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Misstraut dem/n Durchleuchtstoffröhren. Die Transparenzgesellschaft Byung-Chul Hans bleibt ohne Strahlkraft.

Posted in LIBREAS.Feuilleton, LIBREAS.Referate by Ben on 17. April 2012

Rezension zu: Byung-Chul Han (2012): Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz.

von Ben Kaden

Das gibt es tatsächlich: Jemand wird zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen und diejenigen, denen er gegenüber sitzt, haben das Facebook-Profil des Bewerbers geöffnet, um im Zweifelsfall abgleichen zu können, zwischen der Typisierung, die sich persönlich vorstellt und der, die man von sich über Jahre ins Netz hat fließen lassen. Profiling wird da wortwörtlich zur Selbstaufgabe. Denn diese potentielle Durchleuchtung vor Augen, stimmt man zwangsläufig das, was in das digitale Eigenarchiv aus semiprivaten Kommunikationen in Sozialen Netzwerke einfließt (wie würde es denn aussehen, wenn auf einmal Stephan Remmler in der Playlist erschiene und nicht Krzysztof Penderecki) mit immer notwendig diffusen Erwartungshaltungen von zukünftigen Durchleuchtern ab. Mit den Sozialen Netzwerken entfesselt man Bourdieu’sche Überlegungen in lange ungeahnter Weise. Wer sich davon einwickeln lässt, führt in der Tat eine armselige Existenz auf Repräsentation gerichteter, nun ja, Identitätsmodellierung.

Insofern handelt es sich genau genommen weniger um eine Selbstentblößung als um eine inszenatorische und soziotechnische Selbstgestaltung. Wie diese vermeintliche Befreiung des Individuellen im Digitalcode den Kreis zu der in harten Kämpfen halbwegs bezwungen erschienen Welt von Traditionszwängen und Übernormungen rückzuschließen beginnt, wäre ein hervorragendes Thema für gegenwartsanalytische Schriften. Aber anscheinend bewegen wir uns noch im Stadium einer anderen Anamnese.

Liest man Byung-Chul Hans kleinen Band Transparenzgesellschaft – und man liest ihn schnell und mit Genuss wie den in gleichem Format 2010 ebenfalls bei Matthes & Seitz Berlin erschienen Band Müdigkeitsgesellschaft – dann bestaunt man nicht nur, wie variantenreich sich –gesellschaft an alle möglichen Phänomene ansuffixen lässt, sondern auch, wie leichthändig Gesellschaftstheorie schreibbar ist. Das macht manchen natürlich misstrauisch. Denn ziemlich oft neigt man dazu, sich während der Lektüre bei den vorgegebenen Urteilen einzuhaken und zu sagen: Jawohl, so ist es.

Man darf nun angesichts der Publikationsfrequenz des in Karlsruhe lehrenden Philosophen und Medientheoretikers auch von einiger Routine im präzisen Schreiben ausgehen. Darüber hinaus weiß Byung-Chul Han genau, mit welchen Belegstellen er welche These forcieren kann. Wobei er sich bei den Miniaturen zu, Positiv-, Ausstellungs-, Evidenz-, Porno-, Beschleunigungs-, Intim-, Informations-, Enthüllungs- und Kontrollgesellschaft gar nicht so sehr bemühen muss. Es ist natürlich Feuilleton, was sich hier gekonnt in Szene setzt. Und damit an sich nicht verkehrt. Wie kann es das auch sein, sagt man doch immer wieder: Jawohl, so ist es.

Dass man das so häufig sagt, liegt auch daran, dass der Text schon aus zwei Schritten Distanz schlicht nicht mehr übermäßig originell wirkt. Wer den kleinen philosophischen Kanon von Barthes über Baudrillard bis Benjamin hinter sich hat, dem erscheint selbst die Kürze des Buches noch zu weit ausholend. Es geht in der Transparenzgesellschaft, wie Byung-Chul Han sie versteht, um das Verschwinden des Verborgenen bzw. Negativen (und der Notwendigkeit des Vertrauens) im Schlagbelichten der grellen Scheinwerfer diverser gleißender und glücksversprechender Positivansprüche.

