„In retrospect it would have been better to follow the research assistant’s advice“ – Über die Langzeitarchivierung von Open Access Journalen
Rezension zu: Michael Seadle (2011) Archiving in the networked world – open access journals. Library Hi Tech 29 (2): 394-404. DOI: 10.1108/07378831111138251 , Grundlage des Referats – URN: urn:nbn:de:kobv:11-100197292
Najko Jahn
Das Directory of Open Access Journals (DOAJ) stellt wohl die bedeutendste Quelle für den Nachweis von Open-Access Journalen dar. Es verzeichnet nicht nur Zeitschriftentitel, sondern weist auch Volltextdokumente nach. Michael Seadle, Herausgeber von Library Hi Tech, erkennt in seiner Kolumne „Archiving in the networked world – open access journals“ den Wert einer solchen Quelle für die Beantwortung von bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Fragestellungen, wenn er zur Disposition stellt, inwieweit die Langzeitarchivierung der in DOAJ verzeichneten Titel gewährleistet sei und wann Initiativen in diesem Bereich, und zwar LOCKSS/CLOCKSS, Portico und e-Depot, die Aufgabe der Langzeitarchivierung der Open Access Zeitschriftenaufsätze erfüllen könnten.
Motiviert der Autor zunächst relevante Fragestellungen, so sind Methodendarstellung, Datengewinnung und die darauf aufbauende Ergebnisdarstellung und -diskussion in seiner Kolumne weniger überzeugend.
Das Netz als Teil des Lebensgefühls im Grime
Von Karsten Schuldt
Rezension zu: Wiley (2011) / 100% Publishing. – [Vinly, MP3]. – London : Big Dada, Ninja Tunes.
Die jeweils aktuellen Informationsmittel sind immer Teil des Lebensgefühls der Teile der Bevölkerung, welche populäre Musik nutzen. Diese Aussage ist wohlfeil, leitet sie doch beispielsweise die Forschung zu Subkulturen. Aber: Ist eine Popmusik nur thematisch breit genug und beschränkt sich nicht auf jeweils zwei, drei Themenbereiche – was allerdings viele Genres doch tun – und ist zudem noch nah genug an den eigenen Hörerinnen und Hörern, dann spiegelt sich diese Nutzung der Kommunikationsmittel in der Musik selber wieder und wird so, auch ohne größere Feldforschungen, unter anderen für den forschenden Blick sichtbar. Oder anders: Wenn die Kommunikationsmittel in dieser Musik auftauchen, kann man auf die tatsächliche Nutzung zurück schließen. Nicht ungebrochen, verbleibt doch auch vieles im Klischee; aber doch relevant.
Nun gibt es wohl aktuell keine Richtung der Popmusik (egal ob im Underground oder Mainstream), die selbstbezüglicher und beredeter ist, als der HipHop in seinen zahllosen Ausprägungen, Weiterentwicklungen und regionalen Dialekten. Der Einfachheit halber – die selbstverständlich im Umkehrschluss der gesamten Komplexität der Entwicklung des Genres nicht vollständig gerecht wird, aber für die folgende Argumentation greifbarer macht – soll hier Grime, insbesondere in seiner Ausrichtung in den UK, als eine solche Weiterentwicklung gezählt werden.
Dann nämlich sollte es für alle, die ein Interesse an Informationen und Informationsnutzung haben, von Interesse sein, dass mit Wiley einer der sprachmächtigsten und vor allem prägendsten Protagonisten des Grime im letzten Jahr ein Album mit dem Titel 100% Publishing, dass zudem mit dem Titel Information Age aufmacht, veröffentlicht hat. (more…)
Über Paperbackups: Darf man Bücher wegwerfen und was hat Apple vor?
von Ben Kaden
Container-Bücher und iDucation
Zwei erstaunliche Geschichten dominierten letzte Woche die Aufmerksamkeit (und zwar in dieser Reihenfolge): Zum einen vollzog sich in zwei Weblogs etwas, was man vielleicht als die Dale-Askey-Klaus-Graf-Kontroverse bezeichnen kann. Es geht dabei um die traditionelle Frage, inwieweit man Bücher in den Container werfen und also entsorgen darf. Dale Askey beschrieb in einem vielleicht etwas zugespitzt Why I no longer collect books betitelten Beitrag in seinem eher eine gegenteilige Einstellung evozierend „Bibliobrary“ genannten Weblog sehr ausholend, dass er beginnt, die für ihn völlig irrelevanten Teile seiner Privatbibliothek quasi als Entsorgungsvorlass auszusondern:
„Anything that remained after that went into a donation bin for the public library, until we realized that putting thrice-culled dregs into a donation bin was just pushing off the burden of disposal to others and wasting their time, so we started putting them in boxes (we didn’t want our own Nicholson Baker exposé moment), sealing them with epic amounts of duct tape, and chucking them in the dumpster.”
