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Die Pragmatischen Netze und ihre Gesellschaft. Zur Debatte um die Rolle des Diskurses in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS.Debatte, LIBREAS.Feuilleton by Ben on 2. April 2012

von Ben Kaden

Dieser Beitrag ist Teil einer Debatte, die bisher veröffentlicht geführt wurde in:

Karsten Schuldt: Wer vom Diskurs redet, redet immer auch von der Gesellschaft. Eine Erwiderung. In: LIBREAS Weblog, 31.03.2012

Ben Kaden: Einladung zur Behauptung: Das Metadatum ist auch Diskurs. Eine Replik auf Karsten Schuldt. In: LIBREAS Weblog, 29.03.2012.

Karsten Schuldt: Der Diskurs ist kein Metadatum. Eine Replik zu Ben Kaden. In: LIBREAS Weblog, 29.03.2012.

Ben Kaden: Zur Diskursänderung. Eine Position zur Diskussion um die Zukunft der Informationswissenschaft. In: LIBREAS Weblog, 21.03.2012.


Es wird argumentiert, dass die Diskussion nach wie vor missverständlich verläuft. Dabei wird das Ziel der Verständigung als Kernbaustein des Diskurses unterstrichen. Um diese herbeizuführen, werden einige Gesichtspunkte der Position für die Einbeziehung diskursanalytischer Blickwinkel in das Methodenspektrum der Bibliotheks- und Informationswissenschaft konkretisiert. Weiterhin steht der Vorschlag, die methodologische Diskussion und die Debatte um die Grundausrichtung des Faches in zwei verschiedene Diskursstränge aufzugliedern.

Erst ein Impuls, dann eine Replik, dann eine Replik zur Replik, auf die eine Erwiderung und jetzt gibt es noch einmal eine Entgegnung – so sieht ein lebendiger Diskurs aus.

Ob der Kreisel eines solchen Zweiparteiengesprächs allerdings ab einer bestimmten Stufe noch fruchtbar zu nennen ist, muss ich in diesem Fall leider bezweifeln.

Insofern stellt sich Karsten Schuldts Einleitung als tatsächliche und leider auch hauptsächliche Gemeinsamkeit dar:

 Ich spreche wohl für uns beide, wenn ich dazu auffordere, dass sich auch andere an der Debatte beteiligen. Dies ist kein Privatstreit, sondern ein Versuch, sich dem (möglichen) Inhalt und der (möglichen) Arbeitsweise der Bibliothek- und Informationswissenschaft anzunähern.“

Abgesehen davon lässt mich seine Erwiderung so unzufrieden zurück, wie das meistens der Fall ist, wenn sich ein chronisches Missverstehen zu etablieren scheint.

„Mir scheint allerdings in dieser Replik, dass ein wichtiger Hauptpunkt meines Beitrages nicht klar geworden ist, den ich deshalb hier noch einmal ausführen möchte […]“

schreibt mein Kontrahent und ich kann ihn in gleicher Formulierung als Einstieg verwenden. Denn der Kernpunkt meiner Argumentation, der semiotische Horizont in dem sich Form, Bedeutung und Handeln bündeln, bleibt weiterhin zugunsten einer sozialwissenschaftlichen Forcierung, gegen die ich wenig habe, ausgeblendet. Auf das Wenige komme ich gleich zurück.

I – Nichts Neues. Oder: Wie sich verständigen?

Zuvor muss ich zu meiner Verteidigung ein wenig Diskurskritik üben. Denn nicht so sehr der Inhalt, sondern die Form von Karsten Schuldts Argumentation widerstrebt mir doch sehr.

Zunächst enttäuscht mich Karsten Schuldt mit dem Vorwurf mangelnder Neuheit:

„Kaden schlägt nun explizit vor, Dokumente und deren Metadaten explizit als Teil von Diskursanalysen zu verstehen und zu benutzen. Das ist vollkommen berechtigt. Es ist nur wenig neu.“

Einerseits, weil ich nicht sehe, dass die Diskursanalyse in der Geschichte der deutschen Bibliotheks- und Informationswissenschaft bisher eine relevante Rolle spielte.

