LIBREAS.Library Ideas

„Zwischen Spex und bibliothekarischem Feuilleton“- Was ist LIBREAS?

Posted in LIBREAS aktuell by libreas on 28. Juni 2010

Mitten am Montag passiert es und der Zeitpunkt ist gar nicht verkehrt: Ein Beitrag in der Mailingliste inetbib zum Publizieren nach Open Access-Prinzipien in deutschen Bibliotheksfachzeitschriften (Klaus Graf: Die Open-Access-Heuchelei der Bibliothekare) führt in eine angeregte Diskussion, in deren Verlauf die öfters gehörte Aussage fällt:

„Wenn man von regionalen Zeitschriften und vergleichbaren Organen absieht, sondern nur die einflussreichsten deutschsprachigen Fachzeitschriften zugrundelegt, gibt es nach wie vor keine einzige Open-Access-Zeitschrift.“ (vgl. hier)

Auf einen LIBREAS betreffenden Hinweis  folgt dann die Formulierung:

„LIBREAS ist als studentische Zeitschrift fuer mich ganz klar am Schluss eines Rankings bibliothekarischer Fachzeitschriften einzusortieren. Hier ging es um die Organe der ersten Reihe, und wer behauptet, dass LIBREAS dorthin gehoert, sollte dies ausfuehrlich begruenden. Studentische Zeitschriften haben in allen Disziplinen nicht das gleiche Ansehen wie „normale“ Fachzeitschriften.“ (vgl. hier)

Dies wird dann wiederum kommentiert und durch eine weitere Einordnung bereichert:

Libreas als studentische und damit irrelevante Zeitschrift zu schmähen, halte ich übrigens für falsch. Besonders gegenüber den von Ihnen anscheinend(?) höher eingestuften Reklameblättchen ist Libreas durchaus als wertvoll anzusiedeln. Selbst wenn ich für mich persönlich dort seit langem nichts interessantes mehr lesen konnte, da es sich immer mehr zu einer Mischung zwischen Spex und bibliothekarischem Feuilleton entwickelt. Aber dies nur am Rande…

Möglicherweise lässt sich die Frage nach dem, was LIBREAS.Library Ideas tatsächlich ist, gar nicht eindeutig beantworten. Die LIBREAS-Redaktion hat jedenfalls die Zwischenrufe zum Anlass genommen, um das eigene Selbstbild in der klassischen Form des Briefes an sein Publikum (ursprünglich geplant als Brief an die Liste) zu reflektieren.

Liebe LIBREAS-Leserschaft, liebe Liste,

der Einwurf von Klaus Graf zu LIBREAS. Library Ideas in inetbib gibt uns zu denken. Dies umso mehr, als wir nie auf die Idee gekommen wären, uns in irgendwelchen Rankings zu positionieren. Wir anerkennen jedoch, dass Wissenschaft und Gesellschaft zu weiten Teilen auf Ranglisten und Vergleichbarkeit basiert. Insofern sind wir weit entfernt davon, uns darüber zu empören, dass wir solchen Kriterien unterworfen werden. Daher ist nichts dagegen einzuwenden, dass Herr Graf uns in dem von ihm skizzierten Wertesystem für wenig relevant hält. Allerdings ist sein Kontext nicht der unsere und vielleicht muss man ab und an deutlicher daran erinnern, was LIBREAS ist und sein soll.

Wir gründeten im Jahr 2005 als Studierende am damaligen Institut für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin LIBREAS. Library Ideas, weil wir eine Zeitschrift machen wollten, die es uns ermöglicht, jenseits des von uns damals als erstarrt wahrgenommenen bibliothekarischen und bibliothekswissenschaftlichen Publikationswesens ein wenig lockerer und offener auszuprobieren, was man mit den zeitgemäßen und niedrigschwelligen Publikationsmöglichkeiten des WWW anfangen kann. Mittlerweile sind sowohl das Web, als auch der Status der durchgängig ehemals Studierenden gereift. Die Redaktion besteht aus nicht mehr blutjungen, aber immer noch entdeckungsfreudigen Absolventen/Graduierten und Wissenschaftlern, die nach wie vor das nicht ganz Orthodoxe lieben.

Dass die Inhalte frei im Web zur Verfügung stehen, war für uns von Anfang an nicht nur selbstverständlich, sondern überhaupt nicht anders denkbar. Man kann demnach von einem internalisierten Open Access sprechen. Wie wir uns für wessen straffe Definition des goldenen Wegs als passend oder unpassend erweisen werden, war uns in diesem Zusammenhang nicht wichtig.

