LIBREAS Nummer 8 – Call for Papers
Call for Papers
LIBREAS 8: Die Lesejahre sind vorbei? Die Öffentliche Bibliothek und die Stadtgesellschaft
Es ist ein Anruf, der entlarvt. Eine allgemeine Nachfrage bei der Stadtbibliothek einer brandenburgischen Kleinstadt stößt den im akademischen Idyll des Berliner Institutes nach Zukunftsperspektiven Suchenden in den real existierenden Alltag Öffentlicher Bibliotheken in Deutschland, wobei die Fallhöhe enorm ist. Die bibliothekarische Versorgung in der Stadt, immerhin mit eigenem Gymnasium, ist der kommunalen Verantwortung völlig enthoben, nachdem man sich entschloss, die Stadtbibliothek einzusparen. Dies offensichtlich zu Recht, wenn man der Auskunft hinsichtlich der Nutzungsintensität glaubt. Die nun von einem Verein übernommene und überwiegend dank ehrenamtlichen Engagements und des Einsatzes von Ein-Euro-Jobbern überhaupt am Leben gehaltene Arbeit des Bibliotheksrudimentes, bedient eine Nutzerschaft, die gerade einmal 25 Köpfe zählt. Mehr Bürger der Stadt haben anscheinend kein Interesse am Angebot. „Bibliotheken sind Publikumsmagneten und sie sind gemeinnützige Einrichtungen“ heißt es in der 1998 vom – ebenfalls weggekürzten – Deutschen Bibliotheksinstitut herausgegebenen Broschüre zum „Beitrag der Öffentlichen Bibliothek zur Stadtentwicklung“ (PDF.download).
Es scheint fast so, als liefere die Bibliothek in diesem Fall weniger einen Beitrag, sondern mehr ein Spiegelbild zur – der „Schrumpfenden Stadt“ entsprechenden – Stadtentwicklung, denn von einem Publikumsmagneten kann man wohl in diesem Fall nicht reden und die „Gemeinnützigkeit“ beschränkt sich auf eine überschaubare Gruppe der städtischen Gemeinschaft. Wie ist dieser Einbruch beim Interesse der Stadtgemeinschaft – d.h. einerseits derer, die die Stadtentwicklung steuern und meinen, dabei auf eine Bibliothek verzichten zu können und andererseits der Stadtbevölkerung, die offensichtlich meint, ihr Leben auch ohne Bibliothek führen zu können – zu erklären?
Koppelt man zu den in der Programmschrift Bibliotheken ’93 aufgeführten, in Hinblick auf die Herausbildung der viel beschworenen „Wissensgesellschaft“ durchaus einleuchtenden, Aufgaben der Öffentlichen Bibliotheken zurück, die diese in einem Spektrum vom „bürgerlichen Engagement“ über alle denkbaren Formen der Unterstützung von Aus-, Fort- und Weiterbildung hin zur „Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen durch Information und Kommunikation“ formuliert, so verwundert schon, dass städtische Gemeinschaften hierfür – etwas polemisch gesagt – anscheinend entweder passende Ersatzinstitutionen gefunden haben oder einfach mit einer so aufgeklärten und selbstaktiven Einwohnerschaft gesegnet sind, dass sie darauf getrost verzichten können.
Ist dieses Phänomen nur ein Einzelfall, der sich zudem auf die ostdeutschen Nicht-Wachstumskerne bezieht bzw. auf Gemeinden, die mit der allgemein eingeforderten Haushaltskonsolidierung einfach überfordert sind und zu Verzweiflungstaten wie dem Einstellen von Dienstleistungen für die Bürger neigen? Oder verstehen es Öffentliche Bibliotheken schlicht nicht, ausreichend ihre Bedeutung und ihre Möglichkeiten für die Bürger gerade vor dem Hintergrund der Betonung der „Eigenverantwortung“, die auch die Verantwortung für das eigene bildungsbezogene „am Ball bleiben“ in der Wissensgesellschaft mit einschließt, zu vermitteln?
Braucht die Stadt des 21. Jahrhunderts mit ihren virtuell global kommunikationsvernetzten Einwohnern überhaupt noch Bibliotheken für die Informationsversorgung und –vermittlung? Vermitteln die Öffentlichen Bibliotheken noch genügend Information oder überbewerten sie im Aufgabenspektrum des 93er Bibliotheksprogramms den Einzelaspekt „Hobby und Freizeit“ zu sehr und begeben sich dabei in einen Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, den sie eigentlich nicht gewinnen können?
Verglichen mit dem Straßenbau, bei dem eine Straße ein Gebiet mit einem anderen Gebiet und somit stärkere Siedlungsstrukturen mit schwächeren verbinden kann, kann man die Bibliothek als einen Knotenpunkt in der informationellen Infrastruktur sehen. Aber im Gegensatz zu einer vernachlässigten oder verschwundenen Straße merkt man die Folgen einer verschwundenen Bibliothek selten unmittelbar.
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Die nächste Ausgabe von LIBREAS wird sich mit der Fragestellung, welche Rolle Bibliotheken innerhalb einer Stadtgesellschaft übernehmen können und sollten und welche Herausforderungen dabei auf sie zukommen, befassen.
Dabei interessieren uns neben Problemlagen wie der geschilderten besonders auch
– Erfolgsmodelle,
– Best-Practice-Erfahrungen und
– gelingende (und die Ursachen für misslingende) Wechselwirkungen zwischen Bibliothek und Stadtgesellschaft.
Neben konkreten Erfahrungen interessieren uns
– Betrachtungen der Bibliothek als soziale Institution und
– ihre Korrelation mit der Öffentlichkeit, der städtischen Öffentlichkeit
und schließlich
– die architektonische Einbettung der Bibliothek in das Stadtbild.
Erwünscht ist wieder die gesamte Vielfalt darstellbarer Ausdrucksformen, vom Erfahrungsbericht über Meinungen, Ideenskizzen und Essays bis hin zu Fotostrecken oder anderen kreativen Auseinandersetzungen mit der Thematik.
Redaktionsschluss ist der 22. März 2007 (sh. oben)
Treten Sie mit der Redaktion in Kontakt: libreas@treepolar.de.
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