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It’s the frei<tag> 2013 Countdown (24): Blick zurück nach vorn. 1993 als Schlüsseljahr der Digitalkultur.

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Ben on 26. Februar 2013

von Ben Kaden

„We were on tour and this guy came backstage and showed us the Internet. We were very impressed.” – Mike D., ca. 1993

Im April 1992 erschien das Album Check your head der Beastie Boys. Es dauerte wie immer eine Weile, bis jemand aus unserer kleinstädtischen Mitte in die Großstadt fuhr, die CD besorgte und wir anderen uns, wie üblich, Kassettenkopien für den Walkman erstellten. Wie es sich für Berufsmusiker gehört, tourten die Jungs aus New York im Anschluss. Aber natürlich nicht in unserer Nähe. Uns blieb nur, ausdauernd MTV in der Hoffnung zu schauen, dass sich zwischen den 4 Non Blondes, Soul Asylum und Ugly Kid Joe eines ihrer Videos zeigte. Irgendwo auf ihrer Bühnenrundreise begegneten die Beastie Boys anscheinend einem Nerd der ersten Stunden und sahen die Zukunft. Deshalb kann nun, um die 20 Jahre später, das New York Magazine Mike D.s Erinnerung in einer für uns Zeitzeugen erstaunlichen Collage unter der Überschrift Did 1993 Change Everything? abdrucken.

Das Jahr war tatsächlich eigenartig irgendwo zwischen Menace II Society, Björks Debut, dem Friedensnobelpreis für Nelson Mandela und Willem de Klerk (und damit dem Ende der Apartheid), Bill Clinton, der Entfesselung des Neoliberalismus (beispielsweise privatisierten die kurzsichtigen Briten ihre Eisenbahn), dem Vertrag von Maastricht, der Auflösung von a-ha und dem Tod von Kobo Abe, dem von Hans Jonas und dem von Pablo Escobar eingehängt. Natürlich bekommt man diese Fakten auch ohne Internet noch zusammen und weiß gar nicht, ob man sich darüber freuen soll, dass man so live dabei war, zu Siamese Dream mitträumte, zu Nuthin‘ but a „ G“ Thing mitbouncte und nicht wusste, dass man ein Jahr darauf von einer Downward Spiral noch ganz anders mitgerissen werden würde. (Und wie melancholisch stimmt es einen, wenn man beispielsweise realisiert, dass Isolda Dychauk, die das Gretchen in Alexandr Sokurovs Faust spielte, in diesem berühmten Jahr geboren wurde. Und wie erschütternd es ist, zu sehen, dass Justin Biebers Geburt damals sogar erst noch bevorstand.)

Es war das Jahr, in dem America Online (für Macintosh und Windows) kam, damit Amerika online geht. Allerdings wusste man in der ostdeutschen Provinz 1993 und noch ein wenig länger nur vom Hörensagen, was dieses Internet eigentlich sei. Dass jedoch alles, was in den USA geschieht, erst mit einem 10-Jährigen Nachhall Deutschland erreicht, stimmte selbstverständlich überhaupt nicht mehr. (Falls es überhaupt je zutreffend war.) Irgendwann hatte schließlich jemand ein Modem und eine Linkliste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die es ermöglichte, zielsicher von ganz unten in die schon früh vorhandene Vielfalt der Netzkultur einzusteigen.

Netscape also und nicht Mosaic hieß das erste (Keller)Fenster zur virtuellen (Unter)Welt. Abgerechnet wurde die Einwahl zum Minutentarif und daher assoziierte niemand das Web mit dem Schlag- und Dreschwort der Kostenloskultur. Es war eher ein Rummelplatzerlebnis, bei dem man Eintritt zahlt, um danach durch ein Verrücktes Haus zu stolpern.

