Welcher Art Wissenschaft soll die (Bibliotheks- und) Informationswissenschaft sein? Ein Workshop-Bericht
Welcher Art Wissenschaft soll die (Bibliotheks- und) Informationswissenschaft(1) sein?
Ein Workshop-Bericht
von Ben Kaden und Karsten Schuldt
„Es gibt keine höhere Instanz als die innerhalb des Diskurses herbeigeführte und insofern rational motivierte Zustimmung der Anderen.“ – Jürgen Habermas: Charles S. Peirce über Kommunikation. In: ders. (1991) Texte und Kontexte. Frankfurt/Main: Suhrkamp. S.24.
„Eine nüchterne, reservierte, leidenschaftslose Wissenschaft wäre kaum zu ertragen. Eine trunkene, aufdringliche, erregte Wissenschaft noch weniger. Mindestens in einem Punkt ist die Wissenschaft jedoch leidenschaftlich […]: Sie erinnert sich fortgesetzt an das Erfordernis der Nüchternheit.“ – Maren Lehmann: Wissenschaft im Rausch. In: dies. (2011) Theorie in Skizzen. Berlin: Merve Verlag. S. 160.
I.
Im März 2012 brandete im LIBREAS-Weblog eine kurze und leidenschaftliche (im Sinne Maren Lehmanns) Debatte zwischen den beiden Autoren dieses Berichtes auf. (2), (3), (4), (5), (6)
Grundsätzlich ging (und geht es weiterhin) um folgende Fragen:
Wie viel oder wie wenig Diskurs findet sich in Metadaten beziehungsweise Netzwerken von Metadaten?
Und was davon kann wie informationswissenschaftlich ausgewertet werden?
Obgleich wir nicht in allen Aspekten dieser Diskussion zu einer Übereinkunft kamen, stellten wir doch zugleich fest, dass wir (a) auf einige ungeklärte Fragen zu Bedeutung, Inhalt und Methoden der Bibliotheks- und Informationswissenschaft gestoßen waren, die wir (b) als höchst diskussionswürdig ansehen. Zudem fiel auf, dass wir (c) bei allen Differenzen durchaus einige Überzeugungen teilen.
(1) Für uns steht fest, dass die Bibliotheks- und Informationswissenschaft eine soziale Wissenschaft darstellt. Es ist also eine Disziplin, die sich mit den sprach- und symbolbasierten Beziehungen, Verhältnissen und Kommunikationen zwischen menschlichen Akteuren befasst. Ob das Fach auch eine Sozialwissenschaft im engeren Sinne sein kann, sollte durchaus Gegenstand einer fortlaufenden Diskussion sein.
(2) Alle Information ist für uns in letzter Konsequenz kontextuell. Information ohne Kontext ist keine solche. Spätestens seit Claude Shannons Informationstheorie ist bekannt, dass eine Information wenigstens einen Sender, einen Kanal und einen Empfänger benötigt – was in gewisser Weise einen abstrakten Mindestkontext definiert. Wir sind uns allerdings uneinig, wie und wann diese Kontextualität in die wissenschaftliche Auseinandersetzung einbezogen werden kann beziehungsweise sollte.
(3) Metadaten, die zu Informationsobjekten gehören beziehungsweise zur Beschreibung von Zusammenhängen von Informationsobjekten dienen (insbesondere wenn diese Teil von Debatten darstellen) sind mit dem gleichen Recht Untersuchungsobjekt der Bibliotheks- und Informationswissenschaft, wie die Wissensobjekte selbst.
(4) Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist als ein Wissenschaftsfeld zu betrachten, welches eine spezifische eigene Geschichte, inklusive gescheiterter Forschungsparadigmata, teils in Schnittmenge zu anderen Disziplinen, aufweist. Die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der Disziplin kann beziehungsweise sollte selbst Teil der Forschungsagenda werden.
(5) Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist vorrangig eine befragende und beschreibende Wissenschaft. Das Paradigma der Praxisforschung scheint uns, zumindest als einseitig in den Mittelpunkt gerückter Zweck, gefährlich (und zugleich als langweilig). Werden die Bedingungen der eigenen Forschung nicht reflektiert, droht die Gefahr der Entwicklung restringierender und also sehr beschränkter Erkenntnisstrukturen, die den Herausforderungen an die Disziplin nicht gerecht werden können. Zudem ist eine primär auf konkrete Produkte und Dienstleistungen gerichtete Forschung als akademische Disziplin nicht haltbar. (more…)
Schulbibliotheken und Informare! 2011. Zwei kurze Hinweise.
