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Die Bibliothek in der Literatur. Heute: Das fahle Königreich des David Foster Wallace.

Posted in Die Bibliothek in der Literatur, LIBREAS.Feuilleton by Ben on 7. April 2011

„Given the academic setting here, an obvious question is how much of this work of adjusting our default setting involves actual knowledge and intellect.“ (David Foster Wallace, This is Water, New York: Little, Brown and Co., 2009, S. 46)

Spätestens als vor zwei Jahren Ulrich Blumenbachs wahnwitzige Übersetzung des noch wahnwitzigeren Romans Infinite Jest von David Foster Wallace erschien, erlangte der Ausnahmeschriftsteller und eigentlich auch Ausnahmedenker – wenn die Sterne gut stehen, fallen beide Eigenschaften auch mal zusammen und resultieren dann in einer Art intellektueller Supernova, die als eine Art Explorationswerk wie beispielsweise Alexander von Humboldts Kosmos aufblitzt, nur eben in diesem Fall eine hochkomplexe Innenwelt kurz ausleuchtet, selbige zwischen dem „Year of Glad“ und dem 20.11. des „Year of the depend adult undergarment“ in 1000 Seiten schmal gesetzten Text als Abbild fixiert und damit einen granitenen Solitär in das Kiesbett der Literaturgeschichte rollt, wie es nur sehr sehr wenige gibt – auch hierzulande den Status einer Art posthumen (David Foster Wallace nahm sich 2008 das Leben) Popstar für eine bestimmte soziokulturelle Kohorte. Es ist ein Werk, das dem Leser zunächst wenig schenkt außer vielleicht dem Gefühl, dazuzugehören, nicht gleich aufgegeben zu haben, Teil eines Happenings in Gestalt einer durch den Erscheinungstag fast synchronisierten Lektüre gewesen zu sein.

Es ist sehr schwer, über David Foster Wallace zu schreiben und sich dennoch dem Verdacht zu entziehen, hauptsächlich im popkulturellen Strom mitpaddeln zu wollen. Darum versuche ich erst gar keine Apologie. Insgesamt jedoch entzieht sich ein Werk wie das von David Foster Wallace jeder Vereinnahmung durch Trendstempel und bleibt, unabhängig davon, ob man individuell tatsächlich einen Zugang findet oder nicht, ein bombastischer Markstein der Literatur des späten 20./frühen 21. Jahrhunderts: Es ist schlicht zu wuchtig, um auf ein Ereignis für das Feuilleton reduzibel zu sein. Wenn man von einem literaturwissenschaftlichen Steinbruch sprechen möchte, dann ist klar, dass der Leser diesem barhändig mit Schubkarre und Spitzhacke gegenübertreten muss und nur sehr langsam Belohnung für das Kiefeln am Fels erhält. Dafür dann aber reichlich.

Dave Eggers, ebenfalls Schriftsteller und vom Verlag einstmals mit der nicht ganz einfachen Aufgabe betraut, ein eingängiges, einführendes Vorwort zu Infinite Jest zu verfassen, betont in selbigem:

„In attempting to persuade you to buy this book, or check it out of your library [ – die deutsche Übersetzung des Vorworts (von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann) entschied sich hier für Bücherei statt Bibliothek, Anmerkung für die Pedanten unter uns – ], it’s useful to tell you that the author is a normal person.“ (Infinite Jest. London: Abacus, 1997. S. xi)

Nun kommt es darauf an, wie man „normal“ definiert, aber selbstverständlich ist auch David Foster Wallace mit einer Biografie behaftet, die nicht durchgängig wunderkindliche Züge trägt. Wohl aber war er als Sohn eines Philosophie-Professors und einer Englischlehrerin in bestimmter Hinsicht vorgeprägt. David Lipsky berichtet in einem Aufsatz, dass eine der frühen Kindheitserinnerungen David Foster Wallaces war, wie sich seine Eltern sich im Bett Hand in Hand aus dem Ulysses vorlasen. Er liebte Football, begann, als diese Leidenschaft verblasste, mit dem Tennisspiel und brachte es darin zu einer recht hohen Fertigkeit. Mit 16, so Lipsky, setzten die Depressionen ein und dennoch machte er seinen Highschool-Abschluss mit exzellenten Noten. Er ging auf das College in Amherst, brach zusammen und ab, war Schulbusfahrer, begann erneut zu studieren und schrieb in seinem letzten College-Jahr sein erstes Buch (The Broom of the System) um sich die Angst vor den zwei anstehenden Abschlussarbeiten (Englisch und Philosophie) zu nehmen. An der University of Arizona begann er intensiver, teilweise obsessiv zu schreiben, bekam später ein Vollzeitstipendium in Harvard, arbeitete später an der Illinois State University und wurde in den USA schon relativ früh als Ausnahmeschriftsteller ge- und behandelt. Der Erwartungsdruck war riesig und stieg von Literaturpreis zu Literaturpreis. Eine Liebe bot einen Halt und ein Medikament namens Nardil hielt die Depression unter Kontrolle. Als er das Phenelzine absetzte, ging auch die Kontrolle verloren. Am 12.September 2008 erhängte er sich.

