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Dienste für die dissertationsbegleitende Publikation von Forschungsdaten. Eine Vortragsnachlese.

Posted in LIBREAS.Dokumente by Ben on 7. Juni 2017

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

In dervergangenen Woche fand bekanntlich in Frankfurt am Main der Bibliothekartag 2017 statt, eine seltsam buchfreie und ausgiebig betwitterte Veranstaltung, die wie immer ein ganz guten Rundumblick über den Diskursstand des deutschen Bibliothekswesens lieferte. Das Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG) und die dagegen anlaufende Initiative der deutschen Presse waren naturgemäß ein Thema auch der Pausengespräche. Digitalisierung, die ja im Prinzip alles mögliche, u.a. Social Media, umfassen kann, ein anderes und begleitet die Veranstaltung nun schon fast zwei Jahrzehnte. Innovation wurde ein weiteres Mal verkündet und eingefordert. Informationsethik wurde kritisiert. Und es wurde, vielleicht am interessantesten, festgestellt, dass es im deutschen Bibliothekswesen oft offenbar schwer fällt,sowohl qualifizierte als auch motivierte Persönlichkeiten für Leitungsstellen zu finden.

Selbstverständlich bleibt Eindruck auch von der Themensetzung nur fragmentarisch, da LIBREAS-Vertreter_innen zwar hier und da durch das Kongresszentrum der Frankfurter Messe wanderten, in der Regel aber mit ihren hauptberuflichen Schwerpunkten und Aufgaben ausreichend beladen und entsprechend zielstrebig. Und mancher kam nur für einen Vortrag und also nur einen halben Tag nach Frankfurt, winkte hier und da jemandem zu, besuchte ein Panel zu Altmetrics, das zu großen Teil Richtung Firmenpräsentation driftete und die Einsicht aufdrängte, dass das Rad der Webanalyse mit Big-Data-Methoden gerade neu erfunden wird.

Nicht neu erfunden, mittlerweile sehr nachdrücklich behandelt wird dagegen das Themenfeld der Forschungsdaten. In dieses fügt sich nun auch der Vortrag ein, zu dessen Nachbereitung nachfolgend einige Kernpunkte fixiert werden. Gegenstand der kurzen Präsentation waren Erkenntnisse aus dem eDissPlus-Projekt. Da sich zudem direkt im Anschluss zur Präsentation, wenn auch zu einem anderen Aspekt des Projektes, in der Twittersphäre Missverständnisse offenbarten, die auch mit den Besonderheiten der Konferenzatmosphäre zusammenhängen können, ist das nur zusätzlich Anlass zur Wiederholung und Erläuterung des Präsentierten. Dies geschieht ausdrücklich mit dem Wunsch, eine Diskussionsvorlage zu bieten. Im vorliegenden Rahmen muss die Darstellung allerdings auf den Präsentationsteil der Humboldt-Universität beschränkt bleiben und dort auf die Befragungen mit Promovierenden und Post-Docs zu Einstellungs- und Erfahrungsmustern hinsichtlich einer denkbaren Publikation von Forschungsdaten.

Eine Vorstufe der Interviews mit Promovierenden und Post-Docs der drei Berliner Universitäten wardie Umfrage zum Umgang mit digitalen Forschungsdaten an der Humboldt-Universität zu Berlin von Elena Simukovic, Maxi Kindling und Peter Schirmbacher aus dem Jahr 2013. Die per Online-Fragebogen ermittelten Ergebnisse diese Studie sollten im Rahmen von eDissPlus mittels qualitativer Befragung konkretisiert werden. Das Ziel dieser Konkretisierung war vor allem die Identifikation direkt adressierbarer Anforderungen an das Publizieren dissertationsbegleitender Forschungsdaten. Dass prinzipiell ein Bedarf besteht, konnte nach der Online-Umfrage angenommen werden. Sie ermittelte bei einem vergleichsweise großen Sample eine hohe grundsätzliche Bereitschaft zur weiteren Zugänglichmachung von Forschungsdaten.

Umfrage zum Umgang mit digitalen Forschungsdaten an der Humboldt-Universität zu Berlin, Abbildung 16

Aus: Umfrage zum Umgang mit digitalen Forschungsdaten an der Humboldt-Universität zu Berlin, Abbildung 16, S. 24

Unklar ist jedoch beispielsweise, ob Zugänglichmachung eine formale Forschungsdatenpublikation meint oder vielleicht nur die Weitergabe über einen persönlichen Kontakt. Wie relevant diese Differenzierung ist, zeigte sich während der Interviews.

