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Publikationsfreiheit.de, Open Access und Geisteswissenschaften.

Posted in LIBREAS.Debatte by Ben on 31. Juli 2017

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

I

Der Aufruf „Publikationsfreiheit für eine starke Bildungsrepublik“ (www.publikationsfreiheit.de) war unbestreitbar eine prägendes Ereignis der Debatten und Kontroversen vor allem aber nicht nur um das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG). Er verfehlte allerdings, wie wir nun wissen, sein unmittelbares Ziel. Der Bundestag beschloss selbst angesichts der Unterschriften von Jürgen Habermas, Jürgen Osterhammel und Marlene Streeruwitz eine Neuregelung der Urheberrechtsschranken im deutschen Urheberrechtsgesetz, die dank eines Zugeständnisses an die Presseverlage kurz vor Beschluss die Reichweite der Schranken leicht begrenzen, punktuell ein paar Lücken schließen (Textmining) und sichert insgesamt die Situation, die sich aus den drei berühmten Körben der deutschen Urheberrechtsgeschichte ergab, in neuen Formulierungen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Aufruf nichts als diskursive Aquafitness war. Ganz im Gegenteil.

Das gilt in vielerlei Hinsicht. So dürfte die Vernetzung und Willensbildung im deutschen Verlagswesen und im Börsenverein des deutschen Buchhandels einen erheblichen Schub erfahren haben. Zugleich präsentiert er in hochkonzentrierter Form und im Zusammenhang mit anderen Quellen der absolvierten Urheberrechtsdebatte, wie öffentliche Auseinandersetzungen dieser Art mit welchen Narrativen unterfüttert öffentlich kommuniziert werden, wie sich welche Öffentlichkeit mobilisieren lässt und welche Akteure welche Kanäle zu aktivieren in der Lage sind. Wir wissen nun in gewisser Weise, wie vital die Beziehungen zwischen Verlagen und ihren Autorinnen und Autoren sind und wer für welche Botschaften besonders empfänglich ist.

Zugleich sind der Aufruf und seine Spuren aber auch als diskursgeschichtliche Forschungsdaten hochinteressant. Glücklicherweise ist die Seite mittlerweile auch im Internet Archive gesichert. Insbesondere die rege genutzte Möglichkeit, einen Kommentar zur Vorlage „Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil…“ zu hinterlassen, kumulierte nämlich einen außerordentlichen und einzigartigen qualitativen Datenpool zu Einstellungsmustern in Verlagswesen, Wissenschaft und Kulturproduktion gegenüber aktuellen Entwicklungen im Publikationswesen und insbesondere im wissenschaftlichen Publizieren. Spätere Analysen zum Medienwandel und seinem Echo in den 2010er Jahren werden darauf dankbar zurückgreifen. Wenngleich naturgemäß nicht repräsentativ, gibt das Material doch exemplarisch  Zeugnis zur Debattenkultur unserer Gegenwart.

II

So finden sich beispielsweise 21 Positionen zum Phänomen des Open Access, die gerade weil sie weitgehend spontan formuliert wenig elaboriert sind, viel darüber aussagen, welche Assoziationen das Schlagwort derzeit weckt. Wie bei vielen Debatten zur digitalen Wissenschaft zeigt sich auch hier, dass auf Seiten der sich damit seit nahezu zwei Jahrzehnten intensiv befassenden Bibliothekswissenschaft sowie der Wissenschaftsinfrastruktur ein Zustand gegeben zu sein scheint, den man zumindest funktional fast als überreflektiert bezeichnen kann. Insbesondere in der geisteswissenschaftlichen Publikationspraxis wird das Konzept selbst nur in Ausnahmefällen trennscharf definiert wird. Oft scheint es mehr ein allgemeines Symbol für die negativen Folgen der Digitalisierung von Prozessen der Wissenschaftskommunikation zu sein. 

Bestimmte Entwicklungen wirkten und wirken tatsächlich nicht unbedingt als positive Multiplikatoren. Zu nennen sind die massive Betonung von über Publikationsgebühren zu finanzierendem Gold-OA, das die bestehenden Mechanismen und Kuchen des globalen Wissenschaftsverlagswesens weitgehend unberührt lässt. Dazu zählt die kurzsichtige Annahme besonders der 2000er Jahre, dass etwas, was in den STEM-Fächern einen akuten Bedarf hervorragend abzufangen scheint, nach etwas Aufklärung auch in geisteswissenschaftlichen Kommunikationsgemeinschaften Begeisterung auslösen muss. Ungünstig ist die nach wie vor fehlende Strategie zur Kommunikation (teils auch zum Finden) überzeugender Lösungen zur digitalen Langzeitarchivierung. Für die Open-Access-Bewegung, wenn man sie noch so nennen will, erwies sich zudem ganz offensichtlich als nachteilig, dass ihr niemand angehörte, der bereit und in der Lage war, ihre Narrative mit denen des Selbstverständnisses der deutschen Geisteswissenschaften in Übereinstimmung zu bringen.

Das Produkt Open Access wurde in gewisser Weise an dieser Zielgruppe vorbei vermarktet. So existierte in diesen sehr eingespielten und nicht sonderlich dynamisch-innovativen Kommunikationsgemeinschaften weder ein akuter Bedarf noch konnten die Vorteile von Open Access wirklich in Resonanz mit den Wünschen der meisten geisteswissenschaftlichen Communities treten. Ein Ziel wie die „die Maximierung der Verbreitung wissenschaftlicher Information“ (Berliner Erklärung) muss schon deshalb scheitern, weil Geisteswissenschaften oft bereits mit dem Konzept der Information als Kern ihrer Arbeit Probleme haben. In vielen Fällen versteht sich Geisteswissenschaft als Arbeit am Werk. In nicht wenigen verstehen sich die Forschenden auch als selbst als Werkschöpfer. Darüber hinaus interessiert viele Vertreterinnen und Vertreter dieser Fächer die maximale Reichweite weniger als die Anerkennung einer überschaubaren Elite von Peers. Anderer Argumente für mehr Open Access harmonieren ebenfalls wenig mit den traditionellen Selbstverständnissen und Zielen dieser Gemeinschaften: Nachnutzbarkeit spielt nur als Referenz eine Rolle, als Zeichen der Qualitätssicherung dienen in der Regel der Verlagsname und das Rezensionswesen und Forschungstransparenz ist an vielen Stellen weder gewünscht noch notwendig. Die Publikation – im Idealfall eine solide lektorierte Monographie – soll bewertet werden und nicht etwa die Notizbücher und Entwurfsfassungen, die zu ihr führten. 