Wenn Karsten Schuldt sich während seines Studiums am Berliner Institut durch entsprechende Methodenvorlesungen durcharbeiten durfte, dann beneide ich ihn außerordentlich. Ich habe aber bisher die führenden Bibliotheks- und Informationswissenschaftlerinnen der Bundesrepublik Deutschland zwar auf eine ganze Reihe von Akteuren – von Claude Shannon über Clifford Geertz bis Robert Musil und Niklas Luhmann – anspielen hören. Das einzige Mal, dass mir Michel Foucault aber als Referenz begegnete, war in einer Veranstaltung zum Bibliotheksrecht und ich ärgere mich heute noch mehr als damals, dass ich mir nicht merkte, weshalb auf einmal der Lektüretipp Surveiller et punir in den Seminarraum drang. Um die diskursanalytische Auswertung entsprechender kommunikativer Repräsentationen (Dokumente, Metadaten, Metadatenstrukturen) ging es dabei jedoch nicht.

Insofern mag in Karsten Schuldts akademischen Umfeld die Diskursanalyse anhand solcher Datenstrukturen ein alter Hut sein. In meiner Erfahrung mit der Bibliotheks- und Informationswissenschaft erscheint sie noch nicht mal als Häubchen vorhanden.

Andererseits ist der Abqualifizierung eines Argumentes mit dem Gegenargument, es sei wenig originell, Teil einer beliebten und leicht durchschaubaren rhetorischen Strategie, die Novität über Reflexion postiert um die eigene Position mittels Abwertung der des Gegenübers zu stärken. Generelle Neuigkeit ist natürlich genau einer dieser idealtypischen Ansprüche der Wissenschaftskommunikation die im Prinzip und gerade in argumentativen Fächern unhaltbar sind und die Karsten Schuldt mit der Möglichkeit von Diskursregeln eigentlich verwirft.

Nun fordert er mich im Gegenzug in seiner Diskurspraxis an diversen Stellen berechtigt und unberechtigt auf, gerade diesen Regeln Folge zu leisten, da mein Argument sonst nicht zählen kann. Wie er dabei den Geltungsanspruch seiner Argumentation schmälert, scheint ihm nicht bewusst zu sein.

Ich freue mich ja, dass Karsten Schuldt mir klare Aufgaben zuweist:

„ sollte er (a) nicht vom Diskurs reden und (b) begründen, was daran neu und / oder anders wäre“

mir also den „Raum des Sagbaren“ eingrenzt und mir die Richtung meiner Aussagen vorschreibt. Für die Schlüssigkeit seiner Ausführung ist diese Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit aber nicht unbedingt hilfreich.

Karsten Schuldt manövriert sich meiner Lesart nach pikanterweise in das Fahrwasser des von ihm etwas verzerrten Verständnisses der Diskursethik.

Der geht es im Kern vor allem um eine Frage: Wie miteinander sprechen? Wie können wir uns verständigen? Wenn der eine Diskurspartner das Geschehen aber als Kampfsport begreift und der andere mehr als harmonisierenden Abgleich der Positionen haben wir schon ein fast unüberbrückbare Regeldiskrepanz. Zu den Regeln des seines Vollzugs bewussten Diskurses, wozu für mich der Diskurs in der Wissenschaft zählen sollte, gehört für mich auch die Pflicht des Verstehen-Wollens, also ein gewisses Maß an Affirmation. Aber es ist selbstverständlich Ansichts- und manchmal auch Mentalitätssache, ob man Aussagen mehr hinsichtlich des Trennenden und also der Abweichungen vom Eigenen hin interpretiert oder umgekehrt auf das Verbindende bzw. die Übereinstimmung.   (more…)