LIBREAS.Library Ideas

„Open Research Data – Open your data for research”. Notizen zur Netzwerkveranstaltung von Open-Access-Büro Berlin und digiS am 21.10.2019

Posted in Veranstaltungsberichte by maxiki on 31. Januar 2020

von Ben Kaden (@bkaden) & Maxi Kindling (@maxi_ki)

Die Netzwerkveranstaltung “Open Research Data – Open your data for research” wurde im Rahmen der International Open Access Week 2019 gemeinsam von Open-Access-Büro Berlin und digiS im Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet. Sie war mit etwa 45 Teilnehmenden sehr gut besucht. Ziel der Veranstaltung war es, regionale und lokale Aktivitäten und Projekte in Berlin und Brandenburg mittels einer Posterpräsentation und durch Impuls-Beiträge sichtbar zu machen und die Akteure in einen Dialog zu bringen. Die Vernetzungsveranstaltung diente als Auftakt für eine Verstärkung der Aktivitäten des Berliner Open-Access-Büros im Themenfeld Forschungsdaten und damit einhergehend auch Kulturdaten. In der 2015 verabschiedeten Open-Access-Strategie für Berlin gehören Forschungsdaten und Kulturdaten neben wissenschaftlichen Textpublikationen zu den drei Schwerpunktthemen.

Forschungsdaten können prinzipiell alle Daten sein, die durch wissenschaftliche Tätigkeiten entstehen bzw. die für die wissenschaftliche Tätigkeit genutzt werden, so dass auch Kultur- und Verwaltungsdaten in den Call for Posters für die Veranstaltung eingeschlossen wurden:

“Es kann sich hierbei um Daten handeln, die im Forschungskontext entstanden sind, um Kulturdaten oder um Daten der öffentlichen Verwaltung, die für die Forschung von Interesse sein können. Die Datensammlungen sollten nach Möglichkeit alle Kriterien der Offenheit erfüllen: Finanziell, technisch und rechtlich uneingeschränkter Zugang sowie weitreichende Nutzungsmöglichkeiten.”

Eine erfreuliche thematische Breite von Aktivitäten und Projekten zu Forschungsdaten in Berlin und Brandenburg zeigte sich in der Sammlung von 15 Postern, die sowohl im Grimm-Zentrum präsentiert wurde als auch auf Zenodo veröffentlicht ist: Das Spektrum reicht vom “Berlin Open Data Portal” über offene Kulturdaten aus Brandenburger Museen bis hin zu Video- und Bilddaten aus wissenschaftlichen Projekten und Digitalisierungsmaßnahmen. Alle Poster der Sammlung „Open Research Data in Berlin und Brandenburg 2019“ können über Zenodo abgerufen werden.

Forschungsdaten sind traditionell nur begrenzt Teil des Publikationsoutputs in der Wissenschaft und als solche zudem in den Wissenschaftsdisziplinen und -feldern unterschiedlich weit verbreitet. Bereits die Datenveröffentlichung an sich ist oft eine Herausforderung für Forschende: Hier spielen datenschutzrechtliche oder ethische Bedenken ebenso eine Rolle wie fehlende Infrastrukturlösungen für eine adäquate Verbreitung oder die hohe technische Komplexität der Daten, die eine Beschreibung und Nachnutzung erschwert. Auch aus administrativer Sicht stellt die Frage “Wem gehören eigentlich die Daten?” Forschende vor Schwierigkeiten. Hinzu kommt, dass wir längst nicht mehr nur über die einfache Bereitstellung reden, sondern über verbindliche Qualitätsstandards sowie die Nachnutzbarkeit nach den Prinzipien der Offenheit und der FAIR-Prinzipien. Nicht zuletzt hängen Datenveröffentlichungen aber auch mit individuellen Motivationen und Bedenken sowie möglichen Anreizsystemen zusammen. Zugleich ist jedoch eine erhebliche Dynamik in diesem Bereich insbesondere auf der Nachfrageseite und damit auch eine Bedeutungsänderung für Forschungsdatenpublikationen in der Wahrnehmung wissenschaftlicher Tätigkeit festzustellen, wobei auch dies disziplinär sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. “Anreize” (Incentives), die über die Vorgaben von Wissenschaftspolitik, Forschungsförderern und Institutionen zur Datenveröffentlichung hinausgehen, wurden im Rahmen der Netzwerkveranstaltung als zentrales Thema für Open Research Data adressiert. Neben einem Warm-Up, zu dem die Teilnehmenden sich untereinander über die Bedeutung von verschiedenen Anreizen für das Teilen von (Forschungs-)Daten austauschten, gab es vier Impuls-Beiträge.

 

Open Data LOM (Dr. Evgeny Bobrov, Open Data and Research Data Management Officer am QUEST Center des Berlin Institute of Health)

Evgeny Bobrov vom QUEST Center des Berlin Institute of Health präsentierte den neuen und wegweisenden Ansatz Open Data LOM für Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC). Dahinter steht das Setzen eines Anreizes für die offene Publikation von Originaldaten über die interne sogenannte “Leistungsorientierte Mittelvergabe” (LOM). Die Charité führt damit als erste medizinische Fakultät Open Data als Leistungsindikator ein. Offene Datenpublikationen, die in Zeitschriftenartikeln von AutorInnen der beiden Einrichtungen aus den Jahren 2017-2019 verknüpft sind, werden mit Zusatzmitteln belohnt. Ermittelt werden diese Publikationen mit Hilfe eines Text-Mining-Verfahrens, das zur Nachnutzung bereitgestellt wurde. Es setzt also die technische Auffindbarkeit der Daten voraus, d.h. die Textveröffentlichungen müssen um ein maschinenlesbares Supplement angereichert sein. Die Open Data LOM wird auch auf einem der Poster beschrieben. Die etwa 50 AutorInnen von knapp 100 aufgefundenen referenzierten Originaldatensätzen erhielten in dieser Phase des Vorhabens jeweils rund 1000 Euro. Neben den technischen Voraussetzungen ergeben sich für das Verfahren weitere Herausforderungen wie u. a. die Definition von Mindestkriterien, die eine Forschungsdatenbereitstellung erfüllen muss, damit entsprechend Zusatzmittel zuerkannt werden. Die Abwägung, wie frei, offen oder FAIR ein Datensatz für wen bereitgestellt werden sollte, fällt auch deshalb schwer, weil besonders im medizinischen Bereich bereits aus rechtlichen (vor allem datenschutzrechtlichen) Gründen Forschungsdaten nicht breit publiziert werden können. Daher wird als Ausgleich das Data Sharing unter Peers als Option berücksichtigt. Generell wünscht man sich aber, die Vorgaben der FAIR-Prinzipien so umfassend wie eben möglich einhalten zu können.

Policies als Anreize? (Boris Jacob, Zentrum für Informationstechnologie und Medienmanagement, Universität Potsdam)

Boris Jacob vom Zentrum für Informationstechnologie und Medienmanagement (ZIM) der Universität Potsdam betrachtete in seinem Impuls-Beitrag die Rolle von Datenpolicies. Er betonte, dass Policies allein als Anreize nicht ausreichen. Sie setzen eher einen allgemeinen Rahmen als wirkliche Anreize. Wichtiger für die Motivation zum verstärkten offenen Publizieren von Forschungsdaten wäre eine Veränderung des Publikationsverhaltens bzw. der institutionellen Publikationskultur, wofür konkrete Steuerungsschritte und eine wirksame Strategie der jeweiligen Einrichtungen vorliegen müssen. Die Universität Potsdam hat im Rahmen des Projekts FD-Mentor ein Referenzmodell für Strategieprozesse im institutionellen Forschungsdatenmanagement entwickelt. Die Forschungsdaten-Policy der Universität Potsdam wurde im September 2019 frisch verabschiedet.

Öffnung von Kulturdaten (Philippe Genêt, Projektleitung Coding da Vinci)

Philippe Genêt von der Geschäftsstelle von Coding Da Vinci betrachtete Daten aus der Perspektive des Zugangs zu Kulturdaten. Openness meint für ihn Zugang zu diesen, um damit auch außerhalb konkreter wissenschaftlicher Arbeit eine Aktivierung, Nutzung und Mehrwerte zu erzeugen. Wichtig ist dabei – ähnlich wie in der Wissenschaft, aber doch aufgrund der Reichweite und Zielstellung des Ansatzes anders gelagert – die Datenqualität. Damit ist vermutlich auch ein allgemeingültiger Aspekt benannt: Offene Daten, die nutzbar sein sollen, benötigen notwendig eine Standardisierung und damit in Zusammenhang stehend eine Qualitätssicherung. Die entsprechende Aufbereitung und Qualitätssicherung bringt den datenliefernden Akteuren allerdings zunächst vor allem eines: viel Arbeit. Zugleich befürchten sie – abnehmend, aber nach wie vor ausgeprägt – mit der Öffnung ihrer Datenbestände einen Kontroll- und möglicherweise auch Deutungsverlust. Die Zurückhaltung auf diesem Feld bei der Bereitstellung offener Daten erklärt sich demnach aus der Sorge, die eigene Rolle und vielleicht auch Legitimierung der institutionellen Existenz zu schwächen und zugleich zusätzlich erheblich Aufwand investieren zu müssen. Gemeingutdiskurse haben dafür eine Antwort: Die abstrakte Gefahr beispielsweise einer ungewünschten Nutzung eines Datensatzes wird durch die tatsächliche Möglichkeit einer Vielzahl von neuen, konstruktiven, kreativen, die Kultur bereichernden Nutzungen maßgeblich aufgefangen. Die Herausforderung besteht jedoch darin, diese An- und Einsicht in eine institutionell wirksame und rechtssichere Form zu übersetzen.

Datenpublikationen aus der Perspektive des Vorhabens NFDI4Culture (Prof. Dr. Dörte Schmidt, Professorin für Musikwissenschaft, Universität der Künste Berlin)

Möglicherweise relativieren sich solche Ängste durch eine stärkere Vernetzung und neue Formen der Kooperation, aus denen sich auch neue Rollenbilder und Aufgabenprofile ergeben. Die Konsortien der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) können eine solche Entwicklung darstellen und abbilden. Dörte Schmidt, Professorin für Musikwissenschaft der Universität der Künste, präsentierte in diesem Zusammenhang Überlegungen aus dem beantragten NFDI-Konsortium NFDI4Culture. Sie plädiert nachdrücklich für eine überinstitutionelle Adressierung der Herausforderungen, zu denen freilich eine traditionell eher selbstbezogene Herangehensweise der Kulturinstitutionen auch an ihre Bestände zu überwinden wäre. Wichtig ist heute und auch für das Gelingen von Ansätzen wie der NFDI eine stärkere Orientierung auf die Vermittlung, die über reine Digitalisierungsschritte und eine Leseansicht für Digitalisate hinausreicht.

