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It’s the frei<tag> Countdown. Noch 11 Tage.

Posted in LIBREAS aktuell, LIBREAS Veranstaltungen, LIBREAS.Feuilleton by Karsten Schuldt on 30. Mai 2011

Die Jugend. Für einige von uns ist sie schon länger vergangen, für einige noch nicht ganz so lange. Sicherlich schaffen wir es immer wieder einmal, uns irgendwie jugendlich, zumindest jung zu geben: Mehr Internetnutzung, als die durchschnittlichen Jugendlichen, mehr Verweise auf Subkulturen, Chanspeak, lange wach sein und über existenzielle Fragen nachdenken. Und wirklich alt wollen wir uns ja auch noch nicht fühlen, obgleich Nutzerinnen, Nutzer und Studierende uns schon länger siezen, obwohl wir Verantwortung für unser Leben, teilweise schon für das unserer Kinder haben. Doch uns rettet da zum Glück noch die Soziologie mit ihrer Diskussion über die Ausweitung der Jugend bis in die erste Hälfte des dritten Lebensjahrzehnts und der Frage, ob sich nicht zwischen Jugend und Erwachsenenalter noch ein weiteres Lebensalter etabliert. Zur Not können wir uns als Avantgarde dieses Alters fühlen.

Die Jugend aber, wenn wir einmal ehrlich sind, ist für uns vorüber. Was wir bis jetzt nicht gemacht haben, haben wir nicht gemacht, als wir die Chance hatten. Sicherlich können wir all die jugendlichen Sachen immer noch machen, aber wir können sie nicht mehr mit jugendlichem Leichtsinn erklären. Sie sind zumeist einfach nur noch unverantwortlich.

Die Jugend aber, wenn wir ehrlich sind, wurde uns zum Ort der Nostalgie. Lange schon gibt es Plätze, an die wir zurückkehren und uns erinnern können an die naiven Hoffnungen der Zeit als wir 16 waren, oder 18. Vielleicht rettet uns gerade – zumindest die, die schon älter sind – der Fakt, dass im Allgemeinen mit der Wissenschaft spät im Leben angefangen wird und wir uns deshalb voll im Zeitplan fühlen können, davor, in die berüchtigte Midlife-Crisis zu fallen. Es scheint nun wirklich nicht so, will mir scheinen, dass wir gerade am Leben verzweifeln und alles Tun als sinnlos ansehen würden. Wir sehen uns auch nicht auf dem Höhepunkt unseres Lebens angekommen, von wo ab es nur noch immer das Gleiche geben wird. Schließlich laden wir auch zu einer eher hippen Veranstaltungsform, einer Unkonferenz, ein, um unsere Wissenschaft weiter zu bringen.

Die Jugend aber, reden wir noch einmal darüber: Können wir eigentlich aus unserer Position heraus sagen, was diese gerne hätte in Bibliotheken, was die fordert und nutzen könnte von Informationsstellen und Archiven? Können wir sagen, wie die sich im Netz sieht, wie sie die Kommunikationskanäle und Potentiale „neuer“ Medien – ab wann werden die eigentlich zu alten Medien? – nutzt? Sicherlich können wir das erheben und erforschen, dazu ist die Bibliothek- und Informationswissenschaft ja eine forschende Wissenschaft (Oder?). Aber aus unserem eigenen Erleben und unserer Lebensgeschichte können wir es nicht mehr ableiten. Das ist schwer und nicht immer einfach zu akzeptieren.

Den die Jugend, wenn wir einmal ehrlich sind, ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Beziehungsweise, was sie einmal werden sollte. Gerne stellen wir uns die Jugend ja als informationskompetent, kompetenzorientiert und gleichzeitig als die eigenen Informationen frei in alle Sozialen Netze eintragend vor. Aber die Realität ist doch wie zuvor: Mediennutzung lässt sich durch Schicht und Bildungshintergrund eher erklären, als durch das Alter. Die Idee zum Beispiel, dass die Jugend unheimlich gerne Medien bewerten und Rezensionen über konsumierte Bücher schreiben würde, die vor einigen Jahren die Bibliotheksszene umtrieb, hat sich in der Zwischenzeit als falsch herausgestellt. Ebenso wie die Annahme, dass ein Großteil der Menschen unbedingt ins Second Life gehen würde. Wir können heute realistisch abschätzen, dass das immer nur ein kleiner Teil der Menschen war, die das wollten und tun und dass das kein generationelles Phänomen war.

Gleichwohl: Die Jugend verändert sich immer weiter. Das ist ja eine ihrer Eigenheiten. Sie ist halt nicht nur Durchgangsalter zwischen Kindheit und Erwachsensein (oder wie das Lebensalter nach der Jugend auch immer heißen wird), sondern auch eigenständiges Alter, in welchem die Abgrenzung von den vorhergehenden Generationen quasi als Generationenaufgabe besteht. In gewisser Weise Rebellion als Aufgabe, was selbstverständlich etwas paradox ist und zudem immer schwerer wird, wo zumindest in einigen Sozialschichten heute alle verständnisvoll sind und Kreativität genauso toll finden, wie Leistungsorientierung und Lernen, aber auch wissen, dass Menschen, die für ein paar Jahre aus der bürgerlichen Gesellschaft aussteigen, zumeist wiederkehren. Wie soll man da noch gegen irgendwas irgendwie anders und rebellisch sein?