III

Dazu addiert sich in Deutschland die zwar nachweislich wenig fundierte und grotesk pauschale, aber umso polarisierendere Rhetorik insbesondere der Leitfigur der publizistischen, wenn man so will, Anti-Open-Access-Bewegung, Roland Reuß. Selbige wird aus unerfindlichen Gründen nicht nur als einzigartig gewürdigt, sondern oft sogar als überzeugend geadelt wird und zwar von Leuten, die in ihrer Karriere eigentlich mit den Arbeiten der wirklich großen Meister der Redekunst in Berührung gekommen sein müssten.

Auf der anderen Seite verdeutlichen die Kommentare auf Publikationsfreiheit.de, die in gewisser Weise doch teilweise ein Spiegelbild zumindest des Hauptstroms des deutschen Publikationswesens sowie ein wenig auch akademischen Geisteslebens darstellen, dass hier viele Menschen aktiviert wurden, die sonst eher wenig im Internet schreiben. Nicht nur die massive Ballung von Tippfehlern, die dann besonders auffällt, wenn man wie wir von LIBREAS Verfahren der digitale Textanalytik auf dem Kommentar-Korpus herumkurven lassen, trägt zu diesem Schluss bei.

Man sollte den Stellenwert der Digitalisierung keinesfalls überschätzen. Die digitale Diskurskultur der iRights-Perlentaucher-Generation ist zwar in bestimmten Twitter-Blasen sehr wahrnehmbar, aber keinesfalls repräsentativ. Im Vergleich nicht nur mit den USA ist die Nutzung digitaler Werkzeuge für die öffentliche Diskurse in Deutschland weitgehend eine uninspirierte Stehparty, wie man beispielsweise unschwer zu quasi jedem Zeitpunkt an den Trending Topics bei Twitter ablesen kann.

Zugleich gibt es glücklicherweise in den Kommentaren aber auch eine Reihe von Anmerkungen, bei denen man sofort gern in ein Gespräch einsteigen würde. Dies bestätigt nochmals, dass es Matthias Ulmer mit seinem Aufruf tatsächlich gelungen ist, einen sehr wertvollen und aufschlussreichen Querschnitt an Positionen zu Urheberrecht, Digitalisierung und digitaler Wissenschaft bzw. Lehre zusammenzutragen. Von Eric Steinhauer ist bekanntlich bereits eine viel zitierte Analyse der Unterzeichnenden verfügbar. Die Kommentare ermöglichen aber auch eine inhaltliche Auseinandersetzung. Ein Beispiel sind die Aussagen, die Open Access thematisieren. Auch wenn das Sample von 21 sehr überschaubar ist, ist doch interessant, welche Topoi aufgegriffen werden und welche fehlen. Dies ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil man sein Gegenüber kennen und ernst nehmen (möchten) muss, wenn man in einen wirklich fruchtbaren Dialog treten will. Die Vorstellung, dass sich sowohl Open Access als auch das digitale Publizieren insgesamt wie von selbst durchsetzen wird, wenn erst einmal die früher so genannten Digital Natives ihre Promotionen schreiben und wissenschaftliche Karrierepfade erkunden erweist sich nämlich jetzt, wo es soweit ist, zumindest in den deutschen Geistes- und Kulturwissenschaften u.a. aus den oben angedeuteten Gründen als Fehlannahme. 

IV

Verlage vs. Open Access

Sehr charakteristisch für die Situation in Deutschland dürfte die Polarisierung sein, die Open Access als – meist sehr abstraktes – Publikationsverfahren auf einer Seite stellt und die Verlage auf die andere. Mit Verlagen sind hier die mittelständischen Anbieter wie Klostermann, Stroemfeld, Kröner, Suhrkamp, transcript usw. gemeint, die alle auch auf der Unterschriftenliste des Appells so präsent sind wie in den heimischen Bücherregalen deutscher Geistes-, Kultur- und vielleicht auch Bibliothekswissenschaftshaushalte. Dazu kommen eine Reihe kleinerer sowie spezialisierter Anbieter und Akteure wie der De-Gruyter-Verlag, der dank offensiver Ausrichtung eine Reihe solcher kleineren und mittelgroßen Verlage in sein Portfolio zu integrieren verstand. De Gruyter ist bekanntlich selbst außerordentlich aktiv im Bereich Open Access ist und dank seiner Preispolitik meist nur als Autorenexemplar in privaten Bücherbeständen vertreten. Aber auch aus seinen Kreise stammen Unterschriften auf der Liste. Nicht dabei sind die großen Hausnummern des Science Publishing, die freilich ohnehin mehr mit Schattenbibliotheken wie Sci-Hub als mit deutschen Urheberrechtsreformen zu fechten haben, die natürlich auch ihr Schärflein zur Entstehung der Gemengelage hinter den Open-Access-Debatten beigetragen haben und aktiv für die Durchsetzung ihrer Vorstellungen von Gold-OA als Goldstandard kämpfen.

Dass Open Access mittlerweile an vielen Stellen hauptsächlich Verlagssache ist, scheint aber bei weiten nicht allen Autorinnen und Autoren bewusst zu sein. Vielmehr hält sich massiv die Vorstellung, es sein ein prinzipieller Gegenpol zur Verlagsproduktion (1), (2), wo es vermutlich genauer heißen müsste, dass es ein Gegenmodell zur Verlagspublikation von Büchern ist. Auch das stimmt nicht mehr durchgängig, aber bis heute bleibt Open Access weitgehend ein Phänomen der Zeitschriftenwissenschaften und es wäre für kommende Debatten sinnvoll, dies noch stärker aufzuschlüsseln (vgl. auch den Stichpunkt zur Medialität). Dann verstände man auch eher, weshalb die Annahmen, Open-Access-Bedingungen ermöglichten z.B. per se kein Lektorat (1), teils nicht einmal Peer Review (16) unsinnig bzw. grundfalsch sind. Das Lektorat im deutschen Wissenschaftsverlagswesen bleibt das Pfund zum Wuchern, wichtiges rhetorisches Schlagmittel und zwar auch dann, wenn die Verlage selbiges längst für ihre wissenschaftlichen Normautorinnen und -autoren auf ein Mindestmaß zurückgekürzt haben. Man hält es trotzdem als Filter und Qualitätsgaranten hoch (4) Eine „Veredelung“ von Publikationen zum Beispiel durch Abbildungen oder auch die Erstellung guter Bücher scheint einigen bei Open Access nicht möglich (1, 18). Dass die Verlage den Autorinnen und Autoren exakt dafür häufig einen Zuschlag per Druckkostenbeitrag abverlangen, der sich auch im Vergleich mit üblichen Open-Access-Publikationsgebühren nicht gerade vernachlässigbar ausnimmt, wird allerdings verschwiegen. 

