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It’s the frei<tag> 2013 Countdown (23): Kein Twitter ist auch keine Lösung: eine Reflexion.

Posted in LIBREAS Veranstaltungen by szepanski on 27. Februar 2013

von Christoph Szepanski1

„I think I’m Noam Chomsky
Dropped out of college
Started reading Noam Chomsky
Twitter feed look like I’m ready for war
Vonnegut is dead“

(Sole – I Think I’m Noam Chomsky)

Wer wohl jetzt noch nicht auf Twitter ist, der kommt wohl auch nicht mehr, so meine Behauptung, wenn man die einschlägigen Parabeln hierzu betrachtet. Irgendwo im Tal der Ernüchterung und zwischen dem rettenden Pleateau der Produktivität steckt der Zwitscher-Dienst derzeit. Jedenfalls scheint mir die Begeisterungsfähigkeit für die Nutzung von Twitter für die early oder late majority nun auch vorbei zu sein. Und auch der angenommene Wert des so genannten „Tweetamin B“ – der Effekt der sozialen Netzwerkeinbindung, welcher vor allem von der Exklusivität lebt, Ist nun auch durch. 2013. Jetzt.

Gewiss jedoch ist dieses twittern längst fashionable. Als cooles Gimmick auf der Party, beim Warten auf die Tram/ die nächste Grünphase oder um die Zeit zwischen zwei Verabredungen zu überbrücken – quasi die Nichtraucherversion der sonst hier üblichen Warte- oder Verlegenheitszigarette (wenn man schmerzlich spürt, was YOLO auch bedeuten kann) – und nicht zuletzt zu den Erscheinungen des digitalen Echtzeit-Eskapismus zuzuordnen.

Die letzten beiden Absätze haben es bereits impliziert: ich bin ein wenig von Twitter ernüchtert. Das Medium wird auch für mich zunehmend lauer. Der Lack ist ab, heißt es so schön, aber auch ich möchte nicht gleich in das derzeit hippe Twitterbashing verfallen (z.B. hier und hier).

Kein Twitter ist auch keine Lösung. Zunächst sei erstmal angebracht zu reflektieren, wieso es dazu kam, um im Verlauf des Textes Lösungen anzubieten, denn nörgeln und das ausschließlich (!) kann ja jeder. Aber was nützt das Ganze, wenn nicht zumindest Mittel und Wege zur Problembewältigung angeboten werden.

Twitter Vogel

Der gehetzte Mensch (hier als early bird).

Die Ernüchterung

Twitter war sozusagen meine erste Social Media Liebe. Jetzt ist sie weg bzw. besser noch ihr Reiz. Denn eigentlich ist sie noch da. Aber aus dem glücksverheißenden Frühlingsgeschöpf wurde mittlerweile eine etwas welke Matrone, die sich freilich noch immer in dieselbe Caprihose zwängt. Es scheint einfach nicht mehr zu passen. Und darüber, warum mir all das plötzlich zu eng und bedrängend erscheint, denke ich nun intensiver nach. Vielleicht auch aus der Sehnsucht nach dieser ersten Begeisterung der neuen Möglichkeiten, wohlwissend, dass das mit einem ähnlichen Medium nie wieder geschehen wird. Bevor ich bloggte, bevor ich beschloss auf Facebook aktiver zu werden und mich überhaupt mit den mannigfaltigen Social Media Diensten eingehender auseinanderzusetzen, war rank und schlank nur Twitter.

Es ist richtig: die #aufschrei-Debatte trug maßgeblich dazu bei. Dass dort während dieser Kampagne das Blockieren von Meinungen, also von Accounts, erheblich zunahm und ich selten auf soviel Intoleranz in einem sozialen Netzwerk stieß – weil wohl jene Kampagne daneben ging – waren die feurigen Augen, denen ich verfiel. Ich bin mir auch bewusst, dass die Idee von einer meinungsmäßig ausgegeglichen Anzahl von Follower und Followings letztlich verträumt naiv ist. Am Ende wollen wir alle in der Geborgenheit unserer eigenen Filterblase bleiben und bestimmen können, was geschieht. Gezielt nach anderen Ansichten und Blickwinkel auf ein und desselben Gegenstandes zu suchen, passiert folglich eher selten. 

Das geschieht genauso in der analogen Welt, der Realität, von Angesicht zu Angesicht und wird schließlich nur in den zunehmend separierter werdenden digitalen Räumen reproduziert.