Klaus Graf reagierte in seiner etabliert konsequenten Art im netbib-Weblog mit einem nicht minder zugespitzt betitelten Beitrag Lasst tausend Bücher brennen.
In beiden Weblogs entsponnen sich rege Folgediskussionen, die sich nahtlos in eine übergreifende Debatte zum Ende des gedruckten Buches fügt, das, so liest man, durch einen Wandel in der Einstellung zum Medium dank E-Reader und flotten Konkurrenzmedien eingeleitet wird. Die zweite Story der Woche passt gut dazu: Der Technologie-Konzern Apple revolutioniert das Schulbuch und man darf gespannt sein, wie die nicht gerade als zimperlich bekannten Lobbyvertreter der Schulbuchverlage an dieser Stelle die Substanz zu retten versuchen. Dazu sind heute noch keine Aussagen möglich.
Zwei Buchkulturen
Aber für die Aspekte „Buchentsorgung“ und den Apple-Schritt liefert ein vielleicht nicht mehr jedem bewusster Aufsatz von Fritz J. Raddatz im Times Literary Supplement vom 25. September 1969 jeweils eine Art Antwort. (more…)
Einspruch Eurer Zeiten. Arlette Farges archivarische Reverie gibt es endlich auch in deutscher Übersetzung.
Während in der LIBREAS-Redaktion die Vorbereitungen für die Ausgabe 20 laufen, gibt es vorab zur Überbrückung der Wartezeit schon einmal eine Rezension.
Rezension zu: Arlette Farge: Der Geschmack des Archivs. Göttingen: Wallstein, 2011. ISBN: 978-3-8353-0598-4, € 14,90 – Informationen zum Titel beim Verlag
von Ben Kaden
„Wie soll man also eine Sprache erfinden, die sich an jene Bewegung des Suchens annähert, die sich im Archiv anhand unendlich vieler Spuren von Herausforderungen, Rückschlägen und Erfolgen vollzieht?“ (S. 94)
Zweifellos: Das Archiv ist ein Bremsklotz im Fortstürmen und Drängen der Kultur durch die Zeit. Und auch des eigenen. Mehr noch als der Lesesaal einer Bibliothek ist die Vergessenheit des Archivs buchstäblich eine Zeitkapsel und wer selbst einmal Stunden in dieser verbrachte, weiß sicher um den seltsamen Zustand, wenn man nach einem intensiven Quellenstudientag mit der frisch in vielfältigen Vergangenheiten verschobenen Selbstwahrnehmung zurück in den Hauptstrom des Gegenwartsgeschehen tritt.
Das Archiv schnappt etwas aus dem Geschehen der jeweiligen vergangenen Gegenwarten auf und entführt zugleich den, der sich mit diesen Gegenwarten befasst. Das Archiv sichert das Geschehen dieser Zeiten nicht selbst. Aber es legt einen Hinweis auf das, was geschah, an und konserviert ihn, so gut es kann. Es erzeugt Spuren.
Über die Spuren (oder auch Zeugnisse) kann der, der sucht dem Geschehenen (bzw. dem Bezeugten) nachspüren. Möglicherweise stimuliert das Archiv eine unbewusst angelegte sehr ursprüngliche (archaische?) Begabung des Fährtenlesens, die uns ständig auf der Suche nach einem Sinn in eine mehr oder weniger strukturierte semiotische Aufzeichnungsumwelt treibt. Die Archive repräsentieren eine solche Umwelt. In ihnen hoffen wir, über die Repräsentanten vergangener Gegenwarten Erkenntnisse für unsere gegenwärtigen Gegenwarten aufzufinden. (Museen erfüllen als in die Öffentlichkeit gestülpte Archive eine ähnliche Funktion.)
Die Nutzung eines Archivs ist also nicht zuletzt eine Distanzierungserfahrung und zwar nicht nur intellektuell, sondern spürbar gesamtsinnlich. Möglicherweise schwächt sich diese Sensation mit der Zeit ab. Bei Arlette Farge ist dies aber mutmaßlich nicht der Fall, denn ansonsten wäre das archivphilosophische Kleinod Le goût de l’archive (Paris: Le Seuil, 1989) sicher nicht entstanden. (more…)
Per Ubicomp zum Rubikon? Dietmar Daths schießpulverne Zukunft des Internet aus dem Jahr 2002.
