The bumpy ride to Open Access. Ein kurzer Kommentar zur Diskussion um die IWP.
von Ben Kaden
Ein akutes Thema auf der Unkonferenz frei<tag> (dieser Session konnte ich leider nicht beiwohnen, weil ich mich irgendwo in der Hermeneutik verlor) war die Umsiedlung der Zeitschrift Information.Wissenschaft und Praxis (iwp) vom kleinen Verlag Dinges & Frick zum etwas größeren Verlag De Gruyter. Was auf dem Bibliothekartag 2011 relativ schnell jeder wusste, der sich nur ein wenig dafür interessiert, wurde dann am Samstag über die inetbib-Liste noch einmal offiziell bestätigt. Dort gab es prompt zwei Reaktionen, die den Schritt, vorsichtig gesagt, nicht sofort mit Jubel begrüßten. Weite Teile der Zielgruppe, so der Eindruck, hätten sich eine Transformation in ein Open Access-Journal gewünscht.
Ulrich Herb kommentiert heute die Entscheidung etwas ausführlicher und vermutet, was eben zu vermuten ist: Das DGI sich etwas bei diesem Schritt gedacht hat. Was das ist, wird sie sicher alsbald bekannt geben. Aus der Position eines Außenstehenden mutet die Entscheidung ein wenig wie eine Flucht nach vorn an. Während der DGI-Konferenz im Oktober 2010 gab es eine interessante Sitzung zur Gründung eines DGI-Arbeitskreises, der unter anderem Perspektiven für IWP diskutieren sollte. Die Grunderkenntnis aus dem Geschehen seitdem ist, dass allein schon die Diskussion schwer fällt.
Ich sehe nicht zuletzt aus meinen Erfahrungen als Mitherausgeber von LIBREAS eine deutliche Diskrepanz zwischen dem prinzipiellen Willen zu Open Access und der Bereitschaft bzw. sicher auch Möglichkeit, sich an dieser Stelle gestaltend einzubringen. Selbst eine im Aufwand relativ übersichtliche Publikationsplattform wie LIBREAS erweist sich in der Realisierung als ziemlich aufwendig – aufwendiger als man als Außenstehender gemeinhin anzunehmen neigt.
Es ist auch bei optimistischster Sicht auf die Dinge nicht anzunehmen, dass unter den Mitgliedern der DGI tatsächlich ein außenreichend großer und verlässlicher Mitarbeiterstamm zu gewinnen ist, der eine OA-Publikation vom Peer Review bis zum Prepublishing nebenher betreut. Der Goldene Weg, dass wird manchmal übersehen, benötigt auch Ressourcen, zumal, wenn man vielleicht am Ende doch ein oder zwei hauptamtliche Mitarbeiter bezahlen möchte.
Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich als Herausgeber vor der Entscheidung stünde, eine prekär finanzierte, dafür aber umfänglich Open Access und CC-kompatible Publikation von Ausgabe zu Ausgabe zusammenzuzittern oder – mit einigen Abstrichen – den vergleichsweise sicheren Hafen eines Wissenschaftsverlages in Anspruch zu nehmen. Eine bittere Wahrheit bei der Gelgenheit ist, dass diese Publikationen häufig gerade nicht in der Arbeitszeit, die der Steuerzahler finanziert, entstehen. Man benötigt also schon private Zeit und innere Überzeugung. Ich verstehe aber jeden, der nicht bereit ist, dies neben seiner Profession aufzubringen.
Selbstverständlich verstehe ich auch die Autoren, die ihr Interesse an Sichtbarkeit zu einem prinzipiellen Recht erweitert sehen wollen. Nachvollziehbar mag und wird vermutlich keiner dieser Autoren eine Autorengebühr von 1.750 € für eine Publikation in der IWP schultern, wobei dieser Preis für Author-Pays-Modelle noch eher niedrig angesetzt scheint. Es ist jedoch noch gar nicht heraus, ob diese Preisliste tatsächlich für die De Gruyter-Version gilt oder ob die DGI nicht andere Konditionen auszuhandeln vermochte.