Das digitale Himmelreich zeigte sich allerdings auch bald und der erste Zugriff auf Amazon.com wirkte tatsächlich als Zäsur. Denn die dort abfragbare Vielfalt an (potentiell und nur in Amerika) verfügbaren Büchern über alle denkbaren und unvorstellbaren Themen erschien uns jedenfalls schlicht als Wunder. Die uns bekannten Versandhäuser führten biedere Namen, wie sie auf Klingelschildern in der Nachbarschaft hätten stehen können und zeigten in ihren Katalogen eine Ausstattungspalette für kleinbürgerliche Vorstadtexistenzen, die von Filmen auf VHS-Videokassetten (eine Doppelseite) über Fahrräder und Heimtrainer bis zu Massagestäben reichte, die man sich anscheinend an die Wange oder Schulter halten musste. Aber unserer Sehnsucht nach Welt boten diese aufgeräumten und hausbackenen Konsumquellen keinen adäquaten Horizont. Die verästelten Flussläufe der Nischenangebote des amerikanischen Buchmarkts dagegen erlebten wir in gewisser Weise als eine mittelschwere Erweckung und neue Welt.

Amazon war zu diesem Zeitpunkt, also etwa 1995, fast noch eine Garagenunternehmung, ein Broker, der eine Datenbank zwischen Buchkunden und externen Auslieferern schaltete. Im Juni 1996 verkaufte Amazon.com dann 5000 Bücher – am Tag. (vgl. dazu auch Lyster, 2012) Vermutlich ahnte Jeff Bezos spätestens zu diesem Zeitpunkt ziemlich sicher, dass er auf das richtige Pferd gesetzt hatte und es nur auf den langen Atem (und auf das Long Tail) ankam. Ganz ohne Wagemut ging es sicher nicht, denn wohin und wie das zarte Pflänzchen WWW tatsächlich wuchern sollte, war zu diesem Zeitpunkt nicht vollends absehbar. Allerdings konnte man den 20sten Jahrestag einiger Basisinnovationen für die neue Mediennutzungskultur verbuchen: Der Strichcode nach dem UPC-Standard wurde in den USA 1973 eingeführt, machte Gegenstände maschinenidentifizierbar und somit elektronisch gestützt prozessierbar , das ARPANET überwand dank Satellitentechnik im selben Jahr den Atlantik und wurde entsprechend global und mit den Videospielen wurde eine erste Praxis der direkten Bildschirminteraktion populär, ca. 13 pralle Jahre bevor Elizabeth Grant aka Lana del Rey geboren wurde, die uns 2011 zeigte, wie man mit der Referenz auf Video Games furchtbare Nostalgiegefühle auslösen kann. Außerdem war ab 1993 die Entfaltung des E-Commerce unter der neuen Regierung Clinton/Gore in den USA mehr als gewünscht.

Dass das Web ziemlich schnell den Nimbus einer hippen Zukunftssache erhielt, ist jedoch einer Printpublikation zu verdanken, die am 02. Januar 1993 on-kiosk ging. Die Metapher „Rolling Stone of Technology“ bedeutete für Wired einen Auftakt mit Ritterschlag, denn in diesen Jahren stand das Rolling Stone Magazine auf Papier für das, was MTV auf dem Fernsehschirm galt: Das Zentralorgan der Populärkultur. Noch hipper ging es nur im Untergrund und da es noch 14 Jahren bis zur Erfindung von Issuu und Tumblr dauern sollte, fehlte den Zines selbst bei liebevollster Gestaltung die Politur, die als Brücke zu den Massen taugte. Mit Wired wurde nicht nur das Web cool sondern zugleich ein Lebensstil, der auf Digitaltechnologie und die darüber vermittelte Kommunikation (bzw. Selbstentfaltung) setzte. (Grob zwanzig Jahre zuvor (in den frühen Jahren des Barcodes) gab es übrigens mindestens drei Maßstäbe setzende Kabelagen: den Bird on a Wire (Leonhard Cohen), den Man on Wire (Philippe Petit) und natürlich die World on a Wire (von Rainer Werner Fassbinder), wobei nur der dritte Film wirklich ins Wired-Schema passt.)

