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Der Tod des Autors, seine Wiederkehr und sein Verschwinden in der Digitalität.

Posted in LIBREAS.Referate by Ben on 8. Januar 2009

Anmerkungen zu:
Rombes, Nicholas (2008): The Rebirth of the Author. In: Kroker, Arthur; Kroker, Marilouise (Hg.): Critical Digital Studies. A Reader. Toronto: University of Toronto Press. S. 437-441

von Ben Kaden

Die Postmoderne fand im Punkte der Autorenschaft womöglich ausgerechnet im positiven Wissenschaftsverständnis einen frühen Verbündeten. Dies vielleicht sogar früher, als man postmodern dachte. Denn in einer eindeutig erkennbaren, erfassbaren und womöglich kontrollierbaren Welt spielt es weniger eine Rolle, wer sie erkennt, sondern, dass sie nur erkannt wird. Der Wissenschaftler für die Wissenschaft, der Funktionsschreiber lebte, als der Autor noch längst nicht für tot erklärt wurde. Roland Barthes rief den mort de l’auteur mit literaturwissenschaftlichem Hintergrund in den späten 1960er Jahren aus und wurde reichlich missverstanden. Das Herauspflücken einer schlagkräftigen Formulierung, verwischt manchmal etwas zu sehr den Kern der Sache und alle, die tatsächlich den Tod des Autors vermuteten, hätten durchaus einmal bei der Tatsache stutzen können, dass gerade der, dem diese Feststellung zugeschrieben wird, als Autor zu konkreten Identifikationsindividuum erwächst. Nicholas Rombes, Professor für Literatur an der katholischen University of Detroit Mercy, rückt genau dieses Missverständnis in der Mittelpunkt und zwar von der Feststellung ausgehend, dass der Autor zu Zeiten der digitalen Kommunikation gar nicht im Nirwana ist, sondern leicht feststellbar überall. Und dann doch wieder nirgends.

Je stärker der Autor als verschwunden und Mythos beschworen wurde, desto präsenter erschien er. Jedes Distanzieren führte nur zu einem stärkeren Kult. Lars von Trier wollte buchstäblich dogmatisch in keinem seiner Filme mehr als Urheber erwähnt werden, was, da sich die Metamedien ja nicht daran halten, ihn vielleicht sogar gerade dadurch zu dem bekannten Regisseur werden ließ, als der er gilt. Letztlich hat Barthes wohl den Autor durch die Proklamation dessen Todes erst richtig zum Leben erweckt, weil als Diskursbezuggröße massiv aufgebaut.

Vielleicht meinte Barthes seinen Essay gar nicht so streng wissenschaftlich, wie dieser oft rezipiert und diskutiert wurde. Medium der Erstpublikation in den äußerst Bathes-affinen USA war nämlich, worauf Rombes hinweist, das Avantgarde- und frühe Multimediablatt „Aspen“ und zwar die „Minimal Issue“ (Aspen No. 5+3, Item 3) wo er neben Susan Sontags Text über die Ästhetik des Schweigens erschien.

Das Missverständnis liegt nun darin, dass bestimmte (nicht genannte) „career academics“ die Überlegungen Barthes nicht als Idee, sondern als Manifest ihrer Zeit lasen. Sowohl die ihn verstanden zu haben glaubten, wie die, die ihn verwarfen, taten dies leider so absolut, wie man sich Wissenschaft nun mal vorstellt, nahmen ihn selten als das, was der kleine Text eigentlich war: „playful, slippery, aphoristic, and often poetic“ und schoben ihn in einen so trockenen wie humorfreien und streng wissenschaftlichen Zusammenhang. Ziel ganzer Folgegenerationen von angehenden Wissenschaftlern war es, so Rombes, alles bourgeoise und damit auch die Rolle des Persönlichen, Individuellen soweit als möglich aus ihren Arbeiten zu tilgen. Oder kurz: Die Freuden des Textes („the pleasures of the text“), die nicht studiert, sondern gelebt werden. Willkommen in der harten Wissenschaft.

