It’s the frei<tag> Countdown. Noch 30 Tage.
„Im Hintergrunde erhebt sich die Kaserne, rechts das Gefängnis und links das Spital. Ist dies nicht wirklich ganz der Platz, welchen der Mann selbst gewählt haben würde, er, der mit solchem Muthe und so viel Geschick die alte Zivilisation gegen die Barbarei der Neuerer vertheidigte?“ – Édouard René Lefebvre de Laboulaye: Prinz Pudel. Heidelberg: Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 1868. S. 280
Zugegeben: Auf der Freshness-Skala selbst einer noch so printaffinen Hipster-Kultur muss es jedes Buch mit dem Namen „Prinz Pudel“ einfach nur schwer haben, auch wenn die Popper’resken (gemeint ist die Jugendkultur der 1980er und nicht etwa der Erkenntnistheoretiker) Frisuren mancher Vertreter dieser Gruppe doch oft sehr an Scheren und Trimmen erinnern.
Aber nicht jeder, der die Haare wie ein Barbet trägt, fühlt sich von der Assoziation mit Laboulayes Prinz Hyazinth zu Tulipanen, König der Mückenschnapper auch wirklich geschmeichelt.
Was ein Fehler ist, denn wer die politische Humoreske kennt, weiß, wohin der kluge Jungaristokrat sein Volk führt: zur Verfassungsurkunde von Liberia. Und so wie ein ehemaliger Präsident des realen Liberias zwar Charles Taylor heißt, jedoch nichts mit dem gleichnamigen kanadischen Meisterdenker des Kommunitarismus zu tun hat (wobei letzterer an Laboulayes Buch ein gewisses Vergnügen empfinden würde und ersterer sicher ein oder zwei der geschilderten dystopische Grundzüge in seine Herrschaftszeiten legte) so entspricht dieses Liberia bestenfalls dem 1847 intendierten (und damals schon fragwürdigen), aber nicht dem realen des frühen 21. Jahrhunderts.
Die Vereinigten Staaten waren, so Tocqueville, dereinst das Maß der freiheitlichen Dinge, was Laboulaye in seinem Pudelbuch im Kapitel zur Laterna magica zu der zukunftsweisen These veranlasste:
„Im Grunde war sie nichts anderes als die vierzigste Auflage der Verfassung der Vereinigten Staaten, welche die Runde in der neuen Welt macht und eines Tages wohl auch zu den Chinesen hinüberkommen kann.“ (S. 271)
Die Betonung liegt auf der Möglichkeitsform und im heutigen Peking geht man vermutlich nach wie vor davon aus, dass dieser eine Tag dem berühmten Heiligen Nimmerlein gewidmet sein wird.
Woran es schließlich lag, dass die politische Satire des geistigen Vaters der Freiheitsstatue, die wirklich wenig mit Hundeliebe zu tun hat, über die kleine Auflage in dem Heidelberger Universitätsverlag nicht hinauskam, weiß nur der damalige Buchmarkt allein. Und heute dürften die Annales Mückenschnapperorum selbst im Longtailvertrieb ihr Stammpublikum bestenfalls an der hintersten Haarspitze der Pudelquaste finden.
Es war genau genommen auch eher ein drolliger Zufall dieses Mittwochs, der eine Wanderung über den Berliner Bebelplatz mit dem Eingangszitat zusammenführte und sich in einem Illustrationstext zur zweiten Countdown-Fotografie des frei<tag>s unterhaken ließ. Denn natürlich haben die Standbild-Errichtungsphantasien der Bürger zu Dummburg, die den erzreaktionären Baron und Polizeistaatsmeister Gerhard von Weinerlich zu ehren trachten (also – Achtung Western-Fans! – bestenfalls eine Art Statue of Liberty Valance aufzustellen planen), eigentlich keinen Platz auf einem Platz von dem sich sagen ließe: „Im Hintergrunde erhebt sich die Sankt-Hedwigs-Kathedrale, rechts die Staatsoper und links die Alte Bibliothek.“ Nur sieht der Flaneur aktuell vor allem Bauplätze. Und Menschen, vorwiegend mit touristischen Ambitionen, im Gespräch.
Bemüht man sich nun wirklich, gelingt es sogar den Halbkreis zwischen Prinz Pudel, dem Stadtplatz gegenüber der Humboldt-Universität und unserer Unkonferenz mit zugegeben größerem Biegeaufwand zusammenzuführen. Denn im Vierten Kapitel des Buches berät die Regierung der Mückenschnapper über einen neuen Gesetzentwurf, die Zeitungs- und Bücherpolizei betreffend. Was bereits in der Überschrift polizeilich-totalitär anklingt, bestätigt in Artikel 4 des Gesetzes die finstersten, frühorwellianischen Erwartungen:
„Es wird unter der direkten Leitung der Regierung eine „officielle Bibliothek“ errichtet, welche alle Meisterwerke des menschlichen Geistes in einer sorgfältigst revidierten, corrigierten und expurgierten Ausgabe enthalten wird. Nur diese Ausgabe wird zum Umlaufe im Reiche zugelassen; alle früheren werden, bei Geld- und Confiskationsstrafe, innerhalb eines Jahres über die Grenze geschafft und dort vernichtet.“ (S. 42)
Wer mit dem Verb expurgieren seine Verständnisprobleme hat, sei an dieser Stelle an den LIBREAS Call for Papers #19 erinnert. Und auf dieses Dokument der ALA verwiesen.

Unkonferenz ist überall. Auch wenn der Herr mit der laufmaschigen Feinstrumpfhose, der vor dem Bauzaun der Staatsoper eine Reihe von Büchern auslegt und damit einen eigenwilligen Kontrapunkt zu dem nur wenige Meter befindlichen Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 markiert, gemeinhin andere Dinge als den Freiheitsbegriff des Édouard Laboulaye auseinandersetzt, so lebt er ihn doch auf seine Art.
Wer übrigens selber Karten wie die gezeigte bekommen und verteilen möchte, der bekommt auch welche. Eine E-Mail an die LIBREAS-Redaktion mit Postanschrift und dem Betreff freitag-Flyer sollte genügen. Jedenfalls solange der Vorrat reicht.
(bk)
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