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Drehscheibe Diskurs.

Posted in LIBREAS aktuell by Ben on 28. Juni 2011

Weitere Anmerkungen zur methodologischen Diskussion in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

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Von Ben Kaden

Am 21.06.2011 erhielt ich die Gelegenheit, einiger meiner interdisziplinären Lektüren um den Gegenstand der Bibliothekswissenschaft (wie er sich mir darstellt) und meine Schlussfolgerungen daraus im Berliner Bibliothekswissenschaftlichen Kolloquium zu präsentieren. Die Veranstaltung war exzellent besucht und ähnlich exzellent waren denn auch die Nachfragen. Wie so oft, hatte man im Nachgang das Gefühl, dass es jetzt so richtig losgehen könne mit der Diskussion. Nur ist die Ressource Zeit, wie so oft, das Nadelöhr. Umso willkommener sind die asynchronen Schriftmedien, die es ermöglichen, etwas von dem Gedachten und Gesagten zu fixieren, zu vertiefen und weiter zu erörtern.

Parallel zu diesen Abendgesprächen zur Bibliothekswissenschaft lief im LIBREAS.Weblog der Zugriffszähler nicht zur Höchst- aber doch zur Hochform auf. Der Stand der Informationswissenschaft 2011[1] interessiert offensichtlich schon ein einige Hundert Köpfe zählendes Publikum und allein dieser Fakt zeigt, dass das Thema durchaus Potential und seine kleine Fachöffentlichkeit besitzt. Da dieser Ball sowohl hier wie dort also einmal rollt und gerade die Diskussion am Dienstag eine Reihe vielversprechender Anspielstationen für den weiteren Fachaustausch bot, werde ich in der Folge drei Thesen herausarbeiten, um am selbigen zu bleiben.

I

§ 1

Eine grundsätzliche Wahrnehmung verdeutlicht die Notwendigkeit zum Austausch, die straff mit dem Namen des Faches zusammenhängt. So kam am Dienstag im BBK wieder einmal die Frage des Wechselverhältnisses von Bibliothekswissenschaft und Informationswissenschaft auf, die ja am Berliner Institut als Kofferdisziplin betrieben wird. Und auch zwischen den beiden Ereignissen (Vortrag, Standortbestimmung) liegt in gewisser Weise fein gestrichelt die innerdisziplinäre Trennlinie, die erforderlich ist, wenn man zwischen Bibliothek und Information als jeweiligem Gegenstand differenziert. Die Frage, welche Konsequenzen sich aus einer solchen Unterscheidung für die Forschungsziele und -methoden ergeben, wird bedauerlicherweise selten intensiver erörtert. Der Vortrag selbst, dessen Verschriftlichung noch ansteht, versuchte ein Stückchen die Wechselbeziehung nicht nur auszuloten, sondern konzeptionell zu fassen. Selbstverständlich konnte ich dabei  nur eine dünne Kardeele spannen, wo der große Diskurs der Fachgemeinschaft einen kräftigen Diskursstrang zusammen trossen und spleißen muss. Ich werde ihn selbstverständlich dennoch mit Freude als Anschlusspunkt für eine weitere Diskussion anbieten. Bis er ausformuliert ist, darf man gern diesen Zwischentext zum gleich Zweck benutzen.

§ 2

Das Desiderat scheint mir in der Tat bei der wissenschaftsdiskursiven (d.h. systematischen) selbstreflexiven Arbeit an den Methoden und Gegenständen beider Fächer zu liegen. Zum überwiegenden Teil besteht die wissenschaftliche Gemeinschaft der Bibliotheks- und Informationswissenschaft aus Akteuren, die entweder grundlegend oder – wie bei ehemaligen Magisterstudierenden wie mir – teilweise durch andere Disziplinen wissenschaftlich sozialisiert wurden. Darin mag eine Ursache für die Erfahrung liegen, dass man häufig schon rein kategorial aneinander vorbei diskutiert, weil ein Akteur Information mit Shannon versteht und sein Gegenüber Wissen mit Foucault begründet. Fast wie bestellt drückt dies ein aktueller fast schon Schlagabtausch zwischen Rainer Kuhlen und Walther Umstätter in der INETBIB in der Diskussion zum Stand der Informationswissenschaft aus.[2] Dank meines soziologischen Hintergrunds interpretiere ich die soziologische Ausrichtung des Faches im Gegensatz zu Walther Umstätter, weniger als Marginalisierung[3] Ich teile, ebenfalls soziologisch geprägt, auch nicht die Auffassung, dass man über Theorien, die für mich in diesem Fall mehr Perspektiven entsprechen, außerhalb eines abgesteckten Geltungsrahmens mit Kriterien wie richtig oder falsch urteilen kann. Da der Geltungsrahmen der informationswissenschaftlichen Diskurse faktisch nicht präzise abgesteckt ist, müssen wir die grundsätzliche Multiperspektivität von der Informationstheorie bis zur Wissenschaftssoziologie so hinnehmen, wie sie uns begegnet.

Darin liegt freilich zugleich die Chance, den transdisziplinären Grundanspruch eines Faches, das sich mit der Organisation diverser Fachkommunikationen befasst, umfassender anzusprechen. Gerade der Anschluss an eine Informationspraxis – also konkrete informationelle Handlungsformen in der Gesellschaft – scheint nur auf diesem Weg der Brücken realisierbar. Spätestens wenn die pragmatische Perspektive hinzutritt, muss man sich eben doch mit der Bedeutung befassen, die laut Shannon und Weaver nichts mit Information zu tun hat. Aber deutlich mit dem, was Menschen daraus machen.