Worum es (wohl auch bei Barthes) geht, wurde selten benannt: Nämlich das der Autor kein Gott ist, der autonom eine Welt schöpft, sondern, dass in jedem Werk dahingehend ein Eigensinn steckt, dass der Autor mehr kombiniert, was er sieht, erfährt, erfühlt und in eine eigene Form gießt, als dass er etwas Niedagewesenes auf den Tisch wirft. Nicht das Original zählt, sondern die Kombination und wie sehr wir in einer kombinatorischen Kultur, im Kult des Zitats leben, führt uns die Schlüsseltechnologie Hypertext vor Augen.

Dank der leichten, spielerischen und vielfältigen Ausdrucksformen, die WWW und Web 2.0 so bieten, ist die Autorenschaft, die objektiv nie verschwunden war, nun prominenter denn je. Die Hürde von Lektorat und materiellen Publikationsgrenzen ist gefallen. Jeder kann mit wenig Mitteln und so wie er es für richtig hält.

Persönliche Websites und Blogs, schreibt Rombes, bringen den Autoren in eine „tyrannical presence“. Das Verwischen von öffentlicher und privater Sphäre hat dazu geführt, dass wir nun alle Autoren sind – „We are all auteurs.“ Wir sind alle Schriftsteller, alle (Youtube-)Filmemacher und in unserer Selbstbezüglichkeit alle Theoretiker dessen, was wir tun. Gerade im Web gilt Anonymität, so Rombes, als ein Zeichen von Schwäche – oder, so kann man ergänzen, eben auch als eines von Stärke, je nachdem, von welcher Popularitätshöhe man sich als Autor zurückzieht. Für einen Sänger namens Prince, der das Spiel mit den Zeichen bis hin zu seinem nicht aussprechbaren „Love Symbol“ 1992, als kurz vor dem WWW, sehr gut beherrschte, führte die Distanzierung von jeglichem Namen gerade nicht konsequent in die Vergessenheit seiner Individualität. Da hätte er besser das Aufgehen der eigenen Person in einer Band mit einem großen Namen versuchen sollen, aber dies war auch gar nicht sein Ziel. Der Tod des Autors erscheint vielmehr in der freundlichen Form als Spiel mit Identität und Identitätszeichen. In der verknöcherten Variante dagegen als posthumaner und daher der menschlichen Wesensart ferner Unsinn.

Die Individualität kehrt, so schreibt Rombes und so liest man es auch anderen Stellen, beispielsweise mit der Blogscience mehr denn je in die Wissenschaft zurück. Auch in die Hard Sciences. Der Science Citation Index, wohl einst als neutrales Werkzeug zur Wissenschaftsmessung gedacht, ist schon seit er bekannt wurde in der Nebenfunktion Barometer von ganz individuellen Ausdrucks- und vor allem Reputationswünschen. So scheint es, Rombes Text als Rückendeckung genommen, als zöge die Etablierung von Blogs als anerkannte Formen der Darstellung mehr oder weniger originärer wissenschaftlicher Erkenntnis hier einfach das Mäntelchen der vermeintlich objektiv-rationalen Textproduktion durch „Funktionsschreiber“ zur Seite, vielleicht um es in die Schmutzwäsche zu werfen, vielleicht um es gänzlich auszusondern. „Confronted with the spectre of the public sphere, academics are learning to write again“ überzieht der Autor Rombes den Bogen dann auch ein wenig. Immerhin: Vielleicht gab (und gibt) es sie wirklich einmal, die Schreiber, die Text kreierten und hinter diesem verschwinden, wie Übertragungsmedien. Die dominierende Textproduktion im digitalen Umfeld wird jedoch nicht mehr von Schreibern vorgenommen, auch nicht von Autoren, sondern von protokollierenden Maschinen. Rombes deutet dies an, aber leider eben nur das. Schade, dass er es nicht auf den Punkt bringt, aber vielleicht sieht er es auch etwas anders.

