Call for Papers: #38 Tiere und Gewächse
Bibliotheken sind weit belebter, als sie sich heute ohnehin schon nach außen darstellen. Manchmal im Mittelpunkt, aber oft praktisch unbeobachtet werden sie nicht nur von Menschen, Medien und Technik bevölkert, sondern auch von Tieren und Pflanzen. Die #38 der LIBREAS. Library Ideas möchte diese Mitbewohner*innen in den Fokus rücken.
Tiere
In einer ganzen Anzahl von Fällen werden Tiere explizit in Bibliotheken eingesetzt. Oft beschrieben findet man Hunde oder andere Tiere, die zur Leseförderung oder aber für den Stressabbau von Studierenden in die Bibliothek geholt werden. Die Nähe von Tieren spüren, Tiere berühren, durch ihre Anwesenheit Ruhe zu erfahren, hilft offenbar vielen Menschen in vielen Situationen. Eine weitere Facette ist eine Exotisierung von tiergetragenen mobilen Bibliothek (per Esel, Pferd oder Kamel) in Zeitungsgeschichten (Rubrik Vermischtes) und Social-Media-Stories.
Zugleich sind Bibliotheken selbst – gewünscht oder ungewünscht – Aufenthaltsraum von Tieren: Vögel, Katzen, Insekten, die sich im Bibliotheksraum einfinden, diesen als Lebensraum nutzen, und dabei teilweise ignoriert, teilweise bekämpft, teilweise gefördert werden. Und schließlich Mäuse und Ratten im Magazin oder Stadttauben auf den Dächern, die zumeist eher nicht erwünscht sind.
Ebenfalls weniger positiv gesehen, aber doch Teil der Bibliotheksarbeit aller Bibliotheken mit Magazin, sind Insekten und noch kleinere Lebewesen, welche sich in und an gedruckten Medien befinden und deren materielle Langzeitverfügbarkeit bedrohen. Es gibt Standardverfahren, mit diesen umzugehen, aber gleichzeitig auch immer wieder Geschichten von großangelegten Einsätzen zur Vernichtung derselben, die nicht nur beim Personal Ängste und Bedenken auslösen. Dafür, dass dies recht häufig passiert, wird es erstaunlich selten in der bibliothekarischen Literatur behandelt.
Am präsentesten sind Tiere freilich als Symbole: Leseratten, Bücherwürmer, Eulen, Füchse, Bibliothekskrokodile, die eine eigene Sonderrolle einnehmen. (Wenig überraschend gibt es auch bei uns in der Redaktion den nie endenden Streit zwischen Team Eule und Team Katze um das repräsentativste Bibliothekstier.) Das Bibliothekskrokodil schnappt dabei konzeptionell über den unmittelbaren Bibliotheksraum hinaus und erinnert an die berühmte Urfrage der Dokumentation: “Was ist ein Dokument?”, die Suzanne Briet in Bezug auf Tiere dahingehend beantwortet hat: Ein Tier in seinem Habitat ist das Tier. Im Zoo wird es zu einem dokumentarischen Bezugsobjekt. Was verdeutlicht, dass auch das Sammeln von Tieren, wie es in den Wunderkammern üblich war und heute oft in entsprechend spezialisierte Institutionen wie naturkundliche Museen verlagert wird, eine genuine Verwandtschaft zum Sammeln von Büchern hat. Tiere also als Zeugnisse, Wissensobjekte. Willkommen in der Faunothek.

Ein durchaus übliches Bild: Eine Katze inmitten von Büchern / Foto: Ben Kaden / Flickr / CC BY-NC 2.0
Blumen und Bäume und andere Pflanzen
Was für Tiere gilt, gilt auch für Pflanzen. Der Büro-Ficus im Verwaltungsbereich ist ohnehin gesetzt. Aber auch in den Nutzungsbereichen werden sie, und zwar nicht erst seit Bibliotheken sich als Dritte Orte verstehen, genutzt, um eine bestimmte Atmosphäre herzustellen. Bilder von Bibliotheken aus den 1970er Jahren zeigen beispielsweise immer wieder Blumen auf den Tresen. Andere Bibliotheken haben schon lange Zen-Gärten angelegt, kleine hängende Gärten als Raumteiler eingesetzt oder Lesecafés im Freien mit Bäumen, Sträuchern und Blumenbeeten ausgestattet. Die BnF hat sich einen kleinen Hain in den Innenhof gepflanzt.