Als methodologische Einsicht offenbarte die Durchführungsphase der Interviews zudem, dass die allgemeine Motivation anonym einen Online-Fragebogen auszufüllen offenbar deutlich höher liegt, als für die Teilnahme an einem einstündigen persönlichen Interview. Dies sorgte in der Folge für eine gewisse Verzerrung, da sich das in den eDissPlus befragte und recht überschaubare Sample vorwiegend aus Interviewpartner_innen zusammensetzt, die besonders interessiert am Themenfeld der Forschungsdaten, des Forschungsdatenmanagements und der Veröffentlichung von Forschungsdaten sind. Sie sind daher vermutlich nicht wirklich repräsentativ für die Mehrheit der Promovierenden im Jahr 2017. Entsprechend liegt im Nachgang der Schluss nah, dass weniger der sozialwissenschaftliche als der ethnographische Zugang geboten gewesen wäre. Und dass die Vorannahme – Lessons learned! – man könnte direkt eine repräsentative Schnittmenge der immerhin fast 460 Teilnehmenden der Umfrage erreichen, verkehrt war.

Nichtsdestotrotz sind die Interviews als Fallbeispiele und exemplarische Einblicke hochinteressant und aufschlussreich. Sie werden nach Abschluss dieser Beforschungsphase an anderer Stelle noch ausführlicher präsentiert. Für die Frankfurter Präsentation wurden einige ausgewählte Aspekte, gewissermaßen als Zwischenstandsbericht, ausgewählt. Nachfolgend werden sie noch einmal als eine Art Verschriftlichung des Vortrags erläutert.

Die erste der drei Folien war mehr oder weniger den konkreten Herausforderungen gewidmet.

1 Es handelt sich um ein sehr heterogenes Feld.

Die zentrale und nicht ganz neue Erkenntnis ist, dass Forschungsdaten und der Umgang mit ihnen in mehrfacher Hinsicht schwer verallgemeinerbar sind. Dass unterschiedliche Disziplinen unterschiedliche Datenformen (und auch Vorstellungen vom Konzept der Forschungsdaten) haben, ist naheliegend. Daraus folgt aber auch, dass generische Lösungen nur sehr eingegrenzt helfen. Interessanterweise gibt es aber auch auf eine kleinteiligeren Ebene – bis auf die des Lehrstuhls – teils erhebliche Unterschiede. Dieser Kleinteiligkeit kann man zumindest teilweise z.B. mit disziplinär standardisierten Leitlinien zum Forschungsdatenmanagement entgegen wirken. Denn häufig resultieren solche Hands-On-Praktiken nicht aus einer reflektieren Elaboration, sondern aus heuristischen Annäherungen im Prozess. Hervorzuheben wäre weiterhin, dass dort, wo es um die Datenpublikation geht, auch die Konventionen der unterschiedlichen Publikationskulturen wirken. Und schließlich scheinen die persönlichen Einstellungen (und Kompetenzen) der Gutachter im Bereich dissertationsspezifischer Forschungsdaten eine maßgebliche Rolle zu spielen. Hin und wieder übrigens eine hemmende.

2 Es gibt sehr unterschiedliche individuelle Kompetenzen beim Umgang mit Forschungsdaten. 

Am Ende bestimmt einerseits natürlich die Forschungsfrage der Dissertation, welche Daten wie erhoben werden. Wie (gut) diese organisiert werden und ob möglicherweise eine Publikation angedacht werden kann, hängt sehr häufig von den bisherigen Erfahrungen der Promovierenden, also nicht zuletzt von der Methodenausbildung und der Schwerpunktsetzung in der Lehre ab. Für viele Promovierende ist die Promotionsphase die erste wirklich intensive und konkrete Auseinandersetzung mit forschungsdatenspezifischen Aspekten. Wenig überraschend gab es daher auch Rückmeldungen zu den Interviewanfragen des Projekts, die sich als ganz konkreter Beratungsbedarf herausstellten. Dies betraf in den meisten Fällen das Forschungsdatenmanagement vor der Publikationsphase.