Denn eigentlich existieren in der digitalen Sphäre ein schönes Nebeneinander von Autorenschaften: Kollaborative Schreibprojekte wie die Wikipedia, die partout jegliche subjektive Färbung auszumerzen versucht, die Subjektivität des Avatars, hinter dem sich einer oder mehrere Akteure verstecken können, der Autor, der deutlich nachvollziehbar und klarnamentlich seine eigenen Texte ins Spiel bringt und über allen, der Metatext der Hypertexte: Die Datenbankstruktur, die XML-strukturierten Schnipsel, die Zugriffsstatistiken, Klickraten, die Protokollierung jeder Aktivität im Netz – ein sich selbst permanent schreibender, bedeutungsfreier Übertext, in Kooperation von Mensch und Maschine verfasst und mehr von der Maschine als vom Menschen lesbar.

Der Fluß fließt also zugleich in zwei Richtungen: Einerseits wird das Web individueller denn je, mit Millionen täglichen Urhebern, die meist genannt sein wollen, manchmal aber auch mehr oder weniger selbstlos zurücktreten hinter dem Ziel, Wissen und Geschehen der Welt in einer entpersonalisierten Web-Enzyklopädie zusammenzuspeichern. Andererseits macht die freie Kombinierbarkeit, Filterbarkeit, das beliebigen Zusammenstellen, Kopieren und Verweisen des Hypertext-Universums aus all dem potentiell unendlich viele, automatisch erzeugbare Texte. Google ist ein permanenter Autor, das Internet Archive genauso, mein Netvibes auch und die diversen Datenbanken sind ebenfalls dynamische Sammelbände ohne Ende. Sie sind Autoren, weil sie durch die Kombination von menschlich erzeugten Texten, Bildern, Filmen und ähnlichen, mit automatisch generierten Verknüpfungen, Ähnlichkeiten und Metadaten Textstrukturen hervorbringen, die Mensch je so gedacht hat und auch kaum denken kann. Die Idee kommt hier vom Menschen, die Ausformulierung erfolgt automatisch. Was diesen selbsterzeugenden Übertexten jedoch fehlt und was sie von jedem vom Menschen erzeugten Text unterscheidet, ist der Aspekt der Bedeutung. Die automatischen Texte sind den automatischen Autoren bedeutungslos, buchstäblich übrigens, denn sie weisen aus dem in ihnen erfassten digitalen Universum kein Bit hinaus. Und was drinnen ist, ist aufs letzte Bit erfasst. Sie sind abgeschlossen und in sich perfekt, wenn paradoxerweise auch nie fassbar, da hochgradig selbstreferentiell. Und für den Menschen nur eingeschränkt begreiflich.

Gegen diesen perfekten Text bzw. gegen das allgemeine Bestreben der immer präziseren Erfassung und medialen Remodellierung der Realwelt, also eine technologisch hergestellte „a more perfect, flawless reality“ setzt Rombes den Autor als imperfektes, fehleranfälliges, mehrdeutiges, irrationales und daher menschliches Wesen. In einer offensiveren Schreibart hätte er vielleicht sogar seinen Text daraufhin zuspitzen können, dass es notwendig erscheint, um den menschlichen Autor in seiner Inkommensurabilität zu bewahren, ab und an die perfekten Texte zu unterlaufen, in dem man Texte neben der Digitalität thematisiert. Denn es scheint nicht so sehr verfrüht, danach zu fragen, wie und ob es überhaupt möglich (und auch erstrebenswert) ist und sein wird, Texte und Öffentlichkeit jenseits dieser verfassen und rezipieren zu können.

4 Antworten

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  1. Ben said, on 9. Januar 2009 at 22:37

    Der Soziologe Scott Lash nähert sich, das soll hier noch ergänzt sein, der Frage nach Tod oder Leben des Autors aus einer etwas anderen Richtung:

    „Materie – wie die beschriebene genetische Materie –, die liest, speichert
    und transportiert, kann als »intelligent« bezeichnet werden. Vernunft tritt in die Materie ein, wenn sie medialisiert wird. Nun ist die Vernunft oder die Intelligenz nicht länger bloß außerhalb der Materie lokalisiert, sondern die Intelligenz ist verteilt. Medien setzen eine verteilte Intelligenz voraus und bis zu einem gewissen Grad auch den Tod des Autors.“ (Lash, Scott (2007): Auf dem Weg zu einer Moderne verallgemeinerter Medialisierung. In: Bonacker, Thorsten; Reckwitz, Andreas (Hg.): Kulturen der Moderne. Soziologische Perspektiven der Gegenwart. Frankfurt/Main: Campus-Verl., S. 251–267.)