Tapfer und teils sicher auch aus Gründen hält sich die Vorstellung, dass Open Access qualitativ nicht auf einem Niveau mit (hochwertigen) Verlagsprodukten steht (2, 8, 16). Eine Ursache könnte darin liegen, dass gestandene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihr Heimatrepositorien lange bestenfalls mit C-Publikationen versorgten und andererseits, auch das muss man anerkennen, diese Repositorien wenig Geschick daran an den Tag legten, sich als idealen Aufbewahrungsort für A-Publikationen zumindest nach dem grünen Weg anzubieten. Hier bleiben nach wie vor Hausaufgaben für die Infrastrukturentwicklung und Wissenschaftsförderung und übrigens auch für die Urheberrechtsgesetzgebung, deren Bemühungen, ein Zweitveröffentlichungsrecht sinnvoll zu rahmen bislang nicht zu in jedem Fall praktikablen und allgemein verständlichen Lösungen führte. 

Insofern greift die Schlussfolgerung, dass eine umfassende Durchsetzung von Open Access notwendig einen Qualitätsverlust im Publizieren nach sich zöge (8) möglicherweise auf, wenngleich extrapolierte, konkrete Erfahrungswerte zurück. Man könnte nun die Handvoll Beispiele von der Repositorien holen, die dem widersprechen. Aber im Grunde muss man zugeben, dass es für viele geisteswissenschaftliche Forschungsfelder kaum vorzeigbare Open-Access-Beispiele gibt, auf die man für eventuell Überzeugungsgespräche powerpointen kann.

Ein sehr prominentes Narrativ rahmt die Behauptung, dass der Ausbau von Open Access dazu führte, dass „fundierte“ Sachbücher und „tiefgreifende Werke“ nicht mehr produziert werden würden (14). Das bleibt im Echoraum des „Ende des Lehrbuchs“ durch Urheberrechtsschranken, wobei sich dafür nach wie vor zumindest auf dem Buchmarkt kaum Belege finden lassen.

Bei den „tiefgreifenden Werken“ wird die Beurteilung noch schwerer, weil unklar ist, wie tiefgreifend auszuloten sei. Die Genese einer solchen Ansicht ist allerdings nachvollziehbar, wenn man, wie oft im Diskurs, Qualität prinzipiell an das Verlagswesen mit der diesem zugeschriebenen Filter- und Veredlungsfunktion knüpft und Open Access als zumindest maßgebliche Schwächung des Verlagswesens ansieht (12). Man spürt sehr, wie intensiv sich das Bild einer, zum Beispiel, Suhrkamp-Kultur in das Kulturverständnis eingeschrieben hat, ungeachtet der Tatsache, dass selbst die Backlist von Suhrkamp ihren Anteil an eher flacher Ware enthält. Verlage gelten nicht allein als Qualitätsgaranten (7) sondern mehr noch als Grundpfeiler der „pluralistischen Meinungsbildung“ (4,12). Umso wichtiger ist Vielfalt im Verlagswesen, was sich auch, so die Behauptung, auf die Qualität der Verlagsprodukte auswirkt (17).

Vereinzelt wird freilich angemerkt, dass auch Verlage selbst mittlerweile Open-Access-Optionen im Portfolio haben (7). Open Access wird als Optionalform akzeptiert, jedoch fürchtet man sich davor, dass sie als einzige werden und bleiben wird (19), eine Sorge die wiederum mehr eine Ergebnis der sehr aggressiven publizistischen Bearbeitung bestimmter Zielgruppen und eventuell der Rhetorik einiger überenthusiastischer Open-Access-Anhänger sein dürfte. Mittlerweile ist doch allgemein bekannt, dass der Diskurs immer dort aufhören sollte, wo jemand beginnt, von „Zwang“ zu sprechen.

Am Ende steht aber hinter der wahrgenommenen Unvereinbarkeit von Open Access und Verlagsprodukten wenig überraschend die Sorge um die Ressourcen. Man nimmt an, dass dort, wo Geld in Open Access investiert wird, das Geld für Bücher fehlt (1). Man geht davon aus, dass Open Access zu einem Verlagssterben führt (12), die aktuelle Urheberrechtsreform den Verlagen möglicherweise die Existenzgrundlage nimmt (18) und potentiell also eine besonders in den Bereichen Geisteswissenschaften und Kunst weltweit führende Verlagslandschaft bedroht ist (15).

Man kann diese Zuschreibung einer Sonderrolle der Geisteswissenschaften nicht genug betonen und muss sie bei den Debatten grundlegend berücksichtigen. Open Access verhält sich in dieser Wahrnehmung ein wenig wie eine Waldschlößchenbrücke im Elbtal der Verlage. Akteure, die einen eher funktionalen Blick auf die Kanäle wissenschaftlicher Kommunikation mitbringen, mögen diesen romantisierenden Hang Richtung Leineneinband und Lesebändchen unsinnig finden. Er existiert dennoch, genauso wie die spezifischen Rezeptionsrituale mit Widmungsexemplaren und sozialem Kapital per Verlagslabel. Auch aus wissenschaftssoziologischer Sicht ist daher der Versuch, ein Pauschalmodell von Open Access wissenschaftsübergreifend zu implementieren, zum Scheitern verurteilt. Man staunt nicht sehr, wenn man die Position findet, dass Open Access für die Naturwissenschaften funktioniert, den Geisteswissenschaften jedoch schadet (20). Open Access bleibt ebenso wie die entsprechenden Vermittlungsstrategien für die Geisteswissenschaft spezifisch zu denken. Dass dies bisher auch von den globalen Publishern im Bereich der Humanities vernachlässigt wird, eröffnet eigentlich einen schönen Möglichkeitsraum für die deutschen Mittelständler.