Wir mussten gerade zu unserer Überraschung feststellen, dass uns für diese letzte Aprilwoche des Jahres 2011 kein publikationsfertiger Text für das Weblog vorliegt. Die Hauptschuld lässt sich wohl problemlos dem Frühling und dem allgegenwärtigen mehr Floren als Faunen (die Gnitzen kommen schon noch früh genug) zuweisen, das auch die Redaktionsmitglieder über das Osterwochenende auf die Seen, in die Parkanlagen und durch die erblühenden Landschaften trieb und eben nicht an die Tastaturen und Bildschirme. Die Nebenursache findet sich in der einfachen Tatsache, dass wir neben LIBREAS eine ganze Reihe weiterer Äcker bepflügen.
So ist diese Woche zu berichten, dass gerade im Wochenschau-Verlag ein Praxisbuch Schulbibliotheken erschien. Die Autoren sind der LIBREAS-Redakteur Karsten Schuldt sowie die Bibliothekarin und Mitorganisatorin des Berlin-Brandenburger Schulbibliothekstages Sabine Wolf . Beim Verlag gibt es eine Präsentationsseite zum Buch mit Klappentext und Inhaltsverzeichnis. Im Weblog „Bildung als Bildungseinrichtungen“ gibt es einige weitere Informationen. Und bei uns gibt es den Hinweis darauf und ein Bild des Buches vor einer Schule.

Im Augenwinkel - und dann noch im falschen..? Aber immerhin findet sich das Praxisbuch Schulbibliotheken schon im Außenregal einer Neuköllner Bildungseinrichtung. Und sobald die Osterferien vorbei sind, wird man es auch drinnen lesen.
Der zweite Hinweis gilt der nächste Woche im Café Moskau in der Berliner Karl-Marx-Allee stattfindenden Informare!. Im Dienstagsprogramm läuft unter Leitung der Redaktionsmitglieder Maxi Kindling und Ben Kaden sowie Heinz Pampels vom Open-Access-Koordinationsbüro der Helmholtz-Gemeinschaft ein Workshop mit dem Titel „Information und Gesellschaft. Zur politischen Dimension der Informationswissenschaft“ (03.Mai 2011, 15:00-16:30). Dieser wird kooperativ von LIBREAS und dem DGI-Arbeitskreis „Publikationsmodelle und -ökonomien“ durchgeführt.
Zur Annäherung an das Thema und als Vorbereitung des Workshops wurde an 130 ProfessorInnen der Informationswissenschaft im deutschsprachigen Raum folgende These mit der Bitte um eine kurze Stellungnahme verschickt:
Das Information Retrieval- und Dokumenten-Paradigma ist für eine zeitgemäße Informationswissenschaft nicht mehr zureichend.
Digitale Räume sind zunehmend solche der Kommunikation sowohl von Fachöffentlichkeiten wie auch der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit an sich, die zugleich ökonomischen Bedingungen unterliegen.
Die Aufgabe einer zeitgemäßen Informationswissenschaft entspricht der Analyse, Reflektion und Innovation aller Prozesse im Umgang mit Wissen und Information. Dies schließt die Bewertung der Folgen dieser Prozesse und ggfs. die Modellierung von Alternativen ein.
Die gesamtgesellschaftliche Dimension der Digitalisierung von Diskursen aller Art erfordert eine bislang nicht zureichend umgesetzte Verbindung von informationstechnischen, informationssoziologischen, informationsökonomischen und informationsethischen Perspektiven.
Es wird deutlich, dass es sich die Vorlage durch ein gewisses und gewolltes Reibungspotential auszeichnet. Die Antworten bestätigen dies. Eine der Reaktionen ist im Weblog LIS in Potsdam bereits publiziert.
Eine erste Präsentation aller Ergebnisse erfolgt zunächst als Impuls beim Workshop. Die ausführliche Auswertung inklusive der Erkenntnisse aus der Diskussion auf der Informare! folgt an dieser Stelle.
Dass wir uns über reichlich Besuch im Café Moskau freuen müssen wir vermutlich genausowenig betonen, wie, dass die Diskussion naturgemäß ein Dauerthema ist und bleiben wird und Diskussionsbeiträge gern und nicht nur vor Workshops dieser Art willkommen sind. Wer seine Stimme für die Diskussion bei der Informare! berücksichtigt finden möchte, kann übrigens noch bis Montag Abend zur obigen These Position beziehen – entweder hier per Kommentar oder per E-Mail an informationswissenschaft@libreas.eu.
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