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Die Diversität und ihr Management. Eine Besprechung.

Posted in Sonstiges by libreas on 27. September 2010

Wer mit dem Defensivspiel im Fußball aktiv vertraut ist, kennt das berühmte Phänomen des „Nimm Du ihn, ich hab ihn“ – also einem Abstimmungsmissverständnis, das gern dazu führt, dass ein Ball bar jedes Effets und mit geringem Tempo, den man gemeinhin, wie die Stehtribüne meint, „mit der Mütze hält“, über die Torlinie kullert.

Etwas ähnliches ist uns unglücklicherweise in der Redaktionsarbeit geschehen. Nur war das Ergebnis gegenteilig: ein Text gelangte gerade nicht in eine Ausgabe. Da es nun bist zur nächsten wieder eine Weile hin ist und die kleine Besprechung schon eine Weile auf ihre Publikation wartet, bringen wir sie jetzt und hier im Weblog und lernen etwas daraus.

Mut zum Abschied aus verstaubten Strukturen – Sensibilisierung für die Vielfalt in uns und der Gesellschaft

Rezension des Buches von Wolfgang Kaiser: Diversity Management. Eine neue Managementkultur der Vielfalt –für ein neues Image der Bibliotheken. Berlin: Simon Verlag, 2008. ISBN: 978-3940862020

von Friederike B. Haar

Das präzise und stringent gehaltene Buch des Autors Wolfgang Kaiser beleuchtet das Konzept des Diversity Managements im Rahmen der modernen Bibliotheksarbeit umfassend und detailliert, was als Fachkraft in diesem Bereich sehr wohltuend zu lesen ist. Da in der Literatur selten gelungene Zusammenstellungen über „diversity“ zu finden sind, ist es besonders lobenswert, wie es Kaiser im Wirr-Warr des Diversitäts-Geschäftes gelingt, zunächst in den ersten zwei Kapiteln sehr sorgsam den Begriff des „diversity Management“ herzuleiten, klare Eingrenzungen unter Nennung namhafter Vertreter des Ansatzes vorzunehmen und ihn schrittweise ins Bibliothekswesen zu implementieren. Er betrachtet im gesamten Buch die Umsetzung des Ansatzes als persönliche Herausforderung derjenigen Personen, die in Bibliotheken als Team daran arbeiten, soziale Vielfalt konstruktiv zu nutzen.

Als Psychologin und Trainerin im Bereich der Interkulturellen und Diversitäts-Kompetenz empfinde ich den u.a. auf  S. 27 genannten Aspekt, „die kommunikative Beziehung zwischen den Nutzern und den Mitarbeitern stärker in der Vordergrund zu rücken“, dem Kaiser eine große Bedeutung bei der Verbesserung der Zusammenarbeit beimisst absolut begrüßenswert und notwendig.

In Kapitel drei widmet sich der Autor den sozialpsychologischen Grundlagen der zugrundeliegenden Anti-Diskriminierungspolitik gegenüber Minderheiten wie Migranten, Behinderten etc. Indem er bibliothekarische Fachkräfte direkt in ihrer Alltagswelt anspricht und ihnen als Leser der Lektüre ihre bewussten wie auch unbewussten Strategien der Vorurteils- und Stereotypenbildung entlarvt, erhält die komplexe Thematik einen hohen Anwendungsbezug. Dabei werden sowohl Stereotypenbildungen von Nutzern gegenüber Bibliothekaren („Ordnungsbesessenheit, mürrischer Gesichtsausdruck“ S. 24) als auch von Bibliothekaren gegenüber Nutzergruppen („Ausländer“, S. 23) ins Auge gefasst.

Kaiser, als Fachmann für Bibliothekswesen und Vertreter einer offenen Bibliothekswelt, selbst mit interkulturellem Lebenshintergrund und einer breiten Erfahrungspalette, wagt die Einführung eines neuen Begriffes: den des Diversitäts-Bibliothekars. Sehr griffig charakterisiert er die Aufgaben, die mit dieser neuen Herausforderung auf Fachkräfte zukommen werden wie u.a. bei der Rekrutierung von Personal, wo es darum geht „die Attraktivität der Bibliothek als Arbeitgeber für unterschiedliche Kandidatinnen und Kandidaten nach außen hin zu vertreten“ (S.41). Er spricht sich klar für die Erhöhung von Vielfalt und damit einem Abbau von Homogenität in MitarbeiterInnenteams als auch in der Kundschaft aus.

Im weiteren erörtert Kaiser praxisnah, was bei der Beschäftigung mit der Vielfalt in Bibliotheken an Aufgaben für Bibliothekare zukommen wird und welche Schritte in Deutschland und anderen europäischen Ländern längst fällig wären, um bisher unerreichbare Zielgruppen zu gewinnen und diese in Bibliotheken adäquat zu integrieren. Insgesamt könne eine friedfertigere Kommunikation unter Mitarbeitern und ein serviceorientierteres Management der Bibliothek nur anhand einer Sensibilitätssteigerung durch Weiterbildungen im Bereich der Diversität durch das Erlernen interkultureller Kompetenz wie auch dem Erkennen eigener Stereotype erreicht werden (S. 50).

Das vorwiegende Anliegen Kaisers, dass es nicht nur um eine politisch erzwungene Integration von nie gesehenen Besuchergruppen gehen kann sondern sich jede Bibliothek selbst auf die Hinterbeine stellen sollte um zu analysieren, welcher Personenkreis zwar gerne die Bibliothek besuchen würde, den Zugang dazu jedoch nicht findet, wirkt überzeugend.