    Er sagt aber im Prinzip etwas Ähnliches: Die verteilte Medialität in einem Web, das selbstständig Prozesse ausführt, also Daten einliest, speichert und überträgt, verliert der menschliche Akteur als Autor weitgehend seine Handlungsfähigkeit. Ob diese „Vernunft“ der Maschine aber tatsächlich der „Vernunft“ der Aufklärung entspricht, also der, die die Moderne prägte, darf man getrost bezweifeln. Wenig später wird aber deutlicher was er meint, wenn er – mit Kant – der Verstand als epistemologisch und die Vernunft als ontologisch bestimmt: Das Ganze ist ein geschlossener Seinszusammenhang, der in sich nach spezifischen Regeln funktioniert. Die Überführung von Natur in Technik bzw, in eine Technologie, wie sie in der Genetik geschieht, ist zugleich eine Medialisierung bzw. führt zu einer medialisierenden Ansicht der Dinge.

    • Lusru said, on 21. März 2012 at 00:26

      Au, das tut weh:
      “Materie – wie die beschriebene genetische Materie –, die liest, speichert und transportiert, kann als »intelligent« bezeichnet werden.Vernunft tritt in die Materie ein, wenn sie medialisiert wird. Nun ist die Vernunft oder die Intelligenz nicht länger bloß außerhalb der Materie lokalisiert, “ –
      Materie, ein unteilbares GANZES (System) aus den Hauptkomponenten Masse, Energie und Information, ist zwar eine intelligente Erscheinung, damit noch lange nicht (selber und alleinig dadurch) „intelligent“. „Vernunft kann nicht „in etwas eintreten“, aus dem es geboren wurde, das gibt es nur i(n)m BILD …
      Somit kann sie auch nicht über einen solchen „ein Tritt“ „medialisiert“ werden.

      Damit ist das alles großer medialer KÄse:
      „Nun ist die Vernunft oder die Intelligenz nicht länger bloß außerhalb der Materie lokalisiert“ – denn da (außerhalb der Materie), war noch nie irgendetwas, geschweige denn eine „Vernunft“ oder eine „Intelligenz“.

      Es sei denn, man könnte diesen Platz, diesen Ort „außerhalb der Materie“ in irgendeiner Art / Form beschreiben, bezeichnen, was nach reichlicher vieltausendjähriger Überlegung und Untersuchung nicht gelungen ist, auch nicht mehr verrsucht wird.
      Es bleibt die Frage, was wußten diese hier darüber: „Bonacker, Thorsten; Reckwitz, Andreas (Hg.): Kulturen der Moderne. Soziologische Perspektiven der Gegenwart. Frankfurt/Main: Campus-Verl., S. 251–267.)“ – etwa nichts??
      Ja, ja, so führt erst der Tod eines Autors manchmal zur Vermeidung seiner Wiederkehr, offenbart seine kurzärmelige Denke, denn
      „Was diesen selbsterzeugenden Übertexten jedoch fehlt und was sie von jedem vom Menschen erzeugten Text unterscheidet, ist der Aspekt der Bedeutung. Die automatischen Texte sind den automatischen Autoren bedeutungslos, buchstäblich übrigens, denn sie weisen aus dem in ihnen erfassten digitalen Universum kein Bit hinaus.“
      Denn:
      Erst „das Ganze ist ein geschlossener Seinszusammenhang, der in sich nach spezifischen Regeln funktioniert. Die Überführung von Natur in Technik bzw, in eine Technologie, wie sie in der Genetik geschieht, ist zugleich eine Medialisierung“ – das allerdings – weiter siehe jedoch zuvor
      Au(Tor), das tut weh, besonders digital

  2. Kusanowsky said, on 20. März 2012 at 16:24

    Reblogged this on Differentia.


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