Das verbindende Element ist in der Bibliothekswissenschaft schon von der Bezeichnung deutlich ableitbar: die Bibliothek. Diese hat den Vorteil, einerseits nicht nachrichtentechnisch präzise bestimmbar und andererseits weitaus konkreter als die Information zu sein. Dennoch bleibt ebenfalls eine enorme Streuung (vielfältig kolorierte öffentliche, wissenschaftliche, spezielle Bibliotheken) von Sichtweisen und Betrachtungswinkeln, so, wie man sie sich nur wünschen kann, wenn man das Einseitige nicht und das Multiperspektivische sehr schätzt. Mit nur ein wenig Distanz erkennt man bereits aus der halben Beobachterrolle, was man eigentlich aus dem Fach machen könnte, vermochte man nur das Beste der einzelnen Blickwinkel in einen übergeordneten konzeptionellen Rahmen einzubinden. Wobei ich weniger an die Informationstheorie als an eine Art Mix aus Wissenschaften vom Menschen denke (Anthropologie, Soziologie, Ethik und Hermeneutik, vielleicht auch Wahrnehmungspsychologie, ganz sicher auch Sprach- und Kommunikationswissenschaften.)

§ 3

Die wissenschaftliche Qualität, die Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu einer hochpotenten Disziplin auszuentwickeln ist zweifellos gegeben. Nur verläuft sie sich bisweilen sehr im Tagesgeschäft und findet keine Leitlinie, die sie wieder an die heimische Feuerstelle (dies ist der etymologische Bedeutungsunterbau des Wortes Focus) zurückführt.

Als kleines Fach befindet sich die Bibliotheks- und Informationswissenschaft die größte Zeit in einer gewissen Fremde, sprich in der Wechselwirkung mit anderen Fächern. Die zum Vortrag gestellte Nachfrage, was denn nun das Eigene der Disziplin sei, kann ich folglich nur mit einem Hinweis auf die spezifische Art beantworten, Perspektiven auf einen bestimmten Gegenstand hin zu bündeln. Berechtigt wird nun nachgehakt, wie diese Spezifität zu beschreiben sei. Und genau hier betreten wir, sozusagen im eigenen Wohnzimmer, Neuland, denn es fehlt der klare, übergreifende und buchstäblich definierende Konsens, auf den wir zuarbeiten können. Ich betone das buchstäblich, weil die Eingrenzung gerade nicht eineindeutig erfolgen soll, sondern mehr eine pragmatische Bande in den Diskursraum stellt, an der man erkennt, dass hier der Rand des Themenfelds erreicht ist.

§ 4

Dieses Schicksal der Kaum- bis Unbestimmtheit teilt das Fach mit vielen dieser weichen Disziplinen, die in einer Nische zwischen den tradierten Lehrkanzeln aus irgendwelchen Gründen (Notwendigkeit, Abgrenzungswille Einzelner) erblühen und dann diese frühe Blüte zu etwas dauerhaft Eigenem zu entwickeln versuchen. Dazu kommt, dass die, die das orchideenhafte Nischenpflänzchen gießen sollen, gern fragen wozu und je nach innerer Einstellung (Ästhet, Utilitarist) den Wasserhahn aufgrund überzeugender Legitimationsargumente auf- oder abdrehen. Daher war auch Michael Seadles Nachfrage, wie er denn als institutioneller Vertreter des Faches gegenüber der Wissenschaftsverwaltung eine diskurstheoretisch gerichtete Bibliothekswissenschaft legitimieren kann, hoch berechtigt. Dass ich unter dem Eindruck der Diskussion im Vortrag etwas unverständig reagierte, lag vor allem in meinem (in der Einleitung explizierten) Grundverständnis von Wissenschaft, dass es eine gewisse Entwicklungszeit für ihre einzelnen Binnenzweige benötigt, bis daraus kleine, feste Äste wurden, die überhaupt erst Früchte zu tragen vermögen. Ein faszinierendes Produkt kann ich heute jedenfalls noch nicht anbieten.

Vielleicht haben wir aber aufgrund einer von der Diskurstheorie geleiteten Auseinandersetzung in einigen Jahren ein tieferes Verständnis für die allgemein- und wissenschaftsgesellschaftlichen Konsequenzen der Verlagerung von Kommunikation in digital strukturierte Räume. Ob man dann daraus Empfehlungsalgorithmen oder den sich entwickelnden Kommunikationspraxen entsprechende Formatstandards herausschält, ist jetzt freilich noch nicht zu beantworten.

Generell bin ich stärker der Meinung, dass uns bereits viel geholfen ist, wenn wir unsere Inkompetenzkompensationskompetenz (Odo Marquard) nicht nur innerdisziplinär verbessern, sondern auch die Öffentlichkeit mit entsprechenden Know-Why-Kenntnissen versorgen können. Die Öffentlichkeit der Bibliothekswissenschaft beginnt natürlich zunächst einmal bei den Bibliotheken.

Erste These:

Die Lage der Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist weder hoffnungslos noch sonderlich einzigartig. Es gibt verschiedene, oft recht junge Zwischenwissenschaften (die ich weiche Disziplinen nenne), die sich mehr über einen Gegenstand als über ein strukturell entwickeltes Erkenntnisfundament definieren müssen. Diese stehen unter verstärktem Legitimationsdruck, der zu einem bestimmten Reflexionsdruck führt. Für die Bibliothekswissenschaft schlage ich – wie im Vortrag dargelegt und immer ergänzend zu dem, was schon vorhanden ist (Benutzungsforschung, Bibliometrie) – eine diskurstheoretische Erweiterung vor, die es ermöglicht sowohl den Gegenstand Bibliothek/Wissenschaft wie auch den Selbst-Gegenstand Bibliothekswissenschaft systematisch zu durchdringen.

