Franzens Bad in der Informationsmenge. Und: Der n+1-Diskurs zum Thema gerät in der Frühlingsausgabe zum digital-bohemischen Dorf.
von Ben Kaden
Es ist durchaus ein berechenbarer Blick mit einem klar fokussierbaren theoretischen Hintergrund, den die Autoren der Zeitschrift n+1 auf all diejenigen Phänomene werfen, die auch uns tagtäglich beschäftigen: Foucault, Bourdieu, Adorno, mitunter ein paar weitere Franzosen treiben die Leser regelmäßig durch das obligatorische „Information Essay“, das zudem durchweg wie von einer Dachterrasse in Brooklyn aus geschrieben wirkt. Und dabei gelingt es dem Redaktionsteam zumeist, in diesem Editorial zur „Intellectual Situation“ ihrer Zeit aus ihrem sozial-, kultur- und literaturwissenschaftlichen (im weitesten Sinne) Winkel mühelos die präzisesten und überzeugendsten Einschätzungen zur kulturell munter vor sich hin evolutionierenden Informationsgesellschaft aufs Papier zu bringen, die aktuell im Pressevertrieb zu haben sind.
I. Das Wissen
Die Eröffnung in der aktuellen Ausgabe (No.11, Spring 2011) liest sich denn auch wie eine programmatische Zielscheibe für die ethischen Richtungspfeile auf der Agenda einer Bibliotheks- und Informationswissenschaft, die in ihrer deutschen Verfassung bedauerlicherweise den Schritt zur politischen Positionierung (=Informationsethik) nur sehr zurückhaltend geht. Die diskursiv pasteurisierte und ultrahocherhitzte Milchmädchenmär Wissen=Macht wird denn auch flugs mit einem kurzen Satz in eine dieszeitlich realistische Bestandsaufnahme dividiert:
„Outside of a hedge fund or the CIA, there aren’t too many places where knowledge is power. Much of the time, intellectually and politically, knowledge is powerlessness.”
Hinter dieser Aussage steht, so meine Interpretation, die Gegenwartsdiagnose einer Verflüssigung dessen, was man einmal Wissen nannte. Wissen war, ist und bleibt vermutlich auf ewig eine unbestimmbare Größe, jedenfalls wenn man es genau nimmt. Sein etymologischer Ursprung liegt in der visuellen Zeugenschaft und die ist von weitaus mehr subjektiven Faktoren mitbestimmt, als jeder noch so raffinierte Objektivierungsversuch des Knowledge Management kompensieren kann.
Während Walther Umstätters wenigstens am Berliner Institut legendäres Diktum „Wissen ist begründete Information“ eine gewisse Statik impliziert – es gibt einen Gegenstand „Wissen“, der aus Information addiert mit deren wie auch immer gearteter Verifizierung modelliert ist – weist Rainer Kuhlens eher in Konstanz gängiges Leitbild der „Information als Wissen in Aktion“ schon auf die Dynamik hin.
Das repräsentierte Wissen als transportabler Klumpen bzw. als Faktenwissen erscheint in der Tat in unseren Kulturräumen gegenüber so etwas wie (a) Prozessverständnis, (b) einem klaren (persönlichen) Ziel vor den Augen und (c) genug Ressourcen für den Weg dorthin oft genug als hinderlicher Ballast.
Wissen erscheint mehr denn je als Fließgleichgewicht zwischen individueller Wahrnehmung und kollektiver Welt aus dem wir, bei guter Balance und passender Situation, die Möglichkeit gewinnen, so zu handeln, dass uns im Resultat nicht unbedingt ein Nachteil – ganz grundsätzlich z.B. für das Überleben – entsteht.
II. Der Ozean „Information“ und Abschiede
Fakten sind dagegen Wegmarken und Faktenwissen die Kenntnis davon, wo die Bojen liegen. Diese Kenntnis ist mitunter lebenswichtig, wenn die Bojen uns den Kurs markieren. Sie spielen aber keine Rolle, wenn wir auf einem anderen Meer segeln.
