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Pur oder püriert? Wissenschaftskommunikation zwischen Blog und Journalismus.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 21. Juli 2009

Ein Kommentar zu Lugger, Beatrice (2009): Die puren Stimmen der Wissenschaft. Blogs bringen eine neue Dynamik in Forschung und Medien. In: Gegenworte, H. 21, S. 26–29.

von Ben Kaden

Wissenschaftsblogs werden mitunter im Umfeld des „Science 2.0“, in das auch manchmal Open Access gezählt wird, gern als eine perspektivisch maßgeblich Variante der Wissenschaftskommunikation angesehen. Beim Bloggen gilt dies aktuell allerdings weniger für die traditionell formalisierte Wissenschaftskommunikation über Publikationen, mitunter für die informelle Kommunikation der Wissenschaftler untereinander und zumeist vor allem für etwas, was auch unter der Bezeichnung „Public Understanding of Science“ gefasst wird: Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und der allgemeinen Öffentlichkeit.

Daneben existieren selbstverständlich auch Weblogs, die innerhalb einer Fachgemeinschaft ähnlich den Mailinglisten als Kommunikationswerkzeug genutzt werden, jedoch in geringerer Zahl (vgl. dazu auch hier). In der Regel erfüllen sie die Funktion einer koordinierenden Metakommunikation, die durchaus in den Bereich der informellen Wissenschaftskommunikation einzurechnen ist.

Im allgemeinen Verständnis sind Wissenschaftsblogs also Plattformen, auf denen Inhalte aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit eingebracht werden. Die unmittelbaren Rückkopplungsmöglichkeiten der Weblogs ermöglichen der Öffentlichkeit, in eine direkte Kommunikation mit der Wissenschaft zu treten.

Dieser Orientierung auf die extern gerichtete Wissenschaftskommunikation folgt die Wissenschaftsjournalistin Beatrice Lugger in ihrem Beitrag „Die puren Stimmen der Wissenschaft“ in der „Die Wissenschaft geht ins Netz“-Ausgabe der Zeitschrift „Gegenworte“ trotz des Untertitels, der von einer „neuen Dynamik in Forschung und Medien“ spricht. Denn die originäre Forschung bedient sich bislang vergleichsweise kaum der Wissenschaftsblogs. Diese sind – inhaltlich nicht eindeutig bestimmbar – hauptsächlich Orte der Reflektion, des Vermeldens und der Kritik von Aspekten der Wissenschaftswelt und manchmal auch nur Spielwiese und Lernort für das kreative Schreiben über Sachverhalte.

Für die Autorin sind sie darüber hinaus nichts Geringeres als eine „Revolution“, wobei, so ihre Behauptung, die Medienform Blog sogar allgemein von der Qualität der Wissenschaftsblogs profitiert. In der Wissenschaftspraxis merkt man von einer Umwälzung allerdings vergleichsweise wenig. Dort erscheint das revolutionäre Potential von Open Access schon wuchtiger. Da sich aber dort wie auch in der Wissenschaftskommunikation mit der Öffentlichkeit diverse Akteure verbinden, um verschiedene Modelle parallel auszuprobieren, ist der Begriff der „Revolution“ eher durch „Evolution“ zu ersetzen, auch wenn dieser die mitunter wahrgenommene Dramatik des Prozesses nicht ganz so scharf evoziert.

Das Medium der Jugend(?)

Für junge Wissenschaftler sieht die Autorin im Bloggen die Chance, „manche hierarchische Struktur der deutschen Forschungslandschaft“ zu umgehen bzw. „frischen Wind ins Gefüge“ zu bringen. Dies ist als Ergänzung vielleicht richtig und dann zutreffend, wenn man in der allgemeinen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit sucht und seinen Expertenstatus dahingehend etablieren möchte. Innerhalb des Wissenschaftssystems muss man aber nach wie vor den jeweiligen Kommunikationsregeln folgen, um ernst genommen zu werden.

Es ist leider nicht bekannt, wie viele Wissenschaftler selbst Blogs lesen. Dass aber bislang Weblogs als interne Kommunikationsform bestenfalls punktuell zum Einsatz kommen, mag darauf hindeuten, dass es vergleichsweise wenige sind. Das mag sich auch mit dem Generationswechsel in der Wissenschaft ändern. Innerhalb der Community sind Wissenschaftsblogs bisher jedoch nur bedingt geeignet, um die Adressaten zu erreichen. Die Bezugsgrößen im Text – vor allem die referenzierte US-amerikanische Plattform scienceblogs.com und das von Hubert Burda Media geförderte deutsche Pendant scienceblogs.de – spielen in der Wissenschaftslandschaft selbst keine sonderlich große Rolle. (In der Wechselwirkung mit der Weböffentlichkeit finden sie mitunter durchaus eine breitere Resonanz.)

