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Der Twill der Tweets. Die FAZ entdeckt mit der dhiha3 das Konferenztwittern.

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS.Referate by Ben on 13. Juli 2011

„Wie sinnvoll ist der wissenschaftliche Einsatz von Social Media?“

fragt diesen Mittwoch Katharina Teutsch auf der Seite zu Forschung und Lehre der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. (Ausgabe vom 13.07.2011. Schöne virtuelle Tagungswelt. Seite N 5) Dort berichtet sie über eine Veranstaltung „Im Netz der sozialen Medien: Neue Publikations- und Kommunikationswege in den Geisteswissenschaften“ (mehr dazu hier), die Ende Juni im Deutschen Historischen Institut in Paris (DHIP) stattfand und dem Thema entsprechend eifrigst betwittert wurde. Wer die entsprechenden Feeds mitlas, kann sich die Lektüre eigentlich sparen oder sich auf das Symbolbild aus dem Grimm-Zentrum (als „Plattform traditionellen Wissens“ – FAZ) konzentrieren. Denn man  bleibt zwangsläufig ohne Antwort auf die Eingangsfrage. Dafür war das Brennglas der Journalistin viel zu sehr auf dokumentarische Nahsicht geschliffen und selbst wo sie zum Schlussfolgern übergeht, vermisst der Leser erkenntnisstiftende Distanz.

 I

Damit bedient die naturgemäß ausschnitthafte Betrachtung in der FAZ in gewisser Weise in Druckform die von Klaus Graf auf der Tagung offensichtlich ausgerufene „Kultur des Fragments“ (mehr dazu bei Archivalia): Eine Handvoll Splitter werden in einen halbwegs stimmigen Textverlauf sortiert. So verwundert es wenig, wenn eine Frage als Aufhänger verwendet wird, an der nichts hängen bleiben kann. Denn eine Binärlösung sinnvoll/nicht-sinnvoll existiert dort, wo es  grundlegend auf Kontextvariablen ankommt, einfach nicht. Und was heißt „wissenschaftlicher Einsatz“? Einsatz zur Kommunikation von Wissenschaft oder Einsatz als Erkenntniswerkzeug in der Wissenschaft. Oder beides?

Diese Unschärfe vor Augen eröffnet der Beitrag zur Tagung im Juni doch irgendwie in sich stimmig mit einem fast poetischen „Paris im Juli“ bevor er sich tapfer auf originell gemeinte aber staubtrocken verpuffende Allgemeinplätzchen stürzt:

 „Jetzt twittern es also schon die Spezialisten aus den Fächern. Das Web 2.0 hat endlich das internationale Tagungswesen erreicht“

Warum die FAZ-Redaktion so etwas durchgehen lässt, bleibt ihr Geheimnis. Die Jetzt.de-Redaktion hätte hier vermutlich konsequent den Rotstift durchgezogen. Aber natürlich dürfen dort, wo die Spezialisten in Fächern twittern auch die Journalisten in ihren Schubladen texten. Doch selbst dann gilt die Faustregel: Das Gegenteil von witzig ist witzig gemeint und sofern man selbst Wissenschaftler mit ein wenig Web-Affinität ist, schüttelt man verbeulte Metaphern wie „Saurier-Website“ für H-Soz-u-Kult so schnell es geht wieder aus der Wahrnehmung und wünscht sich auch hier, dass spätestens die Endredaktion stillschweigend eingegriffen hätte. Presseschelte ist allerdings auch eines der einfachsten Manöver im Kommentargeschäft und daher gilt es zugleich, anzuerkennen, dass der Report das eine oder andere Körnchen enthält, welches sich für weitere inhaltliche Diskussionen gut anbietet. Beispielsweise dieses:

