Dienste für die dissertationsbegleitende Publikation von Forschungsdaten. Eine Vortragsnachlese.
Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
In dervergangenen Woche fand bekanntlich in Frankfurt am Main der Bibliothekartag 2017 statt, eine seltsam buchfreie und ausgiebig betwitterte Veranstaltung, die wie immer ein ganz guten Rundumblick über den Diskursstand des deutschen Bibliothekswesens lieferte. Das Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG) und die dagegen anlaufende Initiative der deutschen Presse waren naturgemäß ein Thema auch der Pausengespräche. Digitalisierung, die ja im Prinzip alles mögliche, u.a. Social Media, umfassen kann, ein anderes und begleitet die Veranstaltung nun schon fast zwei Jahrzehnte. Innovation wurde ein weiteres Mal verkündet und eingefordert. Informationsethik wurde kritisiert. Und es wurde, vielleicht am interessantesten, festgestellt, dass es im deutschen Bibliothekswesen oft offenbar schwer fällt,sowohl qualifizierte als auch motivierte Persönlichkeiten für Leitungsstellen zu finden.
Selbstverständlich bleibt Eindruck auch von der Themensetzung nur fragmentarisch, da LIBREAS-Vertreter_innen zwar hier und da durch das Kongresszentrum der Frankfurter Messe wanderten, in der Regel aber mit ihren hauptberuflichen Schwerpunkten und Aufgaben ausreichend beladen und entsprechend zielstrebig. Und mancher kam nur für einen Vortrag und also nur einen halben Tag nach Frankfurt, winkte hier und da jemandem zu, besuchte ein Panel zu Altmetrics, das zu großen Teil Richtung Firmenpräsentation driftete und die Einsicht aufdrängte, dass das Rad der Webanalyse mit Big-Data-Methoden gerade neu erfunden wird.
Nicht neu erfunden, mittlerweile sehr nachdrücklich behandelt wird dagegen das Themenfeld der Forschungsdaten. In dieses fügt sich nun auch der Vortrag ein, zu dessen Nachbereitung nachfolgend einige Kernpunkte fixiert werden. Gegenstand der kurzen Präsentation waren Erkenntnisse aus dem eDissPlus-Projekt. Da sich zudem direkt im Anschluss zur Präsentation, wenn auch zu einem anderen Aspekt des Projektes, in der Twittersphäre Missverständnisse offenbarten, die auch mit den Besonderheiten der Konferenzatmosphäre zusammenhängen können, ist das nur zusätzlich Anlass zur Wiederholung und Erläuterung des Präsentierten. Dies geschieht ausdrücklich mit dem Wunsch, eine Diskussionsvorlage zu bieten. Im vorliegenden Rahmen muss die Darstellung allerdings auf den Präsentationsteil der Humboldt-Universität beschränkt bleiben und dort auf die Befragungen mit Promovierenden und Post-Docs zu Einstellungs- und Erfahrungsmustern hinsichtlich einer denkbaren Publikation von Forschungsdaten.
It’s the frei<tag> 2013 Countdown (20): Steile Thesen, mehr Diskussionen
von Karsten Schuldt
Je planmässiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. (Friedrich Dürrenmatt)
Mit der frei<tag> 2013 wollen wir unter anderem die Zukunft der Bibliotheks- und Informationswissenschaft ausloten. Die Zukunft, das wissen wir alle, ist ein Konglomerat aus dem, was man entwirft, dem, was von anderen entworfen wird, den pfadabhängigen Entwicklungen und Machtkämpfen in Institutionen und Gesellschaft sowie unerwarteten Ereignissen. Oder anders: Sie ist nur zum Teil verständlich, nicht einfach planbar, aber auch nicht zufällig. Was auf jede Zukunft vorbereitet, ist ein Verständnis des Gegebenen und eine Ahnung davon, was man haben will. Ansonsten wird die Zukunft keine Zukunft sein, sondern etwas, dass über einen hereinbricht. Die Zukunft wird anders sein als das Heute, aber auch nicht unabhängig sein davon. Was wir heute entscheiden wird Einfluss haben; was wir heute verwerfen wollen kann in Zukunft verworfen sein.
In der Managementsprache kommt oft der Begriff der strategischen Planung vor. Das ist selbstverständlich verwirrend: Strategische Planung klingt danach, als würde alles so kommen, wie man es plant, wenn man nur den Überblick behält, einen klaren Plan macht und proaktiv an seiner Umsetzung arbeitet. Aber: Dabei kann man sich immer verrechnen, wichtige Einflüsse übersehen, über- oder unterschätzen, sich zu sehr auf den Zufall verlassen, den Einfluss des strategischen oder nicht-strategischen Handelns anderer falsch einschätzen. Napoleon zum Beispiel hatte falsch geplant, als er davon ausging, bei Waterloo die englischen Truppen geschlagen zu haben, wenn die preußischen eintreffen würden. Wir wissen: Das stimmte nicht. Aber: Dank seiner Planungen ist Napoleon überhaupt mit Truppen bis nach Waterloo gekommen. (Und immer noch ist das Rätsel offen, ob ein vereintes Europa unter Frankreichs Aufklärung wirklich ein schlechte Option gewesen wäre. Das ist bei anderen Europaeroberungsplänen anders.) Die strategische Planung ist auch nicht vollständig falsch kann uns das lehren.

