Braucht es wirklich Richtlinien für Schulbibliotheken?
von Karsten Schuldt
Zu: Schultz-Jones, Barbara A. ; Oberg, Dianne (edit.) / Global Action on School Library Guidelines (IFLA Publications, 167). Boston ; Berlin: deGruyter Saur, 2015
Vorneweg: Wissenschaftsverlage sind Publikumsverlage?
Wieso wird ein Buch veröffentlicht? Allgemein würde man annehmen, dass es einen inhaltlichen Grund gibt: Ein Thema ist ausgereift genug, ein Jahrestag steht an, Material zu einem Thema drängt zur Publikation. Aber das ist in vielen, nicht allen, Teilen des Verlagswesens mehr und mehr eine Illusion. Bekanntlich führen zahlreiche Publikumsverlage Reihen, die einfach eine regelmässige Anzahl von Publikationen mit einer regelmässigen Anzahl von Seiten und einem eingegrenzten Inhalt verlangen: 20 Liebesromane à 180 Seiten pro Jahr, mit je vier Teilen, zwei erotischen Szenen und Happy-End in der einen Reihe, 15 Science Fiction Titel über grosse Kampfrobotern, je 220 Seiten, mindestens einer Schlacht und einem Joda-mässigen Spruch in der anderen. Das macht alles schön planbar und eine Reihe von Autorinnen und Autoren lässt sich darauf ein, solche Bücher zu schreiben, was nicht immer schlecht sein muss, aber oft zu austauschbaren Titeln führt. Das hat seine Berechtigung, werden solche Titel ja gerade nicht als grosse Literatur sondern als Unterhaltung konsumiert.
Aber: Eine ganze Anzahl von Wissenschaftsverlagen scheint in den letzten Jahren ebenso dazu übergegangen zu sein, in einer ähnlichen Form Reihen zu publizieren: Eine bestimmte Anzahl von Publikationen pro Jahr und Reihe wird eingeplant und muss dann auch irgendwie produziert werden. (Vielleicht – besser: bestimmt – gibt es das schon länger, nur im Bibliothekswesen fällt es mir stark auf, da ich durch meine Arbeit immer wieder darauf stosse.) Das hat selbstverständlich Vorteile für die Verlage, beispielsweise können solche Reihen schnell in die Standing Order von Bibliotheken aufgenommen und mehr oder minder ungeprüft in den Bestand übernommen werden. Aber es führt nicht immer zu sinnvollen Büchern, sondern oft zu Titeln, die Aufsatzsammlungen darstellen, welche mit den Titeln der Bücher wenig bis keinen Zusammenhang haben oder auch zu Büchern, die vom Titel her spezialisiert klingen, aber oft einfache Thesen unnötig lang auf 200-300 Seiten auswälzen. Bei einer solchen Verlagsplanung zählt nicht unbedingt die Qualität. Selbst das hat gute Seiten, gelangen doch so manchmal Texte zur Veröffentlichung, derer sich Verlage sonst aus inhaltlichen Gründen nicht annehmen würden – aber da Reihen publiziert werden müssen, können dann zum Beispiel auchmal hochkritische oder hochspezialisierte Bücher publiziert werden. Manchmal.
Im Bibliothekswesen sind es vor allem Chandos Publishing (das auch nur ein Imprint von Elsevier ist) und deGruyter-Saur, die eine solche Strategie zu verfolgen scheinen. Insbesondere bei letzterem Verlag ist das auch im deutschsprachigen Raum zu bemerken. Wer ist in den letzten Jahren nicht schon für einen Titel oder Beitrag für eine Publikation in einer der Reihen für diesen Verlag angefragt worden? Wer hat nicht schon alles verzweifelte Mails von Kolleginnen und Kollegen erhalten, die dem Verlag ein Buch versprochen haben, aber noch innert kurzer Zeit Artikel suchen? Und wer hat nicht immer wieder Klagen über das Preis-/Leistungsverhältnis insbesondere der Reihe „Bibliotheks- und Informationspraxis“ gehört? (Und trotzdem kaufen Bibliotheken die Reihe, insoweit macht der Verlag auch einiges richtig.) Ob dies immer so weiter gehen wird, ist noch nicht ersichtlich. Aber in der Zwischenzeit ist es offenbar nötig, bei Publikationen aus solchen Verlagen auf alles gefasst zu sein: Bücher, die die Bibliothek mit mystischen Grundlagen erklären wollen (gerade Chandos hat da einiges im Programm); Bücher, die inhaltlich quasi nichts mit dem Titel zu tun haben; gleichzeitig Medien, die erstaunlich gut oder interessant sind. Es ist gar nicht mehr möglich, sich auf eine bestimmte Qualität oder Titel zu verlassen.