 „Nicht immer mag ihr [Social Media-Einsatz] Nutzen auf der Hand liegen, etwa wenn Website-Betreiber auf komplexe Kommentierungs- und Kategorisierungsfunktionen setzen, die am Ende nicht genutzt werden. So geschehen bei dem Versuch einiger deutscher Bibliotheken, ihre Kataloge zu Mitmachplattformen auszubauen, also die Nutzer in den Archivierungsprozess einzubinden.“

Das kennt man gut, das klingt vertraut. Zahllose Beispiele stapeln sich in den Logfile-Ordnern der Mitmachweb-Euphorie, bei der man davon ausging, dass der sehnlichste Wunsch des Bibliotheksbenutzers wäre, Bibliothek 2.0-Benutzer zu werden. Allerdings teilten dieses  Bedürfnis auf die Gesamtzahl der potentiellen Nutzer gesehen in der Nutzungsrealität nur wenige und diese Karawane der Inhalte-generierenden Nutzer musste noch durch das Nadelöhr begrenzter Handlungszeit gelockt und zur Teilhabe animiert werden. Je mehr Partizipationsangebote existieren, desto schwieriger wird es, für alle die kritische Masse an Partizipierenden zu gewinnen, die es braucht, damit die Feedback-Zirkel rotieren.

dhiha 3

Die digitale Diskursanalyse wird, wenn sie denn ihren Durchbruch erreicht hat, kaum einer Innovationsleistung soviel Dankbarkeit zollen müssen, wie der Erfindung des Hashtags. Das Konferenzkürzel #dhiha3 ermöglicht uns z.B. eine Referenzanalyse, die sich bei Twitter auf so genannte Retweets bezieht. Die Abbildung zeigt die Akteure, auf die während der Veranstaltung in Paris die meisten dieser Retweets entfielen. Spitzentweeter ist Pierre Mounier (piotrr70) mit 50 Referenzen. Auf Antoine Blanchards (enroweb) Beiträge wurde 20 Mal verwiesen. Der Rest bewegt sich zwischen einem und 18 Retweets.

II

Denn wer selbst gern Bücher rezensiert und Kataloge anreichert, der tut dies meist schon vollauf beschäftigt bei Amazon oder LibraryThing. Und zweifellos gibt es auch Nutzer, die den Katalog zu reinen Abfrage nutzen wollen und gar nicht daran denken, die Systemleistung im Nachhinein zu evaluieren oder einem Objekt ein eigenes Tag zuzufügen. Es muss schon einiges zusammenkommen, damit sich in einem umfänglichen Bibliotheksbestand sichtbare Spuren der Nutzeraktivitäten niederschlagen.

Vielleicht ist es diese Erkenntnis, die bei Patrick Danowski, der sich hoffentlich für die Zuschreibung „er gehört zur selbsternannten Cyber-Avantgarde des deutschen Bibliothekswesens“ herzlich bei Katharina Teutsch bedankt, die Verschiebung vom „Optimismus der frühen Jahre“ zu einem „vorsichtigen Skeptizismus“ bewirkte. Mit gesunder Skepsis kann man nun noch einmal nachfragen, ob das Gegenstück zum Skeptizismus nicht eigentlich der Dogmatismus wäre? Und man erinnert sich gern an die sportliche Diskussion, die sich der Autor dieses Kommentars als unvorsichtiger Skeptiker mit dem genannten vorsichtigen Skeptiker sowohl während wie auch nach einer Session auf dem Bibliothekartag 2008 in Mannheim lieferte, die nach den „Grenzen der Anwendung Sozialer Software in Digitalen Bibliotheken“ fragte. Ich bedauere bis heute sehr, dass sich der Faden dieser Diskussion irgendwo im Rosengarten verlor und daher nie zu einem zufriedenstellenden Muster verwoben werden konnte. Aber vielleicht lässt sich an den Dialog tatsächlich wieder mittels Social Web anknüpfen. Das Kommentarfeld ist nicht grundlos unter dem Beitrag vorhanden