Lessons learned

In Gesprächen und Diskussionen im Kontext der Veranstaltung wurde deutlich, dass die gemeinsame Betrachtung von Kultur- und Verwaltungsdaten unter dem Begriff Forschungsdaten nicht immer selbstverständlich ist. Begriffliche Auseinandersetzungen sind demzufolge weiterhin ein wichtiger Aspekt für zukünftige Aktivitäten – gerade wenn es um die Vernetzung von Akteuren aus unterschiedlichen Domänen geht. Aus Perspektive der Öffnung von Daten mag man für eine diskursive Abgrenzung der drei Kategorien

  • Daten, die im Zuge wissenschaftlicher Vorhaben entstehen (in der Regel als “Forschungsdaten” bezeichnet),
  • Kulturdaten und
  • Verwaltungsdaten

unterscheiden. Mit Blick auf die Datennutzung war eine wichtige Botschaft dieser Veranstaltung, dass es nicht sinnvoll ist, Daten domänenspezifisch einzuhegen. Forschungsdaten sind per se gewissermaßen so neutral, dass sie aus unterschiedlichen Perspektiven und auch in heute noch unbekannten Nutzungskontexten für die Forschung relevant werden können. Gleichwohl sind die Entstehungsprozesse und damit eng verbunden die Maßnahmen zu ihrer Kuratierung in den Domänen sehr unterschiedlich und haben entsprechend Auswirkungen auf die Möglichkeiten ihrer Veröffentlichung.

Eine vierte Kategorie wäre mit den Industrie- bzw. Wirtschaftsdaten zu ergänzen, dürfte aber auf absehbare Zeit für eine offene Bereitstellung kaum eine Rolle spielen. Zugleich können jedoch Akteure der Wirtschaft (Stichworte: App-Entwicklung, Start-Ups) von offenen Daten aus anderen Domänen profitieren. Das Ideal der Nutzbarkeit und Nutzung offener Daten aller Domänen durch Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft ist tief in der Vision von Open Science verankert.

Die entscheidende Hürde ist und bleibt auch perspektivisch über alle Domänen hinweg das juristische Management von Forschungsdaten und Forschungsdatenpublikationen. Ein Rechtemanagement kann zwangsläufig nur vor dem Hintergrund aktueller Rechtslagen gestaltet werden. Diese ändern sich jedoch in der Zeit. Für die Langzeitverfügbarhaltung von Forschungsdaten – ebenso vermutlich auch für andere digitale Publikationsinhalte – sind Workflows und Lösungen zu entwickeln, die die Vereinbarkeit der Publikationen mit den jeweils geltenden Rechtslagen absichern. Eine standardisierte Lösung kann es nur temporär geben, weshalb Dörte Schmidt nachdrücklich für ein “flexibles Rechtemanagement” warb, das auch im Konsortium NFDI4Culture so berücksichtigt werden soll.

Für die Weiterentwicklung der Berliner Open-Access-Aktivitäten in Richtung Open Science sind viele Faktoren von Bedeutung, die sich im Rahmen der Vernetzungsveranstaltung zeigten: Ein Kulturwandel im Bereich der Forschungsdatenpublikation kann nur dann gelingen, wenn sich möglichst viele Forschende, Kulturtreibende und OA-Aktivist*innen der Verwaltung und Infrastruktur angesprochen fühlen, indem sie den Nutzen für die Gemeinschaft und das eigene Arbeiten erkennen. Anreize können hier wichtige Impulse setzen – die Etablierung von Anreizen und Reputationsmechanismen steht hier aber erst am Anfang. Verschiedene Ansätze müssen erprobt und vor allem sichtbar gemacht werden, so dass ihre Übertragbarkeit geprüft werden kann. Darüber hinaus werden Unterstützung in rechtlichen Fragen und möglichst umfassende und in den Forschungsprozess integrierte infrastrukturelle Services zur Veröffentlichung nach dem viel zitierten Ansatz: “Soviel wie möglich, so eingeschränkt wie nötig” benötigt, die die Datenprovinienzen und die Datenkulturen der Domänen und Disziplinen berücksichtigen. Der Austausch und die Vernetzung über Domänen und Disziplinen hinweg kann hier wechselseitig wichtige Anstöße und Ideen liefern.

Quellen

Senat von Berlin (2015): Open-Access-Strategie für Berlin. DOI: http://dx.doi.org/10.17169/refubium-26319

„Open Research Data in Berlin und Brandenburg 2019“. Poster Collection. https://zenodo.org/communities/oa-berlin-brandenburg-2019/

Hartmann, Niklas; Jacob, Boris & Weiß, Nadin (2019): RISE-DE – Referenzmodell für Strategieprozesse im institutionellen Forschungsdatenmanagement (Version 0.9). Zenodo. http://doi.org/10.5281/zenodo.2549343

Kip, Miriam; Bobrov, Evgeny; Riedel, Nico; Scheithauer, Heike; Gazlig, Thomas; Dirnagl, Ulrich (2019): Einführung von Open Data als zusätzlicher Indikator für die Leistungsorientierte Mittelvergabe (LOM) Forschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. https://doi.org/10.5281/zenodo.3511191

Universität Potsdam: Forschungsdaten-Policy der Universität Potsdam. 25.09.2019. URL: https://www.uni-potsdam.de/de/forschungsdaten/richtlinien/universitaet/policy.html

Wilkinson et al. (2016): The FAIR Guiding Principles for scientific data management and stewardship. In: Scientific Data 3 (2016). http://www.doi.org/10.1038/sdata.2016.18

 

 

 

Stipendium des LIBREAS-Vereins, Ausschreibung 2020

Posted in LIBREAS.Verein by Karsten Schuldt on 16. Dezember 2019

Um das Ziel des LIBREAS-Vereins zu unterstützen, die Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation, schreiben wir im Jahr 2020 ein offenes Stipendium aus. Angesprochen fühlen sollen sich alle Auszubildenden und Studierenden in bibliothekarischen und verwandten Fachgebieten sowie Kolleg*innen in Bibliotheken und bibliothekarischen Infrastruktureinrichtungen im gesamten DACH-Raum.

Die Höhe des Stipendiums beträgt 200 Euro, die verwendet werden können, um den Besuch einer fachlich relevanten Veranstaltung (Konferenz, Tagung etc.) zu ermöglichen (Fahrt, Unterkunft, Gebühren etc.), um eine Fortbildung zu besuchen oder anderweitig im Rahmen von Bibliotheken und Informationseinrichtungen u.ä. Wissen zu erwerben, zu generieren oder zu verbreiten. Das Stipendium soll im Jahr 2020 verwendet werden. Es soll im Idealfall einer Person zugute kommen, die sich ohne dieses die gewählte Aktivität nicht leisten könnte.

Das Bewerbungsverfahren ist offen für alle Personen, die im Bereich von Bibliotheken, Informationseinrichtungen und den betreffenden Wissenschaften tätig sind. Es ist ein kurzes Bewerbungsschreiben an den LIBREAS. Verein zu richten. Dieses soll enthalten: 

  • Eine kurze Vorstellung der*s Bewerber*in.
  • Für welche Aktivität um das Stipendium angefragt wird und warum genau für diese.
  • Die Motivation der*s Bewerber*in.

Die oder der Stipendiat*in verpflichtet sich zu Folgendem:

  • Einen Text, mit welchem sie oder er sich kurz im LIBREAS. Blog vorstellt. (Gerne auch der betreffende Teil aus dem Bewerbungsschreiben.)
  • Einen deutschsprachigen Beitrag für die folgende Ausgabe der LIBREAS. Library Ideas, welcher sich auf die unterstützte Aktivität bezieht, z.B. einen Tagungsbericht oder die Darstellung eines Themas, welche in der Weiterbildung behandelt wurde. Die Redaktion der LIBREAS steht gerne bereit, die Arbeit an diesem Beitrag mit Rat und Motivation zu unterstützen.

Die Bewerbung sollte bis zum 28. Februar 2020 per Mail an den Vereinsvorstand geschickt werden (mail@libreas-verein.eu). Die Auswahl der oder des Stipendiat*in findet anschließend zeitnah durch den Vereinsvorstand statt.

Vorstand des LIBREAS-Vereins, 16.12.2019

 

PS.: Das Stipendium wird hauptsächlich aus den regelmäßigen Beiträgen der Mitglieder des LIBREAS. Vereins getragen. (http://www.libreas-verein.eu/mitgliedschaftsantrag/) 2018 und 2019 wurde jeweils schon ein Stipendium vergeben.

Tagged with: ,

CfP #37: Forschung und Öffentliche Bibliothek

Posted in LIBREAS Call for Papers by Karsten Schuldt on 6. November 2019

Öffentliche Bibliotheken sind quicklebendig und in der Öffentlichkeit sehr präsent: über ihre hohe Nutzung, Neubauten, Förderprogramme, Selbstdarstellungen und sogar in Koalitionsverträgen. Berechtigt fordern BibliothekarInnen, dass auch Lehre und Forschung in Universität und Fachhochschulen Themen stärker berücksichtigen, die für Öffentliche Bibliotheken relevant sind. Wobei bei genauerer Betrachtung auffällt: Von einem Mehr an Forschung spricht man bisher weniger. 

Diese Ausgabe von LIBREAS. Library Ideas möchte ihren Anteil leisten, an dieser Stelle für mehr Sichtbarkeit zu sorgen. Dass der Anstoß dazu aus der Bibliotheks- und Informationswissenschaft, also der Domäne der Forschung, kommt, ist Teil des Themas. Wir wollen wissen, woran es liegt, dass Forschung und Praxis so wenig zueinanderfinden. Oder finden sie doch öfter zusammen, als wir es wahrnehmen? Dann wollen wir ergründen, wie, durch wen, wo und warum offenbar so unauffällig.

Wir wollen das Thema über zwei Fragestellungen reflektieren:

  • Erstens über die Frage, wo, durch wen, wie und worüber Forschung für Öffentliche Bibliotheken stattfindet oder stattfinden soll?

  • Zweitens über die Frage, ob und wie Bibliotheken, also die Praxis, Forschungsergebnisse nutzen (können)?

