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Die Bibliothek in der Literatur (als Kunst). Heute: Die Bibliothekarin trägt Prada. Julia Weists „Sexy Librarian“.

Posted in Die Bibliothek in der Literatur, LIBREAS.Feuilleton by libreas on 4. März 2011

In einer Freitagnacht greift man gern zu Freitagnachtliteratur. Besonders, wenn man am nächsten Morgen zum Zusammenstellen der nächsten LIBREAS-Ausgabe geladen ist. Da wirkt sogar (oder besonders) ein Buch mit einem Titel wie  „Sexy Librarian“ attraktiv. Die Handlung ist in einem Satz aus dem Nachwort relativ präzise und nahezu vollständig umrissen:

„The object you are holding in your hands is a romance about a young, hyper-sophisticated librarian who leaves New York City for a job at a small-town public library.“ (S. 170)

Demnach liegt scheinbar eine Art Referenzwerk für all die jungen Bibliothekswissenschaftlerinnen des Berliner Instituts vor, die der Arbeitsmarkt nach gelungenem Masterabschluss aus der hyperkulturellen Hauptstadt in kleine, normalkulturelle deutsche Städte treibt. Zum Beispiel vom Lausitzer Platz an einen Lausitzer Platz. Wer sich allerdings der Bibliothek verschrieben hat, kann unter Umständen gerade in solchen überschaubaren Gestaltungsräumen ein größeres Glück finden. Und für romantische Erdbeben ist es erfahrungsgemäß ohnehin wenig erheblich, an welchem Kilometer des Spreeverlaufs man auf den Fluß blickt, wenn sich fremdvertraute Hände erstmalig zu einem glücklichen Fangnetz verschränken.

Julia Weists kleiner Bibliotheksliebesroman zeigt sich aber aus anderen Gründen als interessant und die literarische Güte ist keiner davon. Das Bemerkenswerte an dem Titel ist nicht die Handlung, sondern die Entstehungsgeschichte, also, wie man am Institut sagen würde, der Weg von der Idee zum Buch. „Sexy Librarian“ entstand im Umfeld eines Kunstprojektes, das ein sehr naheliegendes und daher auch schon mal in LIBREAS berücksichtigtes Thema in einem größeren Stil verarbeitet: die Deakzession. Während Julia Weist für ihre „Public Library of American Public Library Deaccession“ Material zusammentrug, schrieb sie nebenbei ihre etwas pastosschwangere Story und dies ausdrücklich mit dem Ziel, Ablehnungsbescheide von entweder leidlich prüden oder sehr geschmacksstarken Verlagshäusern zusammenzutragen. Die gescheiterte Literatur fand allerdings auf einer Ausstellung, auf der die Ablehnungen ausgestellt wurden, wider Erwarten eine Verlegerin in spe, die Kuratorin Ellen Lupton, die das Buch sofort und ohne Kenntnis des Manuskripts produzieren wollte. Nach anfänglichem Zögern angesichts des drohenden Scheiterns ihres Projekts über das Scheitern sagte Julia Weist zu und im Ergebnis wurde die künstlerische Intention eine Schraube weiter gedreht. Dies schließt den Abdruck der Ablehnungen mit ein.

Das Bibliotheksmotiv rückte in gesteigerter Selbstreferentialität ins Zentrum der Arbeit und so sind auf dem Buch auch gleich nicht nur eine Call-Number aufgedruckt, sondern gleich drei, je nachdem ob der Titel als Biographie, als Literatur oder als Kunstwerk einsortiert wird. „Sexy Librarian“  ist entsprechend nicht (nur) die Schmonzette, als die sich das Manuskript präsentierte, sondern ein Kunstprojekt und diente gleichzeitig, wie Ellen Lupton in ihrem Nachwort ausführt, als praktische Übung in Independent-Publishing für Grafikdesign-Studierende am Maryland Institute College of Arts. Zudem versucht Julia Weist im Anschluss an ihr Aussonderungsprojekt den Titel in den vollen bibliothekarischen Bestandskreislauf und damit konsequent bis zur Deakquisition einzuspeisen. Am Ende könnte ihr eigenes Buch Teil ihres M.D.F.-Projektes werden:

„M.D.F. (Made of Discarded  Fantasies)—wooden planks that Weist cast out of pulverized margins of discarded public library  romance novels.“

Für den Bibliothekseinzugsbereich 10117 Berlin lässt sich über den Worldcat kein Exemplar nachweisen. In 10016, also der New York Public Library Mid-Manhattan, findet sich Sexy Librarian dagegen sogar dreifach im Regal. Es wäre vielleicht im Sinne Julia Weists, wenn jetzt trotz der Verzögerung von zwei Jahren der Titel zunehmend als Anschaffungsvorschlag auch in deutschen Bibliotheken auftaucht.

Bronze

Natürlich fehlt sie sehr. Gemeint ist die Prada-Hornbrille. Aber ansonsten ist Ernst Sauers Plastik "zurückhaltend, verschämt" vom Calauer Mädchenbrunnen genau mit dem "gesenkte Lider, stille Wasser"-Blick versehen, der auch den Sexappeal der Fantasie "Bibliothekarin" ausmacht. Julia Weists Audrey ist allerdings aus einer anderen Bronze gegossen. Nur haben Unbekannte die andere Figur mit den Attributen "dreist, frech, leicht provozierend" 2009 gestohlen. Daher kann man sich in der kleinen Stadt in der Lausitz 2011 kein Bild von ihr machen. Zweifellos: Natürlich fehlt sie sehr.

Nun nehmen wir aber endgültig Audrey Reed-Elseviers Bibliotheks-Provinzliebelei in den Moody Blues dieser Night in White Satin und graben uns ins stereotype Vergnügen, immer bemüht bei all den Ähnlichkeiten nicht sofort an bestimmte Kommilitoninnen zu denken:

„Audrey was tall lithe, and super sexy. She was sitting at her new desk, getting to know the holdings of the Rochester Public Library’s collection, a task regarded as one of the most insignificant undertakings of her last ten years. Quickly and silently admonishing herself for be so geocentric – defining irrelevant as land-locked – Audrey tried to remind herself the this was a time for emotional growth. She pressed a finger to her thick, black Prada glasses, rubbed her legs together lazily, and wrote on a stray card catalog card: „Be less pretentious.“ …  “ (Julia Weist (2008): Sexy Librarian. Baltimore, Md. : Slush Editions. S. 23)

Eine Antwort

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  1. […] Public Library Deaccession von Julia Weist and Mayaan Pearl. (vgl. zu Julia Weist auch diesen Beitrag im LIBREAS-Weblog) Der Aufsatz der AutorInnen erörtet nun die kulturphilosophische Dimension dieser alternativen […]


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