Die von Patrick Danowski als erfolgreiches Beispiel genannte LibraryThing-Stätte für die Community der Buchliebhaber gab es dereinst bereits fast drei fruchtbare Jahre und wurde – neben Amazon – gern als Vorbild für die Erweiterung von Bibliothekskatalogen genannt. Ich denke dagegen, dass Bibliothekskataloge andere Schwerpunkte verfolgen sollten, beispielsweise die Integration ihrer Datenbestände in digitale Forschungsumgebungen, in denen bibliografische Nachweise – gern auch für die Community sicht- und weiternutzbar – im Sinne einer ambitionierten Literaturverwaltung+ für den persönlichen Nutzungsbedarf verarbeitet werden können. Kataloganreicherung per Rezensionseingabefeld ist im Vergleich zu diesem Anwendungszusammenhang technisch eine Fingerübung für Einsteiger und hinsichtlich der Entwicklung von Anreizverfahren für die aktive Nutzung ein zähes Klettern in der Steilwand (Schwierigkeitsgrad mindestens 8- auf der UIAA-Skala).

Der Erfolg der Plattform LibraryThing liegt eindeutig in dem Zuschnitt des Angebots auf eine bestimmte Zielgruppe: Dort treffen sich gezielt Akteure, für die das Buch einen hohen Stellenwert hat. Im schlichten Bibliothekskatalog finden sich eher Leute, die aus Notwendigkeit ein bestimmtes Buch suchen. Oder wie es gestern einer von zwei kurzbehosten Amerikaner in einem etwas deplatziert und unangemessen laut geführten, dafür aber umso leichter belauschbaren Streitgespräch in der Abteilung für schöne Bücher eines Kulturkaufhauses an der Friedrichstraße formulierte:

„I don’t think anyone goes to the library because he feels like meeting smart people. They go there because they need to check out a certain book.“

Ich war leider nicht lang genug Zeuge der Szenerie um Ausgangspunkt und Fortgang dieses Disputs abschätzen können. Als vorbeistreifende Nutzerperspektive bleibt die Aussage jedoch eine aufregende Sache. Und für das Konzept der Bibliothek als Ort ist sie schlicht nicht haltbar. Denn wie man gut am Grimm-Zentrum beobachten kann, spielt der Peer-Faktor durchaus eine wesentliche Rolle. Und darin liegt denn auch die Essenz von Social Media.  Nur fällt das Abstecken dieses Themas anscheinend auch in Paris und in der FAZ schwer:

„Was mit der Umdefinierung eines „Lesers“ in einen „Nutzer“ für das wissenschaftliche Arbeiten mit Büchern gewonnen ist, blieb auf dieser über weite Strecken seltsam positivistisch argumentierenden Tagung letztlich unklar.“

schreibt Katharina Teutsch und übersieht, dass der Begriff des Nutzers in diesem Zusammenhang deshalb stimmt, weil niemand auf LibraryThing die Bücher liest, jeder aber Plattform und Bücher für etwas nutzt. Und wenn es für die Zurschaustellung des eigenen Belesenseins ist.

Eventuell erweisen sich derartige Praxen ohnehin als Trugbild der Vergeistigung, dessen wahren Kern die „ungute Vielwisserei“ beschreibt, die der bolongna- und E-Learning-kritische Bochumer Historiker Marko Demantowsky bei seinen Studierenden feststellt. Das Amouse bouche einer Get Abstract-Gastronomie im Mund zu führen reicht dabei als Verweis auf ein ganzes (Studien)-Gänge-Menü. Und dies wird natürlich bedauert. Obwohl es womöglich besser in das Paradigma der Fragmentkultur passt. Ob man während seines Studiums, wie Marko Demantowsky,  nur dreißig Bücher liest und versteht (qualitativ) oder dreißigtausend Textpartikel zu seinem Fachgebiet sichtet und irgendwie doch kognitiv ordnet (quantitativ gestützte Mustererkennung), ist ein Streit, den die Hermeneutiker mit Franco Moretti durchfechten dürfen. Ich bin der Ansicht, dass viele Wege zur Erkenntnis führen und nicht die richtige Methode entscheidet, sondern die Erkenntniskonsequenz. Was am Ende als legitime Wissenschaft gilt, wird die Wissenschaft schon selbst aushandeln.