Richtlinien, die niemand kennt?
„Global Action on School Library Guidelines“, herausgegeben von Barbara A. Schultz-Jones und Dianne Oberg, ist ein solches Buch, dass bei deGruyter Saur erschien, weil – so die beiden im Vorwort – der Verlag eine Publikation zu Schulbibliotheken in der Reihe IFLA-Publications geplant hatte. Nicht, weil ein Grund für die Publikation vorliegen würde, das Thema drängen würde oder jemand unbedingt etwas zum Thema schreiben wollte – sondern offenbar, weil es wieder einmal Zeit war. Die beiden Herausgeberinnen – beide in IFLA-Gremien zu Schulbibliotheken engagiert – schieben im Vorwort und den ersten Texten einen weiteren Grund, nämlich die Arbeit der IFLA School Libraries Section an den IFLA/UNESCO School Library Guidelines vor, aber der Rest der Texte – immerhin 14 weiteren – hat mit diesem Thema nichts oder kaum etwas zu tun. Es geht immer um Schulbibliotheken, aber selten um Richtlinien, quasi nie um die Richtlinien der IFLA/UNESCO. Wie gesagt: Die Form Verlagsproduktion macht es heute unmöglich, vom Titel auf den Inhalt zu schliessen.
Eine ganze Anzahl der Texte ist tatsächlich interessant, insbesondere aber, weil sie immer wieder auch Argumente gegen internationale (oder auch nur nationale) Richtlinien für Schulbibliotheken liefern – was dem Titel des Buches widerspricht. Gleichzeitig ist auch ersichtlich, dass die beiden Herausgeberinnen das in keiner Weise dazu animiert, ihre eigene Arbeit zu hinterfragen.
Die beiden ersten Texte, geschrieben von den Herausgeberinnen, gehen auf die aktuelle Arbeit an den genannten IFLA/UNESCO School Library Guidelines ein. Das an sich ist etwas erstaunlich. In den deutschsprachigen Debatten um Schulbibliotheken sind diese praktisch nicht bekannt. Bekannt ist, dass 1999 gemeinsam von der IFLA und der UNESCO ein School Library Manifest veröffentlicht wurde. Diese wurde immer wieder einmal erwähnt, beispielsweise wurde es in einigen Auflagen der Richtlinien für Schulbibliotheken der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für allgemeine öffentliche Bibliotheken als Anhang gedruckt oder regelmässig in Studienabschlussarbeiten angeführt. Aber vollkommen unbekannt scheint zu sein, dass die Arbeit anschliessend weiterging und 2002 die genannten Richtlinien veröffentlicht wurden.1 Es gibt eine deutsche Übersetzung, was aber fehlt, ist eine Wahrnehmung derselben. Offenbar haben diese Richtlinien nicht nur nicht die erreicht, die irgendetwas für Schulbibliotheken tun sollten (zum Beispiel Geld geben), sie haben noch nicht mal die erreicht, die sich für Schulbibliotheken einsetzen oder über sie forschen. Was sind sie dann wert? Wozu sind sie dann überhaupt da?
Die IFLA hat dies nicht davon abgehalten, 2015 eine überarbeitete Version der Richtlinien zu erarbeiten.2 Die beiden Herausgeberinnen beschreiben den Prozess der Erarbeitung dieses Drafts in einem Text. Dieser liesst sich wie Berichte aus Gremien, die jeden Kontakt zur realen Welt verloren haben: Abgesandte aus einigen Ländern schreiben gemeinsam an einem Text; das sie aus unterschiedlichen Ländern kommen, soll die internationale Relevanz garantieren, aber niemand fragt, ob der Text überhaupt sinnvoll ist oder notwendig oder eine Verbindung zur Praxis hat, die beschrieben und gesteuert werden soll.3 Dies kennt man als Kritik an der Arbeit von internationalen Gremien wie der UNO oder der UNESCO, aber die IFLA scheint ähnlich zu agieren.