Es kommt also auf den Kontext an. Und lange Zeit war der Mensch aus Notwendigkeit gewohnt, diese Markierungspunkte aktiv zu suchen. Massenmedien an sich und im konkreten das Übermedium Internet garantieren mittlerweile dafür, dass uns Botschaften permanent begegnen. Beispielsweise strukturiert uns die Werbewirtschaft öffentliche und im Web auch private Kommunikationsräume mit möglichst aufsehenerregender und zugleich oft kontextlos gestreuter Information. Oder auch nicht. Im Blog de Narco, Dokumentationszentrale für Abrechnungen der mexikanischen Drogenkartelle, findet man schon mal über dem Foto eines zerschossenen Kleintransporters den Hinweis auf die Gebrauchtwagenwochen bei SEAT. Und unter einem Foto eines erschossenen 14-Jährigen „Weniger Laufzeit. Mehr Freiheit. O2.“ Kontextsensitivität hat nicht unbedingt viel mit Kontextsensibilität zu tun.
Jonathan Franzen fand jüngst in einem Text für den New Yorker (“Farther Away”. In: The New Yorker, April 18, 2011, S. 80) ein ozeanisches Bild für die Distraktivität der virtuellen Sphäre:
„[…] there is no end of virtual spaces in which to seek stimulation, but their very endlessness, the perpetual stimulation without satisfaction, becomes imprisoning.“
Möglicherweise muss man sich, wie Franzen, auf eine Robinsonade der Innerlichkeit zur Isla Más Afuera begeben, um die Inhaftierung im Informationsstrom derart klar zu erkennen. Andere haben bekanntlich weniger Probleme im Umgang mit der so genannten Informationsflut. Was jedoch immer hinter derartigen Einschätzungen steht, ist die Herausforderung bestimmter Leitbilder. So auch die der Weltsicht Franzens, die sehr sympathischen Idealen folgt, welche auch die n+1-Herausgeber, vielleicht variiert, aber im Kern doch stabil, teilen.
Es sind die Leitbilder der sich ihrer Lage überbewussten, hochschulgebildeten und auch in ihrer Freizeit mit genügend kulturellem Gestaltungs- und Selbstentfaltungswillen ausgestatteten Großstadtintellektuellen. Selbige übersehen dabei aber leicht, dass ihr analytischer Blick eine Quadratur des Lebenskreises durch die Moscot-Brille bleibt. Am Sonntag im Mauerpark lesen sie dann beim aktuellen deutschen Distinktionsautor schlechthin (höchst anerkannt – Büchner-Preisträger – und doch verrufen) als Gegenmodell zu Franzens pazifischer Unendlichkeitserfahrung Reinhard Jirgls atlantische Grenzziehung:
„Denn das einzig Echte inmitten all der Täuschungen & Simulationen, das war u ist der Abschied, dieser kleine in die Vielfalt von gestern aus Allenjahren & Allengeschichten zerstückelte, wirkliche Tod.“ (Reinhard Jirgl. Die atlantische Mauer, S. 347)
Und spüren: Da ist auch was dran.
Glaubt man dem pazifischen Blick, gibt es im Web keinen Abschied, sondern nur ein endloses Herumtreiben ohne Ankunft. Die im störungsfreien Alltagsverlauf erfahrene ubiquitäre Netzabdeckung täuscht allerdings über zwei Tatsachen hinweg.
Nummer 1: Zwischen Mensch und Maschine steht immer noch ein Screen, weswegen alles, was er dort als Stimulus abfischt, sinnlich eher Boillie-Köder bleibt, auch wenn man es mitunter für den Karpfen hält.
Nummer 2: Der Fluss der Stimuli ist gleichfalls immer von der Verfügbarkeit der dahinter stehenden Infrastruktur abhängig.
Damit hätten wir zwei handfeste Endpunkte der vermeintlich unendlichen virtuellen Räume. Wer wüsste das besser als der Löwe Jonathan (Tierkreiszeichen, seit Jahren angesparter Kalauer) vor dem Kontrast seiner ornithologischen Sehnsuchtsinsel. Die kleinen Abschiede heißen auf dieser Ebene Netzunterbrechung und wer in der Cloud arbeitet und den Text nicht gespeichert hat, stirbt dabei nicht selten tausend Tode. Der Abschied vom Fluss bleibt möglich. Die Abgeschiedenheit auch. Sie vollzieht sich nur zu anderen Bedingungen.
Dieser doppelte Rahmen wird bei den Debatten um die Digitale Gesellschaft leider häufig vernachlässigt, aber beides kann zum Problem werden. Und zwar dann wenn (1) der Mensch nicht will und/oder (2) die Maschine nicht.