Betrachtet man also den Diskurs, der maßgeblich auch Publikationsfreiheit.de prägt, fällt auf, wie sehr er von Angst und Sorge getrieben ist. Zugleich wird sichtbar, wie mittlerweile ökonomische Schwierigkeiten des Verlagswesens, teils auch von Kleinverlagen außerhalb des Wissenschaftssegments, mit einem liberaleren Wissenschaftsurheberrecht und Entwicklungen im Bereich des Open Access verkoppelt werden. Man kann und muss selbstverständlich auch über die ökonomischen Auswirkungen der sich verändernden Publikationslandschaften sprechen. Aber eine Verengung auf die aktuelle Urheberrechtsreform sowie auf das Schlagwort Open Access führt eventuell auch dazu, andere, sogar akutere Entwicklungen auszublenden. Vermutlich scheiterten bislang ohnehin mehr Open-Access-Start-Ups als traditionelle Wissenschaftsverlage an der sich digitalisierenden Wissenschaftskommunikation – und das ohne eine „heimliche technokratische Machtergreifung“ (Roland Reuss) als finsteren Anlass hinter dem Scheitern am Markt benennen zu können.

Auffällig an den aktuellen Debatten ist, dass Open Access einerseits – zum Beispiel von Uwe Jochum – als de facto Nicht-Bewegung für irrelevant erklärt wird und andererseits in Aufrufen wie dem unter Publikationsfreiheit.de als denkbar akute Bedrohung nicht mehr nur der Wissenschaft sondern beinahe der freiheitlichen Grundordnung verklärt wird. Mit ruhigerem Blut wäre aber leicht zu realisieren, dass sich das Verhältnis von Wissenschaftsverlagen und Open Access entspannter adressieren ließe und, wichtiger, dass sich Open Access nur dort durchsetzt, wo es eben auch Rückhalt in jeweiligen Kommunikationsgemeinschaft finden kann. Kurz: Wo es funktioniert, stehen die Chancen gut, dass es sich ausbreitet. Wo, wie beispielsweise in weiten Bereichen der etablierten Geisteswissenschaften, andere Kommunikationsformen und -wünsche nach wie vor dominieren und gut funktionieren (also vor allem die gedruckte Monographie), wird nichts und niemand eine Umstellung auf Open Access erzwingen können.

Einen besonderen Bereich, der vergleichsweise selten diskutiert wird, für bestimmte Bereiche der deutschen Geisteswissenschaft aber bedeutsam zu sein scheint, bilden schließlich Übersetzungen und Übersetzungsrechte. Die damit verbundenen Verfahren werden bisher von Verlagen koordiniert (16). Open Access bietet dafür keine Lösungen (16) und, so kann man ergänzen, oft nicht einmal ein Problembewusstsein. (Das besonders von sehr begeisterten Creative-Commons-Anhängern hin und wieder aufgebrachte Argument, dass eine Übersetzung bei offener Lizenz jedem möglich ist, übersetzt übrigens noch keinen Text.)

Open Access und Autorschaft

In den Kommentaren auf Publikationsfreiheit.de wird Open Access erstaunlicherweise nicht explizit mit der oft verkündeten Enteignung der Urheber und dem Verlust der Werkherrschaft verknüpft. Vielmehr lässt sich nur in einem Kommentar eine Thematisierung der Urheberschaft selbst finden und zwar aus Sicht der Verwertung. Die Postion bemerkt, dass Forschung und damit auch wissenschaftliches Schreiben in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften keinesfalls bereits durch die Anstellung im Wissenschaftssystem abgegolten sind, sondern weitgehend auf Selbstausbeutung beruhen (13).

Das zeugt von Erfahrungswerten und einer hohen Wertschätzung der eigenen Textproduktion. Zugleich wird das so genannte Steuerzahlerargument für Open Access auf- und angegriffen, nach dem die Erstellung wissenschaftlicher Publikation über die Finanzierung wissenschaftlicher Stellen bereits bezahlt seien, Autorinnen und Autoren in diesem Bereich also bereits ausreichend honoriert wurden und die Öffentlichkeit einen Zugang zu diesen Publikationen ohne weitere Kosten beanspruchen kann. Aktuelle Geschäftsmodelle im Gold-OA-Bereich haben das auch an sich nicht unproblematische Argument bereits erheblich ausgehebelt. Es wäre also an sich durchaus zu überdenken und vielleicht längerfristig als Narrativvehikel zu verwerfen. Bei der zitierten Position geht es allerdings nicht darum. Sie betont einzig, dass die Vergütung über das Gehalt nicht dem Aufwand entspricht und daher das Recht auf Autorschaft und damit auch auf Verwertung müssen daher gesichert und “gegenüber allem und Jeden” durchsetzbar bleiben muss (13). International publizierende Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler schmunzeln jetzt. Manche deutschsprachige Autorinnen und Autoren sagen dagegen: Open Access ist deshalb abzulehnen, weil es diese Rechte relativiert (13).

Open Access als Chance

Fast überraschend finden sich in den Kommentaren zum Appell auch Aussagen, die Open Access durchaus anerkennen. So wird ganz im Sinne der Berliner Erklärung betont, dass Open Access und digitales Publizieren dazu beitragen, Wissen breiter und leichter zugänglich zu machen (17). Vereinzelt findet sich sogar Verständnis für den Wunsch nach Open Access und die Betonung der Notwendigkeit von wissenschaftlichen Rahmenbedingungen (einfach, kostenlos) für das Open-Access-Publizieren (9). Angesichts der Tatsache, dass auch Verlage, die sich in der Unterschriftenliste finden, selbst Open-Access-Lösungen verkaufen, ist diese Differenzierung ein konsequenter Ansatz.

Open Access als Gefahr

Mehrheitlich scheint es jedoch, als interpretierte man Open Access als eine Gefährdung nicht nur für das eine Pluralität der Meinungsbildung absichernden Verlagswesens (siehe oben) sondern auch für die Vielfalt der Wissenschaft selbst. Das Verfahren wird als Begrenzung disziplinärer Vielfalt gesehen, was eine mögliche Synonymsetzung von Open Access mit anderen Reformentwicklungen im Hochschulbereich andeutet. Denn sachlich lässt sich vermutlich keine Verbindung herstellen. Open Access führt, so die Behauptung, zu fachlicher Engstirnigkeit (bzw. Ausbildung wissenschaftlicher Schulen) (4). Es klingt zwar gut und ist gut gemeint, wurde aber auf Seiten der Politik nicht genügend reflektiert (11, 19, 20). Roland Reuss und Michael Hagner werden ausdrücklich als entsprechender Aufklärer benannt. (Eine Kritik dieser Positionen findet sich u.a. in diesem Beitrag von Thomas Ernst aus der LIBREAS #30) Und schließlich werden, so eine Vermutung, die Inhalte hinter dem Access-Gedanken verloren gehen, weil offenbar niemand bereit sein wird, entsprechenden „Content“ zu produzieren (20). Angesichts der geradezu explodierenden Text- und Materialmengen, die offen on- und offline zur Verfügung stehen, scheint dies freilich weniger zu befürchten zu sein. Man kann und sollte allerdings darüber diskutieren, wie man diese besser verfügbar macht, also über Kurations- und Bewertungsmechanismen. 

