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Die Geologisierung der Medientheorie.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 30. Januar 2015

Eine kurze Besprechung zu: Jussi Parikka: The Anthrobscene. Minneapolis: University of Minnesota Press. 2014. (Angaben zum Titel beim Verlag)

von Ben Kaden (@bkaden)

Eine buchstäblich globale Perspektive auf die Folgen der Digitalisierung eröffnet eine schmale Publikation des Medientheoretikers Jussi Parikka, die unlängst bei der Minnesota University Press erschien und den wortverspielten Titel The Anthrobscene trägt. Das  „eröffnet” bezieht sich darauf, dass sie als eine Art ausgelagerte Vorthematisierung (die Reihe heißt Forerunners: Ideas First) der für das Frühjahr angekündigten Band A Geology of Media (Verlagsseite) fungiert und bereits vorab in einige zentrale Thesen dieser kommenden Mediengeologie einführt.

Die Idee einer Geologisierung der Medienwissenschaft ist nicht neu. Parikka zitiert John Durham Peters mit dessen naturwissenschaftlichen Verortung der Kommunikationstheorie (oder eben der kommunikationstheoretischen Verortung naturwissenschaftlicher Ansätze):

 „Both geology and astronomy face the problem of belated reception, interpreting messages that come posthumously, as it were, after long delays. Both sciences are always also media studies; they necessarily study not only content, but signal and channel properties as well (this is also true of quantum physics).” (Peters)

Die Biologie und bei Parikka zweifelsohne in der Konkretisierung zur Zoologie (vgl.Parikka, 2010) Werden wir konkreter, werden auch die Chemie und die Materialkunde plötzlich sehr relevant für unsere Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation. (vgl. Parikka, 17)

Der Ansatz Parikkas in Anthrobscene ist also dahingehend außerordentlich interessant, dass er etwas ins Zentrum rückt, was Medien- und insbesondere Digitalisierungsdiskurse gern ausblenden und in eine abstrakte Blackbox auslagern: die Materialität, die Digitalität überhaupt ermöglicht. Wie auch in den sozialen Transformationen zeichnen sich medientechnische Transformationen durch ein erhebliche Steigerung der zu bewältigenden materialien Komplexität aus. Parikka zitiert in seiner Arbeit (S.15) den Aufsatz „On the materials basis of modern society“ dessen Autoren mit der Auskunft eröffnen:

„A century ago, or even half a century ago, less than 12 materials were in wide use: wood, brick, iron, copper, gold, silver, and a few plastics. Today, however, substantial materials diversity in products of every kind is the rule rather than the exception. [A modern computer chip, for example, employs more than 60 different elements[…].“ (Graedel et al, S.1)

Die stoffliche Seite moderner Kommunikationstechnologien, die, wie Parikka herausarbeitet, derzeit eine metallische ist, weist weit darüber hinaus, was bisweilen bei der Betrachtung der Hardware als materiale Bedingung des Digitalen im Mittelpunkt steht. („Hardware perspectives are not necessarily hard enough […]“, Parikka17) Hier geht es um erdgeschichtliche Dimensionen. Der Möglichkeit des Data Mining geht immer Minentreiben in die Rohstoffstöcke voraus.

Die Folgen der Digitalisierung reichen diesbezüglich über Partikularaspekte mit nicht zuletzt bemerkenswert metaphorischer Tiefe im Sinne der Beschreibung Benjamin Brattons:

„how we carry small pieces of Africa in our pockets, referring to the role of, say coltan in digital media technologies.” (Parikka, 37)

