frei<tag>: Buzzword-Bingo zum Bibliothekartag
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wenn auch Sie den 100. Bibliothekartag besuchen, möchte LIBREAS – Library Ideas Sie nicht nur in Berlin begrüßen und im direkten Anschluss an diese Konferenz auch ins Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft zur frei<tag> – Bibliothekswissenschaftliche Unkonferenz am Freitag, 10.06. einladen. Wir möchten Sie auch alle zu einem Spiel ermuntern: Buzzword-Bingo.
Wie geht es?
Ganz einfach. Nehmen Sie die Karte auf Ihre Tour durch den Bibliothekartag mit. Oder beginnen Sie schon einen Tag vorher beim Berlin Seminar von Cycling for Libraries. Immer, wenn Sie eines der Buzzwords, die auf der Karte stehen hören oder sehen (und Sie werden sie sehen, dass versprechen wir Ihnen), streichen Sie es ab. Wir vertrauen Ihnen da einfach, dass Sie nicht einfach so Wörter abstreichen oder sie in Diskussionen nur anbringen, um sie streichen zu können.
Unter all denjenigen, die mit einer vollständig abgestrichenen Karte bei der frei<tag> ankommen, werden wir in der Abschlusssession einen Gewinn verlosen. Aber selbstverständlich steht das Spiel im Vordergrund und weniger der Gewinn. Sie können also auch einfach so mitspielen.
Worum geht es? Eine kurze Kritik der Buzzwords
Auf dem Bibliothekartag – aber auch anderswo – finden Sie ab jetzt unsere Teilnahmekarten für das Bingo. (Sie können es sich aber auch gerne ausdrucken, wenn Sie unbedingt mitspielen wollen.) Worum geht es? Es geht um all die Container-Wörter und scheinbar selbstverständlichen Begrifflichkeiten, die wir in unserer Arbeit tagtäglich verwenden, ohne weiter auf sie zu achten. Die Buzz-Wörter, welche Aktualität, Modernität, Zukunftsoffenheit ausstrahlen sollen, aber irgendwann auch zu Selbstläufern werden. Wir alle kennen sie, wir alle nutzen sie, wir alle gehen über sie hinweg.
Ist das gut oder ist das schlecht? Buzz-Wörter sind nicht per se negativ konnotiert. Sie eröffnen die Möglichkeit, Denkprozesse abzukürzen, die wir alle schon mehrfach durchlaufen haben. Insoweit sparen sie Zeit, ermöglichen die Diskussion über andere Punkte. Andererseits können Buzz-Wörter auch Denkprozess abkürzen, ohne dass sie fertig gedacht sind. Dadurch werden Begrifflichkeiten etabliert, die überhaupt nicht geklärt sind und über die man scheinbar nicht weiter diskutieren muss. Nicht zuletzt gibt es immer die Gefahr, dass Buzz-Wörter genutzt werden, um schwache Inhalte rhetorisch aufzuhübschen.
Oft ist das Buzz-Wort ein falscher Freund: Es sieht aus, als würde es ein Thema, einen Inhalt angemessen umschreiben, aber für andere wird es zum Zeichen, dass etwas mit einem Inhalt nicht stimmt, dass hier eben Rhetorik das Nachdenken und den Inhalt ersetzt hat; egal ob das wirklich zutrifft. Deshalb sollte man Buzz-Wörter auch meiden, wenn man in Diskussionen weiterkommen will. Wird ein Wort nur noch als Marker benutzt, ist es vielleicht Zeit, zurückzutreten und noch einmal eine inhaltliche Klärung des Begriffes vorzunehmen. Oft finden sich bessere Begrifflichkeiten, oft werden so erst die Schwächen eines Begriffes klar. Vielmehr: Oft wird erst dann, wenn man Buzz-Words inhaltlich zu bestimmen versucht, klar, was in diesem Container jeweils von unterschiedlichen Personen und Parteien hinein interpretiert wird. Und dann ist der Container einfach zu groß und weit.
Was soll es bringen?
Neben dem Spaß und der Erinnerung daran, dass man auch im Bibliothekswesen nicht immer alles so ernst nehmen muss, soll das Buzzword-Bingo auch eines erreichen: Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Buzzwords lenken. Eine Profession, die sich zu sehr hinter Buzzwords versteckt, läuft immer Gefahr, die eigentliche inhaltliche Entwicklung nicht mehr zu vollziehen. Gerade, wenn es auch eine Wissenschaft über eine Profession geben soll – so wie die Bibliothekswissenschaft zum Bibliothekswesen oder parallel die Bildungsforschung zum Bildungssystem –, wäre eine genauere Beachtung der verwendeten Sprache sinnvoller. Wir sagen nicht, dass das Bibliothekswesen aktuell Gefahr laufen würde, in Buzzwords unterzugehen. Aber als Zeitschrift, die auch immer einen gewissen kritischen Blick in die Debatten einbringen will, möchten wir auf diese Gefahr hinweisen.
It’s the frei<tag> Countdown. Noch 16 Tage.
„Are you working? What kind of work do you do?“ (Gang Starr: Work [Moment of truth, 1998])
Hier einmal eine einfach, kurze, aber doch nicht leicht zu beantwortende Frage: Wie arbeiten wir eigentlich? Wir alle im Allgemeinen in Bibliotheken, Dokumentationseinrichtungen, Archiven, Informationswirtschaft und Wissenschaft und – jetzt mal als Team, dass die frei<tag> – Bibliothekswissenschaftliche Unkonferenz organisiert – im Speziellen. Selbstverständlich sagt das etwas über uns aus, schließlich ist es der Arbeitsplatz, an dem wir einen großen Teil der Tage verbringen. Sicherlich: Die einen mehr und die anderen weniger, den einige von uns können ihre Arbeitsplätze wechseln, haben gar mehrere Arbeitsplätze, andere sind an einen Ort gebunden. Mehr als eine Person aus dem Team unterrichtet zum Beispiel, steht vor zukünftigen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Lehrerinnen und Lehrern. Einige von uns können auch immer einmal woanders arbeiten, zu Hause zum Beispiel oder – wie gerade jetzt, wo dieser Text entsteht – in der Kneipe am Tresen. Und nicht zuletzt: Wie unser Arbeitsplatz aussieht wird nicht von uns alleine bestimmt, sondern auch von den Vorgaben der Arbeitgeberinnen und -geber. (Niemand von uns ist selbstständig, niemand gerade arbeitslos. Dann würde die Situation sich noch anders darstellen.)
Nicht zuletzt ist unser Arbeitsplatz nicht unsere Arbeit, sondern „nur“ der Platz, an dem sie geschieht. Und trotzdem: Unser Arbeitsplatz sagt etwas über uns aus. Nämlich – insbesondere, wenn wir die Möglichkeit haben, uns zu inszenieren – etwas darüber, wie wir uns und unsere Arbeit organisieren, wie viel oder wenig Abstand wir von ihr halten wollen, wie sehr wir den Arbeitsplatz personalisieren oder so lassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Als kleines Experiment – und auch, weil es persönlicher ist, als Namen im Wiki allein – stellt das gesamte Team der frei<tag> sich hier per Arbeitsplatz dar.
In alphabetischer Reihenfolge:

Julia Iwanowa, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Projekt "Open Access Netzwerk II"

Ben Kaden, Projekt IUWIS

Maxi Kindling, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Projekt "Open Access Netzwerk II"

Felix Ostrowski, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Projekt "LuKII"

Karsten Schuldt, Interdisziplinäres Zentrum für Bildungsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin

Manuela Schulz, Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Jenny Sieber, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Projekt "LuKII"

Matti Stöhr, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jahresberichte für Deutsche Geschichte

Doreen Thiede, Zuse-Institut Berlin, Abteilung Wissenschaftliche Information (KOBV)

Außerdem: Nicht direkt beim Team dabei, wegen zuviel Arbeit, aber immer nahe am Entscheidungsprozess: Elke Greifeneder, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin
Was fällt auf? Zum einen sind wir unterschiedlich, wie man an den Stücken neben der verbindenen frei<tag>-Einladungskarte sieht, die wir an unseren Arbeitsplätzen bereithalten. Zum anderen teilen wir aber doch Vorlieben, offenbar. Nicht das Buch, wie man in der Bibliothekswissenschaft doch immer noch erwarten könnte, steht im Vordergrund, sondern der Computer, was vielleicht mehr auf die Informationswissenschaft hindeutet. Interessanterweise sind auf unseren Rechner dann aber alle drei großen Betriebssysteme vertreten (Sorry BSD). Eventuell ist es auch ein generationeller Wechsel, der sich hier zeigt. Lesen tun wir selbstverständlich dennoch ständig. Interessant ist, dass der mobile Rechner im Vordergrund steht. Unmobile Rechner stehen zumeist im Hintergrund. Gleichzeitig scheint niemand von uns sich aufgegeben zu haben. Positive Botschaften, eine eigenständige Einbindung in – teilweise unterschiedliche Fachdiskurse – und helle Farben überwiegen. Einige von uns stellen auch gar nicht den Arbeitsplatz, sondern eine positive Botschaft in den Mittelpunkt. Und das, obwohl viel Improvisation ist, unfertig, übergelassen von anderen Projekten.
Das sind also wir. Ist das normal für unser Wissenschaftsfeld? Sind wir Ausnahmen? Wie arbeitet ihr anderen eigentlich? Ist das gut, wie wir arbeiten? Sollten wir es verändern? Welchen Einfluss haben unsere Arbeitsplätze auf unsere Arbeit? Sind auch das Fragen, die auf der frei<tag> diskutiert werden können? Wie dem auch sei: Die Bilder sind auch eine Einladung, tiefer in unsere (und eure) Arbeitsprozesse einzutauchen.
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