In den letzten Jahren scheint sich das (wieder) zu verstärken: Erst im Anschluss an Urban Gardening und dann auch als eine mögliche Reaktion auf die Klimakatastrophe beschäftigen sich Bibliotheken damit, Gärten anzulegen und zu pflegen. Diese sollen unter anderem einen Lernraum bieten, um Wissen darüber zu verbreiten, wie überhaupt gegärtnert wird. Und auch eine Pflanze wird traditionell gern als Dokument und Sammlungsgegenstand verarbeitet. Man denke an Herbarien oder die berühmten Xylotheken.
Fragen
Die #38 der LIBREAS. Library Ideas sucht nun Texte und andere Beiträge, die sich mit den Pflanzen und Tieren in Bibliotheken beziehungsweise als Bezugsobjekte von Dokumentation und institutionalisierter Sammlungskultur befassen. Viele mögliche Fragen drängen sich auf: Wie gehen Bibliotheken mit anwesenden Tieren um? Werden sie eingesetzt, um bibliothekarische Arbeit zu unterstützen – und wenn ja, wie? Wieder einmal scheint dies ein Thema zu sein, das immer und immer wieder neu entdeckt und beschrieben wird – zum Beispiel alle paar Jahre eine Bachelorarbeit über Bibliothekshunde. Warum ist das so? Warum ist das nicht einfach langsam normaler Teil bibliothekarischer Arbeit?
Oder wozu werden Pflanzen genutzt? Wie? Wer pflegt eigentlich diese Pflanzen und Tiere? Oder werden sie eher als Problem angesehen, nicht nur, aber auch bei der Bestandserhaltung? Und wenn ja, wie wird dagegen vorgegangen? Aber auch Dokumentationen über die Tiere in einer Bibliothek wären interessant. Welche haben sich eine Bibliothek zum Lebensraum erkoren? Welche Tiere werden von Nutzenden in die Bibliothek mitgebracht? Und wie sammelt, erschließt und vermittelt man Tiere und Pflanzen?
Nicht zuletzt sollte natürlich geklärt werden, welches Tier die Bibliothek am Besten oder einfach mit welchen Ausdeutungsmöglichkeiten symbolisiert: Eule oder Katze oder Ratte oder Wurm oder Fuchs oder Krokodil – und was das für Bibliotheken heißt.
Einreichungen
Die Redaktion der LIBREAS. Library Ideas ist offen für direkte Einreichungen, aber auch für die Diskussion von Ideen für Beiträge. Formen und Inhalt sind wenig beschränkt, diese Einschränkungen sind in den Hinweisen für Autor*innen (https://libreas.eu/authorguides/) zu finden.
Deadline ist der 31. August 2020.