Evidenzen gegen Richtlinien
Die restlichen Texte des Buches sollen, so die Ankündigung im Vorwort, auf die Umsetzung und Implementierung der Richtlinien auf nationalen oder lokaler Ebene eingehen. Das tun sie nicht. Schon der erste Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass etwas nicht ganz stimmen kann. Die Herausgeberinnen betonen die internationale Perspektive ihrer Arbeit, gehen explizit auf die Mitarbeit von Kolleginnen und Kollegen aus französischsprachigen Ländern ein – aber die Beiträge des Buches selber sind mitnichten international. Sie stammen bis auf einen alle aus dem globalen Norden, mit starken Fokus auf die englischsprachige Welt: USA (viermal), Australien (zweimal), Kanada, Spanien (Katalonien), Polen, Norwegen, Portugal, Schweden und Frankreich. Die extra hervorgehobene französischsprachige Welt kommt einmal vor (beim kanadischen Beitrag wird sie nicht erwähnt). Der eine Text aus Äthiopien behandelt auch nicht wirklich die Situation in diesem Land, sondern die Arbeit einer kanadisch finanzierten und angeleiteten NGO, die Bibliotheken in Äthopien aufbaut und betreibt. Nur auf den ersten, oberflächlichen Blick ist das abwechslungsreich und international.
Liesst man die Texte, wird es noch erstaunlicher. Die Texte aus der englischsprachigen Welt, vor allem USA und Kanada, berichten von der Arbeit an und mit Schulbibliotheks-Richtlinien – aber nicht denen der IFLA/UNESCO, sondern lokalen und nationalen. Bei diesen Texten herrscht immerhin eine ähnliche Haltung vor, wie bei den beiden Herausgeberinnen: Es wird nicht danach gefragt, was Richtlinien den einzelnen Schulbibliotheken bringen sollen, ob sie funktionieren oder nicht, sondern es wird nur darüber berichtet, wie neue Richtlinien erarbeitet und erlassen wurden.
Heraus sticht dabei der Text von Carol Koechlin und Judith Sykes über neue Standards, die 2014 von der Canadian Library Association erarbeitet wurden. Dies waren nicht die ersten Standards in Kanada. Zuletzt wurden solche 2003 erlassen. Damals hatten neben der School Library Association und der Library Association auch Pädagoginnen und Pädagogen, Forschende in den Bildungswissenschaften und andere an der Erarbeitung teilgenommen: Ein Modell, dass eigentlich für Schulbibliotheken, die immer „irgendwie“ Bibliotheken und gelichzeitig „irgendwie“ Schuleinrichtungen sind, recht sinnvoll erscheint. Seitdem ist es in einer Anzahl der kandanischen Gliedstaaten mit den Schulbibliotheken bergab gegangen – weniger Stellen, viele Bibliotheken jetzt ohne ausgebildetes Personal, weniger Etat, teilweise geschlossene Schulbibliotheken. Die Reaktion der Library Association darauf? Neue Richtlinien erarbeiten, diesmal ohne Unterstützung weitere. Das ist erstaunlich. Es gäbe die Möglichkeit, darüber nachzudenken, ob Richtlinien, Standards und ähnliches überhaupt einen Sinn haben, ob es andere Wege gäbe, Schulbibliotheken zu definieren und zu unterstützen und so weiter. Aber dies wird im Text noch nicht einmal angedeutet. Stattdessen wird beschrieben, wie die neuen Standards geschrieben wurde und gleichzeitig wird ignoriert, dass sie eigentlich ein Rückschritt sind, da es keine Beteiligung von Personen aus dem restlichen Schulalltag mehr gibt. Es ist eine absurde Strategie, die zumindest erklären werden müsste. Stattdessen vermuten die Autorinnen offenbar, dass alle Welt ihr Vorgehen als richtig ansehen würde.
Dies wird etwas weniger erstaunlich, wenn man dazu die anderen Texte aus Australien und den USA liesst. Auch diese beschreiben, wie Richtlinien lokal – beispielsweise in South Carolina oder in der Ausbildung für Schulbibliothekarinnen und -bibliothekare in Hawai’i – eingeführt wurden. Ganz offensichtlich sind die Bildungseinrichtungen und -diskurse in diesen Staaten von (immer wieder wechselnden) Richtlinien und Standards bestimmt – ob es sinnvoll ist oder nicht, wird nicht mehr gefragt. Stattdessen scheint es logisch, dass auch Politik und Planung für Schulbibliotheken in dieser Art geschehen. Aber nur, weil der Rest des Bildungswesens auch so funktioniert.
Die IFLA scheint davon auszugehen, dass dies überall so ist. Gleichwohl zeigt schon die Nicht-Behandlung der „alten“ IFLA/UNESCO Richtlinien in deutschsprachigen Bibliothekswesen (von den Schulen und pädagogischen Verbänden gar nicht erst zu reden), wie wenig das stimmt. Es scheint eher so, als ob eine Section der IFLA ein bestimmtes Denken aus dem angloamerikanischen Raum auf den Rest der Welt übertragen will.
