LIBREAS.Library Ideas

Über die mögliche pädagogische Aufgabe von Universitätsbibliotheken, über Open Access, über die ALA, über die Ausbildung und was uns sonst noch so einfällt…

Posted in LIBREAS.Feuilleton by Karsten Schuldt on 26. November 2012

von Karsten Schuldt

Zu: T.D. Webb / Divided Libraries: Remodeling Management to Unify Institutions. – Jefferson, N.C.; London: McFarland, 2012

Divided Libraries ist ein Buch, das sich so liesst, als hätte es einmal einen Plan für eine Publikation gegeben, der nach dem dritten Kapitel aufgebenen wurde, damit die restlichen Seiten mit irgendwas gefüllt werden können. Oder anders: Der Anfang, genauer die ersten drei Kapitel des Buches, sind meinungsstark und diskussionswürdig, die restlichen fünf nicht. Sie scheinen eher einen relativ beliebigen Anhang darzustellen.

Dabei hat der Autor T.D. Webb, seit mehr als drei Jahrzehnten in US-amerikanischen und anderen englischsprachigen Bibliotheken u.a. als Direktor tätig, den Ruf, eine sehr klare und lautstark vertretene Meinung zu haben. Das trifft auch für dieses Buch zu. Nur: Diese Meinung überzeugt nicht wirklich, über das ganze Buch gesehen ist sie auch nicht konsistent, weil fast schon wahllos die Themen gewechselt werden.

Grundsätzlich ist Webb unzufrieden mit den US-amerikanischen Hochschulbibliotheken, der Publikationslandschaft, der ALA, der bibliothekarischen Ausbildung und anderen Dingen – was sein Recht ist. Aber es hätte nicht als ein – auch noch zusammenhängend präsentiertes – Buch verkauft werden müssen.

Nun... ja.

Libraries as Educators

In den schon genannten ersten drei Kapiteln, die fraglos die stärksten des Buches sind, stellt Webb eine Grundthese auf: Librarians – in Hochschulbibliotheken – are Educators. Die Hochschulbibliothek hätte die Aufgabe, zu unterrichten und zum Lernen der Studierenden beizutragen. Er begründet diese Haltung gar nicht, sondern kritisiert, dass sie nicht genügend zum Tragen kommen würde. Den Fokus auf Information und Informationskompetenz lehnt er ab:

„To me, this trend [Information als Grundlage von bibliotthekarischer Arbeit zu betonen, K.S.] is growing because the academic community, including librarians themselves, do not fully comprehend, much less annonce, what librarians really do in academe: Teach! Educate! Research! A major reason for this lack of regognition is the prolonged division between academic librarians and the teaching faculty. We speak different terminologies.“ (Webb, 2012, p. 12)

„Librarianship has a double mission within education. Our total teaching content must not be information literacy exclusively. This would only limit librarianship to its current state of teaching. Our approach to the future means a radical expansion of library education along with subject awareness, if not discipline specialization.“ (Webb, 2012, p. 13)

Der Autor verlangt, dass Bibliotheken, über Informationskompetenz-Programme hinausgehend, auf die einzelnen Wissenschaften spezialisierte Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten organisieren und dies als ihre Aufgabe nicht nur ansehen, sondern auch propagieren. So weit er sich auch aus dem Fenster lehnt, bleibt er argumentativ eigentlich bei dieser Position stehen. Er argumentiert, dass viele Studierende nie richtig lernen, wissenschaftlich zu arbeiten und dass sie zum Beispiel deshalb ungewollt (und eben nicht geplant) plagieren würden. Ausserdem argumentiert er, dass die Bibliotheken heute schon mehr lehren würden, vor allem individuell, als gemeinhin angenommen. Als letzten Punkt seiner Argumentation führt er die Notwendigkeit an, so zu sprechen, wie die Lehrkräfte sprechen und nicht holoistisch im Bibliotheksjargon zu verhaaren.