Ihre / Eure Redaktion LIBREAS
(Aarhus, Berlin, Chur, Dresden, München)
Call for Paper LIBREAS #25: Bibliothekarin sein – Nutzerin sein. Frauen und Bibliotheken
Einst waren Bibliotheken eine männliche Domäne, heute sind sie eine weibliche. (kontinuierlich festgestellt, siehe zum Beispiel Schiller 1974) Thomas Adametz bezeichnet in seinen 1987 und 1992 publizierten Aufsätzen Bona Peiser als „erste Volksbibliothekarin“. (Adametz 1987; 1992) Für Frauke Mahrt-Thomsen (Mahrt-Thomsen 1995) war Bona Peiser bereits 1995 „Deutschlands erste Bibliothekarin“. Sie unterstrich dies unlängst in der ersten Monografie über Bona Peiser, wobei sie bei der Gelegenheit das „Volk“ im Titel strich. Bona Peiser ist nun „die erste deutsche Bibliothekarin“. (Marth-Thomsen 2013) Was macht den kleinen Unterschied zwischen Volksbibliothekarin und Bibliothekarin aus? Oder stellt sich diese Frage im Nachhinein gar nicht? Spielt es eine Rolle, dass sie eine öffentliche Bücherhalle in Kreuzberg (betrieben von der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur, die sich dafür wiederum von Public Library-Prinzipien aus den USA anregen ließ) leitete und nicht etwa die Büchersammlung eines Wissenschaftskollegs? Beachtet man den historischen Kontext, darf man nicht vergessen, dass es nach Bona Peisers Bibliotheksleitungsposition noch fast 20 Jahre dauern sollte, bis Rahel Hirsch als erste Professorin der Medizin in Deutschland berufen wurde. Bibliothekarinnen waren zu diesem Zeitpunkt schon fast zum Alltag geworden. Die Deutsche Monatsschrift für Russland meldete im Jahr 1912: „Mehr als 400 Frauen sind jetzt in diesem Berufe tätig […].“ (Sprengel 1912, 320)
Bona Peiser wurde am 26. April 1864 in Berlin geboren. Folglich jährt sich ihr Geburtstag 2014 zum 150sten Mal. Für LIBREAS ist dies der Anlass, die Ausgabe #25 den Frauen im Bibliothekswesen zu widmen. Wie haben sie dieses hierzulande geprägt, wie in anderen europäischen beziehungsweise weiteren Ländern? Welche Namen sollten aus welchen Gründen präsent sein, bleiben oder werden? Wer sind die Heldinnen des Bibliothekswesens? Oder benötigen Bibliotheken keine Heldinnen? Wie gestalten Frauen die Gegenwart, wie die Zukunft der Bibliotheken? Warum ist die Bibliothek heute ein weiblicher Ort? Sicherlich gibt es ein Zusammenspiel zwischen Status, Einkommen, Berufsperspektiven und Geschlecht, aber wie genau findet dieses Zusammenspiel im Bibliothekswesen statt? Wird die Bibliothek in Zukunft ein weiblicher Ort bleiben?
Mehrere feministische Texte haben darauf hingewiesen, dass im US-amerikanischen Bibliothekswesen Frauen durch Melvil Dewey als Personal eingeführt wurden, weil er ihnen zuschrieb, genau und sozial arbeiten zu können, dabei aber weniger zu kosten, als Männer. Diese zwiespältige Haltung, welche „weibliche Tugenden“ betonte, Frauen einen Arbeitsmarkt eröffnet, aber gleichzeitig nicht nur kostenbewusst, sondern eben auch sexistisch war (zuerst Vann 1977), finden sich auch in der deutschen Bibliotheksgeschichte.
„Dieses Persönlich-Geistige des bibliothekarischen Berufs zieht die Frauen erfahrungsgemäß stark an, und es ist keine Frage, daß die Frau für dieses Gebiet gute Eigenschaften mitbringt. Ist es ihr nicht von Natur gegeben, auf andere einzugehen, besitzt sie nicht Schmiegsamkeit des Geistes und die Elastizität, die es allein ermöglichen, Menschen mit den verschiedensten geistigen Bedürfnissen zu verstehen? Fühlt sie nicht und sieht, wonach gesucht wird, während der Mann noch des erklärenden Wortes bedarf? Und ist es nicht gerade ihre ‘Liebe zu den Büchern’, die sie in die Bibliothek führt? Das alles ist, obwohl auch hier nicht verallgemeinert werden darf, richtig, und das alles sind wichtige Voraussetzungen für erfolgreiches Wirken.“ (Hoffmann-Bosse 1915, 11)
Im Dokumentarfilm „Geschlecht – (k)eine Frage in Bibliotheken?“ von Danilo Vetter kommt neben Margit Hauser, Elisabeth Wiesbaum und Monika Bargmann auch Helga Lüdtke zu Wort (Vetter 2013). Sie selbst versteht sich primär nicht mehr als Bibliothekarin, „sondern als freiberuflich tätige, an Bibliotheken weiterhin interessierte Frau“. Vetter greift in seinem Film vier Themen auf: Feminisierungen, Feministische Kritik, Gender Mainstreaming und Stereotype und Image. Damit liefert er vier sogenannte Momentaufnahmen, die zu der Selbstreflexion einladen, die wir gern auch in LIBREAS spiegeln möchten.