II

§ 6

Um sich zu verdeutlichen, dass unser Fach kein Einzelschicksal durchlebt, sondern in einer für weiche Disziplinen (unter weich verstehe ich, ohne verfestigten inneren Konsens hinsichtlich Gegenstand, Methode und Erkenntnisziel) ziemlich gewöhnlichen Situation steckt, bietet sich der Blick auf andere betroffene Fachbereiche an.

Nehmen wir zum Beispiel als Ausgangspunkt den Einstiegssatz aus einem Aufsatz in der Zeitschrift Merkur aus dem Herbst 2008, der sich mit leichter [von mir eingefügter] Modifikation als schöne Zustandsbeschreibung zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft 2011 liest:

„Ein [bibliothekswissenschaftliches/informationswissenschaftliches] Thema ist anfangs und für sich gesehen, weder interessant noch relevant. Man diskutiert es nicht in der Öffentlichkeit, es ist kein Forschungsgegenstand, und es existiert auch nicht als zeitloses Problem in der [Bibliotheks-/Informationswissenschaft]. Vielmehr konstruiert sich die [Bibliotheks-/Informationswissenschaft] die Fragen, auf die sie zu antworten versucht, selbst, und es gehört zu ihren genuinen Aufgaben, die Bedeutsamkeit ihres angeschnittenen Themas mitzubegründen. Auch Politiker, Wissenschaftler oder Künstler können Themen setzen, doch dies geschieht aufgrund von sozialen Konflikten, spektakulären Experimenten oder ästhetischer Evidenz, nicht aber im Medium des Begriffs. Es ist die transparente Komplexität [bibliotheks-/informationswissenschaftlicher] Begriffskonstellationen, in denen Sachthemen eine Relevanz erlangen können, die sie vordem nicht besaßen. Ein solches Thema ist die [Diskurstheorie und -]kritik.“ (Lehmann, Harry: Zehn Thesen zur Kunstkritik. In: Merkur 714 (Heft 11/2008), S. 982. Ersetzungen von mir)

Hier haben wir den Nagelkopf, auf den wenigstens meine Perspektive für das Fach zielt: Wissenschaft ist (auch/vor allem) Arbeit in sowie an Begriffen und Konzepten. Dabei wird auch klar, dass ich die Themenfindung über eine Art sozialphilosophischen Ansatz anstrebe und den dafür notwendigen Erkenntnisgewinn per Blick über einen disziplinären Grenzzaun suche. Die Gegenstände von Kunstkritik und Bibliotheks- und Informationswissenschaft haben nämlich einen gemeinsamen Kern: die Form bzw. das Medium, in dem kommuniziert wird und das es zu verstehen gilt, verändert sich. Sowohl strukturell wie auch inhaltlich.

§ 7

Die Kunst hat insofern einen Vorteil, dass sie vielleicht seit Anbruch der Moderne mit einer Diversifikation der Ausdrucksweisen umgehen muss, während sich Bibliotheken lange Zeit in beruhigt einem ziemlich konventionellen Rahmen bewegen durften. Die mediale Avantgarde war in der Regel nichts, was Bibliotheken sonderlich erregte, denn im Gegensatz zu Archiven mussten sie die Versuchsformen überhaupt nicht berücksichtigen. Auf gefestigtem Weg (Verlagswesen) publizierte Information war stabil ihr Sujet. Nicht das Experiment. Davon, wie die Kunstkritik im 20. Jahrhundert zwischen Dadaismus, Fluxus, Happenings und Land Art herausgefordert wurde, sind Bibliotheken und Bibliothekswissenschaft heute immer noch mindestens soweit entfernt, wie das Grimmzentrum von der Cabinet National Library[4]. Erstaunlicherweise ist das, was die Kunstkritik laut Harry Lehmann überwunden hat, momentan das große Thema unseres Faches: Der Materialfortschritt. Er schreibt:

„Dass die Künste ins Stadium der Postmoderne eingetreten sind, heißt, dass sie sich nicht mehr nach der Logik der historischen Avantgarde [d.h. des linearen Materialfortschritts] entfalten.“ (S. 983)

Die Digitalisierung dessen, womit die Bibliotheken hantieren, stellt dagegen in großen Teilen, so scheint es, einen solchen historischen bzw. linear logischen Schritt dar und nur an einigen abgelegenen Rändern bröckelt die Linearität der Medialität der Textrepräsentation. Sowohl entwicklungsgeschichtlich wie auch strukturell.

§ 8

Das Publizieren von elektronischen Zeitschriften folgt beispielsweise nach wie vor dem Vorbild der bewährten Printkultur, wird da und dort um kleine digitale Vorteile (RSS-Feeds, Hypertextlinks) angereichert, bemüht sich aber ansonsten, die Form zu halten. Das muss nicht verkehrt sein, werden hier doch auch die Erwartungshaltungen derer berücksichtigt, die neben ihrer inhaltlichen wissenschaftlichen Arbeit nicht zwangsläufig und permanent den Medienwandel gezwungenermaßen mitreflektieren wollen. Nicht jede Disziplin muss medientechnologisch forschen. Andererseits sind die Verschiebungen prospektiv so einschneidend, dass man sich mitunter fragt, ob das lange so gut geht und wann sich Digitale Geisteswissenschaften als allgemeines Forschungsdispositiv dieses disziplinären Spektrums etablieren. Selbst die, die etwas dagegen haben, müssen sich damit befassen. Wenn man Harry Lehmanns These „Die Reflexion über Kunst ist konstitutiv für die Kunst“ (S. 985) auf die Leinwand der Wissenschaftskommunikation überträgt, dann ist davon auszugehen, dass die Reflexion über das Wissenschaftsschaffen und also auch die Wissenschaftskommunikation in der Wissenschaft wenigstens mitschwingt. In der Wissenschaft kann man das totalkonstitutive Element, das der Kunst unterstellt wird, jedoch in drei funktional differenzierte Bereiche ausgliedern: (1) in die wissenschaftsspezifische Erkenntnistheorie (beschäftigt sich mit dem Ziel des wissenschaftlichen Arbeitens), (2) in die Wissenschaftssoziologie (beschäftigt sich mit der sozialen Organisation wissenschaftlicher Arbeitsstrukturen) und – Obacht! – (3) in die Bibliothekswissenschaft (beschäftigt sich mit den Explikations- und Repräsentationsformen wissenschaftlichen Arbeitens). Was können wir wissen, wie können wir es organisiert erkennen und in welcher Form wollen wir es jetzt und in die Zukunft hinein (Langzeitarchivierung!) kommunizieren? Mit dieser Dreiheit der Grundverfasstheit wissenschaftlichen Handelns hat man schon ziemlich viel Reflexionsvermögen gesammelt. Das aus Sicht der Wissenschaftsautonomie Entscheidende ist dabei aber, dass die (kritische) Reflexionsleistung in der Wissenschaft selbst erfolgt und nicht vorrangig über externe Akteure (Politik, Wirtschaft, Feuilleton).