Wir denken, dass ein erfolgreicher Austausch zwischen Bibliothekswissenschaft und Bibliothekspraxis allen Seiten hilft, relevanter, effektiver, stabiler zu werden. Das kann nur gelingen, wenn darüber offensiv und im offenen Dialog geredet und nachgedacht wird. 

In diesem Sinne suchen wir Beiträge für die Libreas Ausgabe #37, die Forschung für, zu, mit und über Fragestellungen aus den Öffentlichen Bibliotheken behandeln:

  1.   Beiträge zu einem aktuellen Forschungsprogramm für und zu Öffentliche(n) Bibliotheken:
    • Beiträge zu Forschungsprojekten, die beispielhaft neue Richtungen – inhaltlich oder methodisch – der Forschung für Öffentliche Bibliotheken demonstrieren (ÖB als Gegenstand empirischer oder sonstiger Forschung)
    • Beiträge, die die Öffentliche Bibliothek an übergeordnete sozial-, bildungs-, kultur- medien- oder kommunikationswissenschaftliche Theorien anbinden, oder die Bibliotheks-Phänomene mit diesen Theorien erklären (Öffentliche Bibliotheken als Gegenstand von Theoriebildung und Modellierung)
    • Beiträge zur Frage ob und wie sich heute Forschung für Öffentliche Bibliotheken noch von Forschung zu anderen Bibliothekstypen oder Informationsverhalten abgrenzen lässt
    • Beiträge zur Forschung über Bibliotheken sowie bibliotheksrelevante Forschung anderer Disziplinen als der Bibliothekswissenschaft (zum Beispiel in der Leseforschung)
    • Beiträge, die thematisieren, ob und wenn ja wie Bibliotheken selber forschend vorgehen oder vorgehen können.

 

  1.   Beiträge, die das Verhältnis von Öffentlicher Bibliothek und Forschung untersuchen, z. B.
    • Beiträge, die das Verhältnis des Berufsstands in Öffentlichen Bibliotheken zur Wissenschaft, und umgekehrt das Verhältnis der Bibliotheks- und InformationswissenschaftlerInnen zur Öffentlichen Bibliothek systematisch untersuchen. (Professionssoziologie der Öffentlichen Bibliothek und Wissenschaftssoziologie der Bibliotheks- und Informationswissenschaft)
    • Beiträge, die die real existierende Wissenschaft von der Öffentlichen Bibliothek in Deutschland in den Blick nehmen: Wie sieht die Forschung zu ÖBs heute aus, von der Bachelorarbeit über Forschungsprojekte aus der Berufspraxis bis zur Dissertation? Welche Schwerpunkte zeichnen sich ab, was fehlt?
    • Beiträge zum Thema „Was ist eigentlich Forschung und wo findet sie statt?“ oder: „Können MitarbeiterInnen an kleinen und mittleren ÖBs selbst forschen?” Hier bietet sich an, auch im DACH-Raum die Evidence Based Library and Information Practice zu thematisieren und zu überprüfen, ob diese einen Ansatz bieten kann.

 

Formalia

Für die Ausgabe #37 der LIBREAS. Library Ideas suchen wir Beiträge, die sich mit dem Themenbereich “Forschung für Öffentliche Bibliotheken” befassen – aus der bibliothekarischen Praxis und aus der Forschungspraxis. Innerhalb dessen sind die Formen, wie immer, offen: Berichte, Reflexionen, Utopien, Forderungslisten, Interviews und so weiter sind alle willkommen. 

Die Redaktion steht gerne für Themenvorschläge und Diskussionen über mögliche Beiträge zur Verfügung. 

Deadline für die Einreichungen ist der 01.03.2020.

 

Ihre / eure Redaktion LIBREAS. Library Ideas

(Berlin, Chur, Dresden, Hannover, München)

Libraries4Future ruft auf zur Teilnahme an der Klima-Demonstration am 20.9.2019 und der Klima-Woche vom 21.–27.9.!

Posted in Hinweise, LIBREAS.Verein, Uncategorized by maxiki on 12. September 2019

Der Klimawandel und damit zusammenhängende Effekte stellen unsere Gesellschaft vor dringlichste und schwierige Aufgaben L4F_rund(1)in Gegenwart und Zukunft. Wir alle sind gefordert, unseren Beitrag zu leisten.
Bibliotheken müssen sich zum Schutz des Klimas als wichtige Akteurinnen in die Debatte und durch aktives Handeln einbringen!

Wir rufen alle Bibliothekar*innen, Bibliothekswissenschaftler*innen, Bibliotheksleiter*innen, Auszubildende in Bibliotheken und Studierende der Bibliotheks- und Informationswissenschaft auf, am 20.9. an der Klimademonstration teilzunehmen! Am 20. September tagt das Klimakabinett der Bundesregierung und am 23. September findet der Climate Action Summit der UN statt. Hier wird die Klimapolitik der Zukunft bestimmt. Deshalb: Gehen Sie mit uns Seite an Seite mit der Fridays-for-Future-Bewegung und vielen Klima-Aktiven am 20.9. auf die Straße als ein Zeichen für die Politik, dass wir von ihnen eine ehrgeizigere Umsetzung der Klima-Ziele erwarten.

Machen Sie als Bibliotheken ein öffentlichkeitswirksames Event daraus: Nehmen Sie Ihre Nutzer mit zur Demonstration. Seien Sie ein Teil von Libraries4Future und zeigen Sie Engagement für unser Klima: am 20.9. auf der Straße und während der weltweiten Klimawoche #week4climate vom 21.‑27.9. in Ihren Bibliotheksveranstaltungen!

Gern begrüßen wir Sie auch in Berlin als

Hauptdemonstrationsort von Libraries4Future:

Termin: 20.9., 11:00 Uhr

Ort: Treffpunkt vor dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum (Geschwister-Scholl-Straße 1/3, 10117 Berlin; Nähe S-Bhf. Friedrichstraße). Wir gehen dann gemeinsam zum Brandenburger Tor.

Stellvertretende Unterzeichner*innen für Libraries4Future:

Ben Kaden, Maxi Kindling (= Stellvertretend für den Vorstand „LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation“)

Patricia Fasheh, Jens A. Geißler, Andrea Kaufmann, Tim Schumann, Janet Wagner (= Mitglieder des Vereins „Netzwerk Grüne Bibliothek“),

Kontaktadresse Libraries4Future: info ( at ) libraries4future.org

Informieren Sie sich gern in den sozialen Medien:
https://twitter.com/hashtag/Libraries4Future?src=hash /
https://www.facebook.com/NetzwerkGrueneBibliothek/
https://fridaysforfuture.de/week4climate/#post-18620
https://www.klima-streik.org/

Studien zur Nutzung von Bibliotheken in Frankreich

Posted in LIBREAS.Rezension by Karsten Schuldt on 11. September 2019

Karsten Schuldt

Zu: Yolande Maury; Susan Kovacs; Sylvie Condette (dir.). Bibliothèques en mouvement. Innover, fonder, pratiquer de nouveaux espaces de savoir. (Information – Communication). Villeneuve d’Ascq : Presse universitaires du Septentrion, 2018

 

Von 2013 bis 2015 gab es in Frankreich Forschungsmittel für zwei soziologisch / ethnologische Projekte zur Nutzung von Bibliotheken (Wissenschaftliche, Öffentliche und „centres de documentation et d’information”, CDI – die französischen Formen von Schulbibliotheken) durch Nutzer*innen und Bibliothekar*innen. Die Projekte wurden von Forschenden verschiedener Universitäten in zahlreichen Unterprojekten und vor allen in Gemeinden um Paris und Marseille durchgeführt. Im Band „Bibliothèques en mouvement” wurden im letzten Jahr die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorgelegt. Gründe für die Verzögerung sind nicht ersichtlich, aber sie ist dennoch relevant, da in den letzten Jahren bekanntlich weitere Entwicklungen in Technologie, Medien und gewiss auch französischen Bibliotheken stattfanden.

Einige Schwachstellen des Buches

Ebenso nicht ersichtlich ist die Rolle, die Bibliotheken in diesen Forschungen spielten – wurden sie nur untersucht oder hatten sie selber Anteil daran, dass die Projekte überhaupt zustande kamen? Das ist nicht unwichtig. Die Hauptthese des Buches ist, dass es ungefähr seit dem Jahr 2000 sowohl in Medien und Technologie als auch in Bibliotheken zu massiven Veränderungen gekommen sei. Die Studien sollen erfassen, wie die Bibliotheken in der neuen Medien- und Technologielandschaft funktionieren. Aufhänger für viele der Unterprojekte sind „Learning Centre”, welche in diesen Jahren in französischen Bibliotheken eingerichtet wurden, sowohl in Universitäten als auch in Schulen, wo sie zur Modernisierung (der schon in den 1970ern als moderne Bibliotheksform eingerichteten und in den 1990ern, unter anderem durch eine eigene Ausbildung des Personals als „professeur documentaliste”, professionalisierten) CDI genutzt wurden. Es ist, um das vorwegzunehmen, ein Problem des Buches, diese Veränderungen überhaupt nicht zu zeigen (dazu sind ethnologische und interpretative Methoden, die in den Studien verwendet wurden, vielleicht auch nicht geeignet), sondern aus Policy-Dokumenten und Darstellungen von Bibliothekar*innen abzuleiten. Es ist nicht klar, ob dies von Bibliotheken motiviert wurde oder ob die Forschenden von sich aus diese Vorstellungen entwickelt haben. Es ist zumindest ein Schwachpunkt, da die Studien immer Momentaufnahmen zeigen, aber behaupten, daraus auch Entwicklungen ableiten zu können.

Eine weitere Schwierigkeit mit dem Buch ist wohl, dass es – aus guten Gründen – eingebunden ist in französische akademische Denkstrukturen. Immer wieder wird auf französische Philosophie und Ethnologie zurückgegriffen, aber wenig erläutert. Das macht das Buch nicht unlesbar, aber Vorwissen über diese Denktraditionen ist von Vorteil für das Verständnis der Diskussionen in ihm. Einige Texte – vor allem eher philosophische Reflexionen über die Veränderung von Wissen im digitalen Zeitalter –, die wenig zum eigentlich Thema des Buches beitragen, sind wohl nur aus diesen akademischen Traditionen zu verstehen.