Ein Kommentar von Ben Kaden
Eines der drängenden Probleme unserer digitalen Tage ist die Abschätzung von Zeitlichkeit. Eine Rückschau in Publikationszeitschriften, die auf den Beginn dieses Jahrtausends datieren und in denen sich Werbung für Mobilfunkgeräte findet, die aus heutiger Sicht ungeschlachten Kommunikationsriegeln mit wuchtigen Tasten unübertreffliche Eleganz zusprechen, zeigt, wie weit die Sprünge der designtechnologischen Evolution eigentlich reichen. Die urförmigen Koffertelefone der 1990er liegen da bereits jenseits jeglichen Horizonts.
Technik altert, das ist ihre Natur, schnell und je technischer wir uns unsere Lebenswelt gestalten, desto mehr sind wir gezwungen, uns mit einem Bein in der Gegenwärtigkeit und mit einem halben in der gegenwärtigen Zukunft aufzuhalten. Das andere halbe Bein lässt sich dann vielleicht noch für den biografischen Gang in die Identitätsentwicklung sowohl individuell wie auch gesellschaftlich irgendwo ins Vergangene stellen. Es fragt sich allerdings, ob wir uns dafür überhaupt noch begeistern, wenn die Archive einmal alle durchdigitalisiert sind. Die Auseinandersetzung mit Vergangenheit findet derzeit vielleicht nicht immer, aber doch in den Kontexten die uns hier berühren weitgehend, in Form der technischen Integration in die gegenwärtigen Möglichkeiten der Dematerialisierung statt.
Gestern eröffnete nun Constanze Kurz ihre Kolumne Aus dem Maschinenraum zum „Rubikon der Sprachgewalt“ bzw. Worterkennungsalgorithmen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (S. 34) mit der flockenden Formulierung: „Vor einer kleinen digitalen Ewigkeit, Ende 2002, …“ Wir feiern also heuer 10 Jahre T9 (Text on 9 Keys), ein Verfahren, welches so selbstverständlich ist, dass nicht nur die aktuellen Erstsemesterstudierenden damit permanent vorlesungsbegleitend operieren, ohne zumeist überhaupt die Bezeichnung zu kennen.
Vor fast genau 10 Jahren, in der ersten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung des Jahres 2002 eröffnete das Feuilleton des Blattes, in dem man an den kuriosen Preisangaben zu den besprochenen Büchern die Währungsumstellung ablesen kann, mit einem Zweispalter unter der Überschrift: „Nach dem Internet“. Geschrieben wurde er mutmaßlich noch im letzten D-Mark-Jahr vom Kulturvisionär Dietmar Dath. Ausgabe vom 02.01.2002, S. 39) (more…)
Das Jahr 2012 bei LIBREAS und in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Zu einem guten Start und einem Abgrenzungsproblem.
(mit Anmerkungen zu: Erjia Yan, Ying Ding, Staša Milojević, Cassidy R. Sugimoto (2012) Topics in dynamic research communities: An exploratory study for the field of information retrieval. In: Journal of Informetrics. Volume 6, Issue 1, January 2012, S. 140-153 DOI: 10.1016/j.joi.2011.10.001)
von Ben Kaden
Die erste Arbeitswoche des Jahres 2o12 lässt sich für LIBREAS durchaus als erfolgreich bezeichnen, denn soviele Zugriffe gab es selten und ebenso rar waren hier bisher fachliche Diskussionen wie diese. Die schlagwortartige Sichtung internationaler Zeitschriftenliteratur zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft, ursprünglich als Tischbereinigung angesetzt, erfreut sich einer durchaus regen Aufmerksamkeit bis ins Ausland, was für uns als LIBREAS-Redaktion ein unfehlbares Zeichen ist, dass der Bedarf für Synopsen der Aktivitäten des eigenen Fachs besteht. Nun bleiben nicht nur bei der Weihnachtserhebung zahlreiche Fragen offen, die allesamt Stoff für mittlere Abschlussarbeiten hergeben könnten.
Klaus Graf bemerkte zum Beispiel „es wäre schon interessant zu wissen, welcher Anteil einer an Wichtigkeit orientierten Auswahl aus diesem Literatursegment OA ist“ und hat damit weitgehend recht. Einzig der Punkt der Orientierung auf die Wichtigkeit ist im Einwurf überstrapaziert, denn dieses Kriterium kann ich mir nicht als Leitlinie anmaßen. Es steckt tatsächlich mehr Zufälligkeit und persönliche Vorliebe hinter der Auswahl.
