LIBREAS.Library Ideas

Nicht wirklich helfen, aber emphatisch bleiben. Eine leider eingeschränkte Anleitung zum Umgang mit obdachlosen Menschen in Bibliotheken.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Karsten Schuldt on 27. März 2018

Karsten Schuldt

Zu: Dowd, Ryan J. (2018). The Librarian’s Guide to Homelessness: An Empathy-Driven Approach to Solving Problems, Preventing Conflict, and Serving Everyone. Chicago: ALA Editions, 2018

 

Leider nicht gut ist das hier kurz zu besprochende Buch. Leider, da es eigentlich eines inhaltlich guten Buches zum Thema bedürfte, eines umfangreichen und konkreten. Dieses ist es nicht, auch wenn es dies im Titel behauptet.

“The Librarian’s Guide to Homelessness” ist stattdessen ein verschriftliches Seminars zum Umgang mit Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, mit dem Ziel, das diese respektvoll, aber doch bestimmt dazu gebracht werden, den Regeln der Bibliothek zu folgen. Der Autor hält nicht nur Seminare, die Bibliothekspersonal (und anderen) dies beibringen sollen, sondern leitet zugleich ein homeless shelter bei Chicago. Insoweit ist er qualifiziert. Aber es geht ihm eben nicht darum, dass gesamte Thema Obdachlosigkeit zu behandeln, sondern wirklich nur darum, wie sich Bibliothekarinnen und Bibliothekare so verhalten können, dass sie Menschen, die obdachlos sind, wertschätzen können, aber doch dazu anleiten, den restlichen Bibliotheksbetrieb ungestört zu lassen.

Dabei geht der Autor klar davon aus, dass alle Menschen Respekt verdienen und das die Situation von obdachlosen Menschen verstanden werden muss – also wie es sich lebt und anfühlt, mit welchen Diskriminierungen und Zurücksetzungen zu leben ist, wie sich dies auf die Perspektiven und die Lebensentwürfe der Menschen auswirkt – um emphatisch handeln zu können. Zugleich zielt er darauf ab, dass das Bibliothekspersonal ohne Befehle zu geben, Strafen zu verhängen oder “hartes Auftreten” auskommen kann. Das ist alles gut und hilfreich. Grundsätzlich gilt für ihn: Wer Menschen, die obdachlos sind, respektvoll behandelt wird auch von ihnen respektvoll behandelt – wie das bei Menschen an sich üblich ist, egal in welcher Situation. Da gibt es nicht so viele Unterschiede.

Der Grossteil des Buches versucht allerdings vor allem einzelne Tricks und Umgangsformen zu lehren: Wie man sprechen kann, wie man Humor einsetzt, das man sich nicht zu ernst nimmt, wie man im Gespräch stehen soll etc. pp. Hilft das weiter? Vielleicht der Bibliothek beziehungsweise dem Bibliothekspersonal, aber weniger den betroffenen Menschen. Sie werden, wenn die Tricks angewendet werden, besser behandelt und können ihr Recht, die Bibliothek zu nutzen, besser umsetzen. So weit, so gut.

 

Gleichzeitig ist das Buch, wie gesagt, offensichtlich aus Seminaren entwachsen. Die gleichen Versuche mit persönlichen Geschichten („my wife says…”), schlechten Witzen und Verweisen auf popkulturelle Produkte („like Batman…”) Menschen in Seminaren interessiert zu halten und zum Mitmachen zu motivieren, finden sich hier auch – nur das sie in einem Buch nicht angebracht scheinen. Es ist halt kein Seminar sondern ein Text, den alle Interessierten im eigenen Tempo durcharbeiten könnten. Zudem gibt es ständig zweifelhafte Verweise auf irgendwelche Studien, die aber nur herangezogen werden, wenn sie die Position des Autors untermauern. Das ist auch nicht überzeugend und für die meisten Aussagen auch vollkommen unnötig.

Nur im letzten Kapitel kommt der Autor überhaupt auf die Frage zu sprechen, wie Bibliotheken Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, helfen könnten (Respektvoll sein; das tun, was Bibliotheken eh tun; bei Suche nach Arbeit und Obdach helfen), aber das auch eher oberflächlich.

Hinzu kommt selbstverständlich, dass sich das Buch auf US-amerikanische Verhältnisse bezieht: So warnt es vor “Punishment”-Strategien, bei denen Personal eingesetzt wird, um Obdachlose gesondert zu überwachen und, im Rahmen der Regeln, möglichst hart anzugehen, was im deutsch-sprachigen Raum nicht verbreitet zu sein scheint. Die meisten popkulturellen Referenzen scheinen auch sehr spezifisch US-amerikanisch zu sein. (Es könnte aber auch am Desinteresse des Rezensenten an Teilen der Popkultur liegen, zumindest waren ihm mehrfach eindeutig als Anspielungen gemeinte Aussagen unverständlich.)