Eventuell muss man sich angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem Thema in Deutschland bei allem Enthusiasmus gegenüber Open Access und der Forderung:
„Und die Erkenntnis, dass man eigentlich ein besseres Journal als die IWP brauchen und schaffen könnte – Open Access & Creative Commons inklusive.“
generell eingestehen, dass weder Informationspraxis noch Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Deutschland gut genug aufgestellt sind, um diese Aufgabe wirklich zu meistern.
Übrigens: Auch um das herauszufinden und ein weites Spektrum an Möglichkeiten zur Fach- und Wissenschaftskommunikation auszuloten, haben wir gestern (also zufällig just in time zur Diskussion) beschlossen einen LIBREAS.Verein zu gründen. Wir können nur dazu auffordern, sich dort einzubringen.
Wir sehen uns natürlich auch perspektivisch nicht in Konkurrenz zur IWP, gehen also nicht auf das „besser“ es sei denn, es betrifft uns selbst. Wir begrüßen aber in jeder Hinsicht Engagement, das uns hilft, beispielsweise ein gutes bibliotheks- und informationswissenschaftliches Journal zu erstellen und zu entwickeln. Erstklassige Beiträge, vielleicht ein straff organisiertes Peer Review, Open Access & Creative Commons inklusive.
P.S.
Da Ulrich Herb LIBREAS so nett in seinem Beitrag lobt, möchte ich diese Stelle gern zitieren:
„Mir fiele noch LIBREAS ein: Open Access, inhaltlich interessant & meistens gut, gut gemacht, mit einem sehr breiten Scope – für mich meist zu weit. Aber zumindest fällt mir sofort der letzte LIBREAS-Artikel ein, den ich gelesen habe. „
Hallo Herr Kaden,
eine sehr gelungene Replik auf meinen launischen Einwurf zu DGI, IWP & OA. Und selbstredend gebe ich Ihnen recht: Gute Qualität kostet, there ain’t no such thing as a free lunch. Und auch was die möglicherweise von der De Gruyter Policy abweichende OA-Linie für die IWP angeht, stimme ich Ihnen zu – ich hoffe sogar, dass es diese geben wird. Dennoch: mehr OA hätte es sein dürfen und ich bleibe dabei: Die genannten Beweggründe leuchten mir nicht so recht ein. Aber bei einem Verband geht’s immer auch (und das meine ich nicht verunglimpfend) um Politik und vielleicht hat auch diese ihre Rolle gespielt – egal: es fehlt an guten Journals (OA oder nicht) zu Infowiss in D und ich zweifele, ob De Gruyter & IWP der Befreiungsschlag gelingt. Die DGI-Entscheidung erscheint mir leider konservativ.
Ob ich Ihnen darin recht gebe, „dass weder Informationspraxis noch Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Deutschland gut genug aufgestellt sind, um diese Aufgabe wirklich zu meistern“, weiß ich noch nicht. Auch wenn der Aufwand unumstritten hoch ist: Findige Köpfe sind da, fraglich ist nur, ob sie die Arbeit stemmen können und wollen. Allerdings denke ich schon, dass ein Verband wie die DGI hier strukturell im Vorteil ist und mehr wagen könnte. Der Switch zu De Gruyter macht die IWP zuerst mal nicht per se unattraktiver, aber eben auch nicht attraktiver. Aber warten wir mal ab, wie die DGI sich äußert (was mir aber weitgehend egal ist, ich betrachte die Sache phänomenologisch) und vielleicht werden wir in drei Jahren feststellen, dass sie goldrichtig gehandelt hat. Meine Skepsis bleibt aber einstweilen bestehen.
Interessierte Grüße
UH
Passend zur Entwicklung referiert Joseph Esposito heute im Scholarly Kitchen die vier möglichen Geschäftsmodelle:
1. die Leser zahlen
2. die Autoren zahlen
3. Marketing / Werbung
4. Institutionelle Förderung
Nun kann man sich beispielsweise für die weitere Diskussion zur Zukunft der IWP überlegen, welches dieser Geschäftsmodelle sich als tragfähig erwiese bzw. inwieweit eine Kombination als möglich erscheint. Oder man liest weiter und entdeckt das „Membership Business Model for Scholarly Communications“, welches bei Verbandszeitschriften allerdings auch schon in gewisser Weise umgesetzt scheint.Und auch die abschließende Einsicht des Blogpostings ist eher eine Erinnerung denn eine Neuigkeit:
Wir haben damit jedoch immerhin eine klare Fünf-Punkte-Basis, mit der wir Szenarien diskutieren können.