Der Blick von aussen auf Bibliotheken

Dabei soll nicht der Eindruck erzeugt werden, dass das Buch unnötig oder durchgängig problematisch wäre. Beachtet man seine Grenzen, dann ist es beachtlich. Zuerst ist es bemerkswert, dass überhaupt solche Studien finanziert wurden. Das wäre im DACH-Raum nicht zu erwarten. Interessant auch, dass sich Forschenden aus anderen Bereichen – und gerade nicht aus der bibliothekarischen Fachhochschule enssib (École nationale supérieure des sciences de l’information et des bibliothèques) – fanden, welche zu dieser Frage forschen wollten. Gerade letzteres ist auch eine Stärke der Studien, da hier Forschende ohne den Wunsch, unbedingt etwas positives (oder negatives) über Bibliotheken beweisen zu wollen, ihre Methoden anwandten, um zu klären, wie Bibliotheken genutzt werden. (Dabei zeigen sie auch gleichzeitig, dass sie die Bibliotheken sehr wohl als relevante Einrichtungen wahrnehmen.)

Die angewandten Methoden sind letztlich nicht sehr zahlreich: Es wurden viele Interviews geführt, Beobachtungen durchgeführt, Photos und Pläne als Artefakte erstellt und ausgewertet, Umfragen durchgeführt und zudem wurde – wie schon gesagt – zum Teil auf philosophische Theorien zurückgegriffen. Das ist alles in der Bibliotheksforschung nicht vollkommen neu, aber doch eindrucksvoll, diese versammelt zu sehen. Offensichtlich, so zeigt das Buch, sind die Methoden wirklich geeignet, Bibliotheken zu untersuchen. Hingegen sind die untersuchten Bibliothekstypen – wie ebenso schon erwähnt – divers. Auch wurde darauf geachtet, nicht etwa nur Metropolbibliotheken zu untersuchen, sondern eher solche in den Vorstädten und kleineren Gemeinden, die wohl besser „normale” Bibliotheken repräsentieren.

Nutzung der Bibliotheken: Gut, aber unaufregend

Während das Buch selber davon ausgeht, dass Veränderungen stattfanden, zeigen die Untersuchungen selber eine weniger aufregende Nutzung der Bibliotheken. Yolande Maury berichtet zum Beispiel von einer Studie über relativ neu eingerichtete Learning Centre in Universitäten. Es wurde vor allem die Raumaufteilung und die Raumnutzung beobachtet. Alle Centre wurden so eingerichtet, dass es laute und leise Zonen gäbe, denen spezifische Funktionen, die teilweise für die Bibliotheken neu sein sollen, zugeschrieben wurden. Die Zonen waren immer so angeordnet, dass sich die lauten in der Nähe des Eingangs befänden. Gleichwohl wurden die Learning Centre nicht so genutzt: In allen gab es eine sichtbare Nutzung, aber vor allem eine sehr ruhige. Trotz all der Zonen und anderen Angebote arbeiteten die Studierenden hauptsächlich ruhig und für sich alleine. Sie richteten Arbeitsplätze halb privat ein, indem sie diese mit eigenen Materialien, Mänteln und Taschen für sich markierten. (Etwas, was auch in anderen Studien in anderen Ländern mehrfach beobachtet wurde.)

Isabelle Fabre und Cécile Gardiès untersuchten die Nutzung eines Learning Centre, welches in einem CDI eingerichtet wurde (als eigener, einigermassen flexibel zu nutzender Raum) und stellten fest, dass die Schüler*innen diesen je nachdem nutzen, welche Aufgaben sie zu erfüllen hatten und dabei vor allem mit eigenen Materialien – nicht den Medien des CDI – arbeiteten. Gleichzeitig begriffen sie das Learning Centre nicht als gesonderte Einheit, sondern als Teil des CDI. Letzteres zeigt auch Sylvie Condette, die in neuen Schulen untersuchte, wie dort die Learning Centre wahrgenommen werden: Nicht viel anders als die CDI oder Bibliotheken selber auch, als sichere Räume und Rückzugsorte zum Arbeiten und Lernen.

Personal

Ein Fokus, der vielleicht so nicht eingenommen worden wäre, wären nicht Forschende von ausserhalb der Bibliotheken bestimmend gewesen, ist der des Personals. Untergründig ist dessen Einstellung zu den postulierten Veränderungen in verschiedenen Texten zu finden, explizit wurde es in zwei Teilprojekten untersucht (vorgestellt wieder von Yolande Maury und Sylvie Condette): Welche Veränderungen im professionellen Selbstbild des Personals und welche Ängste gibt es? Auch hier sind die Aussagen nicht eindeutig. Usus ist, dass Veränderungen stattfinden, aber sowohl welche als auch wie diese bewertet werden sollten, ist nicht klar. Der technologische Wandel wird genannt und als Fakt akzeptiert, aber gleichzeitig wird auf weiterlebende Werte und eine sich zum Teil wenig wandelnde reale Nutzung verwiesen. Gerade die zweite Studie stellt unter anderem eine grosse Unzufriedenheit und mangelhafte Kommunikation zwischen Leitung und Personal fest, die als grösseres Problem erscheint, als die konkreten Veränderungen.

Fazit: Unklar

So unklar wie diese Ergebnisse ist dann auch das Fazit des Buches: Es gibt Veränderungen, aber diese sind nicht wirklich greifbar. Während es einfach ist, anzugeben, was sich technologisch seit dem Jahr 2000 entwickelt hat und welche Bibliotheken wie umgebaut wurden, ist es offenbar viel schwerer, dies für die konkrete Nutzung von Bibliotheken (und Learning Centre) zu sagen. Sie werden positiv wahrgenommen und auch genutzt, aber viel weniger „aktiv”, laut, innovativ als vielleicht zu erwarten wäre. Sicherlich, gerade in den Schulen war die Einrichtung von Learning Centres eine von oben herab angestossene Entwicklung (wie sollte es Frankreich auch anders sein), aber doch immer in lokalen Ausprägungen. Vielleicht wurden so Veränderungen in der Nutzung von Bibliotheken antizipiert, die nicht eingetreten sind. Gleichzeitig zeigen die Studien aber auch, dass Learning Centre und andere neu eingerichtete Bibliotheken – mit den gleichen Grundideen wie im DACH-Raum, inklusive dem „3. Ort”, der nicht wirklich greifbar definiert werden kann – auch nicht schlecht genutzt werden. (Auch das gilt nicht nur für Frankreich, sondern findet sich auch in anderen Staaten wieder.)

Das Buch ergänzt also gut das Wissen über die Nutzung von Bibliotheken aus einem französischen Blickwinkel. Nicht ganz zielführend scheine die eher philosophischen Beiträge, welche eher ein Nachdenken über „Wissen” weitertreiben, dabei aber in einer eigenen, französischen Tradition verbleiben, die zum Beispiel informationswissenschaftliche Debatten aus anderen Staaten überhaupt nicht zu beachten scheinen. Es geht in ihnen eher um eine angebliche „Verflüssigung” des Wissens im Digitalen.

5 Fragen zur Nachhaltigkeit von Forschungsinfrastrukturen

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS Call for Papers by Ben on 10. Juli 2019

Die Ausgabe #36 LIBREAS. Library Ideas wird den Schwerpunkt „Nachhaltigkeit von Forschungsinfrastruktur” haben. Für diese Ausgabe suchen wir Beiträge, die ergründen, wie Infrastrukturen für die Forschung so geschaffen, unterhalten und weiterentwickelt werden können, dass sie auch wirklich nachhalten – sie also über einen längeren Zeitraum, unter sich ändernden Bedingungen, Zuständigkeiten oder für sie verantwortliche Personen, für Forschung beziehungsweise von Forscher*innen nutzbar sind.

Wie üblich suchen wir sowohl Berichte aus der Praxis als auch theoretische Auseinandersetzungen verschiedener Form (Essays, Arbeitsberichte, Abschlussarbeiten usw.). Einen Überblick zu geplanten Ausgabe gibt der Call for Papers im LIBREAS-Blog.

Symbolbild Infrastruktur (Straßenszene Burgstraße, Berlin-Mitte, 2019)

Symbolbild Infrastruktur:  Leitungen, Wasserversorgung, das Berliner Straßenpflaster und weitere übliche Zubehörelemente der mobilen und dauerhaften städtischen Raumorganisation – ein Straßenbild in der Burgstraße, Berlin-Mitte, 2019 (Foto: Ben Kaden / Flickr, CC BY 2.0)


Ergänzend möchten wir wieder fünf Fragen stellen und damit kurze Einblicke zusammentragen. (ähnlich zur Rubrik in der Ausgabe #33 Ortstermin). Dafür wünschen wir uns von möglichst vielen Betreiber*innen, Entwickler*innen und Mitarbeiter*innen von Forschungsinfrastrukturen Antworten auf die folgenden fünf Fragen. 

  • An welcher Einrichtung sind Sie tätig und welche Art von Forschungsinfrastruktur wird an ihr betrieben bzw. genutzt? (Mehrfachnennungen möglich)
  • Wie ist das Finanzierungsmodell für diese Forschungsinfrastruktur(en) gestaltet?
  • Welche Rolle spielt Kollaboration mit anderen Einrichtungen für Betrieb und Weiterentwicklung der Forschungsinfrastruktur(en)?
  • Welche Rolle spielen freie Lizenzen und andere Kriterien offener Wissenschaft in diesem Zusammenhang?
  • Ist die Forschungsinfrastruktur aus Ihrer Sicht nachhaltig? Warum (nicht)? Falls nicht: Was fehlt, um den nachhaltigen Betrieb abzusichern?

Bildmaterial ist ebenfalls willkommen; es sollte sich allerdings um eigene oder frei lizenzierte Bilder handeln, die eine Nachnutzung bei LIBREAS nach der bei uns üblichen Standardlizenz auch ermöglichen. 

Wir freuen uns über Antworten an redaktion@libreas.eu bis zum 15.10.2019. Die Beiträge werden gesammelt in der Ausgabe 36 erscheinen und damit – so die Hoffnung – einen Überblick über eine Vielfalt von Projekten und Initiativen sowie Herausforderungen und Lösungen aus der Praxis geben.

(red)

CfP LIBREAS. Library Ideas #36: Nachhaltigkeit von Forschungsinfrastruktur

Posted in LIBREAS Call for Papers by libreas on 23. April 2019

Der Term Nachhaltigkeit wird vor allem mit Umwelt, Ökologie, Klimaschutz oder wirtschaftlichen Aspekten in Verbindung gebracht. Zu Recht, liegt doch ein Ursprung des Begriffes im Landbau: Böden sollen möglichst so bewirtschaftet werden, dass der Ertrag auf Dauer stabil bleibt. Mittlerweile hat seine Verwendung längst das eine Feld verlassen und zahlreiche andere erobert. Der Begriff ist inzwischen Trend, man könnte sagen, er habe sich zum Buzzword gewandelt. Er durchlief eine Art konzeptionelle Ausweitung auf einen ökonomischen Grundanspruch, der sich auf jede Struktur beziehen lässt: Diese soll so gestaltet werden, dass sie auf Dauer stabil funktioniert. Wie beim Boden geht es dabei nicht nur um die Struktur selbst, sondern auch um die Rahmenbedingungen, die diese Dauerhaftigkeit sichern.