Evidenzen, dass Schulbibliotheken anderswo anders funktionieren
Wie schon angedeutet, liefern die anderen Texte des Buches eher Argumente gegen die Strategie, Schulbibliotheken irgendwie „voranzubringen“, indem Standards formuliert werden. Bogumiła Staniów liefert dazu die Ergebnisse einer Umfrage in Polen. In Polen wurden bis 1999 Schulbibliotheken in jeder Schule vorgeschrieben und vom Staat finanziert. Anschliessend nicht mehr – was dazu führte, dass sie in vielen Schulen, aber nicht allen, abgebaut wurden. Insoweit aber hatten die Schulen über Jahrzehnte Erfahrungen mit Schulbibliotheken gesammelt, und auch wenn sich immer behaupten lässt, dass gespart werden muss, ist doch ersichtlich, dass einige Schulen die Bibliotheken weiter behalten und finanzieren, während es andere nicht tun. 2010 nun erarbeitet der polnische Bibliotheksverband, der Lehrerinnen- und Lehrerverband sowie unterschiedliches Schulbibliothekspersonal gemeinsam Standards für Schulbibliotheken. Schon die Publikation dieser Standards – immerhin von zwei nationalen Verbänden erlassen – war offenbar schwierig: sie wurden in einer bibliothekarischen Zeitschrift und als Anhang eines Handbuchs für Schulbibliotheken publiziert, sonst nicht. Es gibt weder eine Homepage mit den Standards noch eine Broschüre
Staniów erhob mittels einen Umfrage, ob und wie diese Standards in der Praxis genutzt werden. Die Ergebnisse sind eindeutig: Eine kleine Anzahl von Schulcommunities, die daran interessiert waren, Schulbibliotheken (wieder) aufzubauen oder zu entwickeln, nutzte sie als Diskussionsgrundlage (aber war dann schon von Schulbibliotheken überzeugt); ansonsten wurden sie weitflächig ignoriert. Eine Anzahl von Schulbibliothekarinnen und -bibliothekaren qualifizierte sie als zu hoch gegriffen ab. Einzig, als 2013 erfolgreich gegen die vom Bildungsministerium geplante Schliessung von fast allen Schulbibliotheken – durch Verschmelzung mit den örtlichen Öffentlichen Bibliotheken – protestiert wurde, wurde die Standards als Argumentation herangezogen, allerdings als weitere Quelle der Proteste, nicht als Leitdokument. Davor und danach waren sie kein Thema, auch nicht in der bibliothekarischen Literatur in Polen.
Ist das spezifisch für Polen? Eher nicht. Der Text von Florian Reynaud et al. zur Situation in Frankreich zeigt ähnliches. Dort ist – französisch zentralistisch – in den 1970ern von Staats wegen entschieden worden, an allen Schulen Bibliotheken (centres de documentation et d’information) einzurichten, inklusive einer Ausbildung für die dort Arbeitenden „professeur documenatlistes“, Vorgaben für die Fläche der Bibliotheken und so weiter. 1986 wurden Standards erlassen, seitdem hat sich in Schulen, Bibliotheken, Schulbibliotheken und der französischen Gesellschaft einiges geändert – die Standards sind aber immer noch die gleichen und werden auch nicht verändert. Sie sind offenbar nur in Ausnahmefällen für die Schulbibliotheken, die sich selbstverständlich weiterentwickelt haben, irgendwie relevant.
Der Beitrag von Elsa Cinde, Isabel Mendinhos und Paula Correia aus Portugal zeigt einen Weg, wie sich Standards doch durchsetzen lassen: Durch Anweisung und Geld. Das Bildungs- und Kulturministerium liess in einem Projekt erst 25, dann 50 Schulen Richtlinien umsetzen, die das Ministerium erlassen hatte. Das hat funktioniert. Der Text gibt keine Auskunft darüber, ob das Projekt nach dem Ende der Finanzierung einen bleibenden Eindruck hinterliess, aber grundsätzlich ist es selbstverständlich, dass Richtlinien umgesetzt werden, wenn das Ministerium dies fordert und finanziert. Das muss aber wenig mit den Richtlinien selber zu tun haben.