§ 9

Zurück zur Bibliothekswissenschaft und damit zum Medienwandel: So gravierende Verschiebungen wie von der E-Mail, die in gleicher Weise den Brief simuliert, zum Textmessaging und der in dieser Form tatsächlich neuen Variante twitteresker privater Nachrichten an Follower-Gruppen bzw. die Weböffentlichkeit, sind in der formalisierten Wissenschaftskommunikation[5] bisher kaum zu beobachten. Eine andere Parallele sieht man jedoch deutlich:

„Diese Logik [der historischen Avantgarde] war im Wesentlichen eine Überbietungslogik, die sich an den errungenen »Materialfortschritten« […] orientierte.“ (Lehmann, S. 982f.)

Die, wenn man so will, (folgerichtige) digitale Technofizierung der Wissenschaftskommunikation verbunden mit der morgenluftigen Verkündung einer Bibliothek 2.0 als einer angemessenen Reaktion auf diesen Schritt, hatte in Bibliothekspraxis und auch -wissenschaft zwei Entwicklungen zur Folge, die sich bedauerlicherweise nicht sonderlich weit über die Linie der abstrahierenden Reflexion dessen hinauswagten, was tatsächlich machbar ist und von bestimmten Akteuren mit bestimmten Interessen gewünscht wird: Totale Verweigerung stand einer totalen Affirmation gegenüber. Und in gewisser Weise trugen beide Lager denselben Orden der Geschichtsvergessenheit an der Brust, wenn es um die ideologische Aufladung ihre Positionen ging. Den tatsächlichen Entwicklungen konnten sie in einem Fall gar nicht und im anderen nur bedingt gerecht werden.

§ 10

Man darf gespannt sein, ob für die digital vermittelte Kommunikation eine Entwicklungslogik gilt, die mit der korrespondiert, der die nach-avantgardistische Kunst folgt:

„Eine solche Selbstbeschreibung [in diesem Fall der Avantgarde als „Negation vorhandener Traditionsbestände] wird in dem Moment brüchig, als es zu einer systematischen Re-Inklusion alter Medien und Gattungen mit ihren traditionellen Darstellungssystemen und Kompositionstechniken kommt […]“ (Lehmann, S. 983)

Medienkonvergenz bleibt hier nur ein unzureichendes Stichwort, geht es doch nicht nur um eine materielle oder formale Medienstruktur, sondern ebenso um die Wechselbeziehungen der formal vorgegebenen dispositiven Bedingungen und Kontingenzen mit der tatsächlichen Nutzung. Die „Gattung“ ist immer ein soziales Konstrukt. Nun ist bei allem Willen zum Vergleich der Unterschied zwischen den Kommunikationspraxen in Kunst und Wissenschaft darin zu sehen, dass es bei ersterer seit der Moderne vorrangig um das Herausstellen der individuellen Handschrift des Autors geht (weswegen hier dem Urheberrecht zwangsläufig eine immense Bedeutung zukommt), wogegen in der idealen Wissenschaftsgemeinschaft die individuellen Ausdruckswünsche im Normalzustand den Erwartungen des Kollektivs unterzuordnen sind (weswegen hier das individuelle Urheberrecht an der Form einen weniger dringlichen Punkt darstellt). Wer davon in der Wissenschaft abweicht, gilt als unwissenschaftlich und als nicht mehr referenzierbar. Wer in der Kunst vom Individualitätsgebot (das auch das einer Gruppe oder Schule sein kann) abweicht und ungeschickt genug ist, auf eine rettende Erklärung zu verzichten, gilt als Stümper.

§ 11

Abweichungen von diesem Schema gibt es hier wie dort und wer wissen will, warum diese mitunter sehr willkommen sind, kann dies bei jedem nachlesen, der sich mit dem Prinzip der Paradigmatizität nach Thomas Kuhn beschäftigt. Die Paradigmata der Form, so meine These zur Verdeutlichung, verhalten sich ähnlich dem Kriterienmuster bei der Bewertung von Relevanz des Inhalts durch die Community. Jedenfalls erscheint mir diese Parallelstellung in Diskurskomplexen dann sinnvoll, wenn ich bei Foucault an der erkenntnistheoretischen Grenze entlang lese:

„Wenn im Komplex einer diskursiven Formation ein Ensemble von Aussagen sich herausschält und vorgibt (selbst ohne es zu erreichen), Verifikations- und Kohärenznormen zur Geltung zu bringen und eine beherrschende Funktion (als Modell, als Kritik oder als Verifikation) im Hinblick auf das Wissen ausübt, wird man sagen, daß die diskursive Formation eine Schwelle der Epistemologisierung überschreitet. Wenn die so gezeichnete epistemologische Figur einer gewissen Anzahl formaler Kriterien gehorcht […]“ (Michel Foucault: Die Archäologie des Wissens. Frankfurt/Main: 1973, S. 266)