Zweifellos ist aber richtig, dass man eine Themenclusterung mit dem Anspruch, über ein silvesterabendliches Stimmungsbild zur Informationswissenschaft hinauszureichen, auf Kriterien der Wichtigkeit aufsetzen sollte. Die sind freilich noch zu definieren. Aussagen zur Zitationshäufigkeit der Zeitschriftenaufsätze eines Jahres sind beispielsweise derart zeitnah kaum möglich, da sich die zitierenden Publikationstexte mitunter selbst noch im Pre-Publishing befinden. Oder – hier liegt der Anschluss zum Open Access-Thema – man sichtet Volltexte auf Pre-Print-Servern antizipierend. Dort spielt aber wiederum das konkrete Publikationsverhalten hinein: Nicht jeder Aufsatz in unserer Disziplin wird in dieser Form vorveröffentlicht. (more…)
Noch wenige Stunden mit TwapperKeeper!
Ungeachtet der Frage nach dem Wert von Twitter für die Bemessung wissenschaftlicher Kommunikationen (vgl. Die Buzzermeter. Warum die Tweetmetrics den Menschen stärker in den Blick nehmen sollten) wird am 6. Januar mit TwapperKeeper ein Online-Archiv vom Netz genommen, das der Debatte eine wichtige, non-propritäre Quelle für zukünftige Twitter-Studien hätte bieten können.
Wie kann ich meine Archive sichern?
Wir haben hier bereits früh einen Weg dargelegt, wie sich Archive leicht anhand eines Hash-Tags aus TwapperKeeper heraus sichern lassen, was in viele Verbesserungen und Alternativen mündete:
- Free the tweets! Export TwapperKeeper archives using Google Spreadsheet
- Rescuing Twapperkeeper Archives Before They Vanish
- Free (and rebuild) the tweets! Export TwapperKeeper archives using Google Refine
Dank dieser weitaus offeneren und elaborierteren Arbeiten ist es in den nächsten Stunden noch möglich, persönlich, organisatorisch oder für die Begleitforschung bedeutsame Archive zu sichern.
Was uns fehlen wird?
Am Beispiel der Twitter-Kommunikation während der Bibliothekartage der Jahre 2010 (#bibtag10) und 2011 (#bibtag11) wird deutlich, welches Potential TwapperKeeper etwa für längerfristige Untersuchungen der (bibliothekarischen) Konferenzkommunikation über Twitter hätte spielen können. Die folgende Skizze soll einen Einstieg in die Fragestellung bieten, wer wen im Rahmen der Bibliothekartage 2010 und 2011 erwähnt bzw. referenziert und wer sich überhaupt an der Kommunikation beteiligt hat.
Zum Zoomen als pdf
Alternativen zu TwapperKeeper?!
Abnahmefreie Industrieforschung. Jürgen Kaube über Mark Bauerleins Geisteswissenschaftsberechnung.
Ein Kommentar von Ben Kaden
Wenn man schon einmal offen für ein Thema ist, dann holt es einen auch beständig ein. Diese Grundeinsicht des Alltags bewahrheitet sich derzeit im Anschluss an eine etwas nebenbei dahingeschriebene Kennzahl zu Lese- und Publikationsaktivität von Wissenschaftlern, die Walther Umstätter freundlicherweise gestern in einem Kommentar korrigierte:
„B. Kaden hat gut daran getan, die „klassische Kennzahl“ mit dem Einschub „hoffentlich richtig“ zu versehen, denn worauf er sich bezieht ist: „Wissenschaftler überfliegen jährlich größenordnungsmäßig Zehntausend Publikationen, sie lesen davon etwa hundert, und falsifizieren beziehungsweise verbessern eine, über die sie selbst veröffentlichen.“ (Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum, S. 286).“
Nun liegt die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Mittwoch auf dem Schreibtisch und in dieser findet sich im Wissenschaftsteil eine Zusammenstellung Jürgen Kaubes zu Mark Bauerleins Erhebung (bzw. ausführlicher als PDF) zum Rezeptions- und Publikationsverhalten in der Literaturwissenschaft. (Kaube 2012) Die Grunderkenntnis: In der Literaturwissenschaft wird viel zu viel geschrieben und viel zu wenig gelesen. Was auch volkswirtschaftlich zum Problem wird. Denn Mark Bauerlein ermittelte: (more…)
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