frei<tag> mit Praline

Die Suche nach einer unbedingt vorhanden geglaubten Wired-Ausgabe im privaten Zeitschriftenarchiv wirbelte zwar Staub auf, erwies sich insgesamt leider als erfolglos. (Alternativ fand sich zwar die generell hochinteressante Ausgabe des Playboy No. October 1969, die mit Jean Bell die erste dunkelhäutige Frau als Centerfold dieser Zeitschrift präsentiert, aber auch ansonsten wenig bis gar nichts mit Bezug zur elektronischen Medienkultur enthält – Anzeigen für zeitgenössische Unterhaltungselektronik wie den 8-Track-Stereo-Track-Recorder Panasonic Symphony 8 – „This is our answer to the scratchy phonograph record.“ – ausgenommen, wobei im Ergebnis die kratzige Schallplatte auch diese hochgespulte Ansage gelassen überpringen konnte). Daher wird die frei<tag>13-Karte hier anders inszeniert gezeigt. Nämlich vor einem soliden, goldbetupften Stückchen Pâtisserie-Kunst im nicht mehr so ganz angesagten Prenzlauer Berg. Man muss ja auch nicht immer mit dem Zeitgeist gehen. Und wie beruhigend ist doch die Undigitalisierbarkeit einer Canache.

Wer nun heute in die erste Ausgabe von Wired vermutlich eher hineinklickt als blättert, findet einen hochinteressanten Text mit dem Titel Libraries Without Walls for Books Without Pages: Electronic Libraries and the Information Economy vom für Europa zuständigen Wired-Redakteur John Browning. Aus 20 Jahren Distanz haben wir gut reden, könnte man meinen. Aber eigentlich haben wir nicht. Denn erstaunlicherweise sind sehr viele der damals formulierten Aussagen zur elektronisch und noch nicht digital genannten transformierten Bibliothek verblüffend aktuell:

Das Einstiegsthema des Artikels waren Digitalisierung und E-Books:

„Why not, the logic goes, cut out unnecessary page-turning and work directly with the electronic version of the document?”

konnte man lesen und außerdem erfahren, dass die BnF in einem Digitalisierungsprojekt (“perhaps the most ambitious”) einen Kanon von 100.000 Büchern binarisieren wollte.

E-Zeitschriften allerdings waren noch nicht unbedingt Online – sondern mehr Print-on-Demand-Journals:

„Instead of receiving a printed journal from publishers, for example, it [the British Library] now receives a CD-ROM containing digitized images of the articles from which it prints out a new hard copy each time one is requested.”

Dagegen wurde die Konkurrenz durch Konvergenz zu diesem Zeitpunkt absehbar:

„If someday in the future anybody can get an electronic copy of any book from a library free of charge, why should anyone ever set foot in a bookstore again? But if the books on a library’s electronic shelves are not free, what is left of the distinction between library, printer and bookstore – and what is left of the library’s traditional raison d’etre: namely, making information available to those who cannot afford to buy it?”

Eine schwierige Sachlage, die bis heute unter den Sigeln § 52a und § 52b auch die deutsche Gerichtsbarkeit in urheberrechtliche Auslegungsbredouillen bringt.

Wobei sich der Autor zu diesem Zeitpunkt die Elektronischen Leseplätze weitaus progressiver vorstellte, als sie das deutsche Urheberrechtsgesetz derzeit offensichtlich ermöglicht:

„The workstations will provide a network link to the card catalogs, note- taking and bibliography software, and, most ambitious, a sort of electronic notebook customized for work in electronic libraries. The workstations are still in the early prototype stage, but the plan is to allow a researcher to scan pages of text directly into a personal database instead of photocopying them for hard files. Scanned text can then be annotated, indexed, and searched by a variety of means.”

Indes füllen mittlerweile Dienste wie Scribd (Selbstbeschreibung: „a digital documents library“) die Lücke, die die Bibliotheken oft lassen müssen. Dennoch (bzw. deshalb) bleibt zeitkonstant die Aussage aktuell:

„One of the more vexing questions concerns copyright.”