Unter „Wissen“ versteht Foucault eben nicht (nur) begründete Information, sondern „alle Verfahren und Erkenntniseffekte, die in einem bestimmten Diskursfeld zu einem bestimmten Zeitpunkt akzeptabel sind.“ (Michel Foucault: Was ist Kritik? Berlin: 1992) Diese Akzeptabilität schließt zwangsläufig die formale, jeweilig gegenüber den Kommunikationskonventionen der Gemeinschaft konforme Gestaltung der Kommunikation mit ein. Diese Regeln lassen sich sehr schön analysieren; so sind beispielsweise die Zulassungsmechanismen bestimmter Publikationsorgane (Peer Review) durchaus eine Betrachtung aus machttheoretischer Sicht wert.

Zweite These:

Kunst wie Wissenschaft folgen nach dem gleichen Prinzip bestimmten Diskursregeln, die bestimmen, was zum Diskurs gehört und was nicht. Allerdings mit anderer Ausrichtung. Konformität in der Avantgarde-Kunst begründet sich über das bewusste Streben nach Nicht-Konformität. In der simplen Wissenschaftskommunikation ist es gerade das Regelbewusstsein, das belohnt wird. Allerdings werden kleine Verschiebungen (Regelübertretungen) mitunter durchaus honoriert. Und zwar dann, wenn sie sich über kurz oder lang als überzeugend revolutionär erweisen. Es braucht für die gesamte Wissenschaft innerwissenschaftliche Instanzen, die dieses Regelsystem kritisch, systemisch und systematisch reflektieren. Die Bibliothekswissenschaft kann an einer Stelle diese Rolle übernehmen (explizierte Wissenschaftskommunikation). Wenn sie das tut, hat sie zudem wenigstens innerhalb der großen Soziosphäre Wissenschaft kein Legitimationsproblem.

III

§ 12

Gerade der zuletzt genannte Aspekt der Legitimation oder überhaupt Existenz des Fachs ist als Thema ein Dauerbrenner, allerdings in einem kleinen Tiegelchen, das nur ab und zu eine wahrnehmbare Stichflamme produziert.[6] Die Bibliothekswissenschaft steht damit natürlich nicht allein. So reitet in derselben Ausgabe der Zeitschrift Merkur Daniel Hornuff eine bemerkenswerte Attacke auf die Bildwissenschaft, die in einigen Punkten ganz ähnlich auch die Bibliothekswissenschaft treffen könnte, fände sich nur ein Kavallerist, der sich dazu aufschwingt. (Hornuff, Daniel: Aus dem Blick verloren. Wie sich die aktuelle Bildwissenschaft von ihrem Gegenstand entfernt. In: Merkur 714 (Heft 11/2008) S. 995-1003 ) Man kann diesen Mangel ein wenig aus dem Stegreif kompensieren, wenn man sich nach der oben beschriebenen Methode einiger Sätze annimmt und unter der Voraussetzung, die Bibliothekswissenschaft sei wie die Bildwissenschaft eine weiche Disziplin und ein ebenso weiches Ziel, bewusst fehlliest.

„Muss man demzufolge [»Bibliothekswissenschaft« als eine Theoriekonzeption verstehen, die über den Begriff der Bibliothek als Brückenbauer zwischen den Fachdisziplinen in Erscheinung tritt? Oder kann es doch so etwas wie eine autonome, eigenständig agierende Wissenschaft der [(wissenschafts)kommunikativen] Kultur geben?“ (vgl. S. 995)


Konzept oder Disziplin? – das ist auch unsere Frage. Die Bildwissenschaft besitzt gegenüber der Bibliothekswissenschaft den Vorteil, auf relativ konsensfähige (und damit paradigmenbildende) Bezugsschriften und -akteure referenzieren zu können. Dem vielgestaltigen Perspektivenmix zumal in der noch spagatischer stehenden Bibliotheks- und Informationswissenschaft fehlen wenigstens im deutschsprachigen Raum entsprechende Orientierungstexte für einen wissenschaftlichen Diskurs.[7] Was Martin Wilibald Schrettinger hinterließ, bietet nun mal nicht derartig Jahrhunderte übergreifende Ansatzpunkte wie es anscheinend Konrad Fiedlers Werke vermögen. Von der Wende zu Husserl ganz zu schweigen. Das wäre dann vielleicht auch, angesichts des Ursprungs des Faches, ein bisschen zu viel verlangt.

§ 13

Bei allem Respekt für die Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation als informationswissenschaftlichen Grundlagentext und vielleicht das Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung (Gisela Ewert/Walther Umstätter, 1997) bzw. die Einführung in die Katalogkunde (Walther Umstätter/Roland Wagner-Döbler, 2005) als jüngere Fixpunkte der bibliothekswissenschaftlichen Literatur: Diese Werke sind schon von der Grundausrichtung als eher präskriptive Abkürzung über ein wenig Theorie hinweg in die Anwendung (bzw, im Falle der Katalogkunde einer Art enzyklopädischen Inventarisierung) angelegt und daher nur teilweise als Impuls für die Elaboration einer gemeinsamen wissenschaftlichen Basis geeignet. Dazu vernachlässigen die Titel wenigstens aus meiner Sicht zu sehr das die Disziplin selbst und ihren Gegenstand problematisierende Element. Dies verwundert nicht unbedingt, sind sie doch durchweg Aktualisierungen bestehender Arbeiten von beim bibliothekswissenschaftlichen Nachwuchs des 21. Jahrhunderts eher vergessener Namen wie Klaus Laisiepen, Ernst Lutterbeck, Karl-Heinrich Meyer-Uhlenried, Wilhelm Krabbe, Wilhelm Martin Luther oder Karl Löffler.