 

Alles in allem: Ein Buch, das im Titel weit mehr und weit Konkretes verspricht, als es einlöst. Im Kern humanistisch und vielleicht für einzelne Bibliotheken interessant. Aber ansonsten wenig brauchbar.

Ein Seminarskript, ehrlich gesagt

Posted in LIBREAS.Feuilleton, LIBREAS.Referate by Karsten Schuldt on 11. Juli 2017

Zu: Reckling-Freitag, Kathrin / Bibliothekspädagogische Arbeit: Grundlagen für Mitarbeiterinnen in (Schul-)Bibliotheken. Schwalbach/Ts. : debus Pädagogik, 2017

von Karsten Schuldt

 

Das zu besprechende Buch ist kurz, deshalb kann auch die Besprechung kurz sein. Um gleich eine Kritik vorwegzugreifen: Der Titel ist viel zu gross für das, was im Buch eigentlich getan wird. Was der Titel verspricht, ist eine Darstellung von Grundlagen zur „Bibliothskspädagogischen Arbeit“; was das Buch liefert. sind die kommentierten Skripte einer Lehrveranstaltung zum Thema, welche von der Autorin an der HAW Hamburg gegeben wird. Dabei ist auch der für das Thema gewählte Begriff ein wenig zu gross.

Worum es geht, ist, einen Überblick zu geben über die Themen, die für eine bibliothekarische Veranstaltung, welche im weiteren Sinne dem Bildungsbereich zuzuordnen ist, zu beachten sind. Dabei wird die Autorin an einigen, praktischen Punkten, sehr kleinteilig – zum Beispiel bei der konkreten Zeitplanung einer Veranstaltungen – und an anderen Punkten recht oberflächlich – ob es zum Beispiel überhaupt eine spezifische Pädagogik für Bibliotheken gibt, das wird einfach vorausgesetzt. Dass das Buch ein Unterrichtsskript ist, zeigt sich auch an den jedem Kapitel vorangestellten Lernzielen (meist zwei Anstriche), den häufig eingesetzten Graphiken, die einen schon erläuterten Sachverhalt nocheinmal darstellen und den häufigen Praxisaufgaben, bei denen das gerade Erläuterte angewandt werden soll. Gerade diese Aufgaben machen das Buch sehr Hands-on. Es ist nicht einfach durchzulesen, sondern – so zumindest die offensichtliche Vorstellung hinter dieser Struktur – Schritt für Schritt mit einzelnen Übungen durchzugehen. Und sicherlich sind die Aufgaben und der Aufbau des Buches so, dass sie Lernende bei ihrem Lernen unterstützen – schliesslich ist es als Skript schon mehrfach in der konkreten Lehre genutzt worden.1

Das Buch streift Themen vor allem: Aufbau des Bildungssystems, Lerntheorien (sehr kurz), Themen, die in Bibliotheken als Thema von Bildungsveranstaltungen sinnvoll sein können, Aufbau von Lehrveranstaltungen, Durchführungen von Veranstaltungen. Der wichtige Punkt ist hier, dass diese Themen gestreift werden. Mehr nicht. Man hat nach dem Lesen des Buches einen Überblick darüber, was man noch lernen müsste. Viel mehr lässt sich in den, ja immer nur einige Monaten kurzen, Seminaren wohl auch nicht erreichen. In einem Buch würde es sich aber erreichen lassen, da hätte man mehr Platz. Gleichzeitig ist der Vorteil von Seminaren, dass diese immer aus dem Gezeigten, hier dem Skript, und dem persönlich durch die Dozierende Vermittelten bestehen. Im Buch fällt die Vermittlung fort, die oft das Gezeigte erst sinnfähig macht. Es wäre eigentlich zu hoffen gewesen, dass dies durch mehr und konkreteren Text ausgeglichen würde, so dass das Buch tatsächlich als Handreichung und eben nicht nur als Anregung, weiterzulernen (was selbstverständlich auch seine Berechtigung hat), zu nutzen gewesen wäre.