John Browning wusste ebenfalls bereits von der Zeitschriftenkrise zu berichten:

„Problem is, libraries can no longer afford to have all the books and journals they feel they should have on their shelves. Over the past few decades, the number and cost of academic journals has skyrocketed.”

und sah gleich eine Lösung voraus, die freilich auch 20 Jahre später noch nicht allzuweit etabliert ist, nämlich

„to find new ways that enable researchers to get and to pay for only those journal articles that are needed. Here’s where new technology can help.“

Insgesamt enthält der für ein Rolling-Stone-Pendant eher nüchterne Text nur wenige Stellen, die aus der Zwei-Dekaden-Distanz erwartungsgemäß etwas drollig wirken. Eine davon betrifft die technologische Vorreiterposition der Grande Nation:

„For better or worse, that is how the country got the Concorde, the Airbus, its nuclear power program, Minitel – and now the electronic book.”

Zu E-Books stellte der Guardian im vergangenen Sommer immer noch fest:

„When it comes to reading books, the French are determinedly bucking the digital trend and sticking to paperbacks.”

Die Concorde und Minitel sind dagegen musealisiert, das Atomprogramm ist als Zukunftstechnologie eher ausgeglüht und wird durch die großen Urgewalten Sonne, Wind und Wasser bedroht und der Airbus besitzt in der Öffentlichkeit in etwa so viel Sex Appeal wie ein Citroën. Er soll heute vor allem störungsfrei befördern.

Ähnlich, aber erfahrungsgemäß nicht gänzlich überholt, ist auch die Aussage:

„The electronic image of a book is still a few gigabytes worth of information, and a gigabyte is a helluva lot of data – several times more than what fits into most of today’s computers or flows conveniently through computer networks.”

Es ist bemerkenswert, dass zwar elektronische Aufsätze durchaus auch als digitaler Text gedacht wurden, das Medium Buch jedoch in diesem Kontext beständig als Bilddigitalisat.

Andererseits war das Ausstiegsszenario des Aufsatzes das der Bibliothek als publizierendem Akteur – ein Thema, welches im Zusammenhang mit der Datenpublikation wieder richtig brisant werden könnte. John Browning  führte diese sich abzeichnende Rolle zur Formulierung eines Dilemmas:

„If libraries do not charge for electronic books, not only can they not reap rewards commensurate with their own increasing importance, but libraries can also put publishers out of business with free competition. If libraries do charge, that will disenfranchise people from information – a horrible thing. There is no obvious compromise.“

Zwei Absätze vorher notierte er nicht unpassend eine denkbar zeitlose Einsicht, die man durchaus – in vielleicht etwas poetischeren Worten – auch über ein Bibliotheksportal in den Sandstein meißeln könnte:

„None of these changes will happen overnight.”

Einige der prognostizierten Veränderungen stehen nämlich auch 20 Jahre später noch ziemlich aus.

Was gleichwohl zunehmend bemerkbar wird und woran die von Wired mitforcierte kulturelle Transformation der Gesellschaft nicht ganz unschuldig ist, ist die wachsende Unvorstellbarkeit der prädigitalen Welt. Carl Swanson rapportiert in seinem Beitrag zum Jahr 1993 im New York Magazine eine Anekdote aus der Familie des Wired-Mitbegründers Kevin Kelly. Dieser berichtete, so Swanson:

„My youngest son is 16, and when he was 10 or 11, he asked, ‘How did you get on the Internet without computers?‘ He kind of understood how computers might not exist […] but he couldn’t imagine the Internet not being there.”

Und Swanson ergänzt:

„It’s not easy for me, either, an I was there, calling the reference desk at the library.”