3 Die Nachfrage nach Diensten für das dissertationsbegleitende Publizieren von Forschungsdaten ist überschaubar.

In bestimmten Bereichen insbesondere von Zeitschriftenwissenschaften hat sich das Publizieren von Supplementen, also auch Forschungsdaten nachweislich etabliert. Auch bei geförderten Forschungsvorhaben mögen entsprechende Vorgaben zu einer Zunahme von Forschungsdatenpublikationen führen. Bei Dissertationsvorhaben scheint dies dagegen noch eine Ausnahme zu sein. Mehrere Gründe zeichnen sich ab, wobei der entscheidende sein dürfte, dass eine begleitende Datenpublikation in den meisten Fällen schlicht nicht notwendig ist, um eine Dissertation erfolgreich abzuschließen. Prüfungsordnungen und Gutachter_innen sind sehr häufig nicht einmal potentiell daran interessiert.

Ein eigener Antrieb, sich an die nicht geringe Mehrarbeit der Erstellung einer soliden Forschungsdatenpublikation zusätzlich zur Promotion zu setzen, ist nur äußerst selten gegeben. Ein anderer Grund, der aber eher verstärktend wirkt, liegt im Fehlen sowohl von guten Best-Practice-Beispielen und adäquaten Infrastrukturlösungen, wobei wenigstens für den zweiten Fall der eDoc-Server der Humboldt-Universität nach Abschluss von eDissPlus Abhilfe geschaffen haben wird. Das wird freilich dann wenig nützen, wenn die Publikation von Forschungsdaten keinen nachvollziehbaren Mehrwert für die Promovierenden bietet. Diesen muss man folglich bestimmen und überzeugend kommunizieren.

4 Appell an Open-Science-Ethik reicht nicht. 

Die prinzipielle Akzeptanz der Ansprüche und Ideale von Open Science bzw. Open Scholarship liegt im Befragungssample bei nahezu 100%. Ebenfalls verbreitet ist der Wunsch, Forschungsdaten und -dokumentationen anderer direkt einsehen zu können und teils sogar nachzunutzen. Soll jedoch der Schritt hin zu einer eigenen freien Verfügbarmachung von Forschungsdaten und -ergebnissen gegangen werden, lassen sich regelmäßig Gründe finden, die dagegen sprechen. Auf der einen Seite gibt es Fach- bzw. Teilcommunities, in denen alles andere als eine gedruckte Verlagspublikation als inakzeptabel für eine Qualifikationsschrift gilt. Der Wunsch, im eigenen Forschungsfeld Karriere zu machen wiegt an dieser Stelle mehr als die Sympathie für die Berliner Erklärung. Dazu kommt eine Dunkelziffer von Fällen, bei denen Promovierende auf möglichst geradlinigem Weg zu ihrem Titel kommen wollen. Open Access ist dort nicht einmal eine Nebensache. Allerdings machen diese Promovierenden auch nicht bei Befragungen wie der vorliegenden mit, so dass man sich hierbei auf anekdotische Eindrücke berufen muss.

Auf der anderen Seite gibt es die – deutlich komplizierteren – Fälle, in denen die Natur des Forschungszusammenhangs oder der Forschungsdaten gegen eine Publikation spricht. Überall dort, wo anonymisiert werden muss, stehen am Ende publizierbare Daten, die bestenfalls illustrativen Charakter haben. Eine methodisch saubere und freie Nachnutzung, Idealziel der offenen Wissenschaft, ist hier nicht möglich. Eine denkbare bessere Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses, Realziel der offenene Wissenschaft, lässt sich aber eventuell einlösen.

Archivalienlastige Forschungen oder auch Forschungen mit Werkbezug gegenwärtigen andererseits oft urheberrechtliche Hürden und führen nicht selten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Kommentaren zum Zitatrecht. Von einer eigenständigen Publikation sieht man dagegen an vielen Stellen lieber ab. Sehr viele Archive untersagen außerdem grundsätzlich die Weitergabe von Reproduktionen selbst gemeinfreier Werke – ein wenig in der Tradition des Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museums. Oder sie verlangen Publikationsgebühren und setzen Bedingungen, die in fast allen Fällen eine Weitergabe nach den Ansprüchen der offenen Wissenschaft (Stichwort CC-BY) untersagen. Bildannotationen ohne das Bild zu publizieren scheint aber wenig sinnvoll.

