches explizit Zerstörung in Daten und Servern anrichten oder einen finanziellen Gewinn aus den Onlineaktivitäten ziehen will, in sich vereinte.
Am 26.06.2011 Mitteleuropäische Zeit, beziehungsweise kurz vor dem Ende des 25.06.2011 in den nordamerikanischen Zeitzonen, verkündete LulzSec, sich nach 50 Tagen Aktivität selber aufzulösen. Über die Gründe für diese Auflösung wurde sofort spekuliert, wobei mehrere Stimmen davon ausgingen, dass die bislang anonym agierende Gruppe befürchten musste, kurz vor der Ent-Anonymisierung durch andere Hackergruppen oder aber durch Strafverfolgungsbehörden zu stehen. LulzSec selber verkündete, dass sie ihre Aktivitäten von vornherein auf diese 50 Tage angelegt hätte.
Die Existenz und die Aktivitäten dieser Gruppe sowie die Reaktionen auf diese von Seiten anderer Hackergruppen, spezialisierter Medien, der unterschiedlichen Internet- und Spiele-Communities und der von den Angriffen betroffen Firmen und Organisationen werfen eine Reihe von ethischen Fragen im Bezug auf Informationsnutzung, Datenschutz, Verantwortung, Hackerethik und Netzaktivismus auf. Es ist leicht ersichtlich, dass sich diese ethischen Fragen nicht nur für die Subkultur des Hackens, sondern für alle Einrichtungen und Individuen stellen, die sich mit den Internet befassen, insbesondere aber für Initiativen, die sich dem Netzaktivismus verschrieben haben. Angesichts dessen, dass diese Gruppe mit ihrem – unter Umständen auch vorläufigen – Ende eine klare Zäsur gesetzt hat, bietet sich dieses Beispiel für eine Übersicht zu den ethischen Fragen des Internetzeitalters an.[1] Im Folgenden sollen anhand von LulzSec diese Fragen kruz diskutiert werden.
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