Aufregenderweise führte dieser relativ organische Umgang mit „Open Access“ dazu, dass sich mit Uwe Jochum auch ein erklärter Gegner zumindest des Goldenen Weges und von Publikationsmandaten – mitunter meint man von Open Access allgemein – bereitfand, bei uns zu publizieren, weil er es für passend erachtete. So jedenfalls seine Aussage jüngst in der Staatsbibliothek zu Berlin. Diese Publikation führte zu zwei Folgepublikationen, die ihn nicht ohne Wucht attackierten.

Im Resultat stand ein kleiner Diskurs, dessen Textinhalt vielleicht nicht den strengen wissenschaftlichen und methodologischen Kriterien entspricht, die manch einer für bibliothekswissenschaftliche Publikationen heranzieht. Sondern ein Austausch.

LIBREAS.Library Ideas ist eine Fachzeitschrift, aber eben nicht nur und nicht im schmal gefassten traditionellen Sinn.

Wir verstanden und verstehen uns von Anfang an als Diskursmedium. Im Gegensatz zu den meisten Publikationsorganen „der ersten Reihe“ ist uns das reine Vermelden weniger wichtig als der Dialog. Dies umzusetzen erweist sich allerdings als erstaunlich schwer, denn erfahrungsgemäß sind sowohl von ihren zeitlichen Ressourcen wie auch ihrer Ausrichtung nur eher geringe Teile der Fachwelt für einen solchen zu gewinnen. Wo es funktioniert, ist es jedoch hoch erfrischend.

Fraglos pulsiert die deutsche Bibliothekswissenschaft immer noch nicht so rege, wie wir uns schon als Studierende erträumten. Ihr Hauptdilemma und ihr großes Potential liegen im Wandern auf dem Grat zwischen einem naturwissenschaftlicher Paradigma des Erkennens, einem sozialwissenschaftlichen des Erklärens und einem geisteswissenschaftlichen der Interpretation und schließlich der Dauerdebatte, ob es überhaupt so etwas wie eine Bibliothekswissenschaft gibt. Dies spiegelt sich auch in den Interessenlagen innerhalb der Redaktion wider. Da uns nicht an Fronten liegt, lösen wir das Ganze, indem wir diese Andersheiten anerkennen. Wichtig an LIBREAS ist uns seit je und auch heute, dass wir uns nicht gezwungen sehen, einem anderen Leitbild zu folgen, als dem jeweiligen bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Interesse. Dies schließt die permanente Suche auch nach Andockmöglichkeiten an andere Disziplinen mit ein. Eine reine Selbstbespiegelung führt unserer Meinung nach besonders in unserer Disziplin geradewegs in eine Sackgasse, an deren Ende sich einfach nichts über den Tag hinaus Relevantes entdecken lässt. Zweifellos kommen wir aus einer Generation, mit deren Naturell eine monodimensionale Ausrichtung nicht vereinbar ist.

Aus diesem Grund hinterfragen wir unser Fach nicht (mehr) auf seine allgemeinverbindliche und allseits anerkennbare Gültigkeit, sondern erfreuen uns an der Möglichkeit, dass es so etwas wie die Bibliothekswissenschaft mit einer  potentiell grandiosen Aussicht auf die Welt von Wissenschaft und Erkenntnis geben kann. Man muss sie nur gestalten wollen. Die Spielräume permanent an den diversen Erwartungshaltungen einer sich mehr und mehr differenzierenden  professionellen und wissenschaftlichen Landschaft ausrichten zu wollen und LIBREAS vor diesem Hintergrund ständig an diesem recht schwer kalkulierbaren Maß umzujustieren, scheint uns dafür weniger angemessen zu sein, als den Entwicklungsraum weiträumig zu halten und einen gewissen Eigensinn zuzulassen.

Das Ziel der Zeitschrift war von 2005 bis heute die Chance, etwas zu entwickeln, dass es zuvor so nicht gab. Wenn die Fachwelt dadurch bereichert wird, ist unser Ziel erreicht.

LIBREAS existiert bei allem, auch das sollte man wissen,  immer auch an der eigenen Existenzgrenze, denn es ist eine No-Budget-Zeitschrift. Wir sind also durchaus typisch für die Webpublizistik. Das Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft unterstützt uns mit technischer Ausstattung und seinem Namen. Ansonsten sind wir völlig unabhängig und nur unserem Entfaltungsinteresse verpflichtet.