Ähnliche Herausforderungen finden sich für Datensätze von Dritten, die für eine Beforschung lizenziert werden. Generell wäre also zu diskutieren, ob es zweckmäßig ist, die Forschungsdaten einer Dissertation im Zweifel nur lückenhaft zu publizieren oder man es in diesen Fällen gleich mit den Zitaten und Auszügen innerhalb des Dissertationsnarrativs belässt.

Ein weiterer, nicht seltener Fall ist das Beforschen von Teildatensätzen in größeren Projektzusammenhängen. Hier wird mehr oder weniger implizit ein Beforschungsrecht für den Dissertationsrahmen gewährt, aber nicht unbedingt eine freie Verfügung. Sind zudem kommerzielle Akteure beteiligt, verkompliziert sich die Sachlage zusätzlich.

Und schließlich bleibt der Aspekt der Forschungsdaten als eigenes wissenschaftliches Kapital: Durch die Erhebung verfügt man über einen möglicherweise besonderen Materialstamm, der in der Wissenschaftskonkurrenz Vorteile verspricht, die man nicht wegschenken möchte. Schließlich ist auch zu beachten, dass die im ersten großen eigenen Forschungsprojekt erhobenen Forschungsdaten einen besonderen persönlichen Stellenwert einnehmen. Teilweise ist man bereit, sie mit ausgewählten Peers zu teilen. Aber man will sie keinesfalls für eine unkontrollierbare Nachnutzung online stellen.

5 Es gibt den Wunsch nach einer selektiven Teilbarkeit und nach Sichtbarkeit.

Es gibt Fälle, in denen ein Sichtbarkeit des eigenen Bestandes an Forschungsdaten – und idealerweise ein Hosting der Daten durch ein universitäres Rechenzentrum – gewünscht wird. Eine Motivation liegt dabei in der Annahme, dass der Nachweis an sich bereits die eigene Expertise aufzeigt und damit das wissenschaftliche Kapital untermauert. Die Forschenden wollen jedoch zugleich kontrollieren, wer den Zugang zu diesen Daten bekommt. Selbst dezidiert Open-Science-affine Akteure äußern diese Position und betonen den Schritt teils damit, eventuelle kommerzielle Nachnutzungen verhindern zu wollen.

Für die Infrastrukturen ergibt sich daraus eine Herausforderung auch informationsethischer Natur. Sie müssen sich fragen, in wie weit sie gesperrte Inhalte und selektive Freigabeoptionen in ihren Publikationsdiensten berücksichtigen wollen. Während eine Lösung für zeitlich überschaubare Embargo-Perioden, analog zu dem Verfahren für Open-Access-Zweitveröffentlichungen, vergleichsweise einfach zu finden ist, stellt ein selektives „Embargo“ bei dem jede Freigabeanfrage bewertet und entschieden werden muss nicht zuletzt eine organisationale Herausforderung dar. Perspektivisch könnte dazu die Frage kommen, inwieweit solche gesperrten Datenbestände indexiert und beim Retrieval nachgewiesen werden sollen, ob also die Nachweissysteme öffentlicher Einrichtungen beispielsweise ein Art Snippet-Ansicht, wie man sie von Google-Books kennt, anbieten wollen, die es ermöglicht, Daten zu finden und bei Bedarf den Zugang zu beantragen.

6 Es gibt eine hohe Nachfrage nach Archivierungs- und Managementstrategien.

So gut wie aller Interviewten äußerten den Wunsch, beim Forschungsdatenmanagement Unterstützung seitens der lokalen Infrastruktur (Universitätsbibliothek, Rechenzentrum) zu erhalten. Zahlreiche Rückmeldungen auf die Interviewanfragen wurden sogar explizit durch diesen Wunsch motiviert. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Bedarf durchgängig hoch sein muss. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass es in bestimmten Communities, Forschungsteams oder Instituten sehr gute Lösungen gibt, entsprechende Dienste von universitären Infrastrukturanbietern also gar nicht benötigt werden. In Bereichen, in denen solche Lösungen fehlen, ist die Nachfrage jedoch sehr hoch.

Zugleich zeigt sich, dass in vielen Forschungskontexten bislang kaum ein systematischer Selbstverständigungsprozess über Fragen des Forschungsdatenmanagements und zu Datenarchivierungsstrategien eingeleitet wurde. Oft gibt es implizite etablierte und tradierte Verfahren bzw. wenig systematisierte Praxislösungen (vgl. auch Punkt 1). Besonders Beratungsdienste können hier zur Verbesserung der wissenschaftlichen Praxis beitragen. Die Notwendigkeit für solche Angebote steigt in dem Maße, in dem Förderinstitutionen beispielsweise ausdrücklich Forschungsdatenmanagementpläne einfordern.

Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang, dass universitäre Infrastruktureinrichtungen und insbesondere Universitätsbibliotheken bei den Promovierenden den Ruf verlässlicher und nachhaltiger Einrichtungen besitzen. Entsprechend möchte man gern nach Möglichkeit die Herausforderung der Archivierung von Forschungsdaten an diese auslagern. Gewünscht ist dabei in vielen Fällen die Möglichkeit eines dauerhaften persönlichen Zugriffs auf diese Daten und eventuell – siehe 5 – die Option einer selektiven Freigabe der Daten auch für Dritte.

7 (Digitale) Forschungsdaten sind an vielen Stellen rechtliches Neuland. 

Während es aus methodologischer Sicht für digitale Forschungsdaten disziplinäre Lösungen gibt bzw. die Verantwortung zum Finden dieser Lösungen in die Fachgemeinschaften delegiert werden kann, bleiben die rechtlichen Fragestellungen durchgängig eine Herausforderung. Einige Aspekte wurden bereits angedeutet. Auffällig ist, dass sich viele der Interviewten eine Rechtsberatung auch auf Einzelfallebene wünschen und dabei weniger die Rechtsabteilungen der Hochschulen und mehr die Infrastrukturen als zuständig ansehen. Dieser Eindruck kann allerdings auch durch den Rahmen der Interviews bedingt sein.

An einigen Stellen, beispielsweise beim urheberrechtlichen Status von Messdaten u.ä., sind auch allgemeinere Aussagen möglich. Bei komplexeren Konstellationen, die teils auch im zivil- und vertragsrechtlichen Bereich liegen, betritt man mitunter juristisches Neuland. Das Forschungsdatenrecht erweist sich zunehmend als eigenes rechtswissenschaftliches Forschungsfeld. Infrastrukturen dürften daher in der Regel aktuell nur sehr grundlegende Einführungen zum Datenschutz- und Urheberrecht anbieten können, sollten dies aber angesichts des durchgängig feststellbaren Bedarfs in jedem Fall tun.

Die zweite gezeigte Folie beschrieb die Dienstleistungen der Humboldt-Universität, die in Kooperation mit dem eDissPlus-Projekt auf die festgestellten Bedarfe angepasst und weiterentwickelt werden. Insbesondere betrifft dies die Erweiterung des Publikationsservers um die Möglichkeit, Supplemente, also Forschungsdaten aber auch andere publikationsbegleitende Inhalte zu publizieren bzw. zu verknüpfen. Enthalten sind weiterhin der Workflow und die Schnittstelle zur Übermittlung von dissertationsbegleitenden Supplementen an die Deutsche Nationalbibliothek zum Zwecke der dauerhaften Langzeitarchivierung. Andere für den Umgang und das Management von Forschungsdaten relevante Dienste der Humboldt-Universität sind der Cloudspeicher der HU-Box sowie das Medienrepositorium. Wenigstens aktuell stark nachgefragt sind die Beratungsdienstleistungen der Humboldt-Universität zur gesamten Breite des Forschungsdatenmanagements, wobei sich abzeichnet, dass sich eine Kooperation mit der Lehre bzw. den Instituten besonders an der Schnittstelle zu methodischen bzw. methodologischen Aspekten (Datenerhebung, Werkzeugauswahl u.ä.) sehr anbietet.

Die dritte Folie arbeitete schließlich allgemeiner grundlegende Desiderate heraus. Eine Frage, die bei der Diskussion zur Offenen Wissenschaft aufkam bzw. genauer der Herausforderung, die doch sehr weitreichenden Ansprüchen von Open Science / Open Scholarship und der Forschungspraxis in Übereinstimmung zu bringen, wäre vorab noch zu ergänzen.