Man könnte hier sicher auch hervorragend wissenschaftsideologische Spannungen herausarbeiten. Die Digitalisierung der Welt eignet sich aber noch besser als Arbeitsplatte: Das Rechnen und die Rechner sind Medien der Transparenzmachung der Welt. Und zwar mit verheerenden Nebenwirkungen. Denn sie produzieren nur Leere. Das Denken dagegen ist intransparent. Es schöpft (unberechenbar) Narration und Bedeutung. Der Rechner ist ein blinder unendlich ziellos verwertender Prozessor. Die Prozession dagegen eine gerichtete, sinnstiftende Erzählung. Die Computer reduzieren den Menschen auf die Rolle Erlebnis heischender Touristen. Dagegen an steht der Traum der Pilger: Die Erfahrung des Über- und Eingehens in etwas Anderes, aus der erst Bedeutung und Identität des Menschen erwachsen. „Der transparente Raum ist arm an Semantik“, schreibt der Gesellschaftsanalyst und legt mit Proust nach:

„Schön ist nicht der augenblickliche Glanz des Spektakels, der unmittelbare Reiz, sondern das stille Nachleuchten, die Phosphoreszenz der Zeit.“

Für jemanden, der der Literatur tatsächlich am Ende eines Tages mehr sinnstiftende Qualität zugesteht, als Regalkilometern wissenschaftlicher Aufsätze, bewegen sich solche Zeilen selbstredend jenseits jedes Zweifels. In diesem Fall haben sie trotzdem einen Stich. Und richtig unzufrieden wird man als auch Informationswissenschaftler, wenn man das Kapitel zur Informationsgesellschaft durchquert. Man hat noch eine kleine Steigung am Höhlengleichnis zu nehmen, bis man auf schließlich auf Seite 66 eine eigenartige Gleichsetzung findet: „Transparenzgesellschaft ist Informationsgesellschaft.“ Das wird dadurch begründet, dass Information immer positiv, also immer tatsächlich sei. Und mehr noch: „Sie ist eine positivisierte, operationalisierte Sprache“. Oder, mit Heidegger, „eine Sprache des Ge-Stells“. Damit wird Information zu einem mit Beherrschung zu verbindenden Phänomen. Dies aber nicht ganz. Denn Macht und Herrschaft, so Byung-Chul Han, bilden in den heutigen Informationsstrukturen gar nicht mal so sehr die zentrale Leitgröße. Was folgt, klingt nicht unplausibel. Aber lässt den Schlenker über Heidegger doch als lästigen Umweg erscheinen, wenn man mit ihm nur zur Einsicht vordringt:

„Angestrebt wird nicht Macht, sondern Aufmerksamkeit. Nicht Polemos, sondern Porno liegt ihnen als Antrieb zugrunde.“

Wir streiten nicht mehr um Geltung, wie exhibitionieren sie einfach. Allerdings weiß niemand mehr wozu.

Linear Lesende wissen an dieser Stelle immerhin – falls sie es nicht zuvor  wussten – dass Pornoletztlich synonym mit der Leere des lückenlos Positiven zu verstehen ist, wogegen der Gegenpol Erotik auf Ambivalenz und das Spiel mit den Hüllen setzt. Affekt durch Bloßstellung steht gegen Verführung durch (möglichen) Entzug. Das Eindeutige z. B. der störungsfrei übertragenen Information bezwingt die Mehrdeutigkeit der durchrauschten.

Cover Transparenzgesellschaft

Eher gedimmt: Ein stilles Nachleuchten geht nur sehr selten von Byung-Chul Hans Transparenzgesellschaft aus. Häufiger dagegen irgendwie vielleicht die Phosphoreszenz der Zeitung.

Byung-Chul Hans Buch ist hauptsächlich eine Variation gegen das Sich-Bloßstellen und wie eine neue gesellschaftliche Norm dieses einfordert. Das Phänomen des Digitalen wirkt dabei als Durchsetzungsbeschleuniger. Aus dieser Annahme hätte eine tiefe Reflexion entstehen können. Erstaunlicherweise ist der Text dafür aber zu aufdringlich – ja – zu nackt, sind die Formulierungen, jedenfalls in dieser Ballung, zu hohl, zu redundant und zu kraftlos in den Schlüssen:

„Ganz transparent ist nur die Leere. Um diese Leere zu bannen, wird eine Masse an Information in Umlauf gebracht. Die Informations- und Bildmasse ist eine Fülle, in der sich noch die Leere bemerkbar macht. Mehr an Information und Kommunikation allein erhellt die Welt nicht. Die Durchsichtigkeit macht auch nicht hellsichtig. Die Informationsmasse erzeugt keine Wahrheit. Je mehr Information freigesetzt wird, desto unübersichtlicher wird die Welt. Die Hyperinformation und Hyperkommunikation bringt kein Licht ins Dunkel.“

Dieses Herumgenebele im Stochern aber auch nicht.