Ein weiteres Klagegut war, so der Bericht aus Paris, die deutsche „intellektuelle Kleinstaaterei“, die

„nicht unbedingt die virtuelle Spitzenforschung[fördert], die sich idealiter auf Open Access beruft und ganz altruistisch auf digitalen Plattformen vorläufige Forschungsergebnisse ausbreitet“.

So kann man es sicher auch definieren. Aber es ist natürlich ein ganz kurzer Schluss, wenn es um Publizieren nach OA-Standards geht. Doch wer von „cleveren Cyber-Entrepreneuren“ und einer „Geistes-crowd“ steckt offensichtlich bereits knietief in der Ironie. Und kommt, wenig überraschend, nicht mehr so recht weiter.

 III

Abgesehen davon steht es außer Frage, dass digital vermittelte Wissenschaftskommunikation auch in informelleren Medienformen (hauptsächlich vermutlich Weblogs) in der Community mehr Anerkennung finden könnte. Nur bewegt man sich hier wieder in der an Anreizen oft armen Steilwand des „Wozu?“. Das IBI-Weblog zählt 124 registrierte AutorInnen und vielleicht fünf aktive. Da greift nicht die 80/20 Regel, sondern ein Verhältnis von 96 zu 4. Ich vermute, dass die Rate auch in anderen Communities nicht viel besser ist. Die Leitthese der Tagung zu Digitalen Wissenschaften im letzten Jahr in Köln

„Die Dominanz von Zeitschriften und Monographien wird aufgelöst werden. Neue digitale Medien und Publikationsformen werden zunehmend institutionell anerkannt werden.“ (Im Tagungsband (PDF) auf Seite 8 )

wurde wohlbedacht ohne Datierung verbreitet. Mehr denn je beweist sich hier der utopische Gehalt solchen Strebens, sofern man in Bezug auf Max Frisch die Utopie als Sehnsucht nach etwas, was man nie erlebt hat, aber erlebt haben möchte, definiert.

Als Folge dieser geringen Streuung aktiver Nutzungen steht, dass die wenigen Akteure, die sich dem Medium hingeben, überproportional Präsenz in bestimmten Bereichen des WWW entwickeln. Es ist und bleibt wenigstens in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft eine Projektionsfläche für sehr wenige. Selbige haben natürlich, wenn die Perspektivenrechnung hinter der These aufgeht, die besten Karten.

Aber auch ohne dieses Kalkül freute sich diese Akteursgruppe sicher, wenn ihre Aktivitäten noch stärker als Diskursleistung eine Würdigung fänden. Immerhin: Konferenzen in Paris über die die FAZ berichtet sind schon mal ein erster Schritt, nur eben in anderen Kreisen, als in der klassischen Wissenschaftskommunikation. Die Lücke besteht meiner Wahrnehmung nach hauptsächlich in den Übergängen zwischen den Kommunikationsformen.

IV

Vielleicht sind es tatsächlich Zwischenformen wie Rezensionen, die hier öffnend wirken. Die Plattform Recensio wird im Artikel als Erfolg erwähnt. Zudem ist das Social Web eine fast unerschöpfliche Quelle zur Primärdatengewinnung und –anreicherung. Der Beitrag nennt die Nacherschließung von Fotografien auf Flickr oder die so genannte Data Driven History, deren Grundzüge Patricia Cohen letztes Jahr einmal publikumswirksam in der New York Times beschrieb (Digital Keys for Unlocking the Humanities’ Riches. 16.11.2010), wobei sie feststellte:

 „Digital humanities is so new that its practitioners are frequently surprised by what develops.”