Daneben gibt es zweifellos bestimmte Sichtbarkeitseffekte gerade für „[j]unge Studenten, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, Diplomanden, Doktoranden“ und zwar durchaus auch im Gegensatz zur Vermutung der Autorin unter Klarnamen. Das ist in der Tat ein Novum, allerdings weniger auf der inhaltlichen Ebene selbst und mehr auf der der Vernetzung. Die Weblogs dieser Akteure sind Teil der virtuellen Netzwerkkultur, die sich perspektivisch mit einiger Sicherheit auch tiefer in der Verfasstheit der Strukturen der Wissenschaftscommunities niederschlagen wird. Wissenschaftsintern dürfte sich die Wirkung aktuell jedoch in Grenzen halten. Die Doktoranden schreiben mehr für andere Doktoranden und weniger für die Doktorväter. In der idealen Wissenschaftsblog-Welt des Artikels tun sie dies obendrein noch für die externe Öffentlichkeit:

Aber gerade diese Stimmen tragen die Leser manchmal mit einer fast jugendlichen Begeisterung für ihr Fach hinein in die Wissenschaftswelt.

Wissenschaftsblogs funktionieren demnach hauptsächlich als PR-Instrument für die Wissenschaft. Das Beispiel der Universität Stanford, die allen Mitarbeitern und Studierenden Weblogs anbietet, demonstriert obendrein, dass das Medium als Kommunikationsinstrument so selbstverständlich ist bzw. wird wie die E-Mail-Adresse . Es kann z. B. als studien- und forschungsbegleitendes E-Portfolio die private Homepage ablösen, einfach weil es viel leichter zu nutzen, zu pflegen und vor allem zu vernetzen ist. Es bleibt in dieser Funktion aber vorwiegend ein Instrument zur Selbstdarstellung.

Reaktion ohne Redaktion

Wissenschaftsblogs werden in dem Artikel hauptsächlich als ein Schnittstellenmedium zwischen Wissenschaft und allgemeiner Öffentlichkeit behandelt. Die Abgrenzung vollzieht sich folglich zwischen dem unmittelbaren und persönlichen Medium Weblog und dem redaktionell kontrollierten und institutionalisierten Wissenschaftsmedien. Für die Autoren sieht Beatrice Lugger den Vorteil der „Pure[n] und unzensierte[n] Meinungsbildung“, die allerdings durch ein auf diese Meinungen bezogenes „Post-Review“ durch Leserkommentare und andere Blogs eine andere Art sozialer Kontrolle erfährt. Das ist durchaus positiv, denn es führt zu einer Dialogizität, die rückkopplungsarme Medienformen nicht aufweisen. Dies erfordert aber auch die Einsicht, dass es mit dem Publizieren der Meinung allein nicht getan ist, sondern man die Zeit für eine mitunter ausgiebige und sehr gestreute Diskussion mitbringen sollte. Wer bloggt, benötigt viel Zeit. Wer Blogs liest übrigens auch. Dass „Tippfehler und „irrlichternde Beiträge“ […] von den Lesern in Kauf genommen“ werden, trifft erfahrungsgemäß nur eingeschränkt zu. Gerade in Diskussionen zu kontroversen Themen kommen häufig härtere Bandagen zum Einsatz. Die Unmittelbarkeit der Kommunikation betrifft auch die Rückkopplung und diese wird ebenso wie die Publikation nicht durch eine Redaktion abgefedert.

Wissenschaftsblogs vs. Wissenschaftsjournalismus ?

Das Problem des Artikels ist, dass er die Blogs und den traditionellen Wissenschaftsjournalismus in gewisser Weise gegeneinander ausspielt, wobei die Wissenschaftsjournalisten den Kürzeren ziehen. Die Wissenschaftsblogs stellen sich für letztere unter zwei Aspekten dar: Sie bieten den Zugang zu Themen und Akteuren und sind gleichzeitig eine direkte Bedrohung.

Die Autorin vermutet eine zunehmende Konkurrenz gegenüber den Wissenschaftsjournalisten: Der Wissenschaftler wird sein eigener Repräsentant in der Weböffentlichkeit und besitzt dabei den besseren Zugang zur Forschung selbst. Die Journalisten stehen dagegen unter Zeitdruck und leiden manchmal an „mangelnder Kompetenz“ und zwar progressiv: „Und auch Wissenschaftsjournalisten haben weniger Zeit, prüfen weniger, werden weniger präzise.“
Unklar ist jedoch, inwieweit dem Gros der Wissenschaftler Zeit und Talent gegeben ist, in dieser Form wissenschaftspublizistisch tätig zu werden. Einen guten Wissenschaftsjournalisten zeichnet gerade die Distanz zum Gegenstand und vor allem zu den Mühen der Ebenen des alltäglichen Wissenschaftsbetriebes aus, ein Abstand also, der betriebsblinde Flecke vermeidet. Dazu kommt im Idealfall die Befähigung, auch schwierige Zusammenhänge sehr zielgruppennah zu erläutern. Offene wissenschaftsjournalistische Plattformen, auf denen Wissenschaftler wiederum Bezug auf die Inhalte nehmen können, sind dabei womöglich als Werkzeug zur Qualitätssicherung eine Option, wenn sie darauf achten, dass bei der Vereinfachung nichts Wesentliches verloren geht und bei Bedarf Zusatzinformationen beitragen.