Publikationsgebühren

Ernster, und zwar auch aus informationsethischer Sicht, ist die kritisierte Umlagerung der Kosten. Es wird angemerkt, dass eine “Open-Access-Kultur” dazu führt, dass das Publizieren für Autorinnen und Autoren zu teuer wird (6). Die sich als Gold-Open-Access-Ansatz durchsetzenden so genannten Publikationsgebühren bzw. Article-Processing-Charges (APC) werden als Gefährdung des Zugangs zu Publikationsmöglichkeiten und damit als Gefährdung der wissenschaftlichen Vielfalt wahrgenommen. (3). Dieselbe Diskussion müsste man allerdings konsequenterweise auch im Kontext der so genannten Druckkostenzuschüsse führen. Unstrittig ist jedoch, dass der Komplex der Publikationsgebühren und deren Finanzierung eher an Komplexität gewinnt. Die Frage der Kostenübernahme beim wissenschaftlichen Publizieren muss geklärt werden (17). Sie ist es oft tatsächlich nicht. Andererseits sind APC für viele der auf Monographien und Reihen spezialisierten Wissensschaftsverlage, um die es hier geht, bislang überhaupt keine Größe im Geschäftsmodell.

Technische Kosten

Ein Nebenaspekt der Debatte aber ein zentraler Aspekt für die Infrastruktur aller digitalen Wissenschaft sind die technischen Kosten des Open Access (Server, Personal, Langzeithosting). Sie werden in einem Kommentar vor allem vor dem Hintergrund thematisiert, dass sie langfristig von der öffentlichen Hand aufgebracht werden müssen. (5) Zweifellos sind sie einerseits eine zentrale Herausforderung der aktuellen bibliotheksökonomischen Forschung und andererseits eine Rechnung mit sehr vielen Unbekannten. Digitale Langzeitarchivierung bleibt heute und wahrscheinlich auch in näherer Zukunft ein Tasten ins Ungewisse, was so unbefriedigend wie unabänderlich ist. 

Medialität

Es ist zu vermuten, dass sich mit der Veränderungen der medialen Form wissenschaftlicher Kommunikation auch Konzepte und Ansprüche an die Archivierungs- und Überlieferungspraxen zwangsläufig verändern. Dies wird allerdings auch erst dann nachhaltig möglich sein, wenn digitale Medien als legitime Kommunikationskanäle angesehen werden. Dies ist heute nicht immer der Fall. Das Medium Buch gilt, ebenfalls empirisch durchaus nachvollziehbar, für die Speicherung und langfristige Überlieferung von Wissen als konkurrenzlos und kann nicht durch “Internet und Open Access“ ersetzt werden” (18). Auch gibt es nach wie vor die Position, dass digitales Publizieren bzw. hier konkret Open-Access-Publizierung zumindest für geisteswissenschaftliche Erkenntnis weniger Wertschätzung verdient als die in der Medienform Buch repräsentierte Arbeit (1). Dass sie tatsächlich in digitaler Form weniger Wertschätzung erhält, ist ebenfalls empirisch belegbar. Jemanden für die Rezension eines E-Only-Textes zu gewinnen ist in vielen Fällen so gut wie unmöglich – das wissen wir auch bei LIBREAS.

Die Kopplung von Dauermedium Buch und geisteswissenschaftlicher Forschung mag auch damit zusammenhängen, dass die Literaturproduktion in den Geisteswissenschaften als besonders “nachhaltig” und “langlebig” gilt (1). Dies allerdings ist tatsächlich nur mit Einschränkungen nachweisbar. Wie in anderen Bereichen auch verlieren die meisten geisteswissenschaftlichen Schriften, vielleicht gebremst aber dennoch, über die Jahre erheblich an Glanz, manche sogar einen, den sie nie wirklich hatten. Dass die Druckkultur aktuell sowohl für den Reputationsgewinn wie auch die Langzeitverfügbarhaltung geisteswissenschaftlicher Erkenntnis die stabilsten Mittel bereitstellt bedeutet jedoch – auch buchstäblich – nicht, dass ihre Dominanz in Stein gemeißelt ist.

Rezeption

An vielen Punkten scheinen Erfahrungen – vermutlich auch eigene – aus der Frühphase digitaler Medien nach wie vor prägende Kraft für Einstellungsmuster zu sein. Häufig wurden solche Erfahrungen leider auch noch von denkbar unrealistischen Zukunftsversprechen (wie dem Ende des Buches oder gar der Geisteswissenschaften) begleitet.  So wird die freie, offene und permanente Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Texten sogar als nachteilig für das Rezeptionsverhalten gesehen (3). Sie führt, so die Annahme, zu einem Sammelverhalten, das auf Kosten der eigenständigen und vertiefenden Auseinandersetzung mit Texten geht (3). Studierende nutzen digitale Medien nur kurzfristig, aber nicht nachhaltig (14). Meint man. Und vergisst offenbar die Jahrhunderte alten Klagen über Lesesucht und Bücherfluten.

Möglicherweise bietet hier das Phänomen der Mp3 und die Ablösung der Praxis des Downloads durch die Praxis des Streamings eine Orientierung, wie sich digitale Rezeptionsformen verändern. Das Hamstern (btw. Napstern) von Musik war ein Zwischenschritt, geprägt vom Wunsch, die Verfügbarkeit einer Aufnahme selbst kontrollieren zu wollen. In einer Streaming-Media-Welt verlagert sich die Verfügbarhaltung in die Verantwortung der Cloudbetreiber (siehe auch Langzeitarchivierung, oben). Die grundsätzliche Verschiebung erfolgt hier von Aspekten der Medialität zu Aspekten der Lizenzierung. Bei ständiger Verfügbarkeit, so eine nahe liegende These, verliert das Sammeln des Textes an Wert. Andersherum wird und bleibt ein Text durch Rezeption relevant. In dieser Aufmerksamkeitsökonomie dürfte der Aspekt des bereits oben angesprochenen Kuratierens deutlich stärker zu gewichten sein als die Idee der Zugangskontrolle.