Alles weitere hier: The Membership Business Model for Scholarly Communications.
Es gibt weitere Stimmen zur Liason IWP und De Gruyter. Für Klaus Graf bei Archivalia handelt es sich bei dieser „Schande“ „einmal mehr um einen Akt der Heuchelei!“. Eberhard Hilf sorgt sich in der Inetbib um die Unabhängigkeit der Zeitschrift und die wichtige Frage nach der Online-Verfügbarmachung und -haltung der Ausgaben. Rainer Kuhlen ist ebenfalls skeptisch, rät aber dazu, ersteinmal den konkreten Schritt abzuwarten. Zudem würde an einem Konkurrenzprodukt „gebastelt“. Christian Hauschk
ae sieht dagegen auf Infobib die Zeitschrift „auch in Zukunft hinter Schloss und Riegel“ und ruft zur Tat:Als Redakteur bei LIBREAS weise ich bei der Gelegenheit gern darauf hin, dass Beiträge natürlich auch bei LIBREAS eingereicht werden können.Wir bieten eine Open Access-Veröffentlichung, jede CC-Lizenz, die der/die jeweilige Autor/in möchte sowie eine Langzeitsicherung im E-Doc-Archiv der Berliner Humboldt-Universität. (Und mittlerweile, dies als Anmerkung für Klaus Graf, auch bessere Metadaten.) Der aktuelle Call for Papers ist noch gültig. Wir gewähren mit Vergnügen ein zusätzliches Zeitpolster für alle Autoren, die jetzt ihr Interesse bekunden. Das angegebene Datum für den Redaktionsschluss ist also relativ zu verstehen und der Rest Aushandlungssache. Wie z.B. Toll-Access über ökonomische Hürden eine Form von Ausschluss darstellt, wäre m.E. ein hervorragendes Thema für das aktuelle Schwerpunktfeld „Zensur & Ethik“. – redaktion@libreas.eu
[…] Ben Kaden: The bumby ride to Open Access. Ein kurzer Kommentar zur Diskussion um die IWP. […]
1. Off topic: Glückwunsch zur Vereinsgründung!
2. Kleine Korrektur: HauschkE. Bibliothek, nicht Kosmetik.
3. @Ulrich Herb: Ich erwarte auch nicht viel von einer weiteren Erläuterung der DGI. Die Fairness gebietet es aber, eine gewisse Reaktionszeit einzuräumen. Immerhin hat sich Herr Gradmann zur Zeit mit Kritik auch in anderen Bereichen auseinanderzusetzen.
Aussitzen der Kritik seitens der DGI wäre jedoch sicherlich der schlechteste Weg. Ich hoffe, das ist den Verantwortlichen auch bewusst.
4. Wirklich amüsant finde ich es übrigens, das Themenspektrum des CfP zur DGI-Konferenz 2012 nach dieser Entscheidung noch einmal zu überfliegen.
Vielen Dank für die Ergänzungen und die Glückwünsche. Sowohl der erste falsche Buchstabe in der Überschrift (in der Nacht war die Fahrt bumby statt bumpy) wie auch der Tippfehler im Namen – weiß der Teufel aufgrund welcher undurchsteigbaren konzeptionellen Querverbindungen sie entstanden – sind hochgradig peinlich und zeigen, wie wichtig ein solides Lektorat ist.
Abgesehen davon ist der Druck der Blogosphäre natürlich wichtig, denn er wird sowohl in der DGI wie auch im Verlag mit Sicherheit zur Kenntnis genommen. Er signalisiert ihnen, dass sie unter scharfer Beobachtung arbeiten. Andererseits steht die Situation wie sie ist und man muss das Beste aus ihr machen. Darum sollte es jetzt gehen.