Oder es könnte auch sein, dass die Welt wirklich untergeht, der Sommer zum Winter wird, die Tage zu Nächten, die Nächte zu Zeiten des allgemeinen Chaos. Sich in den Alpen zu verkriechen könnte da eine Strategie sein, aber wer den gesamten Dürrenmatt gelesen hat, weiss, dass auch das keine wirklich gute Strategie ist. Wenn die Welt untergeht und selbst auf die Schweiz Atombomben fallen, werden Bücher zu Feuermaterial. Dennoch: Für einige Tage oder Wochen mag der Weg in die Berge, hinauf mit den letzten fahrenden Bahnen, hindurch den Schnee und Niederschlag von dem man nicht weiss: Ist er gut oder schlecht? Was verbirgt sich darunter? eine Hoffnung bieten. Eine trügerische. Aber, wieder Weltliteratur, das Decamerone zeigt ja auch, dass diese kurze Hoffnung genossen werden kann. If you have to go, why not with a Boom?
Andererseits wird man es vielleicht verdammen, dass man damals lieber Bücher las und über die Anwendbarkeit der Foucaultschen Diskursanalyse auf reine Datenmengen stritt, wenn man hätte das Skifahren erlernen können.
Hier nun ein Aufruf: Wir, als Wissenschaftscommunity aber auch als Bibliothekswesen, sollten die Zukunft nicht über uns hereinbrechen lassen; auch wenn wir wissen, dass eine Planung immer etwas schief geht. Das Planen anstossen tun sehr oft intensive und heftige Diskussionen. Heftige Diskussionen werden sehr oft von steilen Thesen und grossen Behauptungen angeregt, gegen die man sich offen zu verwehren oder denen man heftig zuzustimmen müssen glaubt. Deshalb: Steile Thesen für die Massen! Offen zur Diskussion gestellt.
- Auch in zwanzig Jahren werden die Bibliotheken sich gegenseitig erzählen, dass sie sich der Zukunft stellen müssen und dabei immer noch die ähnlichen Angebote machen, wie heute. Die Entwicklung wird nur langsam vorangehen, durch das mangelnde historische Bewusstsein des Bibliothekswesens wird es aber so aussehen, aber sei man „gerade jetzt erst“ dabei, sich zu verändern.
- In der Bibliothekswissenschaft wird sich in den nächsten zehn Jahren eine starke sozialwissenschaftliche Strömung etablieren, während die Informationswissenschaft sich weiter in Richtung Informatik orientieren wird. Das wird beklagt, aber nicht verändert werden.
- Die Ethnologie wird zu einer Leitwissenschaft der Bibliothekswissenschaft werden.
- Das Forschungsdatenmanagement und das, was heute als „Big Data“ diskutiert wird, wird nicht von den Bibliotheken, sondern von neuen Einrichtungen betrieben werden.
- Es wird insbesondere im Bezug auf Open Government Data ein gesellschaftliches Interesse daran geben, dass eine Einrichtung mit der gesamten Gesellschaft zusammen beginnt, darüber zu diskutieren, was man mit all den Daten eigentlich anfangen kann. Bibliotheken werden diese Chance, die behauptete Informationskompetenz zu beweisen, vorüberziehen lassen.
- In zehn Jahren wird dem Bibliothekswesen klar geworden sein, dass die Behauptungen (a) Informationskompetenz wäre gesellschaftlich wichtig, (b) Informationskompetenz wäre vor allem Recherchefähigkeit und (c) Bibliotheken würden Informationskompetenz fördern, ausserhalb der Bibliotheken kaum ernstgenommen wird. Das Bibliothekswesen wird sich dann zu fragen beginnen, ob These (a) und (b) überhaupt stimmen und sich in diesen Diskussionen verfangen, während die Gesellschaft diese Diskussion weiter ignoriert.
- Schulbibliotheken werden sich in den nächsten zehn Jahren in den deutschsprachigen Staaten endgültig als eigenständige Bibliotheksformen etablieren und eine Professionalisierung beginnen. Es wird eigenständige Schulbibliotheksverbände geben, die sich dagegen verwahren werden, das Schulbibliotheken als Sonderformen Öffentlicher Bibliotheken verstanden werden.
- Ein tief differenziertes System von Bibliotheksfilialen, die zentrale Dienste zentral organisieren, gleichzeitig den lokalen Anforderungen angepasst sind, wird in zehn Jahren als zukunftsträchtig gelten. Eingliedrige Bibliothekssysteme und grosse Zentralbibliotheken werden als hauptsächlich negativ beschrieben werden. Es wird der Vorwurf erhoben werden, dass die grosse Konzentration von Bibliotheken seit den 1990er Jahren dem Niedergang des Bibliothekswesens Vorschub geleistet hätte.
- In zehn Jahren werden wir wieder mehr französischsprachige Fachliteratur lesen und mit den Kolleginnen und Kollegen in Frankreich, der Romandie, Quebec und zahlreichen französischsprachigen Staaten in intensiven Austausch treten. Das wird das deutschsprachige Bibliothekswesen offener und interessanter machen. In zwanzig Jahren wird ähnliches mit dem Spanischen passieren.
Zürich, März 2013
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