Auch Forschungsinfrastrukturen sind solche Strukturen und stehen vor der Frage: Sind sie auch nachhaltig? Um das abzusichern, brauche es einen dauerhaften Zufluss an Ressourcen – Betriebsmittel, Personal und Personalmittel, Kompetenz – und eine dauerhafte Nachfrage. Denn erst die Nutzung einer Struktur legitimiert ihren Betrieb und macht den Ertrag bestimmbar. Was klar und berechenbar klingt, erweist sich oft als neblig und schwer zu bestimmen. Alle, die sich in dem Bereich bewegen, müssen es dennoch versuchen. Grund genug, das Thema für die LIBREAS Nummer 36 aufzugreifen. Die im November 2018 an der TU Berlin abgehaltene Konferenz “Bits und Bäume – Die Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit”[1] liefert per Titel einen weiteren Beleg, dass Digitalisierung und Umweltaspekte zusammen gedacht werden können und sollten. Im Juni wird mit deRSE19 die erste “Konferenz für ForschungssoftwareentwicklerInnen in Deutschland” in Potsdam stattfinden[2]; auch hier wird die Frage der Nachhaltigkeit eine Rolle spielen[3].

Uns geht es bei der Annäherung an den Begriff darum zu ergründen, wie Infrastrukturen für die Forschung so erschaffen, unterhalten und weiterentwickelt werden, dass sie auch wirklich nachhalten – dass sie über einen längeren Zeitraum, auch unter sich ändernden Bedingungen, Zuständigkeiten oder für sie verantwortliche Personen, für Forschung beziehungsweise von Forscher*innen nutzbar sind. Dabei ist “Forschungsinfrastruktur” durchaus weit zu fassen:

  • Anwendungen für die Veröffentlichung beziehungsweise Präsentation von Forschungsergebnissen (Publikationsplattformen wie Repositorien, Zeitschriftenserver)
  • Portale/Services für die (kollaborative) Arbeit an Forschungsobjekten (Annotationsplattformen, Digitale Sammlungen)
  • Dienste zur Unterstützung von Kommunikation oder Prozessen in Forschungsprojekten, (Systeme zur Versionskontrolle, Chat, Cloud-Speicherdienste, Videokonferenzsysteme, Ticketsysteme)
  • Software, die im Rahmen von Projekten entwickelt wird, um Forschungsfragen nachzugehen
  • Wissenschaftliche Bibliotheken und ihre Dienstleistungen an sich
  • Organisations- und Betreuungsstrukturen sowie Strukturen, Workflows, Kompetenzen und Personen zur Weiterentwicklung des vorangehend Benannten

Bei der Beantragung von Drittmitteln muss in der Regel angegeben werden, was mit den Daten im Anschluss passiert. Bei Infrastrukturprojekten wird ein Konzept zur Verstetigung erwartet. Öffentliche Einrichtungen sind aufgefordert Nachhaltigkeitskonzepte vorzulegen. Mitnichten entstehen alle Neuentwicklungen im Projektkontext – manches beginnt auf Initiative einer einzelnen Person[4] oder Einrichtung und wird dann, hoffentlich, in eine nachhaltig betreibbare Struktur überführt.

Um einen Service oder eine Infrastruktur nachhaltig zu betreiben, sind verschiedene Aspekte in den Blick zu nehmen:

Finanzierung: Was kostet es, eine Forschungsinfrastruktur zu entwickeln und nachhaltig zu betreiben? Wie stellt man Kostentransparenz her? Wo findet man Orientierungswerte? Was sind geeignete Geschäftsmodelle, insbesondere bei Community-getriebenen Diensten? Wie kann die Entwicklung vom Projektstadium hin zu einem nachhaltigen Betrieb gelingen, insbesondere bei drittmittelgestützten Projekten? Welche Bedeutung haben Förderstrukturen, die vor allem auf Initialförderung für innovative Ansätze setzen, für die Verstetigung von Projekten, für die Personalentwicklung und für die Gestaltung von Abläufen und Aufgaben in einzelnen Einrichtungen (Stichwort “Projektitis”)? Gefordert wird all dies von verschiedenen Forschungsförderern seit Jahren, in den Projektanträgen ist es Usus geworden, ein Arbeitspaket für diese Frage einzurichten: Aber wie sieht die Realität aus? Was wird tatsächlich nachhaltig finanziert und wie?

Kollaboration: Kann man auch als einzelne Institution nachhaltige Infrastrukturen schaffen? Was motiviert gegebenenfalls zu Zusammenarbeit? Wann passt welches Kollaborationsmodell am besten und wann sollten man vielleicht auch eine Einzellösung suchen?  Wie sieht erfolgreiches Community beziehungsweise Entity Building aus? Welche Bedeutung spielen Netzwerke wie etwa das ORCID DE Konsortium, das DSpace-Konsortium Deutschland, OJS-de.net, deRSE & Co? Welche Bedeutung hat Kollaboration für die Reputationsbildung von Einzelpersonen und Institutionen?

Lizenzierung: Welche Bedeutung haben (freie) Lizenzen für die Entwicklung und den Betrieb nachhaltiger Infrastrukturen? Was sind geeignete Lizenzierungsmodelle und welche Vor- und Nachteile haben sie? Welche Rolle spielt die Offenheit von Daten (etwa bibliografische Daten oder Zitationsdaten) für den Aufbau und Betrieb von Forschungsinfrastrukturen?

Institutionalisierung: Nicht nur, aber gerade Wissenschaftliche Bibliotheken scheinen sich als Einrichtungen zu begreifen, welche die Nachhaltigkeit von Forschungsinfrastrukturen garantieren können. Insbesondere beim Forschungsdatenmanagement sind sie in den letzten Jahren proaktiv aufgetreten. Aber ist das erfolgreich? Wie und wann? Wie verändert es die Bibliotheken und ihre Arbeit? Wie stehen sie zu anderen Formen von Institutionalisierung, beispielsweise Konsortien, Stiftungen oder Firmen? Und muss man eigentlich Projekte, die man einmal begonnen hat, dauerhaft fortführen? Woran macht man es fest, ob ein Service eingestellt werden kann oder sollte?

Die Sammlung der Fragen ist weder erschöpfend noch soll sie begrenzen. Wir wissen um die unzähligen Facetten und die Komplexität von Infrastrukturentwicklung, -betrieb und -vermittlung und auch, dass man sie weder in einem geschlossenen Modell noch in einem Fragekatalog fassen kann. Die Stichpunkte dienen einzig zur Anregung. Wie immer freuen wir uns über Blickwinkel aller Art auf das Thema, was ausdrücklich bei diesem Thema, das gemeinhin immer Lösungen einfordert, auch Problematisierungen einschließt. Es dürfte kaum einen Bereich geben, in dem sich das “Scheitern” derart ballt, wie den der Nachhaltigkeit. Zugleich spricht man – aus verständlichen Gründen – sehr wenig darüber. Umso willkommener wären auch Beiträge, die sich dem “Scheitern an der Nachhaltigkeit” nähern.

Wir rufen also wie immer dazu auf, Beiträge zu diesem Themenkomplex einzureichen, wobei sowohl Berichte aus der Praxis als auch theoretische Auseinandersetzungen in jedem Format (Essays, Arbeitsberichte, Abschlussarbeiten et cetera) willkommen sind. Da auch der Aufruf für Einreichungen für die Open-Access-Tage 2019 das Themenfeld Nachhaltigkeit aufgreift[5], möchten wir  insbesondere Vortragende der OA-Tage 2019 dazu motivieren, entsprechende Beiträge zu verschriftlichen und für die Ausgabe zur Verfügung zu stellen. Bieten können wir vor allem eine nachhaltige Publikation und Archivierung auf dem edoc-Server der Humboldt-Universität zu Berlin und Aufmerksamkeit auch über die OA-Tage hinaus.

Vorschläge können gerne vorab mit der Redaktion besprochen werden; Beitragsvorschläge und Beiträge bitte an redaktion@libreas.eu. Einreichungsschluss ist der 15.10.2019. Unsere Hinweise für Autorinnen und Autoren findet ihr hier.

Ergänzend zum Call for Papers haben wir 5 Fragen zur Nachhaltigkeit von Forschungsinfrastrukturen bereitgestellt.

Eure / Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas

(Berlin, Chur, Dresden, Hannover, München)

 


[1] “Bits und Bäume – Die Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit” vgl. https://bits-und-baeume.org/

[2] deRSE19, 4.–6. Juni,  siehe https://www.de-rse.org/de/conf2019/.

[3] Vgl. etwa die Einreichung von Löffler, Frank, Hammitzsch, Martin, Schieferdecker, Ina, Nüst, Daniel, & Druskat, Stephan. (2019, March 29). RSE4NFDI – Safeguarding software sustainability in the NFDI. Zenodo. http://doi.org/10.5281/zenodo.2630451.

[4] Ein Beispiel hierfür ist der Workflow für den Satz der Artikel der LIBREAS. Library Ideas: Wir nutzen pandoc, eine Entwicklung eines Philosophieprofessors der UC Berkley (siehe https://pandoc.org).

[5] Der “Call for Proposals” fragt zum Beispiel “Wie schaffen wir interoperable, vernetzte, widerstandsfähige Dienste? Wie gewährleisten wir Kontrolle durch akademische Einrichtungen? Wie machen wir Kosten transparent und wie sichern wir die dauerhafte Finanzierung?” Frist für die Einreichung ist der 2. Mai 2019, vgl. https://open-access.net/community/open-access-tage/open-access-tage-2019/call-for-proposals-open-access-tage-2019/.