Für die Diskussion zur Zukunft der IWP gab es vorher tatsächlich Gelegenheit, beispielsweise in der im obenstehenden Beitrag angesprochenen Arbeitsgruppe. Das Echo war vergleichsweise sehr gering. Jetzt ist das Grollen groß und leider vielleicht etwas zu aufdonnernd. Ich gehe davon aus, dass sowohl der De Gruyter-Verlag, der für meinen Geschmack teilweise ein bisschen zu einfach als Krake abgekanzelt wird, wie auch die DGI ein Interesse daran haben, die IWP zugänglich und damit am Leben zu halten. Dass die Themenwahl der Zeitschrift Verlagsinteressen unterworfen wird, ist für mich undenkbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man im De Gruyter-Verlag solche handwerklichen Schnitzer begehen würde und für kurzfristige Interessenpolitik den eigenen Ruf aufs Spiel setzt.
Ich habe es oben bereits angedeutet (und mir dafür bei Klaus Graf den hanebüchenen Vorwurf eingehandelt, ich würde Open Access in Frage stellen): Eine funktionierende Open Access-Zeitschrift benötigt eine funktionierende Infrastruktur, benötigt eine Redaktion und benötigt eine Community, die hinter ihr steht. Ist dies nicht zureichend vorhanden, muss sie aus einer Kombination mit anderen Betriebsmodellen (siehe die fünf Varianten Joseph Espositos oben) produziert werden. Im Zweifelsfall bedeutet dies auch, mit einem kommerziellen Verlagspartner zusammenzugehen und damit womöglich Bedingungen zu akzeptieren, die die Community nicht nur begrüßt.
Wenn die Fachöffentlichkeit als Hauptabnehmer der Zeitschrift ihre Stimme in die Verhandlungen der Bedingungen für die IWP zwischen Herausgebern und Verlag einbringt, ist das der richtige Schritt zu einem Ausgleich der Interessenlagen. Eine reine Skandalisierung wirkt bekanntlich bestenfalls als Strohfeuer. Ein explizit und expliziert konstruktiver Dialog ist m.E. der wirkungsvollere Weg. Die DGI und auch De Gruyter sehe ich an dieser Stelle allerdings momentan unter Zugzwang: Sie haben die Reaktionen auf dem Tisch. Es wäre klug und professionell, wenn sie schnell und offen reagierten, um der streckenweise bitterbösen Debatte ein wenig die Spitze zu nehmen.
P.S. Jetzt habe ich den Schlüssel zum Hauschka! – es ist nicht die Kosmetik, sondern die Playlist… Zum bumby überlege ich noch.
@Ben Kaden: Wolfram Huschke wäre eine weitere, ähnlich benamste Playlist-Erweiterung.
Die Diskussion über die Zukunft der IWP hat unter anderem auch unter reger Beteiligung von Heinz Pampel und Lambert Heller stattgefunden. Ihre Kriterien für ein informationswissenschaftliches Journal der Zukunft sind im Einzelnen natürlich zu diskutieren. Aber die Kriterien einfach zu ignorieren und die technische Gestaltung eines Journals komplett in Verlagshand zu legen, finde ich für eine informationswissenschaftliche Gesellschaft, die m.E. die Speerspitze wissenschaftlichen Publizierens darstellen sollte, zu bequem.
Alle vorgebrachte Kritik steht selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass IWP wie alle anderen Journals von de Gruyter aufgebaut sein wird. Ein schönes Beispiel ist diese „Inhaltsfahne“ als webfreundliche PNG-Datei: http://www.reference-global.com/doi/abs/10.1515/bfup.2011.001
Der DGI-Vorstand veröffentlichte heute eine Stellungnahme zum Wechsel der IWP zu De Gruyter, in der er einige Rahmenbedingungen der Entscheidung und der Vereinbarung mit dem Verlag erläutert: DGI-Vorstand zum Verlagswechsel der IWP.
Zudem weist er darauf hin:
Ein erster Vorschlag von meiner Seite wäre, die Nachrichten im Bereich Aktuelles auf der DGI-Seite in einem Blog zu publizieren, da sie dadurch Metadaten (besonders: Zeitstempel) sowie eine konkrete Adresse erhielten und in den hoffentlich regen Folgediskussionen besser zitiert/adressiert werden könnten.