Take Humboldt? Ein Bildband zum Ivy-Style.
Besprechung zu: Hayashida, Teruyoshi; Ishizu, Shosuke; Kurosu, Toshiyuki; Hasegawa, Hajime (2010) Take Ivy. Brooklyn: PowerHouse Books. 1st English Edition. 142 S. – ISBN: 9781576875506
Das Wintersemester blättert so nach und nach in die Universitätsgebäude und damit in einer Modemetropole wie Berlin nicht nur für Erstsemester die Frage, wie man sich angemessen kleidet. Die Paris Fashion Week ging gerade zu Ende und bot ab und an sogar bibliothekstaugliche Modelle. Allerdings gilt auch, dass wer sich eine von Phoebe Philo entworfene Garderobe der Saison leistet, selten das Interesse verfolgt, Bibliotheks- und Informationswissenschaft zu studieren. Man mag dies bedauern, muss es aber akzeptieren, bis irgendwann der schwarze Schwan dieses Klischees in der Dorotheenstraße über den Weg schwimmt.
Wenigstens die männlichen Studierenden haben es ohnehin einfacher. Wenn sie nachts davon träumen möchten, dass das i in der Berlin iSchool of Library and Information Science nicht nur für Information steht, sondern auch einen Hauch von Ivy übernimmt, finden sie in der letztes Jahr übersetzten Neuausgabe der japanischen Programmschrift „Take Ivy“ das passende Leitwerk.

Zum Mitnehmen oder zum Hierlesen ist bei der Ivy-Kultur keine Frage. Zu ihr kommt man, um zu bleiben. Allerdings ist der kleine Band selbst dafür ein Rapport aus einer anderen Zeit. Und ohnehin scheint es fast wichtiger, sich bei allen Anleihen mit grundständiger Gelassenheit (und mit Käsekuchen und Kakao) immer auch ein wenig selbst zu erfinden.
In den 1960er Jahren reiste eine kleine japanische Delegation fast wie einst Ilf und Petrow in die USA, um die dortige Lebensweise zu erkunden. Ging es den russischen Autoren in ihrem „einstöckigen Amerika“ um eine Art Generalsichtung, verfolgte der japanische Erkundungstrupp um den Fotografen Teruyoshi Hayashida nur die Idee des so gennanten „Ivy Style“ (oder auch „Preppy“), also der Lebens- und Kleidungskultur an den acht Elitehochschulen Harvard, Yale, Princeton, University of Pennsylvania, Columbia, Dartmouth, Brown University und Cornell. Dass man sich für das im Vergleich als rückständig empfundene Modeleben auf japanischen Campus oder wenigstens für das elitär-amerikanisierte Flanieren auf den Straßen von Ginza etwas abschauen wollte, kommt ziemlich unverhohlen und voller Bewunderung zum Ausdruck:
„Looking at the Ivy Leaguers who briskly cycle arround the green grass of their campuses, I admired the their youthful vigor, which is in contrast to feeble Japanese university students.“ (S.121)
Kein Wunder, dass das Buch in Tokio ein instant classic wurde.
Mit – laut Klappentext heimlichen – Aufnahmen, die ein bisschen an frühes sartorialistisches Facehunting erinnern, wurde das Hochschulmodeleben möglichst komplett bis hin zur Vorliebe für Oldtimer – damals Model T’s und A’s – dokumentiert. Bei den zum Teil sehr neckischen Erläuterungstexten kommt man zuweilen ins Zweifeln, ob die Story hinter dem ungewöhnlichen Fashion-Porn-Band wirklich stimmt. Will man wirklich als Vorzeigehipster durchs Grimm-Zentrum schlendern, dann sollte man vielleicht einen Ratschlag zu einem sportlichen Bild beachten, dass zeigt, wie ein junger Student in Segeltuchschuhen und mit Badmintonschläger in der Hand sein klappriges Herrenfahrrad abstellt:
„Wearing shoes without socks and untucking your shirt can be overlooked only because the students are on campus.“ (S.62)
Im Berliner Oktober sollte sich das Problem bereits meteorologisch gelöst haben. Aber man weiß ja nie. Wichtig der Hinweis der Campus-Bindung: Wer an der gestreuten Humboldt-Universität nachlässig herumlaufen will, muss also eigentlich ein Fach wählen, das in Adlershof beheimatet ist. Die Juristen wissen das und machen zeigen bei ihren Gängen durch das Institutsgebäude hinauf zu ihrem hier eingepflanzten Vorlesungssaal, wie ziemliche Kleidsamkeit jenseits der Campus-Kultur ausschaut. Das Button Down Oxford Shirt passt immer, die Madras Bermudas dagegen eher selten.