Und natürlich geht es nicht nur um das Bibliothekspersonal. In vielen Bibliotheken übersteigt die Zahl der Nutzerinnen die der Nutzer. Gerade Öffentliche Bibliotheken erscheinen teilweise als weibliche Domäne. Aber stimmt das? Und wenn ja, was bedeutet das? Ist das gut oder muss das verändert werden?
Schließlich ergibt sich daraus auch die Frage, ob beziehungsweise wie sich das mit Bibliotheken assoziierte feminine Rollenbild auf die Männer auswirkt, die in diesen als Mitarbeiter oder Nutzer aktiv sind. So versucht beispielsweise der Onleihe-Kinospot ausdrücklich das Erwartungsbild zu brechen, in dem es einen betont viril wirkenden Bibliothekar ans Regal stellt, der, ganz rollentypisch, die Nutzerin darüber aufklärt, dass man auch E-Books ausleihen kann. (ekzLibraryServices 2013)
Bespricht man Frauen in Bibliotheken, muss man natürlich auch Geschlechterverhältnisse berücksichtigen. Und schließlich kann man auch danach fragen, weshalb seit Jahrzehnten Frauenbibliotheken bestehen und nach wie vor betrieben werden.
LIBREAS freut sich auf Beiträge, die über den Moment hinausgehen. Auf Beiträge über Frauen von Frauen und/oder Männern, die nicht nur stets wiederkehrende Klischees beinhalten, sondern vor allem die früheren Diskussionen zum Thema, die zum Teil eingeschlafen erscheinen, wieder beleben. Oder die Klischees einfach durchleuchten und bei Bedarf zerpflücken. Formal ist wie immer alles erwünscht und möglich, von der wissenschaftlichen Analyse über das Essay bis hin zu künstlerischen Zugängen. Gerne steht die Redaktion für Diskussionen zu Textideen bereit. Deadline ist der 16.05.2014.
LIBREAS-Redaktion
(Berlin, Bielefeld, Chur, Mannheim, Potsdam)
Literatur:
Adametz, Thomas: Bona Peiser – Berlins erste Volksbibliothekarin. In: Der Bibliothekar 41(1987), S. 111-113.
Adametz, Thomas: Bona Peiser (1864-1929) : Wegbegleiterin der Bücherhallenbewegung und Deutschlands erste Volksbibliothekarin. In: Leidenschaft und Bildung, Berlin 1992, S. 133-141.
ekzLibraryServices: Onleihe – Der Kinospot. http://www.youtube.com/watch?v=G6TOOclDBps [17.11.2013].
Hoffmann-Bosse, Elise: Die Frau im Dienste der volkstümlichen Bibliothek: Eine Auskunft für weitere Kreise über den Beruf der Bibliothekarin an der volkstümlichen Bibliothek (Schriften der Zentralstelle für volkstümliches Büchereiwesen ; 2). Leipzig : Theid. Thomas Verlag, 1915.
Mahrt-Thomsen, Frauke: „Die öffentliche Bücherei muß jederzeit für jedermann unentgeltlich offenstehen“ : Bona Peiser – Deutschlands erste Bibliothekarin. In: BuB 47 (1995) 1, 56-60.
Mahrt-Thomsen, Frauke: Bona Peiser : die erste deutsche Bibliothekarin. Berlin: BibSpider, 2013.
Schiller, Anita R.: Women in Librarianship. In: Advances in Librarianship 4 (1974), 103-147.
Sprengel, Auguste: Die Berliner Ausstellung “Die Frau in Haus und Beruf” und der deutsche Frauenkongreß. In: Deutsche Monatsschrift für Rußland 1 (1912) 4, 307-312 ; 1 (1912) 5, 385-397 ; 1 (1912) 6, 502-512.
Vann, Sarah K.: Melvil Dewey: His Enduring Presence in Librarianship (The Heritage of librarianship series ; 4). Littleton, Co : Libraries unlimited, 1977.
Vetter, Danilo: Geschlecht – (k)eine Frage in Bibliotheken? http://www.youtube.com/watch?v=uWR-YQz2Pp8 [08.03.2013].
Update: Auf Hinweis der Autorin haben wir die Schreibweise und Literaturangabe zu den Texten von Frauke Marth-Thomsen angepasst.
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