und vermutlich übersah, dass Robert Busas Index Thomisticus, also die Uranwendung der Digital Humanities, als Idee in sein 54stes Jahr ging und als computer-basierte Anwendung in sein 35stes. Zugegeben: Die Webversion existiert erst seit 2005. Jerome McGanns Überlegungen zur „Radiant Textuality“ sind dagegen seit Mitte der 1990er Jahre im Web nachlesbar. Dass sich dessen ungeachtet entsprechende Akteure auch nach jahrzehntelanger Arbeit an Digitalen Geisteswissenschaften ständig überrascht wiederfinden, unterstreicht das Potential datenintensiver Auswertungs- und Visualisierungsverfahren. Konzeptionell fährt man aber schon länger, als gemeinhin angenommen wird, auf dieser Schiene.

Der Metadiskurs, den Katharina Teutsch vermisste, findet wenigstens in dieser Facette und auch unter dem Schlagwort Computerphilosophie schon eine Weile statt. Die Techniken und Technologien des Web 2.0 sind vielleicht noch nicht durchgängig von diesem erfasst. Aber man kann sicher sein, dass dies geschehen wird.

Ohnehin zeigt sich gerade in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft, dass Methodologie und Willen zur Analyse solcher Formen der Wissenschaftskommunikation sehr elaboriert und noch einen Tick verbreiteter erscheinen, als die Kommunikationsformen selber. Die Beobachter beobachten die beobachtenden Beobachter – hier läuft Luhmann zur Hochform auf. Es gibt gar nichts an dieser bislang eher nabelbeschauenden Praxis auszusetzen, denn wenn die Digitalen Geisteswissenschaften einmal flächenhaft zünden, dann hat man parat, was man zur Analytik so braucht.

Was die Entwicklung des Diskurses über diese Phänomene angeht, kann man folglich ganz beruhigt sein. Denn laut Autorin „steht zu befürchten [sic!]“, dass zur Pariser Social Media-Konferenz „unter den fördernden Fittichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft bald zahlreiche Nachfolger“ veranstaltet werden. Diese wirken als weitere Puzzleteile einer „neue[n] Kultur des Fragments“ (Klaus Graf). Und selbige bildet mit einer „Kultur des Teilens“ (André Gunthert) – also der Palette von Open Access bis zur Wissensallmende – sowie einer „Kultur der Anerkennung“ (Mareike König) – hinter der ich in Ermangelung genauerer Kenntnis die Anerkennung der Urheberleistung vermute – einen kulturellen Überbau der Digitalen (Geistes)Wissenschaft. So ganz neu ist es nicht: Das Prozesshafte trifft auf die Distributionparadigmen und ein wissenschaftsethisches Normengerüst.

Es wäre sicher nicht schlimm gewesen, wenn die Berichterstatterin der FAZ diese Minimalübersetzung auf die Metaebene angedeutet hätte. Aber möglicherweise ist das nicht notwendig. Denn darum kümmern sich die einschlägigen Akteure des wissenschaftlichen Social Web am Ende auch gern selbst.

(bk)

8 Antworten

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  1. Mareike said, on 14. Juli 2011 at 17:23

    Danke für den schönen Beitrag! Habe ihn mit wachsender Begeisterung gelesen. „Kultur der Anerkennung“ meint Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung in den sozialen Medien, die bei Berufungs- und Einstellungsverfahren sowie bei der Bewertung der Leistung von Studierenden berücksichtigt werden sollten.

  2. Ben Kaden said, on 14. Juli 2011 at 19:31

    Hallo Mareike,

    besten Dank für den Kommentar. Die „wachsende Begeisterung“ freut mich natürlich ungemein und die Ergänzung zeigt, dass meine Interpretation – nun ja – wenigstens annähernd nicht ganz verkehrt war. Jedenfalls, wenn man die Rechtsgröße Urheberschaft sehr weit interpretiert und dahingehend verwendet, dass Wissenschaftskommunikation über soziale Medien auch eine entsprechende Schöpfungsleistung darstellen kann und als solche ernst genommen werden sollte.