Vielleicht liegt hierin die Ursache, dass man uns häufig nicht den gleichen Stellenwert wie traditionellen Verlagspublikationen zuweist.
Und vielleicht sind wir eher in den Rahmen einer Fach- und Wissenschaftskommunikation einzuordnen, die irgendwo zwischen elektronischer Zeitschrift und Weblog liegt.
Vielleicht ist das alles aber auch nicht so wichtig, wenn am Ende eine Bereicherung sowohl für die Autoren, die Leser und auch die Redakteure steht.

Es fällt vielleicht leichter LIBREAS einzuordnen, wenn man es als ein offenes und unabhängiges Diskursmedium im Bereich der thematisch auf die Bibliothek zugeschnittenen Fach- und Wissenschaftskommunikation begreift.

Wer sich hieran beteiligen möchte, darf das gern jederzeit tun. Beispielsweise mit einem Beitrag zum Call for Papers zum Thema Heldinnen und Helden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft:

https://libreas.wordpress.com/2010/03/24/call-for-papers-ausgabe-17/

Beste Grüße aus Berlin, Mannheim und Bielefeld,

Ihre LIBREAS-Redaktion

7 Antworten

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  1. Silvia said, on 28. Juni 2010 at 17:39

    Vielen Dank für die schnelle Reaktion von Euch. Damit habt Ihr sehr anschaulich bewiesen, was (bibliothekarische) Fachkommunikation sein kann und sollte: ein lebendiger Diskurs.

  2. Dr. Klaus Graf said, on 28. Juni 2010 at 20:01

    2006 beklagte ich die Open-Access-Heuchelei der Bibliothekare. Hinsichtlich der dort thematisierten Freigabe bibliographischer Daten haben wir 2010 wirklich beachtliche Fortschritte gemacht. Auf anderen Gebieten sieht es eher peinlich aus. Dass von den 24 Beiträgen der ZfBB 2008 genau einer (und zwar nur als Preprint) selbstarchiviert wurde, ist eine solche Peinlichkeit, die wohl zu sehr beschämt, als dass man nicht wütend gegen die polemische Wertung in INETBIB zu Felde zu ziehen sich bemüßigt fühlte.

    Wenn es um traditionelle Fachkommunikation geht, kann man weder die „Theke“ in einen Topf mit Bibliothek. Forschung & Praxis oder der ZfBB werfen noch LIBREAS. Dass die Theke Open Access ist, nützt mir als Archivar so gut wie nichts – es ist ein belangloses Heidelberger Hausblättchen. Wenn es also um die „einflussreichsten“ Fachzeitschriften einer Disziplin geht, dann könnte ich diese aus eigener Wahrnehmung für einige Disziplinen mehr oder minder im Konsens mit Fachkollegen benennen. Wo genau die Grenze zwischen erster und zweiter oder dritter Reihe verläuft, werden die Wissenschaftler vermutlich sehr unterschiedlich bestimmen, aber hinsichtlich derjenigen Organe, die in die erste Reihe gehören, dürfte sich ein großes Ausmaß an Übereinstimmung herausstellen. Und wenn ich das auf die Bibliothekswissenschaft anwende, dann kann ich LIBREAS beim besten Willen nicht in der ersten Reihe sehen und reagiere ärgerlich, wenn auf das Argument, dass die deutschsprachige Bibliothekswissenschaft keine Open-Access-Zeitschrift in der ersten Reihe hat, nicht zum ersten Mal LIBREAS genannt wird. So kann man sich die deutsche Misere schönreden, denn andere Länder oder vergleichbare Fächer haben durchaus echte Open-Access-Zeitschriften mit langer Geschichte und entsprechendem Ansehen. LIBREAS hat weder das eine noch das andere in meiner Sicht.