Die Zeit vor der Allgegenwart des Digitalen lässt sich 2013 (in der westlichen Lebenswelt) fast nur noch als Geschichte vermitteln. Wohin die Wege führen in 20 Jahren geführt haben werden, scheint derzeit ungewisser, als – in der Rückschau – jede Vorhersage aus dem Jahr 1993. Mutige Science-Fiction-Szenarien abseits finsterer Dystopien gibt es kaum. Offensichtlich ist sicher der Trend von wired zu wireless. Offensichtlich ist ebenfalls, dass ein Quantensprung ins Digitale (oder im Digitalen), wie er 1993+ erfolgte, heute nicht mehr mit einer Printpublikation begleitet werden wird. Nicht mal mit einer, die Wireless heißt. Die Avantgarde-Zeitschriftengründungen der letzten Jahre berühren vielmehr eine Art kritische Ausrichtung bis Gegenkultur zur Digitalität. Möglicherweise ist damit auch ein Trend für die nähere Zukunft bestimmt: Postbinäre und neoanaloge Kommunikationsformen. Im Jahr 2033 wird sicher jemand mehr darüber schreiben können. Aber wie und wo und welcher Form vermag ich nicht vorherzusagen. Dabei wird es schon spannend sein, zu sehen, wie er sich an die Medienkultur 2013 erinnert.

Quellen

John Browning (1993) Libraries Without Walls for Books Without Pages. Electronic Libraries and the Information Economy. In: Wired 1.01. Online: www.wired.com/wired/archive/1.01/libraries_pr.html

Angelique Chrisafis (2012) Why France is shunning the ebook. In: Guardian / Shortcuts Blog, 24.06.2012. Online: www.guardian.co.uk/books/shortcuts/2012/jun/24/why-is-france-shunning-ebooks

Clare Lyster (2012) The Logistical Figure. Apathy, individualism, power. In: Cabinet Magazine. Issue 47 (Fall 2012) S. 56-62

Carl Swanson (2013) Are we still living in 1993? In: New York Magazine. Februar 11, 2013, S. 28-37

2 Antworten

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  1. Walther Umstätter said, on 27. Februar 2013 at 19:12

    Dieser Rückblick ist in mehrfacher Hinsicht interessant, wobei man allerdings daran erinnern sollte, dass es natürlich auch 1993 verschiedene Strömungen und Betrachtungsweisen, wie die eines Herausgebers und die von Bibliothekaren gab. Wenn es da heißt: „John Browning wusste ebenfalls bereits von der Zeitschriftenkrise zu berichten.“ dann war die Klage der Verleger, dass die Bibliotheken nicht genug Geld für ihre Zeitschriften und Bücher ausgeben verständlich. Dieses Lamento war aber schon sehr, sehr viel älter, weil die Verdopplungsrate der Literatur schon seit Jahrhunderten zwanzig Jahre beträgt, und die Preissteigerung immer noch hinzu kam. (Siehe Lehrbücher für Bibliotheksverwaltung bzw. -management.) Dabei ist es einerseits so, dass die Zeitschriften um so rascher teurer werden, je mehr Geld die Bibliotheken bekommen. Andererseits ist es eigentlich sehr merkwürdig bei einem konstanten Wachstum von 3,5%/J von Krise zu sprechen.

    Es ist richtig, dass man lange von der „elektronisch und noch nicht digital genannten transformierten Bibliothek“ sprach, weil es anfangs auch Elektronenrechner hieß, aber hier war es gerade das Digital Library Program (1993-1995) in den USA, dass den damaligen Namenswechsel verstärkte. In Europa hat man sich leider mit der Hybrid Library im gleichen Themenfeld profilieren wollen, was schon alleine erkennen ließ, dass man das essentielle der Entwicklung noch nicht ganz begriffen hatte, denn etliche Bibliothekare hofften damals, dass eine Mikroverfilmung auch zu hybriden Bibliotheken führt.

