LIBREAS.Library Ideas

Warum LIS-Zeitschriften. Und warum nicht.

Posted in LIBREAS aktuell by Ben on 5. Februar 2013

Eine Position von Ben Kaden

In Anlehnung an Friedrich Kuhnens Beitrag Der neue Bibliotheksdienst – Hausblatt von De Gruyter? in der Inetbib-Liste erinnert Klaus Graf bei Archivalia ziemlich berechtigt an den großen Sturm im Fachdiskurs des zurückliegenden Jahres:

„2012 wurde aus Anlass der Ankündigung, dass der BD [Bibliotheksdienst] zu de Gruyter geht und sich das OA-Embargo verlängert, zunächst heftig und intensiv über eine Open-Access-Zeitschrift des Bibliothekswesens diskutiert: Arbeitstitel Newlis. […] Rainer Kuhlen hatte im Herbst 2012 parallel ein Treffen zur Gründung eines hochrangigen englischsprachigen Fachjournals veranstaltet.

Was ist aus alldem geworden?“

Nun offensichtlich nicht viel Greifbares. Dennoch war die Debatte nicht vergebens. Denn sie zeigte, dass es durchaus gelingen kann, einen regen Fachdiskurs anzustoßen, wenn das Thema genügend zündet. Sie zeigt zudem in der längeren Perspektive, dass es derzeit offensichtlich weder im deutschen Bibliothekswesen noch in der deutschen Bibliotheks- und Informationswissenschaft möglich ist, Bedarf, Kompetenz und Ressourcen, die zum Betrieb einer Open-Access-Publikation, wie wir sie uns mutmaßlich alle wünschen, notwendig sind, zu bündeln. Eventuell sollte man sich vorerst mit diesem Gedanken anfreunden. Möglicherweise passt aber auch einfach das Konzept der Zeitschrift nicht mehr so recht in die Zeit.

Johan Schloemann schrieb gestern in der Süddeutschen Zeitung im Nachgang zur Münchner RKB-Tagung:

“Die Art und Weise des Zugriffs kann das Denken verändern […] Inhalte und Assoziationen gehen andere Verbindungen ein, die Gliederung von Online-Ressourcen greift in die Ordnung des Wissens ein, Archiv und Bibliothek wandeln sich in ihrem Wesen.”

In der Tat. Ich lese beispielsweise keine Zeitschriften (direkt), sondern hauptsächlich per RSS-vermittelte Beiträge. Diese beziehe ich auf Themen und Interessen orientiert, wobei die Quelle selbst erst im zweiten Schritt (der kritischen und kontextualisierenden Lektüre) einen Stellenwert erhält. Es gibt nicht DEN einen Titel, der für meine auch fachliche Interessenlage einschlägig ist. Vom Believer über den Bibliotheksdienst bis zu BILD-online kommt alles als Quelle in Frage, wenn mich interessiert wie Bibliotheken, Medienentwicklung und Gesellschaft miteinander in Wechselwirkung stehen.

Meine Rezeption setzt also auf einen sehr heterogenen Quellenverbund aus Blogs, Streams, Zeitungen und auch Zeitschriften. Aus dieser Vielfalt synthetisiert sich dann mittels kritischer Einordnung mein Orientierungswissen in den für mich interessanten Themenfeldern (also in gewisser Weise mein spezifischer Worldstream). Ab und an schreibe ich das dann wieder in Blogs, Zeitschriften oder Sammelbänden nieder. Mit meinem Wissenschaftsverständnis, bei dem es vor allem um Beobachtung, Synopse und Kritik geht und bei dem Statistiken und andere Evidenzmessungen Stützmaterial aber eben nicht Zweck der Erkenntnisfindung sind, harmoniert diese Praxis ganz gut.