    Abgesehen von dieser semantischen Biegung ist nun eindeutig, worauf Du hinaus möchtest: Wissenschaftliche Kommunikation über so genannte Sozialen Medien, die irgendwie hybride zwischen standardisierter bzw. formalisierter Wissenschaftskommunikation, Experiment und informellem Austausch schwebt, soll als selbstverständliche Kommunikationspraxis wissenschaftsübergreifend anerkannt werden.

    So nachvollziehbar die Forderung ist, so schwierig erscheint sie mir in ihrem allgemeinen Anspruch. Denn die Ausprägungen der Inhalte in diesem Medienfeld sind sehr heterogen und reichen von komplexen wissenschaftlichen Abhandlungen bis zum Streuen von LOL-Cats-Videos und zwar auf denselben Plattformen.
    Der LIBREAS-Blog ist da keine Ausnahme:halbernste Stilkritiken zur Brillenmode residieren in lockerer Nachbarschaft mit wissenschaftspolitischen Stellungnahmen, Essays zur Narratologie und diskursarchäologischen Erkundungen. Dass so etwas in unserer Disziplin der Bibliotheks- und Informationswissenschaft überhaupt derart entspannt möglich ist, liegt vermutlich daran, dass

    1. Social Media-Anwendungen zentrale Gegenstände unseres Forschungsfeldes sind, sowie
    2. die Disziplin als Zwitterwesen sowohl zwischen Anwendung und Theorie wie auch zwischen Geistes-, Sozial-, technischen und Naturwissenschaften traditionell immer diverse Kommunikationsformen in sich integrieren musste.

    Unsere Stärke ist dieser Mangel: Wir haben nicht die Leitform der Wissenschaftskommunikation, in die man sich fügen muss, um rezipiert zu werden.

    Ich verstehe aber auch, wenn andere Disziplinen mit festeren Kommunikationskonventionen Probleme damit haben, neue Varianten des fachlichen Austausches zu integrieren. Wissenschaftliche Leistung muss, um als legitim zu gelten, immer in einer Form transportiert werden, die von der jeweiligen Kommunikationsgemeinschaft als legitimierend angesehen wird. Ein Zeitschriftenartikel, der ein Double-Blind-Peer-Review erfolgreich durchlief, kann sich über die Zeit als absoluter Humbug herausstellen, wird aber durch dieses Reviewing im Normfall dennoch gegenüber dem vielleicht viel originelleren Blogposting höhere Anerkennung genießen. Wissenschaft ist ein soziales System. Wissenschaftskommunikation unterliegt sozial konstruierten und immer neu bestätigten Regeln.

    Genau dadurch ist es sicherlich perspektivisch möglich, neue Formen der wissenschaftlichen Kommunikation zu etablieren. Aber dies wird, so meine Vermutung, noch eine ganze Weile und noch einige Variationen in Anspruch nehmen. Die Einbindung in den Lehrbetrieb und damit die Prägung kommender Generationen von WissenschaftlerInnen ist sicherlich ein entscheidender Schritt.
    Der zweite, wahrscheinlich noch notwendigere Schritt, läge aber darin, auch im Social Media-Bereich anerkannte Formen der Qualitätsbewertung und Sicherung von Inhalten und damit nicht zuletzt des Filterns hinsichtlich einem wie auch immer definierten Erkenntniswert für die jeweilige Community zu entwickeln. Hierbei finden wir uns in einer etwas paradoxen Lage: Die Stärke der Social Media-Kommunikation (Niedrigschwelligkeit, Egalität) muss auf einen bestimmten Zweck (Qualitätsbewertung) hin funktional transzendiert und in gewissem Umfang formalisiert werden. Vermutlich erst wenn das gelingt, wird diese Form der Kommunikation auch in einer evaluativen Wissenschaftskultur wirklich anerkannt werden.