Freiheitsrechte

Obwohl der Appell unter dem Label „Publikationsfreiheit“ die drohende Beschneidung von Freiheitsrechten durch das UrhWissG bis in seine Bezeichnung hinein implizierte, findet dieser Aspekt in den Kommentaren mit Open-Access-Bezug erstaunlicherweise kaum Widerhall. Ein Kommentar merkt an, dass das Gut der “Freiheit” an sich und besonders im Bildungs- und Wissenschaftssektor schützenswert ist. (2) Ein anderer führt aus, dass die Erzeugung und Erwerb von Wissen mit öffentlichen Mitteln an eine Pflicht zur freien Verfügbarmachung dieses Wissens zu koppeln (Stichwort Steuerzahlerargument), dann absurd wird, wenn man es auf die Ausbildung an sich überträgt (19):

Man könnte das Szenario auch weiterdenken: Jede/r, die/der in Deutschland ihre/seine Bildung in öffentlichen Einrichtungen erworben hat, muss lebenslang ihr/sein gesamtes Wissen gratis zur Verfügung stellen. Klingt absurd?“

Das Argument ist zwar bemerkenswert gegendert, aber zugleich auch hanebüchen. Absurd ist nämlich vor allem, wie hier Ausbildung und wissenschaftliche Erkenntnisproduktion verquirlt werden. Die verkehrte Prämisse dahinter liegt aber wiederum in dem behaupteten Zwang, der zwar regelmäßig in Schwarz ins Feuilleton gemalt wird, den es aber nicht gibt. Die gleiche, unglückliche Annahme steht hinter dem Schlusspunkt der Rundreise durch die Open-Access-Kritik bei Publikationsfreiheit.de. Der bleibt einem denkbar renommierten Historiker überlassen, welcher verkündet:

Wie in einem Obrigkeitsstaat soll ‚Open Access‘ jetzt flächendeckend verordnet werden.“ (21)

V

Als Fazit lässt sich für die Wissenschaftsinfrastrukturen und die Bibliothekswissenschaft mit ihrem Bemühen um eine sachliche Vermittlung der Möglichkeiten und Grenzen von Open Access festhalten, dass sie im Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Geisteswissenschaften durchaus mit Eigentümlichkeiten und vor allem auch mit Sorgen rechnen müssen, die ein zumindest teilweise irreführender Diskurs seit dem Heidelberger Appell, also 2009, in diversen Feuilletons, Sudelblättern und Aufrufen nicht unbedingt konstruktiv unterfütterte. In der UrhWissG-Debatte klinkte sich zudem der deutsche Journalismus in der erstaunlichen Form eines seltenen Schulterschlusses der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der BILD-Zeitung durchaus unrühmlich ein. Diese forcierte Frontenbildung macht es allen Beteiligten nicht leichter und gelegentliche Twitter-Zwischenrufe aus der OA-Fanbase, die dem deutschen Verlagswesen, wie bereits vor zehn Jahren, einen alsbaldigen Untergang vorhersagen, sind auch nicht das beste Mittel zur Überzeugungsarbeit.

Man musst realisieren, dass zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland stabil und auch auf Nachwuchsebene große Anhänger der Verlagspublikation in gedruckter Form sind. Der Monographienerwerb ist zugleich in Bibliotheken in der Regel ein vergleichsweise unproblematisches Geschäft, so dass nichts die teilweise spürbare Hysterie rechtfertigt. Veränderungen im Lehrbuchsegment scheinen eher durch prinzipielle Veränderungen in der Lehre als durch digitale Semesterapparate begründet. Der Blick in ein zufällig gegriffenes Lehrbuch aus dem späten vergangenen Jahrhundert mag außerdem durchaus die Frage aufwerfen, ob diese Art einer kursorischen Zusammenstellung nicht immer würdevoll alternden Wissens mit ein paar Kontrollfragen zum jeweiligen Kapitelabschluss der Lehrmittel optimalste Variante darstellen. Es spricht aus Sicht manches Lehrenden wenig dagegen, Format und Modell des Lehrbuchs grundsätzlich zu überdenken. Auch dafür wünschte man sich mehr Dialog.

Dass Open Access in den deutschen Geisteswissenschaften das Totenglöckchen für die einschlägigen Wissenschaftsverlage zu läuten in der Lage ist, muss man vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen stark bezweifeln. Als tatsächliche Verlagsalternative konnten sich entsprechenden Ansätze bestenfalls punktuell durchsetzen und die langfristige Ressourcensicherung bleibt für all diese Projekte eine Herausforderung. Umschichtungen in Wissenschaftsetats auf Publikationsfonds könnten die Tortenstückchen für den traditionellen Medienerwerb schrumpfen lassen. Aber auch das ist eigentlich nur die Fortsetzung ein Problems aus den 1990er Jahren, als die Zeitschriftenkrise Mittelumschichtungen auf die explodierenden Subskriptionskosten im STEM-Bereich erzwangen, während zugleich ein Sparsamkeitsmantra in die Bibliotheken einzog. APCs verändern auf dieser Ebene also wenig im Grundsatz.

Die Geschichte des Verlagswesens zeigt obendrein, dass kleine und mittelgroße unabhängige Verlage, wie andere Unternehmen auch, immer einem Werden und Vergehen ausgesetzt waren. Sie zeigt auch, dass das Kalkulieren auf Kante bei solchen Häusern eher Regelfall als Ausnahme waren. Für Kausalitäten zwischen Open Access und einem Scheitern an einem sich in vielerlei Hinsicht veränderndem Markt gibt es bisher wenige Anzeichen. Das Anti-Open-Access-Narrativ bedient sich daher, übrigens schon seit langem, meist der Praxis der sehr offenen Prognose. Erstaunlicherweise bleibt aber gerade das Feld der geisteswissenschaftlichen Verlagsproduktion im Unterschied zu anderen Bereichen der Medien- und Kreativindustrie (Stichwort Journalismus) von den Disruptionen der Digitalisierung wenig betroffen. Dass man sich hier und da von Branchenvertretern die Notwendigkeit teurer Digital- und E-Book-Strategien hat einreden lassen, ist eher ein extrawissenschaftliches Phänomen und auch die VG-Wort-Entscheidung hat keinen Bezug zu Open Access.