Die Wende zum Web kappte anscheinend auch dahingehend eine ganze Reihe Traditionslinien. Tatsächlich spaltet der konsequente Schritt ins Digitale, der irgendwann Ende der 1990er Jahre erfolgte, die Disziplin stärker noch als ihren Gegenstand und vielleicht wie kaum ein anderes Fach in ein Vorher/Nachher. Es ist daher ein wenig fraglich, ob sich diese Grundlagenwerke der vordigitalen Bibliotheks- und Informationswissenschaft für eine weitere Aktualisierung eignen.

Ein spezifischer und oft sehr elaborierter bibliothekswissenschaftlicher Fachdiskurs findet dagegen innerhalb der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung und besonders auf ihren Tagungen statt.[8] Es ist eine von wenigen Nischen der Bibliothekswissenschaft in Deutschland, die man als konsolidiert und lebendig bezeichnen kann. Ob das reicht, um die Disziplin systematisch und programmatisch weiter zu entfalten, vermag ich nicht zu beurteilen. Wünschenswert wäre jedoch zweifellos ein intensiverer Transfer des dort stattfindenden Diskursgeschehens in die Wissenschaftsöffentlichkeit. Wer bei der diesjährigen Tagung zu den digitalen Verstehenswissenschaften[9] war, sah einerseits, dass die Themenstellungen sehr grundlegend und relevant sind, die tatsächliche Resonanz bzw. der Nachhall in der Community dem allerdings kaum entsprach. Man vermisst auch hier deutlichere Impulse. Wenn Thomas Heinze im Abstract für seinen Vortrag für die GeWif-Tagung 2012 zur Kreativität in der Forschung sehr nachvollziehbar betont, dass „Kreativität Neuheit und Anschlussfähigkeit miteinander verbindet“[10], dann benennt er den einen Aspekt sehr deutlich, der nach wie vor ein zentrales Problem der Bibliothekswissenschaft berührt.

§ 14

Auch ob das für den Herbst angekündigte, von Rafael Capurro (und John Holgate) herausgegebene „Von Boten und Botschaften. Die Angeletik als Weg zur Phänomenologie der Kommunikation“ großen Widerhall und theoretische Anschlüsse in der deutschsprachigen Bibliotheks- und Informationswissenschaft findet, kann man jetzt selbstverständlich noch nicht absehen. Die Rolle Rafael Capurros ist insofern ein wissenschaftssoziologisch spannendes Phänomen, als dass er und sein Werk in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zugleich einen großen Respekt genießt, spätestens seit seiner Hermeneutik der Fachinformation[11] regelmäßig die Reflexionsstufe aufwarf, die eine solide Wissenschaft benötigt und sich bzw. seine Theorien dennoch kaum in den Curricula, in den Forschungsagenden bzw. im sich tatsächlich vollziehenden bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Diskurs etablieren konnte. Vermutlich muss man sich auch hier eingestehen, dass für diesen Theoriekomplex vielleicht noch stärker als bei der Wissenschaftsforschung der GeWIF wenigstens in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft bisher die akademischen Anschlusspunkte fehlen.

Gilt nun eventuell als Blick in die Zukunft, was Daniel Hornuff für die Bildwissenschaft beschreibt?:

„Obwohl die Bildwissenschaft zunehmend nach dem Modell der allgemeinen Sprachwissenschaft gestaltet wird, fehlt ihr das durchschlagende Potential. Zwar schwebt ihr zusätzlich das Ideal metadiskursiver Erkenntnisleistungen in Form einer allumfassenden semiotischen Welterklärung vor, doch eine Systematisierung der einzelnen Entwürfe zeigt, dass der hochgesetzte Selbstanspruch weiter Teile der Bildwissenschaft kaum zu verwirklichen ist. Er erstarrt schließlich in einer erkenntnistheoretischen Stagnation und verkümmert zwischen institutionspolitischen Eitelkeiten.“ (S.996)

Ich denke nicht, denn die Theoriebildung in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft scheint noch nicht an diesem Punkt zu sein. Die sprachwissenschaftliche Orientierung und die Semiotisierung sind zwar angedeutet, bilden jedoch noch nicht einmal als Grundrichtung einen Minimalkonsens. Die Informationstheorie ist dagegen als alleiniger Grundbaustein deutlich zu reduktionistisch und angesichts der Varietät fachlicher Biografien in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft nur sehr eingeschränkt konsensfähig. Vielleicht ist so ein allgemeiner Konsens auch gar nicht erforderlich. Denn dieses scheinbare Entwicklungsdefizit birgt eine gewisse Chance dahingehend, dass wir aus den Fehlern der anderen lernen können. Die hier und an anderer Stelle geschilderte diskurstheoretische Erweiterung der Bibliotheks- und Informationswissenschaft könnte dahingehend auch ihr methodologisches Potential ausspielen, als dass sie genau diese Lücke problematisiert und im Anschluss sowohl inter- wie auch innerdisziplinär Möglichkeiten für eine wechselseitig befruchtende Übersetzung der diversen Ansätze herausarbeitet. Damit wäre vermutlich sogar mehr für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft gewonnen, als in einer auf diesem heterogenen Feld aussichtslosen und zugleich aufreibenden Jagd nach einer einheitlichen Perspektive.

Zum Abschluss also die dritte These: Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft als multiperspektivisches Theoriegebilde mit verschiedenen Anschlusspunkten zu ebenfalls vielfältigen Funktionsbereichen (Bibliotheken, Wissenschaftskommunikation) sollte ihre innere Heterogenität als Vorteil verstehen, jedoch zugleich an Regeln und Verfahren einer übergeordneten wissenschaftlichen Diskurspraxis arbeiten, die eine Verständigung zwischen den diversen Perspektiven und Positionen ermöglichen. Eine entsprechend ausgerichtete methodologische Diskussion der Wissenschaftskommunikation in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (nicht zuletzt als Wissenschaft von der Wissenschaftskommunikation) könnte die aktuelle Forschungsagenda intensiv befruchtend begleiten.