Argumenativ verweist er auf seine Erfahrung bei seiner Arbeit in Bibliotheken und vor allem beim Erstellen einer Self-study einer Hochschulbibliothek (2004, an der Bibliothek der California State University Sacramento). In dieser Studie hätte die Bibliothek unter seiner Mithilfe den Lehrkräften und der Verwaltung in der Sprache der Lehrkräfte – indem zum Beispiel Outcomes dargestellt werden und nicht die Bestandsgrösse – klar gemacht, welche Rolle die Einrichtung im Lernprozess und beim Erreichen der Aufgaben der Universität spielen würde. Damit hätte die Bibliothek grossen Erfolg gehabt, wäre aber auch in der Lage gewesen, sich selbst mehr als lehrende Einrichtung zu begreifen und umzugestalten.

Auffällig ist dabei, dass Webb bei aller Kritik am Bibliothekswesen ungefragt hin nimmt, was vom Bildungswesen beziehungsweisen der Bildungsadministration vorgeben wird. Dies wird als Rahmen dargestellt, an dem die Bibliothek sich zu orientieren hätte, ohne das dieser Rahmen hinterfragt würde.

Weiterhin verweist Webb darauf, dass die bisherigen Werkzeuge zur Evaluation von Bibliotheken vielleicht schöne Graphiken erstellen können, aber gerade nicht in der Lage sind, den Outcome für Bildungsprozesse von Studierenden darzustellen. Sie seien auf Bibliothekskennzahlen und Interessenabfragen der Nutzerinnen und Nutzer fokussiert. Allerdings wäre das für die Lehrenden an Hochschulen irrelevant. Vielmehr würden die danach fragen, wie sich die bibliothekarische Arbeit in den Leistungen der Studierenden wirklich niederschlägt. Hier springt Webb direkt auf den Zug der Outcome-Messung auf und fordert genau solche Nachweise ein.

Ich habe Recht qua Alter

Diese Sprunghaftigkeit durchzieht das ganze Buch: Erst wird ein Aspekt des Bibliothekswesens kritisiert, zum Teil sehr heftig, dann wird affirmativ eine Lösung übernommen – zumeist aus dem Bildungswesen – ohne zu beachten, dass auch diese Lösung nicht perfekt ist. Webb scheint mehr als einmal den Gestus des Allwissenden Alten einzunehmen, der jetzt einmal sagt, wie es richtig gemacht werden muss, aber daneben ganz paternalistisch die geleistete Arbeit anderen als engagiert etc. loben kann – zumeist kurz bevor er sie niedermacht, manchmal auch wenn er sie zur Bestätigung seiner eigenen Meinung heranzieht.

Die darauffolgenden Kapitel springen dann die gesamte Zeit thematisch. Im vierten Kapitel argumentiert Webb, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare in Hochschulbibliotheken unbedingt einen Ph.D. (er redet vor allem von den USA) bräuchten, um in der Hochschule anerkannt zu werden. Nur so könnte man auf Augenhöhe mit den Lehrenden sprechen. Deshalb kritisiert er auch die ALA und deren Politik, eher auf MSc-Studiengänge zu setzen. Kritik ist dabei das falsche Wort: Er sagt der ALA den baldigen Untergang voraus.

Und dann, auf einmal, redet der Autor über Open Access und plädiert dafür, dass Bibliotheken sich mehr für Open Access engagieren sollen. Es gibt keine Überleitung und bis zum Ende des Buches auch keine Zusammenführung. Offenbar hat der Autor alles zur Hochschule gesagt, was er sagen wollte und springt einfach zum nächsten Thema. Der zu kritisierende Feind sind diesmal die Verlage. Im nächsten Kapitel schlägt Webb den Aufbau von Digital Academic Presses vor, der Feind ist das Copyright-System. (Obgleich sich der Eindruck aufdrängt, dass Webb hier etwas nicht ganz verstanden hat: Er führt als Beispiel an, das zwei bestimmte Werke nicht als Übersetzung in China verlegt werden können, weil sich die US-amerikanischen Urheber nicht finden liessen. Aber es scheint, als würde es sich einfach um verwaiste Werke handeln.) Im vorletzten Kapitel kehrt er nochmal, ohne jeden inhaltlichen Grund, zum Open Access Thema zurück, ohne etwas Neues hinzuzufügen.