Wenn wir also über virtuelle Informations- und Wissensräume sprechen, oder besser: Kommunikationsräume, greifen wir auf die Prämisse zurück,
(1) dass jeder die Hypertextifizierung seiner (sozialen) Lebensumwelt als Fokuspunkt begreift (was bei weitem nicht der Fall ist) und
(2) dass jeder, der dies möchte, auch ein entsprechendes Endgerät mit Webanschluss verfügbar hat (dito). Womit wir bei den beiden klassischen Schenkeln des Digital Divide wären.
III. Mengenmaße
Was dessen ungeachtet von Jonathan Franzens Klippe nun hinsichtlich des Umgangs mit Information und Wissen deutlich wird, ist die Verschiebung von der Illusion des Überschau- und Kontrollierbaren hin zur Konfrontation mit dem unerschöpflichen Wellenbad der digital vermittelten Eindrücke, seien es nun Fakten, Bilder oder Klänge für den iPod (vergleiche dazu den Text „Wall of Sound“ in der gleichen Ausgabe n+1 wenige Seiten darauf). Oder knapper: von einem Mangel hin zu einem anderen.
Vielleicht lässt sich, um die Bruchkante des Schlaraffendaseins zu illustrieren, eine Parallele von der Informationsindustrie zur Lebensmittelindustrie ziehen. Bei beiden führten bestimmte technische und infrastrukturelle Optimierungen und Erweiterungen schnell zu einer Situation, die aus dem prinzipiellen Mangel einen prinzipiellen Überfluss werden ließ. Und auf beiden Gebieten zeigt sich, dass nicht jeder damit wirklich umgehen kann.
Wissen als Macht bedeutet vor allem Wissen als Kompetenz, und zwar um Macht über die individuelle Aufnahme und Verarbeitung (sowohl der Nahrung wie auch der Botschaften) zu gewinnen. Der Brockhaus im Arbeitszimmer bleibt so etwas wie die Keule Jamón Ibérico in der Speisekammer, von dem man sich nur ab und zu eine Scheibe abschneidet. Springfluten lexikalischen Wissens und buttercremige Faktenhuberei stärken die eigenen Positionen dagegen höchsten noch bei Gesellschaftsspielen zwischen Trivial Pursuit und Trüffelparfait (und selbst da schnell als Sättigungsbeilage), aber nicht mehr im großen Diskursspiel Gesellschaft.
Dort besteht man eher mit lean cuisine und ausgewählten Zutaten zum richtigen Anlass. Die n+1-Redaktion formuliert für diesen Zustand eine etwas andere Nährwertangabe:
„For all its democratic potential, the fact-filled internet has only heightened the pre-Google asymmetry between those, on one side, loyal to Baconian methods of patient, inductive gathering of facts – the ways of the card catalog and the archive, of the analysis and evaluation of empirical data – and those, on the other side, who didn’t need to read Foucault or the Frankfurt School to nurture a suspicion that positivists orders of knowledge mask a hierarchy of power in which they are meant to occupy the lowest rungs” (S. 2)
Der duale Aufschnitt der Beziehung zwischen Wissen sowie Wissenswertem und Wissensmethoden, der nur noch zu einer Verstärkung der Wissenskluft zwischen den positivistischen Ordnern und den skeptischen Habenichtsen in die Theke geräumt wird, präsentiert uns allerdings nur zwei Sorten von einem weitaus größeren Sortiment.
Relevant ist die schmale Auslage für uns dennoch, da Bibliotheken aus ihrer Tradition heraus auf die eine Seite der Scheibe gehör(t)en (obschon einige Zweigstellen manchmal von schlechter Kommunalpolitik auf die andere gedrängt werden).
In aufgeklärten Gesellschaften wie der unseren folgen sie häufig dem Leitbild, die Vertreter der anderen, informationell hungrigen Seite per freundlicher Assimilation – halb ziehen sie, halb sinken sie hin – aus ihrer unverschuldeten Unmündigkeit (informationellen Ohnmächtigkeit) zu heben. Das funktioniert aber nur sehr selten. Im Faktenweb stehen beide genau genommenen Positionen in ihrer Reinform – Vollordnung, Grundmangel – für verlorene Sonderposten. Und was in der Kollektion der Varianten des Umgangs fehlt, ist ein Konsens hinsichtlich des Wozu des Überangebots. Man hört oft Klage und vernimmt oft Freude. Man diskutiert aber relativ selten die pragmatische Dimension der Dauerversorgung. Die ist aber notwendig, will man – auch für Bibliotheken – Orientierungspunkte für die Profilierung der eigenen Aufgabe und ihrer Lösung setzen. Lebenslanges Lernen ist und bleibt genauso ein lebenslanges Lernen zum Tode. Die Frage nach dem Sinn der Abschiede (z.B. auch von kulturellen Konzepten wie dem Medium Buch) bleibt die Konstante. Das wirkliche Wissen liegt jenseits der Fakten.