Dass Open Access Chancen für die deutschen Wissenschaftsverlage bietet, scheint in jedem nicht ausgeschlossen. Allerdings fehlen funktionierende Beispiele. Den diesbezüglichen Dialog kann man dennoch durchaus regelmäßig suchen. Dies scheint allemal konstruktiver, als sich permanent an der Hyperbel der bedrohten Freiheitsrechte entlang zu hangeln. Diese Überspannung des Diskurses bietet nämlich nicht nur keinen Ausweg – wie man an den aktuellen Texten Uwe Jochums sehen muss, der nun auch geheime Interessen eines George Soros bemühen muss, um irgendwie seine Argumentation dicht zu halten (was nirgends gelingt). Sondern es wird am Ende hier und da sogar tatsächlich als Unter- und Niedergangserzählung so ernst genommen, dass Kollateralschäden wie ein unpraktisches Wissenschaftsurheberrecht entstehen, das zum Beispiel verhindert, dass nachfolgende Generationen wissen können, was im faz.net der Gegenwart diskutiert wurde. Niemand, dem die Geistes- und Kulturwissenschaften der Zukunft am Herzen liegen, kann das ernsthaft wollen.

(Berlin, 31.07.2017)

 


 

Materialien: Kommentare zum Aufruf „Publikationsfreiheit für eine starke Bildungsrepublik“

[Tippfehler wurden stillschweigend korrigiert]

1 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …ich selbst Lehrbücher verfasst habe und nur zu gut weiß, welche Bedeutung die Partnerschaft mit einem professionellen Verlag hat: intensive Betreuung durch das Lektorat und die Mit-Gestaltung des Textes durch gute Karten und Abbildungen kosten Geld. Open Access kann solche Bedingungen, die letztlich den Lesern (= Studierenden) zugute kommen, nicht herstellen.

Ich möchte, dass auch geisteswissenschaftlicher Literatur, die meist langlebiger und nachhaltiger ist als in anderen Disziplinen, Wertschätzung entgegengebracht wird. Und die äußert sich schon in der Sicherstellung der bestmöglichen Produktionsmittel.

Und wenn an unseren Hochschulen für die unsinnigsten Dinge Geld da ist, warum dann an den Büchern sparen? Dr. Bernward Schmidt (Professor für Kirchengeschichte, RWTH Aachen / Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

2 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …ich grundsätzlich für Freiheit bin in jedem Sektor, ganz besonders aber, wenn es um Bildung, Forschung und das Publizieren dazu und darüber geht. Ausserdem sehe ich eine starke Gefährdung der Qualität, wenn es nur mehr Open Access gibt. Ulrike Moeller (Leitung Zeitschriftenabteilung, Harrassowitz)

3 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …Open Access wissenschaftliche Autorinnen und Autoren dazu zwingt, für die Publikation ihrer Forschungsergebnisse zu bezahlen, was dazu führt, dass nur noch bestimmte Ergebnisse publiziert werden und der Pluralismus der Ansätze und Positionen entscheidend eingeschränkt wird

und weil nach meiner Erfahrung als Hochschullehrer der zunehmende Anspruch, ständigen kostenlosen Zugriff auf alles zu haben, was andere je geschrieben haben, nicht zu einer verstärkten eigenständigen Auseinandersetzung mit Texten führt, sondern zum genauen Gegenteil: Texte „hat“ man, aber man liest sie nicht mehr. Jens Borchert (Professor für Politikwissenschaft, Universität Frankfurt)

4 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …Wissenschaft benötigt starke Verlage, die für eine pluralistische Meinungsbildung eintreten. „open access“ benötigt gleichfalls einen Filter (Lektorat). Die Gefahr der wissenschaftlichen Schulbildung ist bei „open access“ weitaus größer als bei einer pluralistischen Verlagsstruktur Christian Wolf (Universitätsprofessor, Leibniz Universität Hannover)

5 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …… auch Open Access Geld kostet, das vom Volk zu bezahlen sein wird. Man braucht Server, diese Räume und Strom, man braucht Admins, diese Lohn, man braucht Internetanschlüsse hoher Kapazität beim Anbieter, man braucht Datensicherungen und Maßnahmen zur IT-Sicherheit etc..

… Bibliotheken meist nicht die Verlagsfunktion übernehmen und die Open-Access-Texte bis in die Ewigkeit hosten, da wird ja das bisherige Geld für Anschaffungen reduzierbar. Michael Frank (Prof. Dr., HTWK Leipzig)

6 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil ……ich die Gefahr sehe, dass wir vermehrt zur „open access“ Kultur kommen, und es sich manche Autoren bald nicht mehr leisten können, ihre Forschungsergebnisse zu publizieren. Torsten Dr. Kreer (Junior Group Leader, IPF Dresden)

7 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …ein funktionierendes Verlagswesen für eine qualitativ hochwertigere Veröffentlichungslandschaft sorgt und auch nicht im Widerspruch zu Open Access steht, da für die meisten Publikationen auch Open Access-Optionen angeboten werden. Gerade im Open Access-Bereich ist zu beobachten, dass Masse statt Klasse auf Basis niedrigschwelliger ausländischer Angebote um sich greift, dies kann nicht im Sinne einer hochwertigen Forschungslandschaft sein. Olaf Andersen

8 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …Meiner Meinung nach durch generellen Open Access die Qualität von Publikationen massiv beeinträchtigt werden wird. Gunther Kolb (Prof. Dr.)

9 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …Autoren von wiss. Publikationen auch als Autoren behandelt werden sollen. Es mag sein, dass man mit Veröffentlichungen nicht den Lebensunterhalt bestreiten kann, aber der verbundene Aufwand für eine Publikation ist hoch und wird vor einer Professorenkarriere häufig in der Freizeit erbracht. Und warum sollten „Bestseller“ in der Wissenschaft, d. h. eine sehr gute Arbeit des Autors, weniger Wertschätzung erfahren als andere Bücher auf dem Markt?