Erstaunlich sind auch einige andere Texte: Karin Ahlstedt et al. berichten über die Arbeit einer Gewerkschaftsgruppe in Schweden, die unter anderem überprüft, ob es die oft behaupteten empirischen Zusammenhänge zwischen vorhandenen Schulbibliotheken und den Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler einer Schule in Schweden gäbe. Es gab sie in Schweden nicht. Einzig die Schulen, die in einem Wettbewerb für Schulbibliotheken gewonnen hatten, weil sie sich durch engagiertes Personal auszeichneten, hatten offenbar einen empirischen Effekt (der noch keinen Beweis darstellt). Ansonsten ist es zumindest für die Noten schwedischer Schülerinnen und Schüler egal, ob sie keine Schulbibliothek, eine Schulbibliothek oder ein gut ausgestattete Schulbibliothek haben. Wenn es aber vom Personal abzuhängen scheint (oder aber das Personal in „guten Schulen“ engagierter ist), lässt sich daran zweifeln, ob Richtlinien einen Effekt haben können, da sie ja zumeist auf die notwendige Infrastruktur fokussieren.
Andere Texte berichten gar nicht über Standards. Johan Koren zeichnet für Norwegen nach, welche Projekte es im Bereich Schulbibliotheken im Anschluss an die PISA-Panik in Norwegen alles gab. (Die ebenso wie in der Deutschland oder Österreich nicht so richtig aus den Ergebnissen zu erklären war.) Es gab einige, die nach dem Projektende nicht weiter geführt wurde; eine klare Strategie gab es nie. Heute existiert eine Homepage zu Schulbibliotheken. Was es nicht gibt, sind Richtlinien. Warum der Text überhaupt in das Buch aufgenommen wurde, ist nicht klar. Es scheint einfach, als gäbe es zum übergreifenden Thema Richtlinien für Schulbibliotheken gar nicht so viel zu schreiben.
Fazit: Titelthema verfehlt, lesbar, aber nicht notwendig
Dies führt zurück zum Grundproblem des Buches: Es musste offenbar eines zum Thema erscheinen und eine bestimmte Seitenzahl erreicht werden. Fast alle Titel der Reihe zählen um die 200 bis 250 Seiten, insoweit auch dieser. Grundsätzlich hätte die Publikation für die IFLA-Section einen Grund liefern können, einmal über ihre Vorstellung, Schulbibliotheken durch Richtlinien voranzubringen, nachzudenken. Das ist nicht passiert und wird auch weiter nicht passieren. Stattdessen soll die Publikation auf dem IFLA-Kongress in Südafrika gefeiert werden.
Aber auch für die deutschsprachigen Diskussionen über Schulbibliotheken kann es ein Grund für diese Debatten sein: Die Idee, Standards für Schulbibliotheken zu erlassen (die allerdings fast immer anders aussehen, als die der IFLA und viel mehr auf konkrete Werte setzen), kommt immer wieder auf, teilweise, wie in der Schweiz, existieren solche Richtlinien explizit. Warum auch immer gibt es die offenbar verbreitete Vorstellung, dass dies Schulbibliotheken dabei helfen würde, sich zu entwickeln oder gegenüber Schulen oder der Politik durchzusetzen. Aber es existiert kein Modell, dass erklären würde, wie und warum das eigentlich funktionieren sollte. Die wenigen Andeutungen dazu sind nicht anders, als in Polen, wo sie sich – wie ober besprochen – in der Realität nicht zeigen. Die Publikation zeigt vor allem, dass diese Idee auch im internationalen Rahmen immer wieder scheitert – ausser vielleicht in Staaten, in denen das Schulwesen und die gesamte Gesellschaft hochgradig durch Richtlinien bestimmt ist. Die geringe Wirksamkeit von vorhandenen Richtlinien muss also einen anderen Grund haben, als nur die Bekanntheit oder den Inhalt solcher Richtlinien.
Ansonsten ist das Buch eine Aufsatzsammlungen zu Schulbibliotheken in unterschiedlichen Staaten des Globalen Nordens, durchgängig in einem einfachen Englisch geschrieben, auch wenn sich Unterschiede ausmachen lassen, wenn zum Beispiel die US-amerikanischen und kanadischen Beiträge unnötig positive Sprachbilder nutzen, während andere Texte erfreulich objektiv sind. Interessant ist das teilweise schon; aber es muss auch nicht unbedingt in jeder Bibliothek stehen.
Fussnoten
1 Ich schliesse mich in den Kreis derer, denen dies unbekannt ist, ein; obgleich ich wahrlich vieles zu Schulbibliotheken gelesen habe, dass in den letzten Jahrzehnten publiziert wurde.
