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Martin Warnkes eine Theorie des Internets

Posted in LIBREAS.Referate by Karsten Schuldt on 22. April 2011

von Karsten Schuldt

Rezension zu: Martin Warnke (2011). Theorien des Internet zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag. 13,90 Euro. ISBN: 978-3-88506-679-8

Die „zur Einführung“-Reihe des Junius Verlags hat sich zu Recht einen guten Ruf erarbeitet. Für übergreifende philosophische Fragestellungen und das Denken einzelner Philosophinnen und Philosophen liefern diese Bücher relativ kurze Besprechungen, die mit der Intelligenz ihrer Leserinnen und Leser rechnen. Dass die Autorinnen und Autoren der Werke ihre intellektuelle Herkunft aus der kritischen Linken meist nicht verheimlichen, macht die Reihe ansprechend, da brennende gesellschaftliche Fragen gestellt und nicht einfach nur, wie in anderen Einführungen, Fakten berichtet werden.
Eine Eigenheit der Reihe besteht darin, dass die Autorinnen und Autoren sich eigentlich nie auf einen vorgeblich objektiven Standpunkt zurückziehen, sondern die subjektiv Prägung der Darstellung sehr schnell sehr klar wird. Das ist zum Teil sympathisch, gleichzeitig prägt damit eine Person die Interpretation einer Philosophie und besetzt mit ihrer Meinung das Thema. Insoweit ist es immer auch relevant, wen der Verlag und der Wissenschaftliche Beirat als Autorin beziehungsweise Autor für welches Thema auswählen.
Nun entschied der Verlag, sich den Medientheorien zuzuwenden und Martin Warnke für die Theorien des Internets zu gewinnen. Dabei ist der Versuch zu begrüßen: das Internet ist relevant und die Theoriebildung zu diesem Medium divers und zahlreich. Eine Einführung, insbesondere eine, welche bei aller notwendigen Schwerpunktsetzung diese disziplinäre Breite skizzieren würde, wäre notwendig. Aber vielleicht war der Autor die falsche Wahl für eine solche Einführung. Warnke liefert zumindest mit „Theorien des Internets zur Einführung“ kein Werk ab, das diesen Ansprüchen Genüge tut.
Der Grund für diese harte Aussage ist leicht benannt: Die im Titel des Werkes versprochenen Theorien des Internets fehlen. Warnke hat genau eine Theorie. Das Internet begreift er als autopoietisches System – in einer relativ großzügigen Anlehnung an Niklas Luhmanns Systemtheorie –, welches sich durch emergentes Wachstum und lose Kopplungen auszeichnen würde. Dies sei in der technischen Infrastruktur inklusive der verwendeten Standards angelegt, wäre zudem die Ursache für den Erfolg des Mediums und gleichzeitig auch der Grund dafür, dass das Netz nicht vollständig zu steuern ist. Zwar hat diese Theorie einige Schwachstellen. So wäre das von Warnke beschriebene Wachstum unter Umständen mit dem Konzept des Rhizom von Deleuze und Guattari besser zu beschreiben als mit dem Emergenz-Begriff. Gleichzeitig fehlen Aussagen dazu, wie das Netz als autopoietisches System eigentlich mit welcher Umwelt kommuniziert, was sich bei einem Bezug auf die Luhmannsche Systemtheorie eigentlich als nächste Frage aufdrängt. Aber es ist eine gültige Theorie des Internets. Nur ist das die einzige Theorie, die im gesamten Buch vorkommt.
Warnke hat also eher ein Buch über seine eigene Theorie geschrieben, als eine Einführung in die unterschiedlichen Theorien des Internets.

Ein weiterer Schwachpunkt des Werkes ist, dass Warnke einfach zu lange bis zur Skizze seiner Theorie braucht. Auf Seite 158 beginnt er damit, auf Seite 177 steht der letzte Satz des Buches. Davor entfaltet Warnke Grundlagenwissen zum Internet, spricht kurz Fragen der Ökonomie im Internet an, umreißt den Themenbereich skalenfreie Netzwerke und erzählt vor allem noch einmal die Geschichte von den ersten Standards und den unterschiedlichen Anfängen des heutigen Internets.
All das ist bei der Schwerpunktsetzung des Bändchens weitgehend überflüssig. Hier wird nichts vermittelt, was man heute nicht als Allgemeinwissen voraussetzen darf. Was ist ein skalenfreies Netzwerk und was unterscheidet es von anderen Netzen? Wie funktionieren Cookies und das Routing? All diese Wiederholungen und Basiseinführungen sind inhaltlich fraglos richtig und vermutlich gibt es Menschen, die sich dieses Wissen noch einmal aneignen müssen. Aber es ist in einem Einführungswerk, welches sich explizit mit den Theorien des Internets beschäftigt und zudem in einer Reihe erscheint, in welcher ansonsten nur theoretische Einführungen erscheinen, vollkommen unangebracht. Es ist die Basis, auf der Theorien aufbauen müssten. So sind aber über drei Viertel des Textes vorüber, bevor es überhaupt dazu kommt, dass die eine Theorie skizziert wird.
Diese Skizze ist dann selbstverständlich viel zu grob, um eine qualifizierte Aussage über diese Theorie zu ermöglichen, zumal das zuvor referierte Grundwissen kaum für die Theorie herangezogen wird. Hätte Warnke tatsächlich nur eine Theorie vorstellen wollte, dann hätte er diese ausarbeiten können, anstatt sich mit einer Basiskunde Internet aufzuhalten. So allerdings ist dieses Werk eine reine Skizze geblieben.
Als dritten Schwachpunkt muss man Warnke unbedingt den Stil seines Werkes ankreiden. Immer wieder finden sich feuilletonistischen Passagen, in welchen Warnke ohne einen wirklich erkennbaren Zusammenhang zu seinen eigentlichen Aussagen, Meinungen zur weltpolitischen Lage und zum Verfall der Kultur in den Text einfliessen lässt. So bespricht er beispielsweise die bekannte „Mother of All Demos“-Präsentation zur Mensch-Maschinen-Interaktion von Douglas Engelbart und seinem Team auf der 1968 Fall Joint Computer Conference. Warnke zitiert zuerst eine sehr positive Besprechung dieser Demonstration, um dann fortzufahren:

„Es fiele uns sicher leichter, uns dieser Heiligsprechung [in der Besprechung der Präsentation, K.S] anzuschließen, hätte Engelbart nicht auch noch den Vorläufer von PowerPoint erfunden. Und hätte er nicht außerdem noch der staunenden Menschheit vorgeführt, welche groben Anfängerfehler man damit machen kann. Zwar gibt es wirklich niemanden, der so sehr wie der Heilige Douglas für sich in Anspruch nehmen kann, ein Anfänger in diesen Dingen zu sein […], aber vorlesen, was ohnehin auf dem Bildschirm zu sehen ist, ist eine dermaßen schlimme Form der Rhetorik und eine Zumutung an alle alphabetisierten Zuhörerinnen und Zuhörer, dass sie eigentlich verboten gehörte. […]
Wo mittlerweile Spezialisten für das Visualisieren von Informationsbeständen mit Hilfe von Computern mutmaßen, PowerPoint mache manifest dumm, und habe sogar schon Menschenleben gekostet, war der Anspruch der Forschergruppe ein anderer[.]“ (S. 149)

Was auch immer Martin Warnkes Problem mit PowerPoint ist, es gehört nicht in dieses Buch. Diese Abneigung gegen PowerPoint wird auch nirgends anders im Buch wieder aufgegriffen, sie ist für das Besprechen der Bedeutung der Arbeiten von Engelbart vollkommen irrelevant und scheint einzig deshalb im Text zu stehen, weil der Autor sich einmal dazu äußern wollte. Dafür gibt es allerdings andere Medienformen als Einführungswerke. Zumal sich solche Stellen häufen, je weiter man im Buch fortschreitet. An einer Stelle (S. 124) wird beispielsweise die renommierte Zeitschrift First Monday zum Internetportal erklärt, an einer anderen (S. 172) die USA im allgemeinem zum Wilden Westen. Hier hätte das Lektorat massiv eingreifen müssen. Eventuell gibt es Menschen, die diese Art des Schreibens humorvoll finden. Ein Einführungswerk hingegen soll nicht lustig sein. Es soll einen Überblick schaffen.

Letztlich ist diese Einführungen in die Theorien des Internets verfehlt. Weder gibt Warnke uns einen Überblick zu Theorien, noch ist seine eigene Theorie zureichend ausgearbeitet, noch ist am Ende des Werkes überhaupt klar, wozu Theorien des Internets sinnvoll sein können. Das Buch ist zwar flüssig geschrieben, aber die überheblichen und kontextlosen Meinungsäußerungen des Autors wirken massiv störend. Wirklich ärgerlich ist, dass in der Einleitung des Buches zwar versprochen wird, dass eine Verbindung von Theorien des Internets und Netzkunst hergestellt werden soll. Dies wäre unbedingt zu begrüßen gewesen. Netzkunst ist ein viel zu selten besprochenen Thema, zumal Martin Warnke selber in Bereich der Netzkunst forschend und organisierend aktiv ist. Diese Verbindung findet dann im Buch bedauerlicherweise selber praktisch nicht statt. Eventuell ist die Ankündigung in der Einleitung das Relikt einer früheren Fassung des Manuskripts. Sollten Textstellen zur Netzkunst vorhanden gewesen und gestrichen worden sein, wäre das ein großer Fehler. Vieles andere hätten man in diesem Buch besser streichen können.

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2 Antworten

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  1. […] (15.06.2011): Hier und dort gibt es freundliche bis kritische Rezensionen zu “Theorien des Internet”. Tweet […]

  2. […] Rezension über Buch “Theorien des Internets” von Martin Warnke findet sich im Blog LIBREAS. In dieser Renzension heißt es […]


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