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Wie gesagt, vermittelt der Titel, dass das Buch etwas anderes wäre, als es tatsächlich ist. Es sind keine Grundlagen, die vermittelt werden, sondern es ist mehrere Schritte darunter anzusiedeln, als ein Aufzeigen von zu behandelnden Themen. Vor allem ist es aber nicht, wie im Titel behauptet, für Schulbibliotheken sinnvoll. Die Veranstaltungen, die hier geschildert werden, sind solche, die ausserhalb des Schulalltags in Öffentlichen Bibliotheken durchgeführt werden können, auch in Zusammenarbeit mit der Schule (dazu gibt es einige Aussagen im Buch). Schulbibliotheken, zumindest der grösste Teil, haben aber gar nicht die Aufgabe, selber Bildungsaktivitäten zu entfalten; sondern vor allem, den Schulalltag zu unterstützen. (Die Autorin, welche früher in der Büchereizentrale Schleswig-Holstein arbeitete, weiss das bestimmt selber. Nur wenn man die wenigen Schulbibliotheken, die sich als „kleine Öffentliche Bibliotheken“ verstehen, als Normalfall behauptet, ergäbe der Titel einen Sinn. Zu vermuten ist, dass der Verlag – welcher von den wenigen Monographien zu Schulbibliotheken, die aktuell auf dem Buchmarkt greifbar sind, immerhin zwei publiziert hat und damit die meisten2 – zumindest diesen Zusatz angebracht hat.) Das ist ärgerlich, weil es viel zu wenig Literatur zu Schulbibliotheken in deutscher Sprache gibt und dieses Buch eher „so tut“ als gehörte es dazu, auch wenn es Abschnitte enthält, die Schulbibliotheken thematisieren.

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Auffällig ist zudem, dass das Buch sehr, viel zu sehr positiv geschrieben ist. Dabei ist pädagogische Praxis – egal in welchem Feld – einerseits voll von Scheitern, auf das vorbereitet werden sollte: Eigensinnige Lernende, unerwartete Lerneffekte, wo das, was man vermitteln will, bei den Lernenden ungewollte Effekte hat, Verweigerung, die zu Lernprozessen oft dazu gehört. Das ist normal, bei allen Bildungsaktivitäten, aber in diesem Buch wird der Eindruck vermittelt, das bei richtiger Planung schon alles gut laufen wird. Das scheint gefährlich. Andererseits ist das Feld „Bildung“ – egal ob Didaktik oder Bildungspolitik – voller Behauptungen und Floskeln, die oft Profanes überdecken. Es wäre sinnvoll, dies mit einem kritischeren Blick anzugehen, zum Beispiel die Aussagen des Nationalen Bildungsberichtes nicht einfach für bare Münze nehmen, wie es im Buch gemacht wird, sondern auch als politisches Dokument zu lesen. (Das wäre Kritik im Sinne von Textkritik.) Gut möglich, dass die im eigentlichen Seminar passiert, im Buch fehlt es.

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Grundsätzlich fehlt dem Buch, auch wenn Lerntheorien kurz besprochen werden, Theorie. Vieles wird einfach behauptet, kaum erklärt, schon gar nicht in Modellen, die man überprüfen beziehungsweise weiterentwickeln könnte und die Sachverhalte erklärten (zum Beispiel nicht nur aufzählen, was es für Formen des Lernens gibt, sondern zeigen, was diese für Effekte im Lernprozess der Lernenden haben). Es ist, wie schon gesagt, sehr Hands-On. (Wilfried Sühl-Strohmenger und Ulrike Hanke haben das in ihrem Buch „Bibliotheksdidaktik: Grundlagen zur Förderung der Informationskompetenz“ expliziter versucht, Olaf Eigenbrodt arbeitet offenbar – wenn man den Verlagsankündigungen und seinen Vorträgen trauen darf – an einem Buch zu Lerntheorien, dass vielleicht diese Lücke besser schliessen wird.)

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Aus Öffentlichen Bibliotheken tönt regelmässig der Wunsch, Handreichungen zu erhalten, wie bestimmte Dinge zu tun sind. Die zu leifern sei die Aufgabe von Expertinnen und Experten, Fachhochschulen. Das Buch reagiert gut auf diesen unmöglichen Wunsch (da diese Handreichungen niemals so genutzt zu werden scheinen, wohl weil die realen Aufgaben immer komplexer sind, als das sie in solchen Handreichungen abgedeckt werden könnten und weil sie immer nur einen Teil der Arbeit abnehmen und die Umsetzung doch Aufgabe der jeweiligen Bibliothek bleibt) indem es eine Übersicht an Themen liefert, die zu bearbeiten, vor allem selber zu lernen wären. Nicht weniger.

 

 

Fussnoten:

Disclaimer: Der Rezensent unterrichtete bis vor Kurzem einen ähnlichen Kurs (an der Fachhochschule Potsdam), deshalb scheint ihm die objektive Bewertung der Inhalte schwierig. Grundsätzlich, wenn auch mit anderen Schwerpunkten und etwas kritischer, wurde in seinem Kurs Ähnliches angesprochen. Die Parallelen sind allerdings erstaunlich. (Zudem wird einen seiner Arbeiten ausführlich zitiert, was es noch schwieriger macht, das Buch wirklich objektiv zu bewerten.) Deshalb hier die eher rein positivistische Darstellung.

Disclaimer: Eines davon vom Rezensenten mitgeschrieben, insoweit ist es auch nicht möglich, eine objektive Bewertung des Verlages vorzunehmen.