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Von Digitalfundamentalisten und Zentralisierungswünschen

Posted in LIBREAS.Referate by Karsten Schuldt on 23. Mai 2018

Zu: Michael Knoche (2018): Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft (2. Auflage). Göttingen: Wallstein, 2018

Karsten Schuldt

 

„Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft” ist ein Buch, welches stark an Polemik, aber inhaltlich weder überzeugend noch konsistent ist.

Von Beginn an: Der Autor, Michael Knoche, war lange Jahre (inklusive der Zeit des Brandes und Wiederaufbaus) Direktor der Anna Amalia Bibliothek in Weimar und scheint als solcher eine starke Meinung zu verschiedenen Themen des Wissenschaftlichen Bibliothekswesens entwickelt zu haben. Im genannten Buch versucht er, diese zu vermitteln. Selbstverständlich ist er dabei fachkompetent.

Das Buch selber ist erstaunlich kurz. Die einzelnen, 16 Kapitel sind jeweils vielleicht 5 Seiten lang. Zudem ist es an vielen Stellen unterhaltsam zu lesen: Der Autor versucht sich immer wieder in Polemik und Sprachbildern, die nicht immer funktionieren, aber von Überzeugungen zeugen.

Was der Autor allerdings sagen will und vor allem, gegen wen er anschreibt, das ist schwer fetszustellen. Ebenso schwer ist zu sagen, an wen er sich eigentlich richtet. Vom Thema ausgehend könnte vermutet werden, dass er ins Bibliothekswesen hinein intervenieren will. Viele seiner Andeutungen sind wohl nur für die verständlich, die einen bibliothekarischen Hintergrund mitbringen. Gleichzeitig aber scheint der Autor sich an eine breit Öffentlichkeit oder aber die Politik zu richten, da er ständig Konzepte wie Open Access, Provenienzforschung oder Formen der Fernleihe erläutert, die man im Bibliothekswesen als bekannt voraussetzen kann. Am Ende des Buches ist dann auch nicht klar, von wem er eigentlich was fordert.

Sichtbar ist, dass er eine Personengruppe ablehnt, die er mal „Digitalfundamentalisten” (47 u.a.), mal als „Bibliothekare[, die] unter einer rätselhaften Form des Bücherverdrusses [leiden]” (11) bezeichnet. Wer genau zu dieser Gruppe gehört oder was diese Gruppe genau ausmacht, wird nicht benannt. Einzig Rafael Ball (ETH Zürich) und Rick Anderson (University of Utah) werden genannt, aber das ist keine Gruppe. Man würde vermuten, dass im Laufe des Buches durch Abgrenzungen klar wird, was diesen „Digitalfundamentalisten” vorzuwerfen sei, aber das passiert nicht. Der Autor selber ist überhaupt nicht konsistent in dem, was er positiv oder negativ findet. Er hebt, selbstverständlich, auch ständig Vorteile des digitalen Kommunizierens, Publizierens und Aufbewahrens (also vor allem des Scannes von Büchern) hervor. Er ist also kein Luddit. Vielleicht meint er, dass „Digitalfundamentalisten” einfach immer und überall gedruckte Medien ablehnen würden, was so (die Bücher von Rafael Ball sind z.B. auch gedruckt zu erhalten, ebenso wie die von ihm herausgegeben B.I.T. Online) auch nicht stimmt. Es scheint eher, als hätte der Autor ein Feindbild und würde davon ausgehen, dass wir, die Leserinnen und Leser, dieses ohne grosse Erklärung auch teilen würden. (Zumindest der Rezensent ist gehört nicht zu dieser Gruppe und kann deshalb mit dem Begriff nicht wirklich etwas anfangen.)