Gleichzeitig verstehe ich einige Intention des Gesetzesentwurfs und es wäre beispielsweise schön, wenn open access Publikationen für Autoren – so weit der Wunsch nach einer online-Publikation besteht – einfacher und kostenlos möglich wären. Birgit Hennig (wiss. Mitarbeiterin, C.v.O. Universität Oldenburg)

10 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil ……darauf unser Bildungssystem beruht. Open access klingt zunächst attraktiv, setzt aber falsche Anreize. Tiefgreifende Werke, Lehrbücher (ich habe mehrere geschrieben) würden sich nicht mehr lohnen. Arist von Schlippe (Lehrstuhlinhaber, Universität Witten/Herdecke)

11 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …die Idee von Open Access nur gut klingt, aber von Seiten der Politik nicht genügend durchdacht ist. Vgl. Michael Hagner: Zur Sache des Buches und Roland Reuß in der F.A.Z. dazu. Matthias Bickenbach (apl. Prof. Dr.)

12 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …die Stellung der Verlage durch einen Zwang zur Publikation Open Access derart geschwächt wird, dass die Verlage, die wissenschaftliche Literatur publizieren, auf diese Weise nachhaltig geschwächt werden. Dies wird zu einer Schließung von Verlagen führen müssen, was wiederum zu einer Konzentration auf wenige Verlage führt. Dies kann nicht im Sinne einer pluralen Gesellschaft sein. Thomas Wagner (Akad. Rat, Bergische Universität Wuppertal)

13 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …gerade im Bereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften qualifizierte Forschung ohne idealistische Selbstausbeutung leider immer noch undenkbar ist. Anders als in den ‚Reformplänen‘ argumentiert, weiß jeder Forscher, dass der tatsächliche Arbeitsaufwand für wissenschaftliche Publikationen jede dafür bezogene Refundierung um ein Vielfaches übersteigt. Gerade angesichts solcher Arbeitsbedingungen muss zumindest die Absicherung von Autorschaft und der damit verbundener Rechte ein unverzichtbares Gut bleiben. – Zumal in Zeiten des Open Access wird der Schutz von Urheberrechten gerne vernebelt und sollte deshalb besonders hervorgestrichen werden. AutorInnen sollen Urheber erster Klasse bleiben – gegenüber allen und Jedem. Dr. Barbara Otto

14 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …ich 1. überzeugt bin, dass Publikations- und Wissenschaftsfreiheit einander wechselseitig bedingen.  2 Autoren und Verlage nicht auseinanderdividiert werden dürfen 3 das qualitativ hochwertige Buch unersetzbar ist und durch zwangsweise Open Access-Politiken dauerhaft gefährdet wird. Ich sehe hier auch einen Kern meiner Tätigkeit und Wirksamkeit unterminiert. Prof. Dr. Harald Seubert (Prof. für Philosophie und Religionswissenschaft, STH Basel, HfP TUM München)

15 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …die deutschsprachige Verlagslandschaft in ihrer Vielfalt und Differenziertheit, insbesondere in den Geisteswissenschaften und Künsten, weltweit eine Spitzenposition innehat und ihre Funktionsfähigkeit durch eine pauschale open access-Verordnung fundamental bedroht ist. Prof. Dr. Markus Krajewski (Medienhistoriker, Universität Basel)

16 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …… wir meines Erachtens ohne wirtschaftlich gut aufgestellte Wissenschafts- und Lehrbuchverlage in Deutschland auch keine fundierten Sachbücher mehr produzieren werden: Der Autorenpool weist deutliche Überlappungen auf, das System Verlag ist bekannt. Zweitens glaube ich nicht daran, dass Studenten sich über ein Semester hinaus mit digitalen Medien auseinandersetzen, die sie in der Universität herunterladen – das befördert das kurzfristige Lernen – und sofortiges Vergessen. Drittens verfügen Verlage über ein Netz von Lizenzpartnern im Ausland, mit dem sie sich um die Verwertung von Nebenrechten kümmern. Welcher Meilenstein der Philosophie wird noch übersetzt, wenn er in einem Meer von „open access“ schwimmen muss, u.U. ohne peer review? Claudia Reinert (Foreign Rights Agent)

17 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …Ich unterstütze die Publikationsfreiheit vor allem, weil wir Anreizstrukturen für gute Verlagsarbeit benötigen, ebenso sehr wie für die Publikation exzellenter Fach- und Lehrbücher. Es gibt viele Innovationen, z.B. Open Access und E-Books, die genutzt werden sollten, um Wissen möglichst vielen und möglichst leicht zugänglich zu machen. Allerdings sollte bei alledem nicht vergessen werden, dass Wissen nicht gleich Wissen ist: Es kommt auf die Qualität an. Ein gewisses Maß an Konkurrenz im Verlagswesen ist gesund, um Qualität zu fördern. Und die Publikation wissenschaftlicher Artikel und Bücher verursacht Arbeit und Kosten – nicht nur für die Autoren – das wird sich nie ändern: Wenn die Unis nicht für die Kosten aufkommen wollen – wer dann? Johannes Katsarov (Doktorand, Universität Zürich)

18 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …das gedruckte Buch als Medium zur Speicherung und Überlieferung von Wissen in der historischen ‚longue durée‘ konkurrenzlos ist und nicht durch das Internet und Open Access ersetzt werden kann. Zur Herstellung guter und dauerhaft verfügbarer Bücher bedarf es professioneller Verlage, deren Existenzgrundlage durch die geplanten neuen Urhebergesetze gefährdet erscheint. Thomas Klinkert (Professor, Universität Zürich)

19 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …die geplanten Eingriffe in ihrer Konsequenz zu kurz gedacht sind. Am Ende wird ein ganzes System ausgehöhlt und nicht mehr funktionieren. Open Access ist ein Weg – aber kein Einheitsmodell. Man könnte das Szenario auch weiterdenken: Jede/r, die/der in Deutschland ihre/seine Bildung in öffentlichen Einrichtungen erworben hat, muss lebenslang ihr/sein gesamtes Wissen gratis zur Verfügung stellen. Klingt absurd? Na eben! Jörg Engelbrecht (Verlagsleitung Arbeitsschutz, Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG)

20 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …ohne sie bald nichts mehr publiziert wird. Das ist „open accesss“ ohne „content“. Ist ja gut gemeint, nur: Es geht nach hinten los. Andreas Lentz (Verleger)

21 Ich unterstütze die Publikationsfreiheit, weil …Wie in einem Obrigkeitsstaat soll ‚Open Access‘ jetzt flächendeckend verordnet werden. Doch was für die Naturwissenschaften praktikabel sein mag, schadet den Geisteswissenschaften massiv. Prof. Dr. Norbert Frei (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

 

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