8 Nachvollziehbarkeit und / oder Nachnutzbarkeit als Anspruch bei Forschungsdaten?

Es zeigt sich, dass das Ziel einer Forschungsdatenpublikation für die Promovierenden nicht immer klar ist. Impliziert man im Sinne einer Offenen Wissenschaft, dass eine dissertationsbegleitende Publikation von Forschungsdaten erstrebenswert ist, muss man also genau begründen können, weshalb. Wissenschaftsintrinsisch ist das Argument der Nachvollziehbarkeit einleuchtend. Zugleich liegt der zusätzlich Aufwand hierfür etwas niedriger. Eine Verfahrensdokumentation sowie die Bereitstellung repräsentativer Ausschnitte aus dem Datenbestand können ausreichen. Standardisierte Erfassungs- und Bewertungsverfahren entsprechender Supplemente sind oft ein Desiderat, aber prinzipiell als fachwissenschaftliche Konvention gut vorstellbar.

Ähnliches gilt für den höheren Anspruch der Reproduzierbarkeit. Hierbei müssen alle Materialien und Informationen in einer Form vorliegen, die es ermöglicht, den Forschungsdurchlauf im Prinzip wie erfolgt noch einmal durchzuführen. Naturgemäß trifft dies fast ausschließlich auf Forschung mit kontrollierbaren Rahmenbedingungen, also Laborforschung zu.

Bei der Nachnutzung bzw. Nachnutzbarmachung sind die Ansprüche schließlich noch anders zu gewichten. Hier muss bei der Bereitstellung bzw. Forschungsdatenpublikation idealerweise ausgehend von möglichen zukünftigen Forschungsperspektiven für den vorliegenden Forschungsdatensatz gedacht werden. Dies betrifft insbesondere die Datenqualität, die Reichweite der Aussagekraft und insbesondere auch mögliche Fehler und Unschärfen. Idealerweise werden die Angaben dazu in einer umfassenden Forschungsdatendokumentation mitgeliefert. Auch an dieser Stelle wären in vielen disziplinären Zusammenhängen zunächst einmal Vorlagen zu entwickeln. Wenn es um dissertationsbegleitende Forschungsdatenpublikationen geht, ist in keinem der drei Fälle – Nachvollziehbarkeit, Reproduzierbarkeit und Nachnutzbarkeit – zu erwarten, dass viele Promovierende Pionierarbeit leisten können oder wollen. Hier kollidiert deutlich ein Anspruch an wissenschaftliche Qualität mit den praktischen Rahmenbedingungen einer Promotionsarbeit.

9 Es gibt eine Lücke zwischen dem Diskurs in der Infrastruktur und dem in den Fachwissenschaften.

Wie eingangs betont bildeten Forschungsdaten einen Schwerpunkt bei Bibliothekartag, der damit aber nur exemplarisch für eine Vielzahl von aktuellen Veranstaltungen und Diskussionen zum Thema aus Sicht der Wissenschaftsinfrastrukturen steht. Diese Intensität spiegelt sich zumindest im Betrachtungsrahmen des eDissPlus-Projektes nicht in den Fachwissenschaften. Man anerkennt dort, dass Forschungsdaten wichtig sind. Man sieht, dass die Forschungsförderung zunehmend formalisierte Ansprüche an das Forschungsdatenmanagement und teils auch an die Publikation von Forschungsdaten ausgibt. Zudem kommt zumindest diskursiv der Trend hin zu Open Science und Open Scholarship. Aber man diskutiert alle diese Frage nicht mit der Intensität, die man auf den Infrastrukturtagungen wahrnimmt.

In der Wissenschaftspraxis folgt man nach wie vor hauptsächlich den etablierten Konventionen und Standards der unmittelbaren Fachgemeinschaften. Die Autorität und Durchsetzungskraft seitens der Wissenschaftsinfrastruktur ist, ähnlich wie beim Open Access, sehr überschaubar. Dies gilt umso mehr für Promotionskontexte.

Motivationsmöglichkeiten gibt es dort, wo da Thema einfach zu vermitteln ist, z.B. bei klar strukturierten und kurzen Forschungsdatenmanagementplänen, die gern als Anregung übernommen werden. Infrastrukturelle Bemühungen einer grundsätzlichen Veränderung der Forschungsarbeit verbitten sich Fachwissenschaftler_innen jedoch oft und nicht ganz unberechtigt. Ansatzpunkte für wissenschaftskulturelle Veränderungen finden sich vor allem dort, wo die Fachwissenschaften selbst einen konkreten Veränderungsbedarf spüren. Der Bereich der Promotionen ist davon aber in den meisten Fällen nicht vorrangig betroffen.