Betreibt man in unserem Fach nun selbst eine Zeitschrift, kennt man das massive Problem, dass Produktionsaufwand und Wirkung selten in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Es gibt durchaus Gründe, weshalb die Inetbib-Liste und ein paar Weblogs die Fachdiskurse weitaus lebendiger abbilden, als der Bibliotheksdienst, die IWP und sicher ebenfalls die Zeitschrift LIBREAS. Beispielsweise die niedrigen Schwellen und der geringe Aufwand der Teilhabe.

Dies führt dazu, dass bestimmte synoptische Beiträge in Weblogs weitaus häufiger und mit deutlich größerer Wirkung zur Kenntnis genommen werden, als eventuelle Zeitschriftenaufsätze, auf die darin Bezug genommen wird – mit allen Vor- und Nachteilen dieser Praxis. Daher ist der von Walther Umstätter regelmäßig forcierte Bezug zu den Referateblättern, „die einst die deutsche Wissenschaft stark machten“ (vgl. hier) außerordentlich zeitgemäß, selbst wenn mittlerweile das erhabene Ziel einer starken deutschen Wissenschaft vielleicht als Anspruch hinter dem grundsätzlichen Bedürfnis, sich generell aktiv und patent in der eigenen fachlichen Umwelt bewegen zu können, zurücktritt.

Das Post Peer Reviewing ist dabei nichts anderes als die kritische und fortschreibende Auseinandersetzung mit den Gedanken anderer zum eigenen Gegenstand. Also eigentlich: Diskurs. Ich denke, dass dies dem Charakter dieses eigenartigen Hybriden aus wissenschaftlichem Anspruch und außerordentlich ausgeprägter praktischer Bewährungspflicht, aus dem sich die Bibliotheks- und Informationswissenschaft und damit auch die Fachblätter konstruieren, weitaus gerechter ist, als eine bemühten Szientifizierung.

Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist keine harte Wissenschaft und benötigt daher nicht zwingend PLOS-artige Publikationsformate. Und dort, wo Konstruktion und mühselige Etablierungsversuche solch hochgesteckter Angebote die intelligentesten Köpfe der Community in organisatorischen Aufwand binden, sind sie sogar unbedingt verzichtbar. Die Zahl derer, die in unserem Fach tatsächlich unter wissenschaftlichen Bedingungen arbeiten und publizieren ist in Deutschland sehr überschaubar. Für alle anderen wäre eine strenge, Peer-Review-basierte wissenschaftliche Open-Access-Zeitschrift eine Hürde, die sie weder nehmen könnten noch wollten. Was also bestenfalls entstünde, wäre ein kleiner bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Binnendiskurs einer kleinen Gemeinschaft, die sich zudem, wie eine aktuelle Untersuchung nahelegt, selbst regelmäßig verfehlt. Dafür ist das Fach schon jetzt mit einer genügenden Menge an Plattformen versorgt.

Zweckmäßiger als eine neue Open-Access-Zeitschrift einzufordern wäre aus meiner Sicht tatsächlich die Fokussierung auf alternative, niedrigschwellige Kommunikationskanäle und die Frage, wie sich ein Qualität sicherndes Post Peer Reviewing darin umsetzen läßt. Sicher lassen sich diverse Erfahrungen mit der Medienform Zeitschrift fruchtbar einbinden. Sicher ist es auch sinnvoll, das Konzept der Zeitschrift dort, wo es passt, weiter zu verfolgen. Ich glaube jedoch, dass es in unserer besonders durchmischten Fachwelt immer weniger funktioniert.

Wenn man das Konzept der Zeitschrift bislang nach wie vor so beharrlich weiterverfolgt, dann vermutlich aus zwei Gründen: a) der Gewöhnung (nach wie vor) und b) weil sich damit, auch beim Open Access-Ansatz, Wissenschaftskommunikation sehr gut in vermarktbare Produkte fassen lässt. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Diskurs nicht in anderer Form ebenso gut und vielleicht sogar ein Stück lebhafter und für die Kommunikationsform passender möglich wäre. Gerade dafür ist die newlis-Debatte kein schlechtes Beispiel.

(05.02.2013)