2 Der Text liegt bislang nur als Draft vor, ist also nicht verabschiedet. Dies soll demnächst, beim IFLA-Kongress im August, geschehen. Aber auch das zeigt, wie absurd eigentlich die Verlagspolitik von deGruyter-Saur hier ist: Nächstes Jahr, falls die Richtlinien von der IFLA angenommen werden, wäre es thematisch sinnvoll, ein Buch dazu zu veröffentlichen. Aber offenbar war das Thema „Schulbibliotheken“ vom Verlag für dieses Jahr vorgesehen – also konnte nicht gewartet werden. Richtig absurd wird dies, falls der Draft abgelehnt wird.
3 Urs Dahinden hat mich einmal darauf hingewiesen, dass sich Richtlinien zu Schulbibliotheken – so wie alle Richtlinien, Gesetze etc.– auch als die Darstellung des Denkens über Schulbibliotheken verstehen lassen; nicht immer als für die Praxis relevante Regeln. Mir scheint, dass dies hier wieder zutrifft.
[…] Jetzt richtet er sein Augenmerk auf Richtlinien für Schulbibliotheken. Er hält sie für wenig praxiswirksam. Auch damit rennt Schuldt bei der hessischen LAG offene Türen ein. Schon früh in meinem schulbibliothekarischen Leben konnte ich das Wort “IFLA/UNESCO-Richtlinien” nicht mehr hören. In Gesprächen mit Bibliothekar/-innen ging es gefühlt in jedem zweiten Satz um Richtlinien. “Kennst du die IFLA-Richtlinien?”, ” “Die IFLA-Richtlinien verlangen, dass…”, “Welche Schulbibliotheken entsprechen denn den IFLA-Richtlinien?”. […]
Liebe Herr Schlamp und Herr Schuldt, ich schätze sehr Ihre Verdienste um das Schulbibliothekswesen in Deutschland und gebe Ihnen vielleicht sogar recht, dass die wenigsten Bibliotheken in Deutschland diesen Richtlinien entsprechen. Kanadische Kolleginnen geben auch Beispiele aus der Praxis ihrer Schulbibliotheken, dass es dort auch Gegenbeispiele gibt, wenn die Schulbibliotheken von ihrer Einrichtung her (Input) die Standards mehr als erfüllen und dennoch keine erfolgreiche schulbibliothekarische Arbeit leisten (Output). Was passiert aber, wenn man keinerlei nationale Standards hat, wie es in Deutschland der Fall ist, seit das Bibliotheksinstitut abgewickelt wurde und seine letzten Richtlinien aus dem 1999 zum großen Teil aufgrund der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Dekaden nicht mehr zeitgemäß sind. Als eine Möglichkeit – man bedienst sich von den Nachbarn: die Österreicher, die Schweizer, die Südtiroler haben ganz klare und eindeutige Richtlinien. Nur leider werden diese bei Verantwortungsträgern in Deutschland nicht anerkannt. So wird voraussichtlich z.B. die Schulbibliothek im Schulzentrum Langenhagen im Neubau um mehrfaches schrumpfen, weil die Schulbibliothekarin dem Schuldirektor und den Zuständigen in der Stadtverwaltung keine aktuellen Richtwerte für die Einrichtung der Schulbibliotheken in Deutschland liefern konnte. Die aktuellen IFLA-Richtlinien liefern auch keine Zahlen, weil diese auf lokale Möglichkeiten und Gegebenheiten nach dem Motto „Think global, act local“ anzupassen sind. Es geht auch nicht darum sich sklavisch an alle Empfehlungen zu klammern, sondern einen gemeinsamen Nenner, vor allem in der Funktion der Schulbibliotheken zu haben, unabhängig davon, ob man schulbibliothekarische Arbeit in Deutschland, Libanon, Chili, Australien, Kamerun oder Kanada leistet. Für mich persönlich sind die Richtlinien in dreizehn Jahren meiner Tätigkeit als Schulbibliothekarin ein hilfreicher Rahmen, in dem ich mich frei nach lokalen Gegebenheiten bewege. Mindesten so hilfreich wie Ihre vierdienstreichen Veröffentlichungen zu Schulbibliotheken, liebe Herr Schuldt und Herr Schlamp.
Mit besten Grüßen aus Zagreb von dem Treffen des Ständigen Ausschusses der IFLA-Sektion Schulbibliotheken von dem deutschen Mitglied Irina Nehme
P.S. Die deutsche Übersetzung der Richtlinien ist übrigens in Arbeit