10 Der Bedarf an Diensten ist überschaubar, aber aktivierbar.

Eine wichtige Einsicht ist, wie sehr jedem Dialog mit den Fachwissenschaften (also auch mit Promovierenden) die Kenntnis und das Verständnis der jeweiligen Ansätze und Positionen zur (digitalen) Wissenschaftspraxis und damit verbundenen Problemen vorausgehen muss. Es obliegt erfahrungsgemäß stärker den Vertreter_innen der Infrastruktur, an dieser Stelle eine gemeinsame Gesprächsebene herzustellen. Das bibliothekarische Verständnis dessen, was zum Beispiel digitale Langzeitarchivierung und -verfügbarhaltung meint, wird sich bei den Forschenden nicht rein assoziativ einstellen. Das Kommunizieren eindeutiger und einfacher Definitionen helfen oft bei der Verständigung, auch wenn es mitunter redundant erscheint.

Ebenso wichtig ist es, zu verstehen, dass die Forschungspraxis die zeitlichen Ressourcen der Forschenden und insbesondere der Promovierenden bereits bisher sehr erschöpft. Sie werden sich nur auf Umstellungen im jeweiligen Forschungsdatenmanagement einlassen, wenn ihnen die Mehrwerte unmittelbar bewusst sind. Jeder Dialog setzt also voraus, dass sich die Vertreter_innen der Infrastruktur dem Thema von den Interessen und Desideraten der Forschenden her nähern.

Wissenschaft funktioniert an vielen Stellen im Alltag auch ohne Dinge wie eine elaborierte Langzeitarchivierungsstrategie für Forschungsdaten. Promovierende arbeiten primär auf die erfolgreiche Verteidigung zu, sekundär bisweilen auf wissenschaftlichen Fortschritt. Als Testgruppe für neue Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen ist dagegen in der Hierarchie ihrer Interessen vergleichsweise nachrangig. Allerdings spüren sie oft, dass sie die Organisation ihrer Forschungsdaten vor allem unter dem Zeitdruck eines Promotionsverfahrens oft heraus- teils auch überfordert. An dieser Stelle kann man zumindest mit Beratungsdienstleistungen ansetzen.

11 In den Fachkulturen braucht es eine stärkere Bewusstseinsbildung zu forschungsdatenspezifischen Aspekten.

Es wird Vertreter_innen der Infrastruktur erwartungsgemäß kaum gelingen, nachhaltig Forschungskonventionen zu verändern. In den Interviews stellte sich heraus, dass sich die meisten Gutachter_innen sehr konservativ zur Frage der Forschungsdatenpublikation positionieren und im Zweifel dazu raten, lieber davon abzusehen. Daran kann das eDissPlus-Projekt nichts ändern und es wird auch nicht so anmaßend sein, die Promovierenden in eine andere Richtung drängen zu wollen.

Was aber möglich ist und was in Follow-Up-Gesprächen auch geschieht, ist, Möglichkeiten und Vorteile einer Forschungsdatenpublikation sowie eines strukturierten Forschungsdatenmanagements aufzuzeigen. Dabei wirkt positiv, dass Bibliotheken an dieser Stelle eine besondere Kompetenz zugeschrieben wird. Dies betrifft insbesondere Bereiche der Langzeitarchivierung und -verfügbarhaltung, der Erschließung und der Wissensorganisation. Zudem können Bibliotheken leichter einen Überblick zu Best-Practice-Fällen auch disziplinär übergreifend gewinnen.

12 Wissenschaftsinfrastrukturen  müssen Dienste niedrigschwellig, zugänglich und nachhaltig gestalten.

Wie oben angedeutet liegt das Hauptinteresse der Forschenden in der Erkenntnisproduktion und der meisten Promovierenden auf dem Abschluss ihrer Promotion. Dienstleistungen für das Management von Forschungsdaten müssen sich diesem Ziel anpassen und sollten möglichst wenige Ressourcen von der eigentlichen Forschungsarbeit abziehen.

Besonders Promovierende messen Plattformen an Gestaltungsstandards, mit denen sie sozialisiert sind, also der Simplizität von Google und der Übersichtlichkeit von Social-Media-Angeboten. Die Interviews ergaben in überraschend vielen Fällen eine gewisse Kompromissbereitschaft, da durchaus nachvollziehbar ist, dass digitale Großunternehmen andere Investitionen in ein Interfacedesign stecken können als die lokale Universitätsbibliothek. Aber auch diese Kompromissbereitschaft kennt Grenzen und akzeptiert das Perpetual-Beta-Prinzip nur, wenn das System dennoch nachvollziehbar gestaltet ist und stabil läuft. Eine Herausforderung ergibt sich zudem aus dem Verhältnis zwischen der bibliotheksspezifischen Logik, die zum Beispiel hinter den Anforderungen an Metadaten steht, und der Logik der einzelnen Disziplinen und Forschungskulturen.