Die Ambitioniertesten unter den angehenden Fachanwälten und Hausjuristen finden der Beobachtung nach bereits gern den Anschluss, den „Take Ivy“ für die Ivy-Alumni-Arbeitswelt erläutert und die vordringlich Manhattan bedeutet. Fifth Avenue bzw. Brooks Brothers heißt das Leitbild und wenn man es informeller möchte J.Press. Das wirkt natürlich genauso erzkonservativ, wie sich die Brooks Brothers-Filiale in der Rue Saint-Honoré ausnimmt. Aber gerade deshalb zeitlos.
Aus kulturhistorischer Sicht ist von Interesse, wie hier ein bestimmtes Universitätsideal porträtiert wird. Für uns noch interessanter sind die wenigen Aufnahmen und Bezüge, die sich zum Bibliotheks- und Lernalltag ergeben. Eine etwas verwaschene Schwarzweiß-Abbildung zeigt beispielsweise die kronleuchterbeleuchtete Darmouth College Library „filled with refreshingly chilly air and a classical atmosphere. This tranquil room is dim even during the day.“ (S.39) Mehr Klischee geht nicht und man merkt sofort, dass die Stilspione im Sommer unterwegs waren. Bücher tauchen übrigens immer wieder als natürlich unverzichtbares Utensil sowohl unter den Armen der Studenten wie auch in Fotos vom Abverkauf der Semesterliteratur (drei Titel für $ 1,45) auf. Sie wie auch Bibliotheksbenutzung waren (sind?) für den Studienerfolg unverzichtbar:
„How effectively a student uses the library determines his or her performance: whether he or she will become a honor student or end up failing classes. Ivy League libraries are always full of diligent students.” (S.14)
Das glaubt man gern und weiß nun auch, wo sich die Trendsetter der Bildungsfashion die Anregung für den Librarian Chic holten. Wobei das nicht ohne Risiko ist in dieser Kultur, deren Motto „Study hard, play hard“ ist:
„ “He is a bookworm and a total bore at a party.“ With a reputation like that, a student will forever be regarded as an outcast.” (S.117)
Also besser das mit den Büchern nicht übertreiben und auch mal tüchtig beim Lacrosse austeilen.
Während sowohl Männermode wie auch Männerverhalten (inklusive dem gegenüber Frauen – „when with women they turn into complete gentlemen and act like women-worshipping, medieval knights with grace and manners. They can talk about any subject and they can surf, twist, and even waltz on the dancefloor“, S. 116) ausführlich abgebildet werden, finden die Frauen selbst in dem Band wenig Beachtung und so gut wie keine praktikablen Hinweise. Was eventuell etwas mehr über die japanische als über die Ivy-Kultur der 1960er Jahre aussagt. Immerhin entdeckt man diesen schiefen Absatz:
„Looking at female students, who were mostly dressed in a relatively plain and youthful way, there doesn’t seem to be a common student look. […] Most of them were wearing basic garments – the kind you see at a clearance sales floor at a department store in Japan […]” (S. 126)
Da muss die Modegeschichte noch ganz andere Rollenbilder aufarbeiten. Anderseits, dass zeigt die diesjährige Pariser Modewoche, sind Frauen zu ihrem Glück nicht auf ewig an die formale Kragensteife der Brüder Brooks gekettet. Wo die Männer sich am Ende doch recht schematisch in Ivy-Ranken verheddern, entfalten sich die Damen längst Comme des Garçons. Und oft schöner.
P.S. Wer Fotografien aus dem Band sucht, findet in diversen Blogs verteilt nahezu die ganze Bandbreite. Ein Beispiel ist dieses hier.
(bk)
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