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It’s the frei<tag> 2012 Countdown (13): Schaufenster forever

Posted in LIBREAS Veranstaltungen, Uncategorized by Karsten Schuldt on 3. August 2012

Karsten Schuldt

Der Vanitas-Gedanke. Das Schaufenster in Potsdam.

Wenige Orte verkörpern heute den klassischen Gedanken des Moments, der genossen werden muss, weil er vorüber sein wird, demnächst, wie das Schaufenster in Potsdam. Es ist vergangene Zukunft und zukünftiges Ende. Vergangene Zukunft als architektonischer Ausdruck einer Zukunft, die nie kommen wollte. Die Moderne, der gebändigte Sozialismus der DDR, der human sein sollte und es am Ende doch nur zum Teil war. (Immerhin genügend, um die Revolution nicht im Blut verenden zu lassen.) Aber auch Zukunft, die nach der politischen Wende nicht kommen wollte. Alle Läden, welche die Verheissungen der freien Gesellschaft anboten, zogen letztlich wieder aus. Das Sportfachgeschäft, welches den Raum zuletzt belegte, bevor die FH Potsdam ihn übernahm, hat noch Spuren hinterlassen, wenn man genau schaut. Auf dem Boden dynamische Linien, Feldgrenzen, die auffordern zur Aktivität. Und auch vergangene Zukunft mit dem Versprechen der Moderne, Architektur zu sein, die es letztlich allen ermöglichen sollte, besser zu leben. Kaum jemand will es in dem Maße, wie die gebändigte Moderne des Schaufensters und des alten Gebäudes der FH Potsdam es vorschlug.

Jetzt, 2012, ist das Schaufenster ein Ort des verkündeten Endes, ein Nicht-Ort, ein Zwischenraum. (Wie sie in der Hauptstadtregion zuhauf existieren und bespielt werden vom intellektuellen Proletariat.) In ein paar Jahren vielleicht, so sagt man seien die Pläne, wird das Gebäude mit dem Schaufenster und dem Fachbereich Informationswissenschaften abgerissen. Vielleicht. (Pläne ändern sich.) Deshalb aber trägt das Schaufenster ein vorhergesagtes Ende in sich. Was auch immer in ihm passiert, getan wird, es ist prekär, kurzfristig angelegt, spontan fast. Allerdings: Die Zwischennutzung dauert auch schon seit Jahren. Der Raum ist eingespielt als Veranstaltungsort, so sehr, dass man protestieren müsste, wenn dereinst tatsächlich mit dem Abriss begonnen würde.

Wir warten. Wir warten. (Wir warten herein, Potsdam, den dreifachen Fluch.) Noch ist es geschlossen, das Schaufenster, aber immerhin ist es noch da. Und es wird geöffnet sein zur frei<tag>.

Der Raum des Schaufensters ist offen. Solange am Ende alles noch nutzbar ist, kann man räumen und stellen und rücken, wie man will. Frei in einem ausreichend grossen Raum, dessen Struktur wenig vorgibt. Keine festen Tafel, auf die der Blick sich richten müsste. Wenig Wände, die den Blick behindern. Licht von allen Seiten. Und die lässige Morbidität kultureller Projekte und Clubs. Doch gleichzeitig ein Ort der Wissenschaft. Ein Ort, an dem regelmässig Veranstaltungen der FH Potsdam stattfinden. Ein Ort, der einlädt, Wissenschaft als lebendige Tätigkeit zu begreifen, bei der das Wissen gerückt, verstellt, neu geordnet werden darf, bei der Gedanken wenig Grenzen haben und bei der das Denken dennoch transparent sein soll – transparent wie der Raum selber mit seinen Fensterreihen.

Das Schaufenster ist eine Einladung an eine Wissenschaft im Geiste des Vanitas-Gedankens; eine Einladung, die verbunden ist mit der Erinnerung, welche Zukünfte schon gedacht wurden und nicht eingetreten sind; gleichzeitig ein Ort, der Zukunft einfordert.

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