IV

§ 15

In der Musikkolumne der besagten Ausgabe der Zeitschrift Merkur setzt sich Richard Klein mit Friedrich Kittlers medientheoretischer Analyse der Musik Richard Wagners auseinander. (S. 1028-1034) Darin findet sich folgende Passage:

„In dem was er »Wagners Medientechnologie« nennt, führt Kittler [den] besagten Experten [der etablierten Wagnerforschung] eine Reihe von Dingen vor, deren basale Relevanz ihnen entgeht, weil sie erst jenseits disziplinärer Grenzen zum Vorschein kommt. Oft tut er das auf eine Weise, dass man denken könnte, er wolle allein vom Rande her seine Pfeile aufs akademische Hauptfeld schießen. Aber da sollte man als Hermeneutiker kühl bleiben: Entweder wird das Neue, das Kittler einer modernen Wagnerforschung beibringen könnte, auch innerhalb dieser Forschung kritisch wirksam – oder überhaupt nicht.“ (S. 1028)

In der Bibliotheks- und Informationswissenschaft lässt sich, wie gezeigt, im Gegensatz zur Wagnerforschung überhaupt kein etabliertes Hauptfeld feststellen. Keine akademische Zielscheibe ist in Sicht und irgendwie scheinen alle an Rändern um eine leere Mitte herum zu operieren. Die hier geführte Diskussion markiert nicht weniger als den Versuch, etwas in diese Mitte zu stellen, was weniger als Schieß- und mehr als diskursive Drehscheibe dienen kann. Allerdings sollte man in der Tat als Bibliotheks- und Informationswissenschaftler kühl bleiben: Entweder wird die diskursive Methode, die man einer modernen Bibliotheks- und Informationswissenschaft beibringen könnte, auch innerhalb dieser Disziplin kritisch wirksam – oder überhaupt nicht.

Berlin, 27.06.2011



[3] Walther Umstätter betont, dass die Informationswissenschaft nicht die grundlegende Rolle übernahm, „die sie in Wirklichkeit hat, sondern in den weitgehend soziologischen Bereich hinein marginalisiert wurde.“ – vgl. http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg45129.html

[5] siehe dazu auch: Kaden, Ben : Library 2.0 und Wissenschaftskommunikation. Berlin: 2009, S. 58ff., http://bit.ly/iJ4zq4

[6] vgl. z.B. Petra Hauke (Hrsg.): Bibliothekswissenschaft – quo vadis?; Library Science – quo vadis? München: 2005

[7] Und Claude Shannons Mathematical Theory of Communication ist sicher zeitstabil Grundstudiumslektüre jedes deutschen Informationswissenschaftlers, deckt aber nur eine winzige Facette dessen ab, worauf es in einer Informationswissenschaft für den Menschen ankommt. Zudem ist es kein aus der deutschen Bibliotheks- und Informationswissenschaft hervorgegangener Grundlagentext sondern ein Meilenstein der Theorie der Nachrichtentechnik. In der internationalen Informationswissenschaft ist das Spektrum ungleich vielfältiger und reicht von Ranganathan über die Schriften der Vickerys , von T.D. Wilson bis zu Søren Briers Cybersemiotics oder auch Bernd Frohmann, Birger Hjørland, Susan Star und Geoffrey Bowker, etc. Was auch an dieser Stelle fehlt, sind die Anschluss- und Verknüpfungspunkte, mit der die deutsche Bibliotheks- und Informationswissenschaft diese vielfältigen Ansätze aufgreift, reflektiert und kritisch weiterdenkt.

6 Antworten

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  1. […] zu spät, um sie noch mit der Diskurs-Drehscheibe zur Bibliothekswissenschaft rotieren zu lassen, stieß ich auf eine vergleichsweise frühe Aussage […]

  2. […] Bibliothekswissenschaft, so meine hier und heute vertretene These, ist ein weiche Disziplin. Unter weichen Disziplinen verstehe ich solche, die […]

  3. […] kam in der 26. KW auch auf seine Kosten. Es wurde ausführlich im IBI-Weblog und Libreas Blog darüber […]

  4. W. Umstaetter said, on 4. Juli 2011 at 12:18

    Hinsichtlich des Zitats: Unter „Wissen“ versteht Foucault eben nicht (nur) begründete Information, sondern „alle Verfahren und Erkenntniseffekte, die in einem bestimmten Diskursfeld zu einem bestimmten Zeitpunkt akzeptabel sind.“ entsteht die Frage, wie Erkenntniseffekte akzeptabel werden. Bezüglich der Entstehung von Wissen, würde ich hier sagen, dass es dafür Gründe geben muss, um sie akzeptieren zu können. Anderenfalls würde ich sie für höchst fragwürdig einschätzen. Was die „Betrachtung aus machttheoretischer Sicht“ anbelangt, so bin ich nicht sicher, ob damit ein teleologischer Gesichtspunkt eingebracht wird (nach dem Motto: Ich akzeptiere die Erkenntnis, weil sie mir Vorteile bringt.) Das ist interessanterweise eine Scheinkausalität, die uns im allgemeinen leicht fällt, da wir (und auch Tiere) nicht immer nur kausal, sondern in erster Linie assoziativ denken. Erst danach prüfen wir die Kausalität, wenn wir nach möglichst verlässlichem Wissen suchen.

  5. Ben said, on 4. Juli 2011 at 21:10

    Bezüglich der Entstehung von Wissen, würde ich hier sagen, dass es dafür Gründe geben muss, um sie akzeptieren zu können.