hinaus. Die Obszönisierung des Anthropozäns, also der Erdperiode, in der Mensch und die Folge seines Handelns als Hauptprägekraft des Planeten wirkt (und gewirkt haben wird), ergibt sich laut Parikka aus der ethisch und politisch höchst fragwürdigen Rücksichtslosigkeit, mit der die metallischen Grundlagen digitaler Technologie in der Regel bar jeder nachhaltigen Perspektivplanung abgebaut, benutzt und entsorgt werden. (vgl. Parikaa, 6) Für die Umwelt in vielerlei Hinsicht (potentiell) schädlich – Stichworte u.a.: „planned obsolescence of electronic media, the energy costs of digital culture, and, for instance, the neocolonial arrangements of material and energy extraction across the globe“ – und damit die Lebensgrundlagen von Menschen bzw. der Menschheit bedrohend, sind die derzeitigen Handlungspraxen im Hintergrund der Digitalisierung unmoralisch. Das gilt insbesondere für die Bedingungen, unter denen die „Bröckchen Afrika”, also die so genannten Konfliktmineralien, gewonnen werden.

Cover "The Anthrobscene"

Jussi Parikka:  The Anthrobscene.

Berücksichtigt man dies, wirkt es erstaunlich, wie randständig im öffentlichen Diskurs die Auswirkungen der Digitalisierung aus einer umweltpolitischen Perspektive verhandelt werden. Und auch in den mit den Transformationsprozessen beschäftigten Wissenschaftszweigen inklusive der Bibliothekswissenschaft findet sich wenig Engagement oder überhaupt Bewusstsein gegenüber der Prozesskette, die der orts- und zeitunabhängigen Vermittelung menschlicher Kommunikation und des Datenhandel(n)s vorausgeht (und nachfolgt). Was man derzeit unter Green-IT versteht, bezieht sich vor allem auf das Energiemanagement, wenngleich sich in Verlautbarungen des BMBF und auch in der Digitalen Agenda der Bundesregierung, „etwa durch weitere Zertifizierungen und die Anregung zur freiwilligen Selbstverpflichtung in der Wirtschaft“ einige zaghaft gelegte Spuren zu entdecken sind. Dominiert wird diese Green-IT-Debatte bisher freilich durch die Frage der Energieeffizienz, was am Ende jedoch nur einer von zwei zentralen Aspekten dessen ist, was im Zusammenhang der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien auf das Geosystem zurückwirkt. Sicher ist, dass diese Transformation der Informationsverarbeitung und Kommunikation in die Erde erheblich eindringt und letztlich in gewisser Weise zu dieser wird:

„The earth is a machine of variation, and media can live off variation – but both earth and media are machines that need energy and are tied together in their dynamic feedback loop. Electronic waste is an example of how media feeds back to earth history and future fossil times.” (29)

Die Erde selbst fungiert in dieser Schleife sowohl als Materialspeicher („the future landscape of media technological fossils”, 44) wie auch als Zeitspeicher also als Basis (ferner) zukünftiger Wissenschaft, die an eine Perspektive des 19. Jahrhunderts anschließt:

„processes of transmission and recording are already present in the earth itself, a vast library waiting to be deciphered.” (27)

Fast also könnte man vermuten, dass weitaus länger als die digitalen Inhalte ihre Temporärträger und deren Materialität Zeugnis über unsere Kultur geben werden. Wir graben derzeit all das aus und ein, was als Sediment zukünftigen Archäologien, die als diszplinäre Idee natürlich selbst Medienwissenschaften sind, Rückschlüsse auf die Art des menschlichen Lebens im frühen 21. Jahrhundert ermöglicht. Sofern das in dieser Zukunft noch jemanden interessiert.

(Berlin, 30.01.2015)

Quellen

E. Graedel, E. M. Harper, N. T. Nassar, Barbara K. Reck (2013) On the materials basis of modern society. In: PNAS 2013 : 1312752110v1-201312752. DOI:   10.1073/pnas.1312752110

John Durham Peters (2003) Space, Time, and Communication Theory. In: Canadian Journal of Communication. Vol. 28, No. 4

Jussi Parikka (2010) Insect Media. An Archaeology of Animals and Technology. Minneapolis: University of Minnesota Press

2 Antworten

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  1. Jochen Dudeck said, on 31. Januar 2015 at 11:22

    Endlich, danke! Man kommt sich ja schon wie ein Aussätziger vor, wenn man in das Jubelgeschrei über die Digitalisierung aller Lebensbereiche nicht einstimmt. Die Ignoranz, mit der gerade in unserem Berufsstand die materialen Hintergründe dieses Prozesses – von der Vergiftung ganzer Landstriche und Bevölkerungen bis zur schamlosen Ausbeutung der Arbeitskraft bei gleichzeitig astronomischen Gewinnen, siehe Apple – NICHT wahrgenommen werden, ist beschämend. Das Problem ist nur wie ein solcher Diskurs weniger Experten im Elfenbeinturm der Medientheorie zu einer – und dann welcher? – guten Praxis vieler Akteure führen kann.