Für die wissenschaftsvermittelnden traditionellen Medien erweist sich darüberhinaus der Dossiercharakter als günstiger Ausblick: Die Ergebnisse der Forschung und die Stimmen aus der Wissenschaft dazu werden gesammelt, kontextualisiert und erklärt, nicht nur vermeldet.

Mögliche Folgen

Bei der Gelegenheit könnte man darüber hinaus überlegen, inwieweit die Weblogs zum Agenda Setting beitragen und zu Themenverschiebungen in den öffentlichen Leitmedien führen: Der Zugang zur Blogosphäre ist denkbar einfach und wenn die Wissenschaftswebseiten großer Tageszeitungen und Magazine die Scienceblogs-Inhalte direkt in ihre Präsenz einbinden, so gewinnt scienceblogs.de maßgeblich an Gestaltungskraft für die Vermittlung von Wissenschaft in die Öffentlichkeit. „Diese Mixtur ergänzt sich wunderbar.“, meint Beatrice Lugger begeistert. Diese Mixtur hat aber auch Grenzen, denn sie überlagert und/oder verdrängt die Berichterstattung zu all den Themen, für die sich kein bloggender Wissenschaftler begeistert. Zudem steht hinter den Scienceblogs – sowohl in den USA als auch in Deutschland – nicht die Wissenschaft allein, sondern auch jeweils ein Medienunternehmen, das ebenfalls eine bestimmte Interessenlage besitzt. Das bedeutet nicht, dass es doch zu einer Vorauswahl der zu bloggenden Themen gibt. Es ist aber ein Fakt, den man bei aller Freiheit und Offenheit des Mediums Weblog an sich berücksichtigen sollte.

Ebenfalls berücksichtigen sollte man in dem Szenario der Wissenschaftsblogs, wie es der Artikel ausbreitet, dass es durchaus einen Übergang von der Möglichkeit zur Notwendigkeit geben könnte. Je mehr Stellenwert Wissenschaftsblogs für die Wahrnehmung einer Disziplin oder eines Wissenschaftlers erlangen und je mehr Wissenschaft unter dem Legitimationsdruck einer öffentlich vermittelten Wahrnehmung steht, desto stärker trägt sich das Publish or perish-Prinzip als Blog it or perish in die Wissenschaft hinein. Auch das sollte man bei aller Begeisterung berücksichtigen.

In der Wissenschaftskommunikation mit der Öffentlichkeit folgt das Beispiel der Wissenschaftsblogs, wie es im Artikel erscheint, der allgemeinen Deprofessionalisierung der Diskurse, die die Publikationsplattformen nach dem Web 2.0 an vielen Stellen hervorgebracht haben. Das mag überraschen, schreiben doch hier Wissenschaftler direkt über ihre Profession. Es bezieht sich aber weniger auf die Inhalte, als auf die Art der Repräsentation. Die allgemeinverständliche Präsentation von wissenschaftlichen Inhalten auf der Grundlage journalistischer Standards liegt nur wenigen Wissenschaftler in Blut und Interesse. Man mag das bedauern, aber gerade aus diesem Grund hat sich in der Beruf des Wissenschaftsjournalisten als Übersetzer zwischen Wissenschaft und allgemeiner Öffentlichkeit herausgebildet.

Beatrice Lugger begrüßt den Schritt vom Journalismus zum Blog, sieht sie doch, wie erwähnt, einen wachsenden Qualitätsverlust des Wissenschaftsjournalismus, bei dem in den Artikeln mehr Wert auf die strukturelle Suchmaschinenoptimierung und weniger auf inhaltliche Güte gelegt wird. Sie nennt diesen Ansatz „Copy-Paste-Journalismus“. Die Ursache dahinter liegt aber vielleicht weniger im Willen der Journalisten und mehr in den Geschäftskonzepten der Verlage, die wie im Falle der Hubert Burda Media interessanterweise das Medium Blog fördern.

Weblogs sind, so die Autorin, selbstverständlich auch nicht vor Fehlern geschützt. Doch gerade durch den Laiencharakter und die Leidenschaft für den Gegenstand sind Blogautoren ihrer Meinung nach entschuldigt:

„Forscher werden nicht zu besseren Journalisten, indem sie bloggen. Aber sie öffnen Türen und präsentieren und präsentieren mitunter sehr Lesenswertes.“

Ob das als Ersatz für guten Wissenschaftsjournalismus ausreichend ist und die wissenschaftsjournalistischen Funktionen, die eben doch gerade aufgrund der vorausgesehenen Reduktion der Komplexität bzw. der Bündelung und Vereinfachung von den Blogs genauso erfüllt werden, sollte man ruhig einmal hinterfragen. Und ob die Zielgruppe, die die Scienceblogs und die gebloggte Wissenschaft erreichen, tatsächlich der Klientel entspricht, die sich die Wissenschaftsseiten der Tagespresse ansieht.

Es ist zweifellos hervorragend, wenn diese Art der Wissenschaftskommunikation in diversen Formen vorliegt und sich der Nutzer die Form heraussuchen kann, die seinem Verständnisinteresse entspricht. Umso stärker wird aber der klassische Wissenschaftsjournalismus als Gegenpol zur gebloggten Wissenschaft benötigt.

Eine Antwort

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