    Ich stimme dem durchaus zu: Abgesehen vielleicht von Fällen die man pathologisch nennt vollzieht sich in der Kognition offensichtlich ein permanenter Prozess der Bildung von Kohärenz zwischen Wahrnehmungen, Erinnerungen, Motivationen und Handlungskompetenzen.

    Zum Teil können wir dies bewusst steuern. Aber ich wage nicht abzuschätzen, zu welchem Anteil (Eventuell gibt es dazu wahrnehmungspsychologische Untersuchungen). Dieser individuell-konstruktive Charakter des Wissens ist sicher nicht beliebig, da wir bestimmte Dispositionen nicht umgehen können. Er ist aber auch nicht absolut objektivierbar, da sich die Wahrnehmungsdispositive und -disposition je nach Art unterscheiden oder durch die Wahrnehmung verschieben.

    Ein naheliegendes Beispiel: Meine Motivation hinter der Antwort auf den Kommentar ist jetzt am Abend ein andere, da ich gut gelaunt mit einer dampfenden Gemüsepfanne auf dem Tisch, einer sanft aufsteigenden satten Müdigkeit in den Gliedern und einer schnurrenden Katze in Hörweite in die Nacht gleite, als die heute morgen, als ich gut gelaunt die Nachrichten des Tages im Feedreader scannte, ein bisschen auf den Regen fluchte und mir noch ein wenig mehr Substanz von der heutigen Enquete-Sitzung zum Urheberrecht erhoffte. Der Unterschied im Handeln wird deutlich, wenn man sieht, dass ich heute morgen keine Antwort schrieb und nun eine viel zu lange in das Kommentarfeld eintrage.

    Mich interessieren am Wissen vor allem die Gründe für ein konkretes Handeln. Diese müssen erfahrungsgemäß nicht unbedingt sehr rational sein. Aber ich glaube, hinter die Kohärenz des Selbstbilds lässt sich nur schwer zurückgehen: Wer handelt, möchte wenigstens selbst davon ausgehen, dass es stimmig ist.

    Vom sozialen Handeln ist es, jedenfalls wenn man wie ich gern Max Weber gelesen hat, dann kein großer Schritt mehr zum Thema Macht, als der „Chance, in einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen.“ Kohärenz-theoretisch bedeutet dies u.U., die eigenen Vorstellungen von (prospektiver) Kohärenz auch dann erfolgreich in Handlungen, die andere betreffen, Ausdruck zu geben, wenn sie für diese anderen Inkohärenzen nach sich ziehen.

    Das ist nicht zwangsläufig so. Aber wo es vorkommt, sind die Zusammenhänge für Machanalytiker besonders spannend. Denn häufig neigen die Unterlegenen offensichtlich dazu, diese zunächst als Inkohärenz wahrgenommene Machtausübung wieder für sich zu einem kohärenten Geschehen umzumodellieren. Ich denke, hier greift das Element der Narration: Man formt eine Geschichte, einen Mythos, eine Legitimationserzählung aus dem Erfahrenen. Fast jedes totalitäre Regime bietet dafür gut dokumentierte Beispiele. (Und glücklicherweise auch solche, bei denen es nicht aufgeht.)

    In beiden Fällen kann man wieder nach den Ursachen/Gründen für dieses Handeln/Verhalten fragen. Ob sich dahinter eine Teleologie entdecken lässt, hängt davon ab, wie weit oder eng man diesen Begriff fasst. Da sich mir persönlich Transzendenz – abgesehen vielleicht von verwirrenden Phasen mittnächtlichen Erwachens – kaum als zugänglich erweist, kann ich wenig darüber sagen. Ich gehe aber davon aus, dass sich mir ohnehin der größte Teil des prinzipiell Erkennbaren entzieht und ich mich nur mühsam Quadratzoll für Quadratzoll über den Rand des schmalen Feldes meines jeweiligen Wissens hinauszudenken vermag. Das assoziative Denken hilft mir immerhin, größere Sprünge in diesem Bereich zu vollziehen und gelegentlich mal etwas zu riskieren. Solch ein Satz ins Unbekannte kann freilich auch misslingen.

    Zusätzlich bleibt vielleicht noch anzumerken, dass ich den assoziativen Anteil (also die Scheinkausalitäten) am Wissen fast für den Regelfall zu halten gewillt bin, wogegen intersubjektiv eindeutig prüfbare Kausalitäten ein Ideal darstellen, dem traditionell die Wissenschaft als Erkenntnissystem folgt. Sie holt es freilich nur in Modellen (oder auf einer sehr abstrakten Betrachtungsebene) ein. Ansonsten bleibt immer ein Rest unbekannter Variablen. Kausales und assoziatives Wissen finden sich also – individuell unterschiedlich disponiert – in stetiger Wechselwirkung und wenn wir Glück haben, geht das, was wir aus dem Mischverhältnis als Handeln ableiten, auf. Wenn nicht, machen wir eben einen Fehler.

  6. […] 1. Für den Bereich der “Theorie” wünschen wir uns Beiträge, die Anschlüsse zwischen der Bibliotheks- und Informationswissenschaft sowie dem sich stark institutionalisierenden Feld der “Bildwissenschaft(en)” diskutieren. Sie hinterfragen mit ihrem multidisziplinären Werkzeugkasten, grob gesagt, die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen von Bildern, womit sich die Frage nach Integrationsmöglichkeiten der Theorien, Methoden und Ergebnisse in die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ergibt. Ben Kaden wies im letzten Sommer in einem Beitrag für das LIBREAS.Weblog beispielhaft auf eine Gemeinsamkeit zwischen Bild- und Bibliothekswissenschaft hin: „Konzept oder Disziplin? – das ist auch unsere Frage.“ […]


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