Neben den technischen Dienstleistungen liegt der Schwerpunkt auf Beratungen, die ein sehr breites Spektrum abdecken müssen und gegebenenfalls auch die Vermittlung der technischen Dienstleistungen selbst einschließen. Im Prinzip muss auch das Beratungsangebot den Ansprüchen an die Plattformen, Werkzeuge und Speicherdienste entsprechen, nämlich niedrigschwellig nutzbar, verständlich und nachhaltig sein. Das ist angesichts der Rahmenbedingungen an den Hochschulen oft leichter gesagt als getan, hilft aber zugleich erfahrungsgemäß sehr dabei, die Infrastruktur stärker mit Lehre und Forschung zu verknüpfen und ihre Kompetenz in diesen Tehmenbereichen auch an die jeweiligen Träger zu kommunizieren. Eine Herausforderung bleibt die Skalierbarkeit: Ist der Bedarf geweckt, müssen die Strukturen auch in der Lage sein, diesen aufzufangen. Dass hierfür zureichende (lies: mehr) Ressourcen gebraucht werden, steht außer Zweifel.

13 Wissenschaftsförderung und -finanzierung müssen nachhaltige Dienste stützen.

Sowohl das große Ziel einer Open Science / Open Scholarship wie auch das konkrete eines strukturierten Forschungsdatenmanagements sind fraglos erstrebenswert und beide werden zurecht in einschlägigen Policies und Programmpapieren von Hochschulen und Wissenschaftsförderern unterstützt. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass der Willen dazu nicht das vorrangige Problem ist. Ein interessanter Aspekt der Interviews war, dass Promovierende gern von kommerziellen Clouddiensten zu einem Hochschulclouddienst wechseln wollen, weil sie sich von diesen eine zuverlässige Langzeitperspektive erhoffen. Beispiele wie aktuell der Niedergang des Social-Bookmarking-Dienstes del.icio.us geben dem Recht.

Was den Interviewten häufig nicht bewusst war, ist, dass viele der für sie attraktiven Dienstleistungen, die unter dem Label Innovation an Hochschulen laufen, nur befristete Projekte oder Testpiloten sind, für die in den wenigsten Fällen eine Nachhaltigkeitsstrategie besteht. Für das eDissPlus-Projekt ergibt sich daraus zum Beispiel die Herausforderung, dass es – testweise – Promovierende bei der dissertationsbegleitenden Publikation von Forschungsdaten intensiv unterstützen möchte, diese aber ihren Zeitplan verständlicherweise nicht nach der Projektlaufzeit richten können. Streicht man also alle diejenigen heraus, die mit ihrer Dissertation nicht rechtzeitig fertig werden und diejenigen, die bereits abgeschlossen haben, bleiben nur noch sehr wenige Fälle übrig, bei denen Abschluss und Betreuungsmöglichkeit durch das Projekt zufällig passen.

Generell muss man sicher festhalten: Wenn man eine bessere digitale Forschungsdateninfrastruktur für die deutsche Wissenschaft möchte, mit Repositorien, Langzeitarchivierungsoptionen, Managementwerkzeugen, Publikationsservern, aktuellen und regelmäßig aktualisierten Policies sowie einem Set von relevanten Beratungsdienstleistungen, dann braucht man neben Anforderungskatalogen auch eine Finanzierungsperspektive. Naheliegenderweise bietet dabei nicht notwendig jede Hochschule jeden Dienst an. Vieles kann man auch zentral und im Verbund viel sinnvoller umsetzen. Daher:

14 Es braucht eine übergreifende Lösung für die Koordination von Diensten für Forschungsdaten, insbesondere zum Nachweis, zur Verfügbarhaltung und zur Archivierung.

Die Thesen des Rats für Informationsinfrastrukturen (RfII) zu den Voraussetzungen einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) sind dafür vielleicht ein erster Schritt. Aber, insbesondere da sie die Finanzierungsfrage auslagern, wirklich nur ein erster.

(Berlin, 06.06.2017)

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