"Aber auch die Slang-Ausdrücke, Argots, Rotwelsch, (...) ergänzt durch Fremdworte, Zitate, Sportjargon, antike Reminiszenzen, sind in meinem Besitz. Ich von heute, der mehr aus Zeitungen lernt als aus Philosophien, der dem Journalismus näher steht als der Bibel, dem ein Schlager von Klasse mehr enthält als eine Motette, der an einen gewissen physikalischen Ablauf eher glaubt als an Nain oder Lourdes, der erlebt hat, wie man sich bettet, so liegt man, und keiner deckt einen zu - (...)" Es ist kein Wunder. Sondern der allgemeine Zustand des mittelmodernen Menschen, den Gottfried Benn 1951 in seinem Vortrag "Probleme der Lyrik" beschrieb. Die durch das Filterpapier der Postmoderne in ubiquitäre Informationsvernetzungen gedrängten Ichs der Gegenwart besitzen im Vergleich zu den frühen 1950ern noch weitaus mehr Zugänge zu Zeichen, Sprachen, Codes und befinden sich dabei in permanenten Unschärfen und Verschiebungen. Und doch poppen auch heute noch Gedichte herausragend wie Alpen auf, aus - wie Benn es setzt - "der Umspannung zweier Pole, dem Ich und seinem Sprachbestand". Eine Art Wunder? Eine Art "Ellipse, deren Kurven erst auseinandersteben, aber dann sich gelassen ineinander senken."
IV. Logos und Logos
Genauso wie die industrielle Nahrungsmittelerzeugung nahezu jedem Bundesbürger den Zugang zu Brot, Wurst und Käse garantiert, bietet die digitale Gesellschaft de facto Smartphones für jeden, der wenigstens solvent genug ist, einen Mobiltelefonvertrag zu schließen. Je härter der Kampf der Anbieter um Marktanteile, desto kleiner wird die Gruppe der informationstechnologisch wirklich Isolierten. Die informationelle Massenversorgung begann allerdings genau genommen schon mit dem Kabelanschluss, der aus dem noch übersichtlichen Programm von zwei bis maximal fünf Sendern auf einmal Dutzendware machte.
Die Gesellschaftsschichtung lässt sich – nicht durch- jedoch weitgehend – nach wie vor und vielleicht deutlicher denn je an der Mediennutzung ablesen. Ein Beispiel: Wer es sich leisten kann, sieht heute einfach nicht mehr fern. Oder nur arte (so die übliche Ausrede, zu der sich nach 2006 auch „und Fußball“ als legitimes Bildungsbürgerprogramm gesellt). Einrichtungen wie der nun auch wieder erledigte Kultursender zdf.Theaterkanal sind (bzw. waren) dagegen so etwas wie öffentlich-rechtliche Kompensationen für eine interessierte Zwischenschicht, die es sich nicht leisten kann/mag, zu György Kurtágs Kafka-Fragmenten direkt nach Tübingen zu reisen. Sie bleiben aber ein Nischenprogramm für eine bestimmte soziokulturelle Randgruppe. Und, wie der aktuelle Fall zeigt, ist dieses Konzept auf lange Sicht nicht tragfähig genug und wird zugunsten eines gängigeren Programmzuschnitts aufgegeben. Die übliche Erklärung des Programmwechsels folgt der Linie, dass die vermeintlich deutsche Unterscheidung zwischen E- und U-Kultur endlich überwunden werden muss. Die Unterscheidung verläuft aber tatsächlich zwischen dem Ringen (der Kunst) um eine Ausdrucksform und dem Ringen (der Programmgestalter) um ein Publikum. Am Ende (des Theaterkanals) überrascht es bei einem öffentlich-rechtlichen Programm kaum, dass es sich nicht nach Long-Tail-Ansprüchen richtet, sondern nach einem Querschnitt im Geschmack. Der lässt sich dann als Demokratisierungsprojekt verkaufen. Die n+1-Redaktion illustriert dies treffend im Rückgriff auf den Musikkritiker Alex Ross in ihrem Beitrag zur iPod-Kultur anhand des Shuffle-Modes:
„Here the iPod, or the digitization of musical life it represents, promises emancipation from questions of taste. Differences in what people listen to, in a Shuffled world, may have less and less to do with social class and purchasing power.” (S. 12)
Hier wie dort wird die Programmgestaltung ausgelagert und was für das iPod-Shuffleboarding Freund Zufall umorganisiert, steuert im zdf.Kultur-Kanal Bruder Quote unter dem Banner des Ideals eines egalitären Kulturversums.