Makerspace: Was passiert in ihnen? Was könnte in ihnen passieren? Zwei Studien

Posted in LIBREAS.Feuilleton, LIBREAS.Referate by Karsten Schuldt on 4. April 2019

Karsten Schuldt

Zu: Angela Calabresse Barton ; Edna Tan: „STEM-Rich Maker Learning: Designing for Equity with Youth of Color”. New York: Teachers College Press, 2018

Sarah R. Davies: „Hackerspaces: Making the Maker Movement”. Cambridge; Malden: Polity Press, 2017

 

 

Makerspaces – obwohl Bibliotheken jetzt schon seit einigen Jahren mit ihnen experimentieren, sie einrichten und auch wieder schliessen, sie in Veranstaltungen ausprobieren, institutionalisieren und eigentlich schon viele Erfahrungen vorliegen, scheinen sie für Bibliotheken doch immer noch viele, viele Versprechen mitzubringen. Immer wieder und wieder machen sich (Öffentliche) Bibliotheken Gedanken, ob sie mit Makerspaces innovativer, zukunftsgewandter, besser, neuer sein können. Diese Versprechen scheinen selten überprüft zu werden und auch eher aus Vorstellungen über Makerspaces und was in diesen passiert gespeist zu werden, als aus der Realität in wirklich existierenden Makerspaces.

In den letzten beiden Jahren sind in Buchform zwei tiefergehende Studien publiziert worden, welche sich aber gerade dieser Frage widmen: Was passiert in Makerspaces tatsächlich? Die eine als eher ethnolographische Studie über normale Maker- und Hackerspaces in den USA, die andere als Action Research über einen spezifischen Makerspace für Jugendliche in einem Community Center in einer sozial benachteiligten Gemeinschaft, ebenso in den USA. Beide liefern einen Einblick, der unter anderem viele Hoffnungen, die sich Bibliotheken auf Makerspaces und ihre Wirkungen machen, bezweifeln lässt – was aber gleichzeitig, wenn sie genutzt werden, auch heissen kann, dass die Makerspaces, die Bibliotheken bauen, realistischer geplant und betrieben werden könnten, wenn man beim Planen und Hoffen auf die Erkenntnisse aus diesen Studien zurückgreifen würde. Beide sollen hier kurz vorgestellt werden.

Der Hackerspace als Raum eines spezifischen Menschenschlages

In einer der beiden Studien, „Hackerspaces: Making the Maker Movement”, untersuchte Sarah R. Davies (zusammen mit Dave Conz) ein Dutzend Makerspaces in den USA, allerdings schon 2012. Die Auswertung dauerte länger, vielleicht hat sich jetzt einiges verändert.1 Trotzdem ist es eine tiefergehende Untersuchung. Die besuchten Einrichtungen wurden genauer untersucht, die erhobenen Daten genauer ausgewertet, als in einfachen Berichten. Der Blickwinkel dieser Auswertung war ein ethnographischer, also einer, der danach fragte, wie die Makerspaces als Gemeinschaft und als sozialer Raum funktionieren. Davies und Conz beschränkten sich dabei nicht auf eine kleine geographische und inhaltliche Auswahl, sondern versuchten, möglichst viel abzudecken, auch möglichst viele unterschiedliche Daten zu erheben. Einzige Einschränkung ist, dass sie Makerspaces untersuchten, die für sich alleine existierten. Zwar wird erwähnt, dass Schulen und Bibliotheken auch Makerspaces aufbauen würden, aber die mit einzubeziehen wäre zu viel gewesen.

Hackerspaces, so wird am Anfang betont, sind motivierend, wenn man sie das erste Mal betritt. Sie vermitteln den Eindruck von emsiger Tätigkeit und Offenheit. Aber, so lässt sich schnell sehen, so einfach ist es dann doch nicht. Was die Makerspaces in der Studie eint, ist, dass sie sich zwar alle grundsätzlich als offen verstehen, als leicht zugänglich und auch einem Diskurs von Innovation, Bildung und Demokratisierung folgen, es bei näherem Hinsehen doch nicht sind. Davies verweist mehrfach auf den Widerspruch zwischen dem Diskurs – der auch nicht unbedingt von den Makerspaces selber produziert wird, aber den sie bedienen – und der Realität.

Die Personen, welche die Makerspaces wirklich nutzen, sind viel eher an individuellen Projekten und Erfahrungen interessiert. Sie wollen für sich lernen, etwas ausprobieren und so weiter. Diese Interessen treiben ihre eigene Beteiligung an den jeweiligen Makerspaces, nicht oder nur sehr im Hintergrund übergreifendere Interessen. Solche eigenen Interessen sind dann auch die soziale Eintrittskarte in die Communities der Makerspaces: Nur, wer eigene Projekte hat, wird als wirklich interessiert angesehen. Nur dann wird einem oder einer auch wirklich geholfen. Der freie Wissensaustausch, welche im Diskurs um Makerspaces als deren Eigenheit prominent betont wird, ist so nicht zu finden: Wissen wird geteilt, aber nur im Rahmen von Projekten, nur als Hilfe zur Selbsthilfe bei diesen Projekten.

Einige Makerspace sind sehr private Unternehmungen – in privaten Garagen, im privaten Freundeskreis -, andere sind grösser, organisiert als Vereine oder ähnlicher Strukturen. Im Rahmen dieser Voraussetzungen sind sie immer auf der Suche, ihre Mitgliedschaft zu erweitern. Wieder: Grundsätzlich betonen alle ihre Offenheit, aber die Realität ist etwas anders. Es gibt keine direkte Ausgrenzung, aber Voraussetzungen: Nur, wer selber Projekte mitbringt, an denen er oder sie arbeiten will, wird sozial akzeptiert. Durch die Makerspaces hindurch fand Davies Abgrenzungen zu Menschen, „die es nicht verstehen”, die vorgeblich „in der Konsumgesellschaft leben und damit glücklich sind”. Das ist selbstverständlich eine subjektive Einschätzung, welche aber Strukturen reproduziert: Wer kommt denn auf die Idee, Projekte zu machen? Wer lernt solch eine Vorgehen zu die eigene Identität zu inkorporieren? Wer kann sich Projekte vorstellen, die auch noch mit Technik umzusetzen sind? Eher die, die bestimmte Voraussetzungen im Leben hatten und haben. Die Makerspaces, welche Davies untersucht, sind – wohl wegen diesen Strukturen – geprägt von mittelalten, situierten, oft weisse Männern. Nicht vollständig, es gibt auch immer wieder einige andere Personen. Aber wenige. Nur die Makerspaces, die sich explizit darum bemühen, schaffen es, Frauen oder Personen mit einem anderen sozialen Profil anzusprechen. Ansonsten reproduzieren sie, ungewollt und trotz anderem Diskurs, gesellschaftliche Ausgrenzungen.

Auffällig ist auch, dass die Communities, welche sich um Makerspaces bilden, nicht einfach wachsen. Es ist immer eine Aufgabe in den Makerspaces selber, die Communities zu erhalten. Irgendwer muss immer diese Arbeit leisten. Dabei wird, so wieder Davies, in den Makerspaces in einer Art kommuniziert – sowohl inhaltlich als auch technisch – wie sie in anderen nternetbasierten Subkulturen auch vorkommt: Es geht immer darum, „Drama” zu vermeiden, Regeln auszuhandeln und Konflikte zu überwinden. Keine dieser Makerspace-Communities funktioniert von alleine.

Ein Community-basierte Makerspace muss offenbar anders funktionieren

Einer der Makerspaces, die es schaffen, andere Personen anzusprechen, wird in der Studie von Calabrese Barton und Tan, „TEM-Rich Maker Learning: Designing for Equity with Youth of Color”, vorgestellt. Dieser ist in einem ungenannten Community-Center in einem ärmeren Stadtteil in den USA untergebracht und wird von diesem Center auch finanziert und getragen. Die beiden Forschenden arbeiteten in einem Action Research Project zwei Jahre in diesem Makerspace mit jüngeren Jugendlichen, welche das Center nutzten.2 Das Vorgehen von Action Research – mit den Personen, über die geforscht wird, für diese sinnvolle Aktivitäten planen, durchführen, dann diese reflektieren und iterativ Theorie bilden, um wieder Aktivitäten zu planen und so weiter – führte zu einem etwas schwerfälligem Text, der immer wieder in kleinen Schritten reflektiert und immer wieder die gleichen Beispiele heranzieht, um Aussagen zu demonstrieren. Lässt man sich davon aber nicht abschrecken, so erhält man eine Einblick darin, das Makerspaces auch anders sein könnten, als die bei Davies beschriebenen – aber nur, wenn man dies explizit einfordert und die Arbeit dafür leistet.

Calabrese Barton und Tan stellen – unabhängig von Davies, eher durch die Lektüre von Literatur zu Makerspaces, insbesondere die omnipräsente Zeitschrift „Make:” – den gleichen Widerspruch zwischen den im Diskurs behaupteten Potentialen von Makerspaces und der Realität in diesen fest. Gleich zu Beginn ihres Buches betonen sie, dass die Projekte, welche in der Literatur immer und immer wieder präsentiert werden, vor allem individualistische Experimente darstellen, die vielleicht aus Interesse am Ausprobieren durchgeführt werden, die aber keine Probleme lösen. Wer wird damit angesprochen? Nicht die Jugendlichen aus der Gegend mit sozialen Problemen, mit denen Calabrese Barton und Tan arbeiteten und die im Alltag vor allem mit realen Problemen fertig werden müssen, andere Ästhetiken und Regeln entwickeln, als die in „Make:” präsentierten – also nicht solchen aus dem abgesicherten Mittelstand.

Aber: Es ist sehr wohl möglich, diesen Jugendlichen mit einem Makerspace Möglichkeiten zu eröffnen – mit einer anderen Form von Makerspaces und Arbeit im Makerspace. Wie sieht diese aus? Zuerst müssen die Jugendlichen ernst genommen werden und sich willkommen fühlen. Die beiden Autorinnen besuchten mit den Jugendlichen ihrer Studie eine ganze Anzahl von existierenden Makerspaces – und obwohl sie dort gut aufgenommen und informiert wurden, obwohl sie die ganzen Maschinen und Techniken positiv wahrnahmen, waren sie anschliessend der Meinung, dass sie dort eigentlich nicht wirklich willkommen wären. Diese Makerspaces wären nichts für sie: Zu wenig Kinder- und Jugendfreundlich, zu viele Verbote und Regeln, zu wenig andere Möglichkeiten als nur an Projekten zu arbeiten.

Zudem müssen die Makerspaces die Jugendlichen tatsächlich empowern, also Dinge umsetzen lassen, die für sie Sinn haben und ihnen zeigen, dass sie Macht haben. Die Jugendlichen entwarfen auf der Basis ihrer Besuche einen Makerspaces „für uns” – mit Orten „zum Denken” (Couch, Trampolin), viel bunter als die zuvor besuchten Makerspaces, nur mit Technik, die auch wirklich alle bedienen dürfen, räumlich direkt neben anderen Angeboten des Community-Centers (und damit nicht auf das rein Abarbeiten von Projekte bezogen). Anschliessend überzeugten sie das Board des Community-Centers, diesen Makerspace tatsächlich einzurichten.