    „Dass jedoch alles, was in den USA geschieht, erst mit einem 10-Jährigen Nachhall Deutschland erreicht, stimmte selbstverständlich überhaupt nicht mehr. (Falls es überhaupt je zutreffend war.)“
    Da muss ich leider widersprechen. Schon beim Weinberg Report (1963) ließ sich diese Verzögerung dem IuD-Programm von 1974 gegenüber klar erkennen. Außerdem muss man hier auf das Niveau achten. Wenn wir beispielsweise Google heute ähnlich nutzen, wie die Amerikaner, heißt das nicht, dass wir auch nur annähernd die Expertiese haben, die solche Systeme aufbauen könnte. Professionell sind wir weit hinterher. Interessant ist ja auch, dass eine so fortschrittliche Einrichtung wie CERN, das WWW etwa 1993 in Genf begründete, aber auf der Basis des INTERNET aus den USA, des NEXT Cubes von S. Jobs und von SGML, das schon damals von der US-Regierung als digitale Archivierungssprache genutzt wurde, während man hier noch etliche Jahre (zum Teil bis heute) darüber diskutierte, ob man nicht doch auf Papier oder Mikrofilm archivieren sollte.

    Nach meiner Erfahrung ist die Distanz inzwischen eher auf 20 Jahre angestiegen. Denn wir wissen noch nicht, ob wir hier ein System wie Google je erzeugen können. Die Geheimhaltung in der Wissenschaft wird immer größer. Darum sind ja auch so viele Menschen durch Google verunsichert, weil wir außer der Nutzung immer weniger von den eigentlichen Programmen verstehen.

    Das war schon bei MEDLARS, BIOSIS, CHEMABS etc. so, dass wir entsprechende Datenbanken für Deutsche Fachliteratur (trotz der Fachinformationsprogramme) gar nicht erst aufgebaut haben. Als man das eingestehen musste, versuchte man anstelle dessen mit „vascoda e. V.“ die Scharte auf Internetbasis auszuwetzen. Allerdings mit wenig Erfolg, da man das Konzept von UMLS, der NLM, hierzulande auch nicht so recht verstanden hatte. Man kann sich auch daran erinnern, wie lang Deutschland sich dagegen wehrte bei OCLC mitzuarbeiten. Das waren auch eher zwanzig und nicht nur zehn Jahre.

    Ich weiß nicht wann, bzw. ob wir überhaupt das fachliche Know How von Google erreichen werden, geschweige auch nur annähernd selbst erzeugen können. Im Moment besteht die Gefahr, dass viele Information Manager noch nicht einmal den Vorsprung von Google realistisch sehen, geschweige einholen können. Es ist nicht besonders Niveauvoll soziale Netze zu nutzen, sie zu konzipieren wäre eine zeitgemäße Leistung für das Information Management. Wie weit mit den sozialen Netzwerken alle am Internet teilnehmenden Menschen in Bälde eindeutig identifizierbar gemacht werden sollen, scheint mir ein interessantes Problem (s. ORCID). Das hat einerseits viel mit bibliothekarischen Personennamendateien zu tun, aber andererseits auch viel Ähnlichkeit mit dem Rattenfänger von Hameln, der insbesondere junge Menschen anlockte, die gar nicht abschätzen können worauf sie sich einlassen.

    Schon 1995 war das Jahr der Kommerzialisierung des Internets, an der insbesondere A. Gore eine wichtige Rolle spielte. Damals wechselten etliche Copyrights für Millionenbeträge die Besitzer, weil man in den USA auf die Internetpolitik von B. Clinton zu vertrauen begann. Insofern war ~1993 wirklich ein Umbruch, an den es sich lohnt zu erinnern. Der Idealismus der Studierenden, die damals freiwillig TCP/IP Protokolle geschrieben hatten, ging damals weitgehend kaputt, weil diese Kommerzialisierung damals das Letzte war, was sie mit dem Internet angestrebt hatten.

  2. […] die Vergangenheit blickte auch Libreas Blog und recherchierte nach Überlegungen über die digitale Zukunft, wie man sie vor 20 Jahren hatte. […]


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