Im letzten Kapitel, in dem es eigentlich um das Management von Bibliotheken gehen soll, klärt sich zumindest der Titel des Buches, Divided Libraries, auf. Die Bibliotheken wären intern in Status- und Interessengruppen unterteilt, weil sie kein gemeinsames Ziel hätten. Dieses sollten sie in Form einer Lehrauftrages wiederfinden, dann wären sie offenbar auch nicht mehr divided.

Unerfreulich

Alles in allem ist Divided Libraries ein unerfreuliches Buch. Streckenweise kritisiert der Autor berechtigte Punkte, teilweise führt er – beispielsweise zum Thema Open Access – auch Punkte an, denen man heute einfach per se zustimmt. Das hätte er nicht mehr aufschreiben müssen, schon gar nicht Verweisen, was er schon auf dieser oder jener Konferenz gesagt oder irgendjemand vorgeschlagen hat. Aber grösstenteils ist seine Kritik nicht nachvollziehbar, die Themensprünge verwirrend, ein Gesamtzusammenhang des Buches nicht zu erkennen. Der Titel ist irreführend, auch hat das Lektorat viele Fehler übersehen. Das Buch liesst sich, als würde jemand noch einmal kurz vor der Rente alles zusammenfassen, was zu sagen ist und sich halsstarrig auch nicht reinreden lassen, wenn es unsinnig wird. Ein wenig so, wie man sich wohl Helmuth Kohls Memoiren vorstellt.

Auch der Verlag – McFarland – scheint mir mehr und mehr ein Haus zu sein, dass relativ unbesehen und mit wenig redaktionellem Aufwand alles Mögliche druckt, was mit Bibliotheken zu tun hat. Das können selbstverständlich immer auch gute und interessante Bücher sein. Diese aber ist keines davon.

Zürich, 26.11.2012

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Eine Antwort

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  1. W. Umstaetter said, on 27. November 2012 at 17:06

    Wenn T.D. Webb die Aussage, das Bibliothekare „Educators“ sind nicht weiter begründet, sollte man sich daran erinnern, dass dies seit Melvil Dewey Gegenstand bibliothekarischer Betrachtung war. Im Prinzip auch in Deutschland, wenn da nicht die Einvernahme dieser Idee durch den Nationalsozialisten gewesen wäre, bis hin zur Bücherverbrennung, und dass das einst so viel gepriesene „gute“ Buch damit hier in Verruf geriet. Damit wurde fast nur noch das zur Qualität erklärt, was viel zitiert oder viel verkauft wurde. Insofern ist es durchaus verständlich, dass Bibliothekare wieder an die Aufgabe „Teach! Educate! Research!“ erinnern – insbesondere dann, wenn alle Welt glaubt, man brauche wegen des Internets keine Bibliothekare mehr. Hinzu kommt, dass es darum in den USA auch den School librarian als Pädagogen gibt, der uns völlig fehlt. Darum gibt es bei uns auch kein Äquivalent zu „The children’s Book on how to use Books and Libraries“. Um so wichtiger wäre, das Bibliothekare in Deutschland ganze Serien von Kinderbüchern zur Bibliotheksbenutzung schreiben. Dass das schwierig ist, weil wir nicht seit über hundert Jahren die DDC und die LCC nutzen, ist zwar bekannt, kann aber kein Grund dafür sein, gar nicht erst damit anzufangen. Ob man dazu einen Bücherwurm namens Buchschmaus von Nimmersatt braucht, oder ein Strichmännchen mit der Frage: „Did you use the catalog?“ ist eine andere Frage.