Anschliessend müssen im Makerspace klare Strukturen vorhanden sein (regelmässige Sitzungen), aber so flexibel, dass sie in das eher krisenhafte Leben der Jugendlichen passen (umgesetzt als ständige Möglichkeit, zwischendurch to drop-out und dann nach Wochen, Monaten wiederzukommen und weiter zu machen).

Weiterhin müssen die Projekte Sinn für die Jugendlichen machen. Sinn machen sie, wenn sie in der Realität verankert sind. Im Projekt wurde das umgesetzt, indem die Jugendlichen selber ihre Umgebung erkundeten, Interviews führten, Probleme identifizierten, welche tatsächlich vorliegen. Und dann daran gingen, diese mit ihren Projekten zu lösen, immer im Hinblick darauf, dass sie auch wirkliche Veränderung ermöglichen würden. Nicht, dass man etwas basteln und werkeln würde war wichtig, sondern dass damit eine Lösung geschaffen würde (ein Fussball, der leuchtet, weil Fussballplätze in der Umgebung unbeleuchtet sind; eine „Anti-Bullying”-Jacke mit Alarmknopf; eine Handyhülle mit Solarzellen zum Aufladen von Smartphones auch ohne Stromrechnung). Alle das muss angeregt und unterstützt werden.

Zusammen war es zumindest in den zwei untersuchten Jahren möglich, einen Makerspace für Jugendliche zu betreiben, die nicht zum normalen Klientel von Makerspaces gehören – aber nur, indem überhaupt einmal als Problem benannt wird, dass die angebliche Offenheit von Makerspaces sich in der Realität nicht findet und das die notwendige Arbeit geleistet wurde, die Jugendlichen aktiv zu integrieren.

Hoffnungen von Bibliotheken auf die Wirkung von Makerspaces: Revisited

Was heisst das nun bezogen auf Öffentliche Bibliotheken (im DACH-Raum)?

  • Die Gesellschaft, die Machtstrukturen der Gesellschaft, all die Aus-und Einschlüsse, sind vorhanden und lassen sich nicht einfach abstellen, wenn man einen Makerspace einrichtet. Insbesondere, wenn man den Makerspace „einfach laufen lässt”, läuft man sehr schnell Gefahr, diese Strukturen wieder zu reproduzieren, gar zu verstärken. Der Makerspace produziert da keine neue Offenheit.

  • Die Community, von der sich oft versprochen wird, dass sie sich um Makerspaces bildet: Das ist zweifelhaft, wieder vor allem dann, wenn man den Makerspace „laufen lässt”. Es ist immer Arbeit, Community herzustellen und zu erhalten, auch Arbeit, die immer wieder scheitert. (Das könnte man auch so aus der Ethnologie lernen, aber das ist hier einmal nicht Thema.) Sie entsteht nicht nebenher und wenn doch eine entsteht, aber man nicht aufpasst, entsteht eine, die auch sehr ausgrenzt.

  • Ein Makerspace, der vor allem auf Technik und Ausprobieren dieser Technik setzt, scheint auch eher zu individualistischen Projekten und zur individualistischen Nutzung des Angebots zu führen. Die Frage für Bibliotheken ist: Ist das so gewollt? (Alle anderen Schlagwörter aus den Diskursen um Makerspaces wie Innovation oder mehr Bildung oder neue Bildung oder Unterstützung der lokalen Ökonomie – all das findet sich in der Realität von Makerspaces offenbar nicht wirklich.)

  • Technik alleine, egal wie hip, reicht nicht aus, um erfolgreich einen Makerspace zu betreiben.

  • Zusammengefasst läuft man mit Makerspaces, vor allem solchen ohne zusätzliches Personal, immer Gefahr, noch einen weiteren „Mittelstands-Raum” zu bauen. Das ist nicht Öffnung der Bibliothek „zur Stadtgesellschaft” oder so, von der Bibliotheken aktuell reden.

  • Andere Makerspaces oder Angebote im Bereich Makerspace sind aber offenbar möglich: Nur ohne Personal dafür, dass darauf achtet, dass der Makerspace halt nicht zum „normalen” wird, ist eher zweifelhaft, ob sie etwas anderes sein können, als ein Raum, indem die gesellschaftlichen Strukturen reproduziert werden.

 

Fussnoten

1 Was sich verändert hat, ist, dass die Firma „TechShop”, welche das Makersapce-Modell kommerziell umsetzen wollte (also Räume gründete, die wie Co-Working-Spaces tage-, wochen- oder monatsweise gemietet werden konnten) und in Hochzeiten zehn US-Filialen und vier internationale Filialen betrieb – und von der sich andere Makerspaces, die Davies untersuchte, immer und immer wieder abgrenzten – 2014 Konkurs anmeldete.

2 Wenn sie den konnten. Ein Fakt, der die Armut der Jugendlichen demonstriert, ist, dass eine Anzahl von Ihnen nicht kontinuierlich an den Sessions im Makerspace teilnehmen konnte, weil sie sich die Busfahrt nicht leisten konnten.

Ein Beitrag zur Bibliotherapie

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Karsten Schuldt on 15. März 2019

Zu: Laura Freeman (2018). The Reading Cure: How Books Restored My Appetite. London: Weidenfeld & Nicolson, 2018

 

Von: Karsten Schuldt

Lesen hilft.

Bibliotherapie ist eine Sammelbegriff für verschiedene Formen der Selbsttherapie und der angeleiteten Therapie, bei der Bücher – vor allem literarische Texte und Selbsthilfebücher – genutzt werden. Sie ist erstaunlich erfolgreich. Insbesondere für solche Formen, in denen sie therapeutisch begleitet wird, liegen zahlreiche positive Forschungsergebnisse über ihre Wirksamkeit vor. (Wohl weit mehr als für andere Themen, die aktuell im Bibliothekswesen umgesetzt werden.) Sarah McNicol und Liz Brewster (McNicol & Bewster 2018) legten letztes Jahr ein Überblickswerk für die Bibliothekspraxis vor, in dem auf die Geschichte von Bibliotherapie eingegangen und Anwendungsmöglichkeit präsentiert, aber vor allem darauf eingegangen wurde, was Bibliothek tun können, um Bibliotherapie – vor allem die durch Nutzerinnen und Nutzern „selbstgesteuerte” – zu unterstützen. Gerade in englisch-sprachen Staaten (GB, Neuseeland, Australien) existieren auch lokale und nationale Unterstützungsstrukturen, um über Bibliotheken, Menschen, die davon profitieren können, Bibliotherapie zu ermöglichen.

Das Bibliotherapie funktioniert und oft auch andere Therapien, Heilungsprozesse und Krisenverarbeitungen unterstützt, ist gut dokumentiert. Nicht bei allen, aber bei vielen Menschen. Was fehlt – so wird bei McNicol und Brewster klargestellt – ist eine Theorie, die erklärt, warum sie das tut.

 

Lesen hilft.

Laura Freeman, Journalistin in London, erzählt in ihrem Buch The Reading Cure, wie sie durch das Lesen von Romanen, Kriegsberichten, Lyrik und anschliessend Kochbüchern nach und nach die Anorexie, welche sie in ihrer Jugend entwickelte, überwand und wieder zu einem positiveren Verhältnis zu sich selbst und zum Essen fand. Nicht so, dass sie sich als „geheilt” verstehen würde, aber doch so, dass sie heute eine weit bessere Lebensqualität hat.

Das Buch ist ein reflektierter, gut lesbarer First-Hand-Bericht dazu, wie selbstgesteuerte Bibliotherapie funktionieren kann, mit individuellen Spezifika, aber doch so, dass die Chancen des „Heiles durch Lesen” offensichtlich werden. Es fällt leicht, gerade wenn man selber an Literatur und Sprache interessiert ist, die Autorin sympathisch zu finden und ihrer Geschichte zu folgen, was vielleicht ein Manko ist, wollte man das Buch als Werbung für Bibliotherapie einsetzen – zu leicht wäre es zu unterstellen, dass die Autorin zu sehr eine reine Idealfigur für Literaturbegeisterte ist. Aber für den Fall, dass man daran interessiert ist, einen ersten Einblick in die Möglichkeiten von selbstgesteuerter Bibliotherapie zu erhalten, ist es ein empfehlenswerter Einstieg.

 

Lesen hilft.

Die Geschichte Freemans beginnt in ihrer Jugend, in der sie mit 14 Jahren Anorexie entwickelt. Für den Prozess gibt es äussere Umstände (die Kultur in der Schule, in der sie geht und die mit sehr viel Druck einhergeht), aber die alleine erklären nie, warum jemand diese Krankheit entwickelt und jemand anders nicht. Vielmehr versucht die Autorin mit diesem Buch, auch nach aussen klar zu machen, wie sie sich innerlich fühlte. Sie benutzt das Bild einer Bibliothek – eher die eines englischen Herrenhauses – in ihrem Inneren, welche zerschmettert wurde: Die Bücher auf dem Boden, die Glasscheiben zertrümmert, die Stühle und Tische umgeschmissen. Das Buch ist eine Geschichte davon, wie sie diese Bibliothek wieder aufrichtet.

Man erlebt zuerst mit, wie die Anorexie immer schlimmer wird, wie die Autorin also ein Bild von sich als falsch, schuldig, ständig Fehlentscheidungen treffend entwickelt, die sich zudem ständig Strafen auferlegt (sie entwickelt einen Drang zu Laufen, über Stunden, durch jedes Wetter, obwohl ihr Körper selbstverständlich mehr und mehr geschwächt ist). Das Essen fällt dabei Schritt für Schritt fort: Sie entwickelt Abneigungen gegen einzelne Bestandteile, gegen ganzen Gruppen von Essen, gegen das Essen allgemein. Aber, darauf legt sie Wert, das sind Symptome ihres eigenen Innenlebens. Sie muss durch mütterliche und ärztliche Intervention gerettet werden: Über Monate daheim bleiben, dann einen Status der „funktionalen Anorexie” entwickelnd (also selber soviel zu Essen, dass sie überlebt).