    Vielleicht sollte man eine kommende Konferenz (übrigens einer sehr konventionelle Kommunikationsform, die aber im Fall der dhiha3 sehr gelungen durch ergänzende Kommunikationen im Web angereichert wurde und somit gleich Entwicklungsmöglichkeiten praktisch angedeutet hat), zu Social Media in den Geisteswissenschaften thematisch auch auf diese Frage hin konzipieren. Das Ziel muss m.E. eine Verbindung beider Kommunikationswelten sein. Wie kann man also diese Zusammenführung zwischen traditioneller und Social Media-geprägter Wissenschaftskommunikation gestalten?

    Viele Grüße,

    Ben

  3. Mareike König said, on 15. Juli 2011 at 08:07

    Hallo Ben,
    Deine Skeptik in Bezug auf die nahe Anerkennung der wissenschaftlichen Leistungen in Blogs oder sozialen Netzwerken teile ich, fordern will ich sie aber trotzdem. Dabei scheint es mir gleichgültig, ob auf einer Plattform wirklich relevante wissenschaftliche Äußerungen neben Humbug stehen. Ein Schritt wäre ja schon mal, dass bei Berufungsverfahren nicht mehr nur die klassische Veröffentlichungsliste gefordert würde, sondern auch der Blog mit 70 Abonnenten dabei entsprechend Würdigung erhielte. Und statt im Studium nur Klausuren oder Hausarbeiten schreiben zu lassen, könnte man auch das wissenschaftliche Engagement in sozialen Netzen bewerten.
    Die Grafik zu den Retweets oben würde ich gerne auf unserem dhiha-Blog mit Hinweis auf Deinen Blogeintrag erneut publizieren und dabei die Bildunterschrift ins Französische übersetzen. Wärst Du damit einverstanden?
    Viele Grüße aus Paris,
    Mareike

    • Karsten Schuldt said, on 15. Juli 2011 at 08:58

      Wieso, bitteschön, soll den wissenschaftliche Kommunikation sich darauf konzentrieren, ob sie in Berufungsverfahren anerkannt wird? Ich weiß: Irgendwo muss das Geld zum Leben ja herkommen, aber wissenschaftliche Kommunikation sollte sich doch daran messen, ob sie zur wissenschaftlichen Wissensproduktion beiträgt (oder, von mir aus, auch mal zur Popularisierung von wissenschaftlichem Wissen). ‚Tschuldigung, dass ist nur ein schneller Nebeneinwurf, aber ich denke doch, „wir“ sollten uns darüber klar werden, dass Wissenschaft Wissenschaft ist und erst in zweiter Linie Karriere.

    • libreas said, on 15. Juli 2011 at 09:38

      Hallo Mareike,

      du kannst gerne die Grafik mit Hinweis auf den LIBREAS-Blog Eintrag verwenden.

      Viele Grüße,

      Najko & Ben

  4. Mareike König said, on 15. Juli 2011 at 09:37

    Nun ja, da gibt es eben die utilitaristische und die anti-utilitaristische Sichtweise. Beide haben ihre Berechtigung und man muss sich auch überhaupt nicht einigen. Mir ging es nicht um eine Bewertung dieser beiden Einstellungen, sondern darum, dass die wissenschaftliche Leistung unabhängig davon, in welchen Kanälen sie publiziert wird, gleichermaßen Berechtigung erhält, anerkannt zu werden.

  5. […] Kaden, Ben: Der Twill der Tweets. Die FAZ entdeckt mit der dhiha3 das Konferenztwittern., in: Librea… […]

  6. […] tweets_dhiha3. L’illustration est prise d’un billet de Ben Kaden, publié dans le blog Libreas. Elle montre les re-tweets, donc les tweets cités par d’autres utilisateurs et publiés […]


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