Das „normal“ des Dave Eggers bezieht sich vor allem darauf, dass Wallace neben den mitunter besessenen Schreibphasen Hunde und Fernsehserien liebte und mit seiner Frau, der Malerin Karen Green, vor allem eines wollte: ein Leben in überschaubaren Bahnen.

David Foster Wallace hinterließ neben seinem publizierten Werk, das abgesehen von seiner Prosa eine Reihe von außerordentlichen Essays umfasst, ein Konvolut an Material, welches nun fast drei Jahre nach seinem Tod unter dem Titel The Pale King erscheint. Die Aufregung in den USA ist groß, Vergleiche zu Infinite Jest werden natürlich gezogen und nicht selten mit der pressierenden Erwartung des Publikums, dass sich ein Autor im Fortgang seiner Schreibbiographie immer weiter steigern muss. Eine Wertung fällt jedoch schwer, wenn sich das Werk ohnehin schon an bzw. jenseits der Grenzen einer objektiven Bewertbarkeit bewegt. Bei posthumen, nicht vollendeten Werken, die zudem für die Publikation nicht vom Autor sondern von den Nachlassverwaltern arrangiert wurden, ist es unmöglich. Die Karteikartensammlung von Vladimir Nabokovs „Original of Laura“ ist ein anderes prominentes Beispiel aus den letzten Jahren. Wer sich hier enttäuscht zeigt, hat es nicht anders verdient.

Daher möchte ich mich jeder Einschätzung der literarischen Qualität von The Pale King enthalten, aber darauf hinweisen, dass sich in dem Buch wie in sehr vielen Arbeiten von David Foster Wallace Bezüge zum akademischen Leben finden. Das oben stehende Eingangszitat weist darauf hin, dass Wallace dieses als primär soziales Phänomen durchblickte und nicht zögerte, die Vorhänge der Erkenntnissuche und Wissensproduktion, die sich die Academia gern vor die Fenster zur Welt hängt, dort zur Seite zu ziehen, wo es ihm notwendig erschien. Seine „This is Water“ betitelte Rede zu einer Abschlussfeier am Kenyon College in Gambier, Ohio führt das beispielhaft aus und sammelt zugleich in einer für alle, die über den Unendlichen Spaß zu diesem feierlichen Ausblick auf den Ernst des Lebens fanden, erstaunlich schlichten, zugänglichen und zugleich absolut runden, respekt- und auch humorvollen Form die Essenz des Wallace’schen Denkens:

„Probably the most dangerous thing about and academic education, at least in my own case, is that it enables my tendency to over-intellectualize stuff, to get lost in abstract thinking instead of simply paying attention to what’s going on in front of me.“ (S.48)

Die Aussage erscheint fast trivial, Aber der Weg zu einer einfachen Einsicht kann empirisch ziemlich lang und dornig sein.

Was die Bibliotheksszenerie in The Pale King angeht, die den Anlass für diesen kleinen Blick auf David Foster Wallace bietet, scheint er durchaus Erfahrungen aus erster Hand zu haben. Jedenfalls ist seine Beschreibung des Arbeitens in der Bibliothek ungemein präzise. Auch hier kann man nicht viel mehr ergänzen als: Der sagt’s, so ist’s. Abgesehen davon, dass es hierzulande nicht immer möglich ist, nächtens in einer Universitätsbibliothek Stifte zu ordnen, dürfte eine ähnliche Situation nämlich nahezu jedem Hochschulabsolventen sehr vertraut sein:

„I had spent massive amounts of time in libraries; I knew quite well how deskwork really was. […] If you said, ‘I spent the whole night in the library, working on some client’s sociology paper,’ you really meant that you’d spent between two and three hours working on it and the rest of the time fidgeting and sharpening and organizing pencils and doing skin-checks in the men’s room mirror and wandering around the stacks opening volumes at random and reading about, say, Durkheim’s theories of suicide.” (The Pale King. New York: Little, Brown and Co., 2011, S. 291)

Eine Antwort

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  1. Ben said, on 8. April 2011 at 23:23

    „I think it’s the most daring donnée a novel has ever taken on, which is to make a novel that’s exciting about boredom.“

    Als Ergänzung: Charles McGrath traf sich für die New York Times mit Michael Pietsch, dem – wenn man so will – Kompilator von „The Pale King“ und brachte u.a. in Erfahrung, dass sich die moderne Datenverarbeitung (Excel) in einem Fall wie dem vorliegenden durchaus als vielleicht zunächst ungewöhnlich erscheinende Hilfe durchaus dienstbar erweist. Darüber schrieb er eine Art Making-of, das es hier abrufbar gibt: Piecing Together Wallace’s Posthumous Novel


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