Während sie sich in den ersten Jahren ihrer Krankheit zum Jahreswechsel selber Ziele setzte, die mit weniger Essen zu tun hatten – zum Beispiel noch mehr Dinge nicht zu essen oder mit noch mehr Selbststrafen zu reagieren – wurde ihr das bei den mütterlichen und ärtzlichen Interventionen verboten. 2012 setzte sie sich deshalb ein anderes Ziel: Das gesamte Werk Charles Dickens zu lesen. Es war das Jahr des 200. Geburtstages des Autors. Über das Jahr las sie alle seine Veröffentlichungen, systematisch in Reihenfolge ihrer Publikation. Einzig die Weihnachtsgeschichte verschob sie bis zu diesem Feiertag. Dies ist folgerichtig: Menschen mit Anorexie scheinen solches systematische, geradezu kompromisslose Vorgehen auszubilden – zumindest bei Freeman traf das zu. Das schlägt sich nicht nur in ihrem Umgang mit Essen (gar kein Zucker, gar kein Ei und so weiter) und ihrem eigenen Körper (einen Happen zuviel sind so und so viel Stunden zu Laufen) nieder, sondern auch im restlichen Leben: Systematisches Vorgehen. Das hilft auch, die Autorin studiert zum Beispiel erfolgreich im Laufe der von ihr berichteten Jahre, wird ebenso erfolgreich Journalistin, am Ende Freelancerin.

Die Bücher Charles Dickens sind offenbar angefüllt mit Essen. Szenen über Szenen von Essen. Frühstück, Mittag, Abendessen, Snacks zwischendurch, im Gasthaus, im Pub, daheim. Das ist nicht unbedingt das, wofür Dickens bekannt ist, aber das ist, was Freeman einen Zugang zu Essen verschaffte. Bei Dickens traf sie auf einen für sie neuen Gedanken: Das Essen etwas Positives sein kann, nicht nur etwas, auf das man achten und wofür man sich bestrafen muss. Man darf sich nicht vorstellen, dass das alleine schon dazu führte, dass sie wieder zu essen begann. Aber am Ende des Jahres, zu Weihnachten, im Kontext ihrer Familie und vor dem Hintergrund, dass auch in der Weihnachtsgeschichte von Dickens gegessen wird, traute sie sich das erste Mal seit Jahren einen kleine Löffel des Weihnachtspuddings zu essen. Danach musste sie wieder Stunden Laufen gehen. Aber es war ein Anfang.

2013 dann wendete sie sich – vor dem Hintergrund, dass ein Jahr später die hundertjährige Wiederkehr des Beginns des ersten Weltkriegs nahte – Berichten und Literatur von britischen Soldaten aus diesem Krieg zu. Auch hier, ungewollt und unerwartet, traf sie, eingebettet in einen grösseren Kontext, auf ein sehr positives Bild von Essen. In den Schützengräben wurde durch Essen ein Stück Normalität gefunden. Bei Aufenthalten hinter der Front oder auf Heimaturlaub wurde das Essen immer und immer wieder zum Thema, immer wieder auch positiv. Solche Schilderungen brachten sie immer mehr dazu, sich langsam dem Essen anzunähern. Es ist ein langsamer Prozess und es ist gibt auch keine direkte Übersetzung: Die Autorin bereite sich nicht bestimmte Gerichte zu, nur weil sie von diesen las. Sie näherte sich dem Essen an, räumte die Bibliothek im Kopf auf. Aber dann traute sie sich doch etwas mehr zu. Immer wieder einmal.

Das geht über weite Strecken des Buches weiter. Die Autorin beobachtete sich selber und ging dann dazu über, auch beim Lesen und dann bei der Annäherung ans Essen systematischer vorzugehen. Es gibt Rückschläge, dies ist kein Bildungs- oder Entwicklungsroman. Gerade in den letzten Monaten, in welchen sie fest angestellt in einer Redaktion arbeitet, und in der Foodtrends, die Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel und eine strikte Kontrolle des eigenen Essens propagieren, es bis in die Feuilletons schaffen, entwickelte sie wieder neue Abneigungen. Stress und die allgemeine Propagierung von Verzicht hatten eine direkte, negative Auswirkung auf ihr Leben und Wohlbefinden. Am Ende schilderte sie auch, dass sie von all den Nahrungsmitteln, Schokolade weiterhin aus ihrem Leben ausgeschlossen hat: In ihrem Kopf hat sich an Schokolade das Bild festgeheftet, welches sie früher mit noch weit mehr anderen Nahrungsmitteln verbunden hatte: Das des bevorstehenden Chaos. Ein Stück Schokolade würde praktisch den Damm öffnen, welcher das Chaos zurückhält, dass sie versucht von sich abzuhalten. Das ist selbstverständlich nicht rational, aber zeigt auch, wie die Krankheit weiter wirkt.

 

Menschlicher Kontakt hilft.

Freeman schildert ihr langsames wieder-zum-Essen-finden Schritt für Schritt: Immer ausgehend von Lektüre traut sie sich dann irgendwann wieder an eine Form von Nahrungsmitteln heran. Aber nicht alleine. Es sind immer Situationen in Begleitung von anderen – einem Freund, ihrer Familie, Kolleginnen und Kollegen – und eher spontane Entscheidungen, etwas zu versuchen. Erst langes Überlegen, Abwägen, sich Vorstellen, wie es sein könnte – aber dann spontanes Handeln, mit dem Barrieren überwunden werden. Sie betont das auch: Die Lektüre alleine bereitet vor, aber die positive Atmosphäre mit anderen war es dann, was sie neue Schritte übernehmen liess.

Dabei zieht sich durch das Buch auch eine Reflexion der Autorin darüber, wie viele Probleme sie mit ihrem Verhalten gerade ihrer Mutter – die über Jahre ihre Tochter unterstützte, Wutausbrüche über sich ergehen liess und so weiter – und anderen bereitet hat. Im Nachhinein wird ihr das klar, während der heftigen Phasen ihrer Krankheit war es das selbstverständlich nicht.

Insoweit war zumindest für Freeman nicht nur das Lesen, sondern auch ein Unterstützungsnetzwerk wichtig, um dann am Ende selber die „Bibliothek in ihrem Kopf” aufzuräumen.

 

Bibliotherapie hilft.

Das Buch ist kein Buch über Bibliotheken. Sie kommen aber selbstverständlich immer und immer wieder vor. Irgendwo muss der ganze Lektürestoff ja herkommen: Dafür benutzt die Autorin Bibliotheken und Buchhandel nebeneinander. Eine Unterteilung macht sie dabei nicht. Es ist aber selbstverständlich ein Buch – deswegen wird es hier so ausführlich geschildert – welches zeigt, dass es sich lohnen würde, wenn Bibliotheken den eigenen Bestand und die eigene Bestandsarbeit nicht als reinen Hintergrund für neue und andere Angebote ansehen würden, sondern auch fragten, was eigentlich dieser Bestand für Wirkungen hat. Freeman zeigt, dass das Lesen nicht einfach eine Sache ist, die einfach „noch gemacht wird”, aber eigentlich im Digitalen und Innovativen aufgehen würde, sondern das Lesen für Menschen weiterhin eine wichtige Funktion in Bezug auf ihre geistige Gesundheit und ihr Wohlbefinden haben kann. Nicht für alle, nicht alleine; aber wenn, dann doch im relevanten Mass.

 

Selbstverständlich ist die Autorin dabei prädestiniert: Schon vor ihrer Krankheit lesebegeistert, während ihrer Krankheit darauf fixiert, zu lesen – das alles hat wohl dazu beigetragen, dass sie gerade über Lektüre wieder zum Essen fand. Das gilt selbstverständlich nicht für alle Menschen.

Damit zusammen hängt, dass sie von Sprache begeistert ist. Unerwartete, unbekannte Worte findet sie interessant. Sie erwähnt, dass sie solche gesondert vermerkt, wenn sie auf sie stösst, dann weiter über sie recherchiert und später versucht, sie in Texte „einzuschmuggeln”. So wurde sie auch auf die Ess-Szenen bei Dickens aufmerksam: Weil er viele, viele unbekannte, neugebildete Worte benutzte. Man merkt das aber auch positiv an ihrem eigenen Buch: Es ist ein flüssiges Englisch, wie man das von einer Journalistin wohl erwarten darf, aber gespickt von seltsamen, interessanten Worten, die das Lesen auch sprachlich zum Vergnügen machen.

 

 

Literatur und Links

Sarah McNicol ; Liz Bewster (edit.). Bibliotherapy. London: Facet Publishing, 2018

Books on Prescription AUS – https://booksonprescription.com.au

Books on Prescription NZ – https://booksonprescription.co.nz

Reading Well GB – https://reading-well.org.uk

Das Thema Interkulturalität auf dem Bibliothekskongress 2019

Posted in LIBREAS Veranstaltungen by Ben on 14. März 2019

Eine Übersicht von Leslie Kuo (@leslie_kuo)

[Anmerkung: Der Beitrag erschien zuerst auf lesliekuo.com.]

Symbolbild Hund und Publikation "The IFLA / UNESCO Multicultural Manifesto"

Bibliothekshunde sind noch ein anderes und durchaus beispielsweise in der Leseförderung äußerst ernsthaftes und sinnvolles Thema. Hier verwenden wir Pepper, wie das schöne Tier heißt, allerdings vor allem als Blickfang um auf das wichtige Themenfeld der interkulturellen Bibliotheksarbeit hinzuweisen, das Leslie Kuo in Berlin und kommende Woche auch in Leipzig sehr sichtbar auf die Agenda setzt. (Fotografie: Leslie Kuo)

Migration prägt zunehmend unsere Gesellschaft und somit die öffentliche Bibliotheken. Gut, dass auf dem Bibliothekskongress nächste Woche wird die interkulturelle Öffnung thematisiert wird. Sowohl von mir und meinen Kolleginnen aus anderen Bibliotheken im Programm 360° der Kulturstiftung des Bundes als auch von der dbv Kommission Interkulturelle Bibliotheksarbeit.

Sie sind herzlich eingeladen, an folgende Sitzungen zu Migration und interkulturelle Öffnung teilzunehmen:

Montag, 18. März 2019

  • 09:00 – 11:30, Vortragsraum 11
    Perspektiven der interkulturellen Öffnung: 360° Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft (Ko-präsentiert von mir)
  • 13:00 – 13:30, Podium der Verbände
    Warum wir mehr BibliotheksmitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund brauchen: Barrieren, Brücken und andere gelebte Erfahrungen (Vortrag von mir)
  • 16:00 – 18:00, Saal 1
    Interkulturelle Bibliotheksarbeit mit Partnern und System

Mittwoch, 20. März 2019

  • 14:00 – 15:30, Vortragsraum 11
    Bunt alleine reicht nicht! Interkulturelle Vielfalt mit Erfolg ins Team bringen

Hier alle Details zu den Veranstaltungen: (more…)