LIBREAS.Library Ideas

Wie Roland Reuß lesen? Eine Textkritik.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Ben on 14. Oktober 2015

von Ben Kaden (@bkaden)

Dass Roland Reuß für den Diskurs ein hochmodernes und leider auch hochermüdendes Stilmittel bevorzugt, nämlich die Polemik, ist allen bekannt, seit er auf seinen Durchbruchstext zum Thema Open Access (Roland Reuß: Eingecremtes Publizieren: Open Access als Enteignung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.02.2009, Nr. 35, S. N5) die Abschaffung der Idee des Individuums und vielleicht sogar des alten Europas durch die Wissenschaftspolitik voraussagte:

„Wer hier anfängt, blind und ohne Reflexion auf die Folgen rumzufuhrwerken, legt die Axt an die Wurzel dessen, was das alte Europa einmal „selbständiges Individuum“ genannt hat. Niemand kann das wollen.“

Gudrun Gersmann, zu dieser Zeit Vorsitzende des Unterausschusses »Elektronische Publikationen« der Deutschen Forschungsgemeinschaft, antwortete damals und zwar ausdrücklich nicht in ihrer DFG-Rolle sondern mit einem Erfahrungsbericht aus dem Deutschen Historischen Institut in Paris ebenfalls in der FAZ. Ihre Replik fiel bemerkenswert geduldig und gelassen aus. (Gudrun Gersmann: Wer hat Angst vor Open Access? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2009, Nr. 41, S. N5) Zum Ende hin lobte sie noch einmal das utopisch-emanzipative Potenzial von Open Access: (more…)

Wo beginnt die Vorgeschichte der Digital Humanities und was kann man aus ihr lernen?

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 9. Oktober 2015

Eine Notiz zu

Marcus Twellmann: »Gedankenstatistik« Vorschlag zur Archäologie der Digital Humanities. In: Merkur, 797 (Vol.69, Oktober 2015). S. 19-30

von Ben Kaden (@bkaden)

I.

Vermutlich ist es das Zeichen einer Reifung, wenn für ein junges Forschungsfeld, zum Beispiel die Digital Humanities, einerseits eine Art Geschichtsschreibung einsetzt und dies andererseits in Publikumszeitschriften geschieht. Der Merkur – Subtitel „Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“ – gehört traditionell zu diesen leider in der Zahl eher geringen Titeln, die den Überschlag von einer geistes- und kulturwissenschaftlichen Fachöffentlichkeit hin zu einer an intellektuellen Themen interessierten allgemeinen Öffentlichkeit regelmäßig schaffen. Es handelt sich buchstäblich um eine Zeitschrift, denn es werden die Themen der Zeit be- und aufgeschrieben und wenn man beispielsweise Jürgen Habermas‘ Artikel zu Moral und Sittlichkeit aus der Dezemberausgabe 1985 nachliest, staunt man, wie trotz aller beschworenen Verkürzung von Halbwertszeiten des Wissens bestimmte ideengeschichtliche Phänomene erstaunlich geltungsstabil bleiben können.

Ob dies ähnlich auch für Marcus Twellmanns Text zur Archäologie der Digital Humanities aus der Oktoberausgabe des Jahres 2015 gelten wird, werden wir erst 2045 beantworten können. Die Chancen stehen aber nicht schlecht, denn der Konstanzer Kulturwissenschaftler nähert sich dem Phänomen bereits historisch und zwar aus einer methodengeschichtlichen Perspektive. Ist Pater Roberto Busa mit seiner computergestützten Aquin-Erschließung der Nukleus der Digital Humanities bzw. des Humanities Computing? Nicht unbedingt, meint Twellmann. Und schlägt vor:

„Betrachten wir solche humanwissenschaftlichen Formationen als protodigital, die auf einer mathematischen Verarbeitung numerischen Daten basierten und Verfahren hervorbrachten, die später computertechnisch implementiert werden konnten.“

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