Die Vielfalt

Die Welt ist per se ein vielfältiges Unterfangen und man kann ihr nicht entgehen. Die große Frage, nicht nur aber auch für Bibliotheken, lautet nun, wie man damit umgeht. Die Lehre dazu heißt Diversitätsmanagement und ist, auch wenn es vielleicht noch nicht jeder verinnerlicht hat, ein Grundbaustein in Bibliotheken offener Gesellschaften.

In Kapitel sieben zeigt zeigt Kaiser anhand von best-practise-Beispielen aus dem Ausland, dass und wie der Ansatz des Diversity Managements erfolgreich umsetzbar ist. Da es – auch als Trainerin in diesem Bereich – immer wieder vonnöten ist, Überzeugungsarbeit zu leisten und selbst als Vorbild zu fungieren, trifft er dabei eine Auswahl an Beispielen, die Mut zum Nachahmen machen, wie z.B. ein gezieltes „diversity recruiting“, das darauf abzielt auch Personengruppen als Bewerber anzusprechen, die nicht ins klassische Bild eines Bibliothekars passen (vgl. S. 68).

Lediglich kritisierbar ist es, dass Kaiser Begrifflichkeiten wie „Zigeuner, Behinderte“ (S.82) aus der Literatur übernimmt und diese nur an vereinzelter Stelle präzisiert und kritisch hinterfragt. An dieser Stelle hätte ich mir eine Verfeinerung der ohnehin in der Literatur oftmals wiederholten Begrifflichkeiten, die zu erneuten Stereotypen der „Unnormalen“ vs. der „Normalen“ der Gesellschaft verführen gewünscht. Auch neigt der Autor dazu, Migranten insofern klischeehaft zu betrachten, als er ihnen verallgemeinert die Fähigkeit zuschreibt, „zwischenmenschliche Kontakte aufzubauen und zu pflegen„. Dies mag in vielen gelungenen Fällen der Migration zutreffen, doch widerspricht er sich mit seiner Aussage, dass sich Diversität immer mit Individuen beschäftigt, die einzeln in ihrer Lebenskultur und ihrem Charakter betrachtet werden sollen und sich in ihren unterschiedlichen Identitäten begegnen (vgl. S. 33-34). Offen bleiben auch manche wirtschaftliche Fragen der Umsetzung von Diversity Management, die jedoch den Rahmen des im Rahmen einer Diplomarbeitsforschung geschriebenen Buches gesprengt hätten.

Hochaktuell hingegen ist Kaisers Gewichtung der Implementierung von Diversitätsmanagement auch an Hochschulen, die Bibliothekare ausbilden, indem er zeigt, wie wichtig es ist, heterogenere Nachwuchskräfte anzuwerben um auch der Kundschaft eine größere Identifikationsmöglichkeit mit dem Ort Bibliothek zu ermöglichen sowie um wirtschaftlicher arbeiten zu können. Wie es bei Bibliotheken darum geht, ihr „verstaubtes Image“ loszuwerden und nicht nur die sogenannten Bücherwürmer und Leseratten anzuziehen, werden sich nämlich die bundesdeutschen wie gesamteuropäischen Hochschulen der gleichen Aufgabe zu stellen haben: Aufgrund der demographischen Entwicklung wird bereits an deutschen Hochschulen, die sich dem Exzellenzwettbewerb verschrieben haben und rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt haben Forschung im Bereich der Anwerbung von einer diverser werdenden Studentenschaft mithilfe von Diversitätsstrategien betrieben. Dabei werden die in Kaisers Buch erwähnten Auswahlstrategien angewandt: So werden aufgrund der geburtenschwachen Jahrgängen und auch um die Vielfalt unserer Gesellschaft positiv zu nutzen speziell u.a. Migranten, Bildungsferne, alleinerziehende Mütter oder Väter etc., Rentner zum Studium angeworben. Bemühungen gehen dahin, welche Bedürfnisse neu erfüllt werden müssen, um Studenten anzuziehen und erfolgreich zu halten – ein neuer Servicegedanke! Dies dürfte, ebenso wie für die diversen Ausbildungsstätten für Bibliothekskräfte auch für die gesamte Hochschullandschaft einen Kulturwandel bedeuten.

Besonders hervorzuheben ist die Haltung Kaisers, die durch das ganze Buch hindurch sichtbar wird: es geht ihm um eine konsequente, jedoch undogmatische Umsetzung des  gleichberechtigten Zugangs zur Ressource Bibliothek. Mit einer Brise Erfrischung bringt er Klarheit in die Zukunftsaufgabe des Diversity Managements. Jede Bibliothek kann JETZT mit der Umsetzung beginnen, dort, wo sie die Erfordernisse und Möglichkeiten am dringendsten für die Benutzergruppen und das eigene Team sieht.

Fazit: eine erfrischende und zugleich hoch informative Pflichtlektüre zumindest für all diejenigen, die sich nicht alleine auf Personalabbau und fehlende finanzielle Mittel berufen, um den ersten Schritt zur Öffnung zu vermeiden. Wer nicht in der Routine der institutionsgebundenen Tätigkeiten verstauben möchte, sondern sich mit frischem Wind in das Abenteuer der Begegnungs- und Bibliotheksarbeit aufmachen möchte, dem sei dieses Buch, das auch über die Bibliotheksanwendung hin brauchbar ist, sehr ans Herz gelegt!

Friederike B. Haar ist Diplom-Psychologin und Trainerin im Bereich Diversitäts- und Gendermanagement und Interkulturelle Kompetenz

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