    Trotz meiner eigenen schlechten Erfahrungen mit LIBREAS (Sch***-OAI-Metadaten meiner Kuhlen-Rezension) möchte ich LIBREAS nicht schlechtreden. Was hier stattfindet ist sicher spannender und „netziger“ als in den traditionellen Organen. Aus der Sicht von Web 2.0 ist LIBREAS sicher besser als die ZfBB. Aber eine solche Neubewertung ist nun einmal nicht kompatibel mit den gängigen Open-Access-Theorien (oder -Ideologien), die fetischartig nur Peer-Review gelten lassen. Ob die ZfBB als einzige deutschsprachige Zeitschrift Peer Review (double-blind, was schon pikant ist bei einem so überschaubaren Gebiet wie dem Bibliothekswesen, wo sich fast alle kennen) bietet, weiß ich nicht. Es ist auch noch nicht so lange her, dass sie Peer Review durchführt.

    Wir brauchen Open Access für alle bibliothekarischen usw. Fachzeitschriften. Und wenn es um die Einhaltung der vollmundigen Open-Access-Erklärungen der Bibliotheken geht, muss sich der Blick nun einmal auf die führenden Fachzeitschriften richten. Dass da sich immer jemand findet, der „aber LIBREAS“ kräht, ist zwar schön für LIBREAS, ändert aber nichts an dem ziemlich peinlichen Faktum, dass es keine wirkliche embargofreie deutschsprachige bibliothekarische Open-Access-Zeitschrift in der ersten Reihe gibt. Und dass sich das seit 2006 nicht geändert hat, ist nun wirklich kein Ruhmesblatt für die Verantwortlichen.

  3. CH said, on 28. Juni 2010 at 20:55

    Ich muss Silvia zustimmen: Daumen hoch für die schnelle Reaktion.

    Meine Bemerkung von Libreas als bibliothekarischem Feuilleton rührt sicherlich daher, dass ich mir oft einen etwas praxisnäheren Schwerpunkt wünschen würde. Dass ich Libreas dennoch für wertvoll halte, habe ich ja geschrieben.

    Zwingend ist für mich übrigens das Argument:

    Ansonsten sind wir völlig unabhängig und nur unserem Entfaltungsinteresse verpflichtet.

    Wem es nicht gefällt, der kann’s ja besser machen oder zumindest beim Versuch scheitern. Womit wir bei der richtigen Kritik von KG wären:

    Es braucht noch andere Zeitschriften neben Libreas, die der Fachöffentlichkeit wirklich zur Verfügung stehen, also OA sind. Ob das nun ZfBB sein muss, sei dahingestellt. Wenn sich 1-2 bibliothekarische oder informationswissenschaftliche Fakultäten zusammentäten, ließe sich bestimmt ein formidables Gegenstück auf OA-Basis formen.

  4. Jakob said, on 29. Juni 2010 at 09:39

    Ich hoffe, es ist einfacher die verbleibenden Zeitschriften (ZfBB, IWP…) zu Open Access zu bringen als etwas völlig eigenes neu aufzubauen und dagegen zu stellen. Eine höhere Wissenschaftlichkeit und einen Konsens, dass sie zu irgend einer „ersten Reihe“ gehören, kann ich bei diesen Zeitschriften allerdings nicht ausmachen. Im Gegenteil: der Großteil der gedruckten Beiträge besteht aus Werbung, Mitteilungen und Verweise auf Diskussionen, die schon vor Monaten online geführt wurden. In der deutschen Bibliothekslandschaft gibt es auch keine „einflussreichsten“ Medien und gerade die nicht als OA erscheinenden Medien werden durch ihre Nicht-Zugänglichkeit zunehmend marginalisiert.

    Die deutschsprachige Bibliothekslandschaft ist viel zu klein und zu praxisorientiert um tatsächlich von einer Wissenschaft zu sprechen. Die Übergänge zwischen Fachkommunikation und Forschung sind fließend und der Forschungsanteil marginal. Das Beste was die deutschsprachige Bibliothekswissenschaft zu bieten hat, findet sich mit in LIBREAS. Wer darüber hinaus tatsächliche Forschung betreiben möchte, sollte sowieso nicht nur auf Deutsch publizieren.

  5. […] Artikel und Fachzeitschriften Open Access zu lesen sind und wie eigentlich die Online-Zeitschrift Libreas einzuordnen […]

  6. […] LIBREAS bisweilen als bibliothekarisches Feuilleton wahrgenommen wird, ist uns nämlich geraten, gelegentlich selbst in ein Feuilleton hinein zu […]

  7. […] die Kategorie der (dieses Jahr verschwindenden) Zeitschrift Spex – dem Magazin für Popkultur einsortierte. Oder, bis vor wenigen Jahren, einfach als Studentenblatt beschrieb und / oder abtat. Ja, wir […]


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