Man muss nicht viel von der/den Informationstheorie(n) wissen, um zu verstehen, dass der Informationsbegriff auf dieser Linie nur als Vehikel zum wiederholten textuellen Transport der Grundbotschaft herangezogen wird. Um zu unterstreichen, dass die Hypertrophie von Zeichen weder zu breiterer Erkenntnis noch zu tieferem Verständnis führt, wäre die luminös gemeinte Zusammenmischung von Bild und Information jedoch gar nicht nötig gewesen. Man könnte der zitierten Passage sicher auch einen gewissen mäeutischen Wert zusprechen. Aber auf welche Aussage träfe das nicht zu?

Es gibt in dem Buch überall mal versteckt, mal direkt Anregungen nicht zuletzt zum Weiterdenken der Rolle von digitalen (Selbst-)Entblößungsmedien in der Gesellschaft. Thesen wie:

„Der Imperativ der Transparenz verdächtigt alles, was sich nicht der Sichtbarkeit unterwirft. Darin besteht ihre Gewalt.“

eröffnen durchaus Spielräume für wichtige Diskussionen. Allerdings hat die Literatur (ich denke u. a. an Gary Shteyngarts Super Sad True Love Story) solche Fragen bereits weitaus treffender durchgespielt. Und zwar in einer für eine Zielgruppe, die noch blind an ihrem Face feilt, wahrscheinlicher sensibilisierenden Form.

Auch darüber, dass wir – übrigens nicht nur mit dem Schritt ins Social Web – Öffentlichkeit und Privatheit sowohl informationell wie auch kommunikativ in die Hände von privatwirtschaftlich ausgerichteten Playern der Datenverwertungsökonomie legen, die wenn es darauf ankommt alles andere als transparent sind, wissen wir mittlerweile wenigstens in Grundzügen Bescheid.

Spannender wäre es, sich mit eventuellen Rollen von Alternativakteuren und möglichen alternativen Räume der Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit sowohl off- wie auch online zu befassen. Man könnte beispielsweise auch hinterfragen, weshalb die Versuche, unabhängige Bereiche für eine politische Öffentlichkeit (z.B. Adhocracy) bei der Teilhabe zwar weitgehend scheitern, eine Partei, die aber solche Verfahren als ihren Existenzgrund wählt, derzeit ziemlich erfolgreich ist? Und die sich andererseits – so viel zu den Aporien der digitalen Postmoderne –  bislang tatsächlich kaum kritisch mit den Praktiken globaler Datenverwerter (und auch Hardwarehersteller) befasst. Da wäre dann wieder das Anwendungsfeld für Macht- und Herrschaftstheorien.

Ich teile mit Byung-Chul Han unbedingt den Horror vor einer Post-Privacy-Welt. Ich höre sie aber im Gegensatz zum Stimmungsbild des Buches noch lange nicht an meine Tür klopfen und das Abnehmen der Vorhänge verlangen. Mehr Information ist ohne Zweifel nicht allein der Weg, der zu mündigen Digitalbürgern führt, die auch mal sich selbst ein Nein zurufen, wenn sie versucht sind, etwas über Facebook streuen zu wollen. Die Dystopisierung der Digitalität hilft allerdings kaum weiter.

Aufklärung über das Wenn und Aber, über Interessen und Mechanismen – das wäre ein Schlüssel nicht nur zu einem bewussteren sondern auch – so und so – entspannteren Umgang mit digitalen Netzen, binärcodierten Inhalten, webvermittelter Kommunikation und in der Tat verwerflicherweise auf Selbstausbeutung und -preisgabe setzende ökonomische Modelle eines digitalen Kapitalismus‘. Kein Nutzer muss sich zur Ware machen. Jeder soll sich dem Transparenzdruck so entziehen, wie er sich der realräumlich gegebenen Öffentlichkeit entziehen kann. Das ist ein Mindestanspruch an die politische Rahmung der Netzökonomie.

Die Vermittlung einer derartigen, wenn man so will, Rückzugskompetenz und die Befähigung, das Recht auf die bestehende informationelle Selbstbestimmung sowohl an sich selbst auszuüben wie auch im Bestand zu sichern, dürfte der Kern der gesellschaftlichen Diskurse um den Lebensraum Web und der Frage, wie wir diesen wollen, sein. Die mehr alarmistische als alarmierende Bestandsaufnahme Byung-Chul Hans zur Transparenzgesellschaft trägt dazu bestenfalls (und nicht unpassend) in der in ihr gebündelten Negativität bei.

Eine Antwort

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  1. […] Das als Beitrag zu der Diskussion im Seminar “Das Ende der Bibliothek”. Zu Han gab es auch gerade eine Diskussion im LIBREAS Blog von ben Kaden. […]


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