Was mich aber wirklich enttäuschte (ein Sprichwort besagt, dass man nur enttäuscht werden kann, wer sich vorher selbst täuschte) war die vor kurzen gemachte Beobachtung, dass man auf Twitter vor allem die Agenda der etablierten Medien aus TV (so genanntes Social TV), Print sowie Onlinejournalismus und Rundfunk fortführt, sodass das Medium letztlich doch nur zur Steigerung der Reichweite des Etablierten dient. Twitter eignet sich strukturell nicht zum neuen Sender, sondern verlängert nur die Kanäle, die ohnehin schon dominieren. Dazu zählt nicht nur der #aufschrei. TV-Formate, insofern, dass sie so platziert sind, dass sie einen Teil der Online-Community auch ansprechen – positiv wie negativ (jungst z.B. zdfLogin, Absolute Mehrheit, #wwtfmg oder selbst Wetten, dass…) können sich sicher sein, dass ihr Programm von der Twitter-Community bis zum letzten Grad der Irrelevanz fortgeführt wird. Das betrifft gerade die x-te Bekundung, wie einseitig, langweilig oder verblödend das Ganze ist. Luhmanns Realität der Massenmedien (alles was wir wissen, wissen wir von denen) – so der freie und sehr verkürzte Auszug – schlägt uns hier ein Schnippchen. Twitter war in der letzten Zeit ein wenig zu häufig lediglich Multiplikator für etwaige TV-Formate oder Kampagnen der Hegemonen des Printjournalismus. Und viel zu oft fühlt man sich in den Agenden nach wie vor auf die Rolle des Publikums reduziert. Das muss nicht unbedingt die des Claqueurs sein. Gerade der Buh- und Zwischenrufer ist gefragt, solange sein Zwischenruf nichts grundsätzlich hinterfragt. Denn gerade so lässt sich der Eindruck (oder womöglich sogar mehr noch der Mythos) der neuen digitalen Demokratie aufrechterhalten.

Für mich heißt es dann oftmals „abschalten“. Manchmal führt das jedoch auch zu Kuriositäten. So war es (nicht nur für mich) beobachtbar, dass die Anzahl der Tweets die hinsichtlich des #aufschrei hashtags gesendet wurden sprunghaft abnahmen, als „der Bachelor“ auf RTL lief. Eine sentiment analysis dahingehend wäre interessant und sicher finden sich bald ein paar Medienwissenschaftler, die das übernehmen. Lediglich die Mär von 90 000 twitternen ausschließlich weiblichen Sexismus-Opfern unter dem #tag aufschrei wurde korrigiert.

Twitter muss weiter für den einen oder anderen kuriosen priming-Moment herhalten. Sobald man ein Event verfolgt und parallel dazu Twitter nutzt, sieht man je häufiger man auf Twitter interagiert eher das Event durch die Augen der Anderen, als das Eigene (was da so dem Kopf entspringt). Das kann stören, jedoch auch manchmal ziemlich hilfreich sein. Bei mir war eher letzteres der Fall.

Ein Lösungsansatz

Das Blockieren von anderen Twitterern ist letzlich nur eine Handlung im Rahmen der Bewältigung von Alltagskomplexität, so meine These. Dahinter steckt nicht unbedingt Böswilligkeit. Eher Überforderung. Problematisch wird es, wenn sich daraus eine Art Systematik entwickelt, gar eine Bewegung, die den digitalen Putzlappen schwingt und gegenläufige Argumentationen wegzuwischen versucht, damit die etablierten bzw. die gerade zu verkaufenden Meinungen durchsetzungsstark genug bleiben. Twitter ist nun nicht mehr länger Multiplikator für bspw. TV-Formate, sondern auch für Ideologien.

Was wir benötigen, wäre eine zur Twittersphäre passende Selbstverpflichtung, die sich am ehesten an den auch sonst in der anlogen Welt etablierten und gut funktionierenden humanistischen Werten orientiert. Darin enthalten: Sei dir bewusst, dass der oft hastig eingetippte Schmäh-Tweet letztlich mehr über dich aussagt, als über denjenigen den man damit zu diskreditieren versuchte. Problematisch bei diesen Aussagen ist ja stets, dass die Forderungen von der anvisierten Zielgruppe letztlich ignoriert werden. Ein Paradoxon, welches nicht erst seit Social Media besteht. Zumindest etwas mehr Reflexion wäre ein Anfang.

Nichtsdestotrotz ist mir Twitter immer noch eines der wichtigsten sozialen Netzwerke und am Ende eines Tages dann doch nicht so ein Unort wie es vielleicht erscheint. Twitter bleibt auch weiterhin im Tagesablauf fest integriert, wenn auch die große Leidenschaft dahin ist. Man sitzt zum Abend beieinander und weiß, dass es schlimmer hätte kommen können. Und ist traurig, dass es nicht besser kam. Aber vielleicht ist es noch nicht zu später. Immerhin haben wir Spielräume und was geschieht, hängt doch maßgeblich von der gewählten Nutzungsart ab. Twitter kann vieles sein: ein nach persönlichen Vorlieben konfigurierter Nachrichtenchannel, ein Weg A-, B- oder C-Promis und Debbie-D-cup nahe zu sein, eine Aphorismensammlung oder Sammelbecken diverser Stimmen der Gesellschaft. Für Soziologen ist Twitter ein exzellenter Datenpool und für Marketing-Experten erst recht. Ach, und als (wissenschaftlicher) Dokumentlieferant ist Twitter natürlich auch prima. All das wird gesteuert durch das eigenverantwortliche hinzufügen oder entfernen von Accounts denen man folgen möchte. Und wenn man es geschickt macht, dann eignet es sich vielleicht – ich betone: vielleicht! – auch als Werkzeug zur individuellen politischen Emanzipation. Eines ist jedoch klar: Twitter schenkt uns nichts.

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1 Ursprüngliches Erscheinungsdatum 24.02.2012. Wegen Krankheit des Autors und dank eifriger Mithilfe der LIBREAS Redaktion für diesen LIBREAS Countdown publiziert.

 

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