  2. Walther Umstätter said, on 1. Februar 2015 at 20:13

    Zur Erinnerung: Vorläufer der „Geology of Media“ war schon seit Jahrtausenden die Geobotanik der Informationsmedien. Sie reichte von den stark begrenzten Ressourcen an Papyrus, über Hadern und den Ersatz durch Pergament, mit der Ernährung und Schlachtung unzähliger Ziegen oder Kühe (das geht bekanntlich auf keine Kuhhaut ;-), bis hin zum massenhaften abholzen von Wäldern. Wobei der Vergleich über die Menge an Informationsträgern pro Bit interessant ist. Denn gerade weil es heute gar nicht mehr möglich wäre, alle Informationen, Redundanzen und informatiostheoretischen Geräusche, die alle in Bits gemessen werden können, auf Papier zu speichern, wurde die Digitalisierung zwingend.

    Sicher ist es sehr fragwürdig, was heute alles zu Papier, oder auf die Bildschirme gebracht wird. Insofern ist es eine berechtigte Frage: „Sofern das in dieser Zukunft noch jemanden interessiert.“

    Bezüglich des Umweltschutzes muss die „Geology of Media“ im Sinne Jussi Parikkas also als das wesentlich kleinere Übel, gegenüber der dringend notwendigeren C02-Reduktion gesehen werden. Außerdem sollte man nicht unterschätzen, wie viel Berufskrankheiten es in Druckereien, und wie viel giftige Abwässer es in der Papierindustrie schon gab. So waren 1950 noch etwa 170 Liter Wasser nötig, um ein Kilogramm Papier zu produzieren. Wobei eine zusätzliche Katastrophe dadurch entstand, dass man bei der Papierproduktion Quecksilber brauchte, so dass es zu erheblichen Vergiftungen bei Fischen und Menschen kam. Ganz abgesehen von Hörschäden so mancher Drucker. Auch damals diskutierte man die dunkle Seite der Massenmedien möglichst wenig, um Regressansprüche zu minimieren. Was natürlich nicht bedeutet, dass wir uns damit über die Folgen der postindustriellen Gesellschaft und ihres Informations- bzw. Wissensbedarfs heute keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Darum ist ja Recycling und Nachhaltigkeit gerade in der Papier- und Electronic-Industrie so ein wichtiges Thema geworden. Immerhin stammt das Wort von der Nachhaltigkeit ja aus der Forstwirtschaft.

    Die Vermutung „dass weitaus länger als die digitalen Inhalte ihre Temporärträger und deren Materialität Zeugnis über unsere Kultur geben werden.“ mag vielleicht richtig sein, aber aus archäologischen Erfahrungen wissen wir, dass sie erheblich an Aussagekraft verlieren, wenn wir über keine Aufzeichnungen aus der jeweiligen Zeit verfügen, und das ist der unschätzbare Vorteil der Digitalisierung, dass wir noch nie so rasch und zuverlässig authentische Kopien mit einer Fehlerrate von ~10 hoch minus 12 erzeugen konnten. Wenn wir also von wichtigen Informationen jährlich eine Kopie für die Nachwelt machen würden, hätten wir nach tausend Milliarden Jahren 1 Bit Fehler. Nur weil das für die meisten Menschen so unvorstellbar ist, ist es nicht unrealistisch, zumal es wahrscheinlicher ist, dass wir in Zukunft noch bessere Möglichkeiten der Archivierung haben werden, als weniger brauchbare.


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