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It’s the frei<tag> 2013 Countdown (18): Das Dokument

Posted in Hinweise, LIBREAS aktuell, LIBREAS.Debatte, LIBREAS.Feuilleton by Karsten Schuldt on 4. März 2013

Karsten Schuldt

Eine der spannendsten Diskussionen, die in den bibliothekarischen Literatur der letzten Monate angesprochen wurde, ist die nach der Distinktheit der Dokuments. Sarah Dudek hat diese Frage gestellt (Dudek, Sarah (2012) / Die Zukunft der Buchstaben in der alphanumerischen Gesellschaft. Text und Dokument unter digitalen Bedingungen. In: Bibliothek Forschung und Praxis 36 (2012) 2, 189–199) Auch Jakob Voss hat vor einigen Jahren dazu einen Vorstoss unternommen. (Voß, Jakob (2009) / Zur Neubestimmung des Dokumentenbegriffs im rein Digitalen. In: LIBREAS. Library Ideas 5 (2009) 2.) Die Frage ist eigentlich ziemlich einfach, aber potentiel weitreichend.

  1. Trennt sich im Elektronischen das Dokument vom Träger so sehr, dass es nicht mehr distinkt ist?

Dies bezieht sich auf eine einfach Beobachtung: Bislang gehen wir davon aus, dass ein Dokument eine zusammengehörige Entität ist. So ist ein Artikel ein inhaltlicher Zusammenhang. Der Titel, die Namen der Autorinnen und Autoren, die Argumentation, der inhaltliche Aufbau, die Schlussfolgerung: alles gehört zusammen. Aber das muss nicht mehr so sein. Gehen wir gar nicht von den Internetdiensten aus, die sich jeweils auf Anfrage neu zusammensetzen. Schauen wir einfach auf wissenschaftliche Artikel, die auf Forschungsdatensätze verweisen, die „irgendwo anders“ liegen, aber für die gesamte Argumentation notwendig sind. Textdaten und Forschungsdaten liegen auf unterschiedlichen Servern, und zwar nicht nur auf der Ebene des Datenmanagements, sondern auch sichtbar. Was ist das dann für ein Dokument? Wo sind die Grenzen?

  1. Falls sich das Dokument als fluide herausstellt und beispielsweise der Ausdruck eines Artikels nur eine Zeitaufnahme ist, die aber sich inhaltlich von den anderen Ausdrucken nicht unterscheidet, was ist das Dokument dann?
  2. Wenn das Dokument fluide wird, was sammeln, ordnen, archivieren, erschliessen etc. wir dann eigentlich?

Denken wir an das E-Book. Was ist das für ein Dokument? Noch ist es vor allem ein besseres PDF, manchmal etwas angereichtert. Aber wir alle haben schon andere Beispiel gesehen und wir wissen, dass da mehr kommen wird. E-Books, die sich aus verschiedenen Medienquellen zusammensetzen. E-Books, welche die Steuerung und Manipulation von anderen Medien, von Datensammlungen erlauben. E-Books, die nicht mehr ein Gesamtwerk sein werden, sondern ein neues Werk bei jedem Aufruf oder nach Änderungen an kleinen Datenmengen, auf die sich das E-Book bezieht.

Und dann? Werden wir alle Datenquellen sammeln, aus denen sich ein solches Medium zusammensetzt? Nur die Metadaten? Momentaufnahmen? Das gesamte Denken über Inhalte im Bibliothekswesen ist mehr oder minder an die Grundthese gebunden, dass Inhalt und Medium zusammengehören. Immer mehr deutet sich an, dass in bestimmten Medienformen dieser Zusammenhang aufgetrennt wird. Das am Beste zu verstehende Beispiel dafür sind die Forschungsdaten, über deren Curation im Bibliotheksbereich zur Zeit geredet wird. Was sind das eigentlich für Datenformen? Wie werden Sie mit anderen Daten zu welchen Dokumenten verbunden? Wieso?

"Die Überlagerung des nationalen Systems der Politik durch transnationale Felder schleift die Bastionen des Traditionalismus, bricht die Kartellstrukturen auf und macht den Weg frei für Erneuerung. Weil sie von außen kommen, können die neuen transnationalen Eliten, befreit von den Restriktionen der beschriebenen Illusio, bisher undenkbaren sozialen Wandel in Gang setzen. Aus der nationalen Sicht müssen diese neuen Strukturen der Herrschaft und das neue Denken, das sie mit sich bringen, zwangsläufig als illegitim erscheinen." (Münch, Richard (2009) / Globale Eliten, lokale Autoritäten : Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2009, S. 203)

„Die Überlagerung des nationalen Systems der Politik durch transnationale Felder schleift die Bastionen des Traditionalismus, bricht die Kartellstrukturen auf und macht den Weg frei für Erneuerung. Weil sie von außen kommen, können die neuen transnationalen Eliten, befreit von den Restriktionen der beschriebenen Illusio, bisher undenkbaren sozialen Wandel in Gang setzen. Aus der nationalen Sicht müssen diese neuen Strukturen der Herrschaft und das neue Denken, das sie mit sich bringen, zwangsläufig als illegitim erscheinen.“ (Münch, Richard (2009) / Globale Eliten, lokale Autoritäten : Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2009, S. 203)

Aber es geht weiter: Bob Nicholson (Medienhistoriker an der Edge Hill University, Ormskirk, UK) behauptet folgendes:

The concept of a ‚digital methodology‘ rests on one key idea: a hard copy of a newspaper is fundamentally different from a digitised version. At first glance, this difference seems obvious; one source is made from paper, the other exists as billions of 1s and 0s. However, the transformative effect of digitisation streches beyond this material transition. Unlike microfilming, the creation of a digital newspaper does not simply produce what archivists term a ’surrogate‘, or stand-in, for the original. Instead, it creates something new; sources are ‚remediated‘ and not just reproduced. Though a digitised text may look familiar, it is not the same source; we are able to access, read, organisa and analyse it in radical new ways.“ (Nicholson, Bob (2013) / The Digital Turn : Exploring the methodological possibilities of digital newspaper archives. In: Media History 19 (2013) 1, 59-73)

Im Weiteren argumentiert er, dass sich digitalisierte Zeitschriften durch die Einbindung in Datenbanken für die Medienhistorie in eine völlig neue Form von Medium verwandeln, ein Medium, an das andere Fragen gestellt werden können und das sich erst wirklich erschliesst, wenn man mit den Werkzeugen zum Erschliessen „spielt“. Das Objekt, dass untersucht wird, wird im Suchlauf erstellt und zugänglich gemacht. Für Nicholson geht es dabei um die Zugänge der Mediengeschichte, für Bibliotheken und die Bibliothekswissenschaft sollten sich vor allem für die Frage interessieren, was das da eigentlich für ein Dokukment ist, dass Nicholson beschreibt? Ist es ein Dokument? Ist es nicht eine fludie Sammlung von Daten, die im Zuge des Aufrufes zum Dokument wird, dann aber auch nicht stillsteht?