Der Titel, der Klapptentext und das einleitende Kapitel des Autors versprechen, über die „Idee der Bibliothek” und die Zukunft der Bibliotheken – eingeschränkt auf die Wissenschaftlichen Bibliotheken – nachzudenken. Davon findet sich im Buch fast nichts. Es wird nicht argumentiert oder nachgedacht, vielmehr scheint der Autor einige Überzeugungen zu haben, die er mitteilen will. Das Problem ist nicht, dass er Überzeugungen hat. Ohne solche wäre vielleicht kein guter Bibliotheksdirektor gewesen. Das Problem ist, dass er nicht einmal den Versuch unternimmt, zu überzeugen. Er scheint auch hier davon auszugehen, dass es keiner weiteren Ausführungen bedürfte, sondern das einfach dadurch, dass er seine Überzeugungen äussert, diese zu Wahrheiten würden. Das hält das Buch kurz, aber es erreicht nur die, die eh schon seiner Meinung sind. Beispielsweise betont er, dass Bibliotheken (alle Bibliotheken) den Auftrag hätten, langfristig und umfassend zu sammeln. (Das ist dann auch schon die „Idee der Bibliothek” aus dem Buchtitel.) In einem Kapitel betont er dann noch, dass nur dieses Sammeln es möglich macht, historisch zu arbeiten, zumal bei sich ständig wandelnden Paradigmen der Geschichtswissenschaft. Aber anschliessend geht er einfach davon aus, dass dies allgemein akzeptierter Fakt sei. Es ist, wie weiter oben gesagt, eine Polemik. Gäbe es aber zum Beispiel die Gruppe der Digitalfundamentalisten wirklich und würde diese auch nur inhaltlich konsistent argumentieren, egal was, wäre sie überzeugender, als dieses Buch.

Die Überzeugungen, welche Knoche vorträgt, sind zudem auch nicht originell. Sie lassen sich in drei Thesen zusammenfassen:

  1. Aufgabe der Bibliotheken ist das umfassende und nachhaltige Sammeln
  2. Digitalfundamentalisten würden diese Aufgabe bedrohen (weil das Digitale nicht einfach zu sammeln wäre, sondern – weil es ja Lizenzen sind – gesonderter Regeln bedürfe und selbstverständlich einer Klärung, wie man überhaupt Digitales nachhaltig sammeln kann; alles Fragen, die im Bibliothekswesen auch ohne die Polemik dieses Buches besprochen werden): „Nur wenn die Sammlungen ihr Eigentum sind, können sie [die Bibliotheken] versuchen, sie dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Bibliotheken müssen Bestand halten.” (9)
  3. Notwendig sei eine Zentralisierung von Aufgaben, entweder durch zentrale Einrichtungen (Knoche meint, dass die DFG dies nicht – mehr – tun würde oder könnte, sondern der Bund eingreifen müsste) oder aber durch enge Kooperation der Bibliotheken (wobei er dann für Bibliotheken mehr Autonomie fordert und – offenbar ohne Kenntnis der tatsächlichen Lage in der Schweiz – unter anderem die schweizerischen Bibliotheken als positives Beispiel darstellt)

Gerade diese letzte Idee einer nationalen Koordination der bibliothekarischen Aufgaben scheint Knoche umzutreiben. Aber auch hier: Das wird nicht begründet, es wird einfach behauptet, dass es anders nicht mehr möglich wäre, zu sammeln. Gezeigt oder gar nachgewiesen wird das nicht. Die reine Behauptung vonseiten des Autors soll offenbar alleine ausreichen. Ausgehend von dieser Behauptung fordert er dann – allerdings unklar, von wem – wieder einmal eine Nachfolgeeinrichtung des Deutschen Bibliotheksinstituts und eine Wiedereinführung der langfristigen Finanzierung der Sondersammelgebiete.

Wie gesagt: Dieses Buch überzeugt wohl niemand von irgendetwas. Es liefert auch, ausser dem polemischen Begriff der Digitalfundamentalisten (übrigens durchgängig männlich, deshalb auch in dieser Besprechung so zitiert), keine neuen Ideen. In einigen Bereichen sind die Überzeugungen des Autors auch erstaunlich konservativ, beispielsweise spricht er sich – aber da ist er mit anderen Autoren des herausgebenden Wallstein Verlages, wie Uwe Jochum einer Meinung – gegen eine Verpflichtung von Forschenden zu Open Access aus, weil dieses die Wissenschaftsfreiheit einschränken würde. Vielleicht spiegelt es die Überzeugungen vieler deutscher (?) Bibliotheksleitungen wider. Wenn dem so wäre, würde es aber auch eine Schwäche dieser Überzeugungen offenlegen, nämlich dass sie nicht argumentativ oder mit Fakten untermauert sind.

Es ist aber, wie gesagt, vergnüglich zu lesen. Aber eher wie ein Grime-Track, dem man wegen der Sprachbilder und dem gekonnten Springen durch die Themen und Beleidigungen Respekt zollt, nicht wegen des Inhalts.

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