Nichtsdestotrotz: Die Jugend bleibt auch (erstmal). Einmal als Antrieb unser selbst, als nostalgische Erinnerung daran, was wir alles wollten und immer noch nicht haben, was wir gehofft und vielleicht auch falsch eingeschätzt haben, was wir persönlich auf dem Weg zwischen den zum Teil naiven Hoffnungen und heute gelernt und erlebt haben, was auch immer die Potentiale anzeigt, von dem, was alles noch gelernt und erlebt werden kann. Und gleichzeitig als jeweils zeitgenössische Jugend mit einer gewissen Anklage, dass wir Älteren das eh nicht verstehen, nicht verstehen können, was wichtig ist, sondern schon langweilig geworden sind, in gewisser Weise, egal was wir so einst erlebt haben und wo wir heute noch versuchen, uns subkulturell zu verorten. Dieser Stachel trifft auch immer Bibliotheken. Nie werden sie es schaffen – das hier einmal als steile These, aber steile Thesen sind in gewisser Weise ja sehr jugendlich –, für Jugendliche so ansprechend zu sein, wie sie erhoffen. Auch die Beteiligung von Jugendlichen und der Aufbau expliziter Jugendabteilungen mit jugendlichem Aussehen und Bezug auf die jugendliche Mediennutzung, wird das nicht erreichen. Die Differenz zwischen Jugend und anderen Generationen ist konstitutiv. Wird sie überwunden, entsteht einfach eine neue. Ein Teil der Jugend wird Bibliotheken immer meiden oder – andersherum – lieben, weil ihre Vorgeneration Bibliotheken nicht mochte.

Ja aber hallo, Bibliothek Berlin-Mahlsdorf, drei Uhr an dem Morgen. {Jugendgerechter Satzbau, außerdem subkultureller Verweis auf den fast vergessenen HipHop-Klassiker „5 O'clock“, also auch noch ein szenespezifisches Wissen andeutend, obwohl das auch nach hinten losgehen kann, wenn man der Einzige ist, der dieses Wissen hat.} Eine der Situationen, wo man nach über zehn Jahren fast durch Zufall an Orten steht, die in der Jugend für eine Zeit bedeutsam waren, dann aber vergessen wurden. Da auch der Nachtbus schon fort war, nicht nur eine Zeit für Bilder, sondern auch zur Reflexion. Alles hat sich verändert, aber ist doch ähnlich geblieben. Sicherlich: Als Gymnasiast hier unterwegs vor mehr als zehn Jahren hatte man nicht die Vorstellung mit abgeschlossenen Studium – lol was? Studieren? Warum? – in was bitteschön? Bibliothekswissenschaft? noch einmal wieder zu kehren. Eher war es wichtig, die Aufkleber neofaschistischer Gruppierung an den Laternen zu vernichten und selber um sich zu blicken, dass man nicht dabei vom „Mahlsdorfer Landsturm“ (kein Witz, so nannten die sich) oder der örtlichen NPD erwischt würde. Das wäre wieder nur zu stressig gewesen. Man hätte ja auch niemand anrufen können, wenn das passierte, schließlich hatte man kein Handy. Handys hatte man nur, um anzugeben. Und Blogs zum nachher drüber bloggen gab es eigentlich auch nicht. Zudem: Man hatte ein Date, wenn man in der Gegend war, zu dem man wollte. Was sollte man auch sonst in Mahlsdorf, als Jugendlicher? Heute: Handy ist da, Blog auch. Vom Handy könnte man bloggen. Der „Mahlsdorfer Landsturm“ soll sich aufgelöst und zum Teil den Weg durch bürgerliche Parteien angeschlagen haben (wohl mit dem „Jugendsünde“-Argument), die örtliche NPD ist zur mittlerweile aber auch verbotenen Kameradschaft geworden, Naziaufkleber gibt es nicht mehr zu sehen, überhaupt: Aufkleber und Straßenkunst scheint es seit Jahren hier nicht mehr zu geben. Alle sind alt geworden offenbar. Ein Date hat man hier auch nicht mehr, die BeziehungspartnerInnen aus der Gegend wohnen längst anderswo. Niemand und nichts stört dabei, einzutauchen in die eigene Jugend, die eine kurze wilde Zeit im Leben (aus der man aber mit einem Abitur heraus- und in ein Studium hineinstolperte, so wild kann es dann doch nicht gewesen sein).Was macht die Jugend hier eigentlich jetzt? Die, die am Bahnhof steht, sieht aus, als würde sie geschlossen bei H&M einkaufen. Nur die Bibliothek, die Bibliothek ist immer noch da, im Blau der Berliner Bibliotheken leuchtet sie voller Ruhe durch die Nacht. Als wäre sie der Mittelpunkt einer nicht erzählten Geschichte.

Auch der Kasten der Bibliothek auf dem Bahnhof ist noch da. Wie oft stand man auf diesem Bahnhof, angekommen mit der letzten Bahn, in den Sonnenaufgang schauend, wartend auf die Bahn in die Schule? Peinlich, wenn man dann mit den eigenen Lehrerinnen und Lehrern wartete. Was sollte man da sagen? Was würde man heute sagen, wenn die um halb vier Morgens hier aufschlagen würden. (Zumal man selber erklären müsste, was man um diese Zeit in den Berliner Außenrandbezirken tut.) Wir haben wohl alle solche Orte der persönlichen Nostalgie. Jeder und jede andere, dieser hier ist einer von meinen.