    Im Prinzip erinnert der Aufruf, über „Informationskompetenz-Programme hinausgehend, auf die einzelnen Wissenschaften spezialisierte Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten [zu] organisieren“, daran, was in Deutschland einst durch die Fachreferenten erreicht werden sollte. Ohnenhin ist wirkliche Informationskompetenz eigentlich nur mit Fachwissen gepaart vertieft zu vermitteln („Die Folgen der Online-Revolution. Begabungsförderung durch Informationskompetenz.“ BuB 61 (10), S. 729-732; 2009).

    Dabei scheint es in Vergessenheit zu geraten, dass der Doktortitel einst Voraussetzung für die Fachreferenten im Höheren Dienst war. Diese Voraussetzung verschwand langsam, als immer mehr Geisteswissenschaftler in diesem Bereich von Wissenschaftlern ersetzt werden mussten, die wichtigere Qualifikationen als Sprachkenntnisse und den Doktorgrad mitbrachten. Es sei hier nur an Programmierkenntnisse erinnert, die beispielsweise auch in britischen Bibliotheken immer wichtiger wurden, so dass man sich entschloss, anstelle diverser Sprachkenntnisse, auch eine Programmiersprache als Fremdsprache anzuerkennen. Dabei entfielen dort nicht selten gerade deutsche Sprachkenntnisse.

    Nun ist es interessant, dass man sich auch in den USA wieder daran erinnert, dass ein PhD für Bibliothekare wichtig sein könnte (Webb) . So hatte schon P. Macauley 2004 in Australien empfohlen, den Doktortitel in die berufliche Entwicklung der Bibliothekare und Information professionals stärker einzubeziehen. http://conferences.alia.org.au/alia2004/pdfs/macauley.p.paper.pdf Denn es spricht vieles dafür, dass die Aufgaben für Bibliothekare weiterhin immer Anspruchsvoller werden, und dass beispielsweise das, was früher der mittlere Dienst zu tun hatte immer obsoleter wird. Da sogar „die Ausbildung der Bibliotheksassistenten im Bereich E5 TV-L und der FaMIs (Fachangestellte/r für Medien- und Informationsdienste) in den letzten Jahren eine deutliche Tendenz zu höherwertigen Tätigkeitsbereichen zeigte. So wurde bei der Konzeption der FaMI-Ausbilder-Eignungsverordnung die Befähigung zum selbstständigen Planen, Durchführen und Kontrollieren qualifizierter beruflicher Tätigkeiten im Sinne des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gefordert.“ (Lehrbuch des Bibliotheksmanagements, S. 142; 2011) Diese höherwertige Ausbildung hat Auswirkungen auf den Gehobenen Dienst und diese wiederum auf den Höheren Dienst.

    Die Kritik T.D. Webbs scheint mir insbesondere darum bedenkenswert, weil sie etwas in den USA diskutiert, was hier in Deutschland nicht weniger virulent ist. Die eigentliche Aufgabe von Fachreferenten war und ist die Kooperation von Bibliothek und Fakultät. Ihre Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe wurde in den letzten Jahrzehnten immer schwieriger, weil administrative Aufgaben in den Universitätsbibliotheken immer zeitraubender wurden, und sich Fachreferenten mit immer mehr Fachgruppen gleichzeitig beschäftigen müssen. Diese Trennung von fachlicher Disziplin und bibliothekarischer Qualifikation beschäftigt auch in Deutschland den Höheren Dienst seit längerem.

    Aus dieser Perspektive heraus wird auch verständlich, warum Webb den Gedanken von Open Access in die jeweiligen Fakultäten und damit in die Lehre tragen möchte. Zumal auch hierzulande noch immer beklagt wird, dass sich etliche Wissenschaftler über die Möglichkeiten und Probleme bei Open Access-Angeboten in Bibliotheken nicht bewusst sind.

    Walther Umstätter


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