Die Verlaufskurve dieses Trends führt zurück in die Welt explizierter Informationen (wozu auch digitale Musik zählt): Angesichts der Übermenge und dem Druck, an dieser aktiv zu partizipieren, greift man dankbar auf Fremdbestimmung zurück. Avantgarde-Kunst, die auch im Theaterkanal nicht immer aber doch ab und an über die Bühne ging, lässt sich meist überhaupt nicht ohne aktive Auseinandersetzung ertragen. Den mit den Informationstechnologien des Selbst überforderten Ichs der späten Informationsgesellschaft mangelt es häufig an Freiraum, oft auch an Willen, eine solche zusätzliche Last zu schultern, zumal im Resultat nicht selten nur ein Häuflein Jirgl’sche Einsicht in Brigitte Reimann’scher Diktion steht: Alles schmeckt nach Abschied. Das ist nicht die gewünschte alltägliche Kulturerfahrung (und –erwartung) des Durchschnittszuschauers, die sich nun der zdf.Kulturkanal aufs Fähnlein schreibt. Sondern eine gern verdrängte Extremsituation, ein existentieller Ausnahmezustand oder die mögliche Spur eines solchen, die nicht jeder immer wieder in den Regelalltag importieren mag. Es bleibt auch abseits derart hyperaktiver Sinnkonstruktionsbemühungen genug zu tun.
Wir sind so reich an Zeichen und im Reich der Zeichen wie nie zuvor. Nicht Text an sich ist die Trennlinie, sondern Textauswahl. Nicht Signet, sondern Logos. Das Faktenweb legt die Betonung auf das konsumtive Element der Informationsverarbeitung. Das Social Web war der Hoffnungsträger, diesem auch etwas Anderes entgegen zu setzen. Den kommerziellen Betreuern dieser Bewegung, die in Facebook ihre Idealfigur erreichten, gelang es jedoch, genau dieses Bestreben in eine besondere Bahn zu lenken. Sie machen das Ich und seine sozialen Beziehungen zur Eigen-Marke. Und kommodifizieren es zur algoritmisierbaren Faktizität.
Vielleicht geht es am Ende also gar nicht um eine Spaltung im Digitalen, die auf der Zugangsebene nur die Frage rotiert, ob jemand ein Werkzeug in der Hand hat oder nicht. Möglicherweise geht es stattdessen um eine pragmatische (bzw. performativ-existentielle) Kluft zwischen denen, die mit der Tatsache der Abschiede zu Recht kommen und denen, die daran scheitern. Dafür benötigt man kein Werkzeug, sondern ein Selbst.
Daher muss die oben zitierte Aussage aus der n+1 zum demokratischen Potential des Zugangs zu Fakten vor dieser Verschiebung bereits vom Ansatz her enttäuschen. Es mag in den USA anders sein (die Erfahrung bestätigt dies allerdings nicht), aber dass die sozio-ökonomisch und damit auch soziokulturell Marginalisierten in größerer Zahl die Dispositive der Macht mit einer Art angeborener Skepsis reflektieren, scheint doch etwas viel Wunschdenken zu sein. Die einzige Zielgruppe, die einem dafür einfällt, sind durchgefallene Geistes- oder Sozialwissenschaftler und die haben eben doch ihren Foucault gelesen. Ein in diesem Sinne aufgeklärtes Kleinbürgertum ist dagegen an keinem Bildungshorizont auszumachen. Weder diesseits noch jenseits der nackten Tatsachen des trostlosen und nicht sättigenden Faktenwebs – ob es nun informationell oder sozial ist.
Berlin, 03./04.05.2011
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